L 16 B 57/01 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 245/01 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 57/01 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17. September 2001 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig bis zum 30.06.2002 die von der Antragstellerin aufgrund des zwischen den Beteiligten am 11.01.1999 geschlossenen Versorgungsvertrages nach §§ 132, 132a SGB V den Versicherten der Antragsgegnerin erbrachten Leistungen entsprechend der Vergütungsvereinbarung zu dem genannten Vertrag zu vergüten. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Antragsgegnerin kündigte mit eingeschriebenem Brief vom 25.09.2000 den zwischen ihr und der Antragstellerin am 11.01.1999 geschlossenen Vertrag nach §§ 132, 132a SGB V über die Durchführung häuslicher Krankenpflege, häuslicher Pflege wegen Schwangerschaft oder Entbindung und Haushaltshilfe fristgerecht zum 31.12.2000, weil sich aufgrund des Inkrafttretens der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V (KrPfl-RiL) ein Anpassungsbedarf ergeben habe, wobei auch der Bereich der Qualitätssicherung in der ambulanten Pflege zunehmend an Bedeutung gewinne. Für den Abschluss eines neuen Vertrages verlangte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin die Realisierung einer mit den übrigen Leistungserbringern vergleichbaren "Strukturqualität" in der Weise, dass die Antragstellerin mit den von ihr eingesetzten Pflegekräften Anstellungsverträge abzuschließen habe. Zur Vermeidung unbilliger Härten räumte die Antragsgegnerin der Antragstellerin das Recht ein, noch bis zum 30.06.2001 nach dem gekündigten Vertrag Leistungen zu erbringen und abzurechnen.

Die Antragstellerin hat am 27.07.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abrechnung nach dem gekündigten Vertrag bis zum Abschluss eines neuen Vertrages begehrt. Sie hat die Ansicht vertreten, für das Verlangen der Antragsgegnerin fehle eine gesetzliche Grundlage.

Im Laufe des Verfahrens hat die Antragstellerin ihren Antrag dahin erweitert, der Antragsgegnerin zu untersagen, ihren Versicherten mitzuteilen, dass sie Leistungen der Antragstellerin nicht mehr übernehmen werde.

Mit Beschluss vom 17.09.2001 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Antragstellerin eine Existenz gefährdung infolge der streitigen Kündigung nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe.

Mit ihrer hiergegen am 15.10.2001 erhobenen Beschwerde rügt die Antragstellerin, das SG habe ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und die Bedeutung des Versichertenaufkommens der Antragsgegnerin hierbei verkannt. Sie ist weiterhin der Ansicht, mangels einer gesetzlichen Grundlage sei das Verhalten der Antragsgegnerin rechtswidrig und verletze das Grundrecht auf freie Berufsausübung.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Aus Gründen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 GG sind außer den bisher im SGG geregelten Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. §§ 86, 97 SGG), die hier nicht einschlägig sind (die Neuregelungen über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das 6. SGG-ÄndG - §§ 86a/b - sind nicht - auch nicht entsprechend - im Hinblick darauf, dass dieses Gesetz erst zum 01.01.2002 in Kraft tritt, anwendbar), vorläufige Regelungen zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare Entscheidungen entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 166; 51, 268, 284). Es kann dahinstehen, ob solche Nachteile der Antragstellerin deshalb drohen, weil sie infolge der Vertragskündigung mit einer erheblichen Umsatzeinbuße rechnen muss, oder ob, wie das SG angenommen hat, die Anzahl der bei der Antragsgegnerin Versicherten, die von der Antragstellerin und ihren Mitarbeitern versorgt werden, nach ihrem prozentualen Anteil nicht so bedeutsam ist, als dass der Ausschluss ihrer Versorgung die Antragstellerin wirtschaftlich erheblich beeinträchtigt. Eine von der Antragstellerin nicht hinnehmbare Beeinträchtigung ihrer Belange folgt nämlich daraus, dass die Kündigung des Versorgungsvertrages offensichtlich rechtswidrig und daher die Verweisung auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens unzumutbar ist.

