L 15 SB 47/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 Vs 153/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 47/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Berufung (hier: mit dem Antrag, die Schwerbehinderteneigenschaft = GdB 50 festzustellen) ist unzulässig, wenn das SG der Klage, den GdB "höher als mit 30" zu bewerten, durch Feststellung eines GdB von 40 stattgegeben hat.
i. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.01.1997 wird verworfen.
ii. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
iii. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte hatte bei dem am 1934 geborenen Kläger mit Bescheid vom 19.11.1991 einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen der Behinderungen: "1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, 2. Magenschleimhautentzündung mit funktionellen Verdauungsstörungen, Speiseröhrendivertikel, Hämorrhoidalleiden, 3. Psychovegetatives Syndrom mit depressiven Verstimmungen, 4. Periarthritis der Schultergelenke, Abnützungsveränderungen der Hüft- und Kniegelenke" festgestellt. Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Landshut (Az.: 1 Vs 940/91) gerichtete Klage wurde zurückgenommen.

Auf den vom Kläger gestellten Antrag hin, einen GdB von 40 festzustellen, verweigerte der Beklagte mit Bescheid vom 05.10.1994 eine Neufeststellung, weil die Bewertung des GdB mit 30 im Bescheid vom 19.11.1991 korrekt gewesen (§ 44 SGB X) und eine wesentliche Änderung (§ 48 SGB X) nicht eingetreten sei.

Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.1995 zurück.

Seine zum SG Landshut erhobene Klage hat der Kläger auf die vom SG in der Sache S 1 Vs 940/91 eingeholten Gutachten gestützt und damit begründet, daß der Einzel-GdB auf orthopädischem Gebiet und auch der Gesamt-GdB auf wenigstens 40 anzusetzen sei.

Das SG hat Befunde des Rentenversicherungsträgers (LVA Niederbayern-Oberpfalz) und der behandelnden Ärzte Dres. , und eingeholt. Im Auftrag des SG erstellte der Arzt Dr. ein Gutachten vom 16.01.1997, nach welchem der Gesamt-GdB ab 14.01.1991 mit 40 einzuschätzen sei.

Mit Urteil vom 16.01.1997 hat das SG den Beklagten verurteilt, ab 14.01.1991 beim Kläger neben der Feststellung einer weiteren Behinderung ("Verschleißerscheinungen der Hüft- und Kniegelenke") einen GdB von 40 festzustellen und dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in vollem Umfange zu erstatten.

Die vom Kläger am 24.03.1997 beim SG Landshut eingelegte Berufung hat dieser damit begründet, daß er schwerbehindert und deswegen der Beklagte zu verpflichten sei, den GdB mit 50 zu bewerten. In Widerspruchs- und Klagebegründung sei der Antrag auf Feststellung eines höheren GdB als 30 nach oben nicht mehr begrenzt worden; Ziel des Rechtsstreites sei es gewesen, die Feststellung eines GdB von wenigstens 50 zu erreichen.

Der Senat hat ein Gutachten der Ärztin für Orthopädie und Chirurgie Dr. vom 30.11.1998 eingeholt, nach dem beim Kläger insgesamt ein GdB von 30 vorliege. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. hat in ihrer Stellungnahme für den Beklagten vom 19.12.1998 auch einen GdB von 40 für vertretbar gehalten.

Der Kläger hat nach Übersendung des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen am 16.12.1998 an seinen Bevollmächtigten zur Stellungnahme am 19.03.1999 Antrag auf Anhörung des Orthopäden Dr. (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) gestellt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 16.01.1997 und des Bescheides des Beklagten vom 05.10.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.02.1995 zu verurteilen, einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.01.1997 zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 SGG und § 543 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren nach § 136 Abs.2 SGG, auf die Schriftsätze und Erklärungen der Beteiligten, die beigezogenen Akten und den Inhalt der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 143 SGG statthaft und bedurfte nicht der Zulassung (§ 144 Abs.1 Satz 1 und 2 SGG). Das Rechtsmittel ist auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).

Es ist aber deswegen unzulässig, weil der Kläger durch das Urteil des SG nicht beschwert ist. Dem Kläger als Rechtsmittelführer fehlt ein Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz, weil die angefochtene Entscheidung ihm nichts versagt, was er vor dem SG beantragt hat (sog. formelle Beschwer, vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl., Anm.5a vor § 143).

Der Kläger hat in der Rechtsschutzform der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs.4 SGG) neben der Aufhebung der eine höhere Feststellung des GdB als 30 versagenden Bescheide gleichzeitig als Leistung die Feststellung eines GdB "höher als mit 30" (Schriftsatz vom 25.04.1995) bzw. eines GdB "höher als 30" (Antrag zur Niederschrift in der mündlichen Verhandlung vom 16.01.1997) beantragt. Diesem Antrag ist durch das Urteil des Sozialgericht Landshut mit der Feststellung eines GdB von 40 in vollem Umfang (vgl. auch die Kostenentscheidung) stattgegeben worden.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht, daß sich das Verlangen der Schwerbehinderteneigenschaft aus der Berufungsbegründung und dem gesamten Sachvortrag ergebe, finden sich im Vortrag des Klägers vor dem SG im Verfahren S 2 Vs 153/95 keine Hinweise auf die Schwerbehinderteneigenschaft als Prozeßziel. Eine Erweiterung des Klagebegehrens im Berufungsverfahren vor dem LSG kommt - wie hier - dann nicht in Frage, wenn das Rechtsmittel bereits unzulässig ist. Für die Auslegung des Beteiligtenvorbringens zusätzlich zu den gestellten Anträgen besteht nur dann Veranlassung, wenn den (Soll-)Erfordernissen der Klageerhebung, einen bestimmten Antrag zu stellen und den Streitgegenstand konkret zu bezeichnen (§ 92 Satz 1 SGG), nicht Genüge getan ist oder die Fassung (§ 123 SGG) der gestellten Anträge zu Zweifeln am Erklärungsinhalt Anlaß gibt. Bei durch Rechtsanwälte gestellten Anträgen ist, zumal hier nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der Regel anzunehmen, daß der Antrag das Gewollte richtig wiedergibt (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl., Anm.3 zu § 123). Die Interpretation eines Antrags, mit dem ein Mindest-GdB-Wert ("mindestens von" oder "höher als") gefordert wird, als Minimalforderung entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. für das Gebührenrecht: BSG SozR 3-1930 § 116 - BRAGO - Nr.7; für die Beschwer bei der Berufung: LSG Schleswig, Breithaupt 1958, 1000).

Auf Beweiserhebung durch Dr. im Berufungsverfahren kam es nicht mehr an. Der Antrag wäre im übrigen verspätet gestellt gewesen (vgl. Mayer-Ladewig, a.a.O., Anm.8 zu § 109).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Kostenentscheidung erster Instanz, der das Verbot einer Reformatio in pejus nicht entgegenstehen würde (Zeihe, Kommentar zum SGG, Anm.2e zu § 193), war zu belassen, da der Kläger dort voll obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch der Senat von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichtes abweicht.
Rechtskraft
Aus
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