L 16 B 70/02 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 90/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 70/02 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04. Februar 2002 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Gegenstandswert wird auf 4.444,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Beitragsbescheides, mit dem Sozialversicherungsbeiträge ab Oktober 1997 für Beschäftigungsverhältnisse nacherhoben worden sind, die nach dem Vertrag zwischen der Antragstellerin und den Arbeitnehmern als geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ausgestaltet gewesen sind.

Die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sich diese gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 04.02.2002 wendet, in dem der Antrag als unzulässig angesehen worden ist, ist zulässig, aber nicht begründet.

Allerdings ist entgegen der Auffassung des SG der Antrag nicht unzulässig. Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten der Bestimmung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zum 02.01.2002. Zum einen liefe diese Vorschrift, nach der bei Entscheidungen über Beitragspflichten sowie der Anforderung von Beiträgen die Aussetzung der Vollziehung erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, ins Leere, wenn es, wie das SG meint, auf die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Beitragsbescheides ankäme; zum anderen ist die Vollstreckbarkeit bei Stattgabe des Antrages vorläufig grundsätzlich ausgeschlossen, woraus das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung folgt.

Der Antrag ist aber nicht begründet. Ob ein Anordnungsgrund noch vorliegt, nachdem die Antragsgegnerin angeboten hat, die Vollziehung des Beitragsbescheides gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls fehlt der Antragstellerin der notwendige Anordnungsanspruch, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen und eine unbillige Härte nicht erkennbar ist.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind nicht schon dann begründet, wenn nach summarischer Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels ebenso wahrscheinlich ist wie der Mißerfolg, sondern erst wenn die Erfolgaussichten deutlich überwiegen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, Rdn. 27 zu § 86a; Zeihe, Kommentar zum SGG, Rdn. 33 zu § 86a jeweils mit weiteren Nachweisen). Zwar ist die Bestimmung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG derjenigen des § 80 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nachgebildet, die wiederum auf § 361 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) zurückgeht, wozu der Bundesfinanzhof (BFH) die Auffassung vertritt, dass entsprechende Zweifel schon bei der Möglichkeit des Erfolgs des Rechtsmittels vorliegen (vgl. BFHE 100, 166; 101, 289; vgl. ferner Schwarz, Kommentar zur AO, Rdn. 76 zu § 361 m.w.N.). Diese Auffassung hat sich aber in der jüngeren Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht durchgesetzt (vgl. OVG Koblenz NJW 1986, 1004, 1005; VGH Mannheim NVwZ 1991, 1004, 1005; OVG Münster NVwZ 1994, 198). Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis letzterer Rechtsprechung die Einführung des § 86a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 SGG vom 02.01.2002 damit begründet, dass die aufschiebende Wirkung in Beitragsangelegenheiten entfallen solle, um die Funktionsfähigkeit insbesondere der Sozialversicherungsträger zu erhalten und nur bei zweifelhafter Rechtslage die Aussetzung der Vollziehung ermöglicht werden sollte (BT-Drucks. 14/5943 S. 25), so spricht diese Zielsetzung dafür, dass nicht jeder Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Aussetzung rechtfertigen soll, sondern nur solche, die geeignet sind, den Erfolg des Beitragsschuldners wahrscheinlicher zu machen als sein Unterliegen. Andernfalls wäre nämlich angesichts der vielfältigen Rechtsprobleme wie auch der Schwierigkeiten einer umfassenden Sachverhaltsklärung in Beitragsangelegenheiten eine Aussetzung der Vollziehung regelmäßig durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung erheblich beeinträchtigen könnte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in diesem Sinne können nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Lohntarifverträge für den Einzelhandel in NRW ab dem hier maßgeblichen Zeitpunkt Oktober 1997 jeweils rückwirkend erfolgt sind (die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages über Sonderzahlungen war demgegenüber zu diesem Zeitpunkt schon bekannt gegeben). Zwar setzte die Feststellung der Geringfügigkeit und damit Versicherungsfrei heit einer regelmässigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV auch die Prognose voraus, dass das Arbeitsentgelt 630,-- DM nicht überstieg. Die dabei gebotene vorausschauende Betrachtungsweise erforderte aber lediglich eine ungefähre Einschätzung, welche Entgelte nach der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten waren (vgl. BSG SozR 3-2400 § 8 Nr. 3; SozR 2100 § 8 Nr. 4). Die Lohntarifverträge für den Einzelhandel waren aber bereits seit 1982 fortlaufend in NRW für allgemein verbindlich erklärt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) können Tarifverträge, durch die ein früherer allgemein verbindlicher Tarifvertrag erneuert oder geändert wird, rückwirkend für allgemein verbindlich erklärt werden (BAG NZA 1997, 495, 497 m.w.N.). Angesichts der dauerhaften Übung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung mit Wirkung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Lohntarifverträge für den Einzelhandel in NRW war daher im hier streitigen Prüfzeitraum bei einer vorausschauenden Betrachtung davon auszugehen, dass entsprechende tarifliche Entgeltansprüche der Beschäftigten, die dem entsprechenden Geltungsbereich des Tarifvertrages damit unterfielen, begründet würden. Allein der Umstand, dass erstmals im April 2001 die Allgemeinverbindlichkeitserklärung abgelehnt worden ist, steht dieser Betrachtungsweise nicht entgegen, zumal auch die Antragstellerin nicht geltend macht, bereits in den Jahren zuvor habe mit einer solchen Ablehnung gerechnet werden können.