Nach § 132 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat die Krankenkasse, wenn sie zur Gewährung von Haushaltshilfe andere geeignete Personen, Einrichtungen oder Unternehmen in Anspruch nimmt, über Inhalt, Umfang, Vergütung sowie Prüfung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Dienstleistungen Verträge zu schließen. Wird der Vertrag mit einer Einrichtung oder einem Unternehmen geschlossen, muss daher sichergestellt sein, dass diese nur geeignete Personen einsetzen (vgl. Orlowski, GKV-Kommentar, Rdn. 5 zu § 132). Das SGB V regelt jedoch nicht näher, welche Personen als geeignet anzusehen sind. Bezüglich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege haben die Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern zu schließen und darauf zu achten, dass die Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden (§ 132a Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V). Hierzu sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 gemeinsame Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abgeben (§ 132a Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die KrPfl-RiL vom 16.02.2000 (BAnz. Nr. 91 S. 8878) bestimmen lediglich, dass häusliche Krankenpflege die Maßnahmen der ärztlichen Behandlung umfasst, die üblicherweise an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert werden können (Abschnitt I. Nr. 2), wobei zur Sicherstellung der Leistungserbringung der Vertragsarzt mit dem Pflegedienst und der Krankenkasse des Versicherten eng zusammenwirkt (VI. Nr. 24). Dass die von der Antragstellerin eingesetzten Pflegekräfte über eine unzureichende pflegerische Ausbildung verfügen oder ihnen die Befähigung zur Übernahme von grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Verrichtungen fehlt, hat auch die Antragsgegnerin nicht unterstellt. Da demnach eine unzureichende Versorgung ihrer Versicherten nicht zu befürchten ist, kommt dem Hinweis der Antragsgegnerin auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Aufsichts- und Weisungsrechts gegenüber abhängig Beschäftigten und freien Mitarbeitern keine Bedeutung zu (vgl. BSG SozR 3-2500 § 124 Nr. 1 S. 12 hinsichtlich Heilmittel erbringern). Unter Beachtung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit steht Einrichtungen und Unternehmen, soweit sie häusliche Krankenpflege durchführen, ein Anspruch auf Abschluss des Vertrages einschließlich des Rechts zu, die Leistungen durch freie Mitarbeiter zu erbringen (vgl. BSG a.a.O. S. 7), da vernünftige Gründe für die von der Antragsgegegnerin geforderten Beschränkung nicht ersichtlich sind. Zwar kann sich die Antragstellerin als eingetragener Verein bei Anerkennung der Gemeinnützigkeit selbst nicht auf das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG berufen (vgl. BVerfGE 65, 196, 210; Manssen in v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz - Kommentar -, 4. Aufl. Rdn. 261 zu Art. 12), da die Antragstellerin jedoch anderen Einrichtungen und Unternehmen i.S.d. §§ 132, 132a SGB V, die in der Rechtsform juristischer Personen des Privatrechts geführt werden, den Einsatz freier Mitarbeiter gestatten muss, hat sie aus Gründen der Gleichbehandlung dies auch der Antragstellerin zu gestatten.

Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Bestimmung des § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB XI ableiten. Danach wird häusliche Pflegehilfe durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. Eine Begründung für das Anstellungserfordernis hat der Gesetzgeber nicht abgegeben, sondern lediglich darauf hingewiesen, "es dürften nur Pflegekräfte einer zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtung in Anspruch genommen werden" (BT-Drucks. 12/5262 S. 111). Warum dieses nicht auch freie Mitarbeiter sein können, ist daher nicht nachvollziehbar. Ob § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB XI daher gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt, kann auf sich beruhen, denn jedenfalls hat der Gesetzgeber mit Einführung der Sozialen Pflegeversicherung keine entsprechend einschränkenden Bestimmungen bezüglich der Erbringung häuslicher Krankenpflege in das SGB V aufgenommen. Selbst wenn demzufolge die Versicherten der Antragsgegnerin die Pflegehilfe der Mitarbeiter der Antragstellerin nach dem SGB XI nicht in Anspruch nehmen könnten, fehlt es an einer entsprechenden eindeutigen gesetzlichen Beschränkung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt ist, eine entsprechende Änderung des Versorgungsvertrages zu erzwingen.

Schließlich rechtfertigt auch nicht das Inkrafttreten der KrPfl-RiL nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Kündigung, denn wie sie selbst ausführt, ist hierdurch lediglich ein geringfügiger Anpassungsbedarf entstanden, der sich im wesentlichen im Bereich der Vergütungsvereinbarung auswirkt.

Die Antragstellerin war daher vorläufig zu verpflichten, den Versorgungsvertrag weiter zu erfüllen. Die Befristung dieser Regelung bis zum 30.06.2002 hat der Senat als angemessen angesehen, da nicht auszuschließen ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Einigung der Beteiligten zustande kommt oder anderweitige Umstände eintreten, die eine vertragliche Neuregelung erfordern.

Über den vor dem SG gestellten Unterlassungsantrag der Antragstellerin hatte der Senat nicht mehr zu befinden, nachdem das SG ausweislich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses hierüber keine Entscheidung getroffen, die Antragstellerin dies im Beschwerdeverfahren nicht gerügt und den entsprechenden Antrag auch nicht ausdrücklich wiederholt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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