Dass die Beitragsansprüche unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Lohn- und Sonderzahlungsansprüche der in dem angefochtenen Bescheid bezeichneten Arbeitnehmer unzutreffend berechnet worden sind, macht auch die Antragstellerin nicht geltend.

Dass diese Beschäftigten die entsprechenden Entgelte nicht erhalten haben, steht dagegen der Beitragsschuld nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit nicht das gezahlte, sondern das geschuldete Entgelt. Dies entspricht jeden falls seit 1994 der Rechtsprechung des BSG, wonach sich die Beitragsberechnung allein danach richtet, welche Entgelte geschuldet werden und nicht danach, ob der Arbeitnehmer seine Ansprüche geltend gemacht oder durchgesetzt hat (vgl. BSG SozR 3-4100 § 160 Nr. 1; BSGE 78, 224; Urteil vom 07.02.2002 - B 12 KR 13/01 R). In Übereinstimmung mit dem 5. Senat des LSG NRW (Beschl. v. 22.08.2002 - L 5 B 41/02 KR ER) vermag der erkennende Senat die vom LSG Berlin (NZS 2002, 559) geäußerten Zweifel an der Bedeutung dieser Rechtsprechung nicht zu teilen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides lassen sich schließlich auch nicht aus Vertrauensschutzgrundsätzen herleiten. Der blosse fortgesetzte Nichteinzug von Beiträgen durch die Einzugsstellen könnte schutzwürdiges Vertrauen nur dann begründen, wenn die Antragstellerin dieses Verhalten als bewußt und planmäßig erachten durfte (vgl. BSGE 47, 195, 198; Seewald, Kasseler Kommentar, Rdnr. 12 zu § 25 SGB IV). Die Antragstellerin hat sich jedoch lediglich auf die allgemeine Praxis der Nichtberücksichtigung entsprechender tariflicher Entgeltansprüche berufen, ohne konkrete Umstände zu benennen, die geeignet wären, Vertrauensgesichtspunkte in ihrem Fall zu begründen. Unter diesen Umständen läßt sich eine überwiegende Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels jedenfalls nicht feststellen.

Schließlich rechtfertigt sich die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer unbilligen Härte. Die Beitragsforderung ist ihrer Höhe nach offensichtlich nicht geeignet, den wirtschaftlichen Bestand der Antragstellerin ernsthaft zu gefährden. Sonstige Umstände, die eine unbillige Härte begründen könnten, sind von der Antragstellerin weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Beschwerde musste daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG in der bis zum 02.01.2002 geltenden Fassung beruhenden Kostenentscheidung (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2002 - B 6 KA 12/01 R -; Urteil vom 11.04.2002 - B 3 KR 46/01 ) zurückgewiesen werden.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 197, 197a SGG und berücksichtigt, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes regelmäßig nur ein Drittel des Wertes der Hauptsache als Gegenstandswert festzusetzen ist (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 31. Auflage, 2002, § 20 Gerichtskostengesetz - GKG -, Anm. 25, 32).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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