L 4 B 118/05 ER SO

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 SO 150/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 118/05 ER SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2005 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren.

Gründe:

Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der beschließende Senat Bezug nimmt, hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz zur Kostentragung für die Drogenentwöhnungsbehandlung und Unterbringung der Antragstellerin im Projekt "T." – stationäre Langzeittherapie für Abhängige mit Kindern – des Trägers "Jugend hilft Jugend" verpflichtet. Das Beschwerdevorbringen gibt keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.

Die Eilbedürftigkeit der Sache steht mit den entsprechenden Erwägungen des Sozialgerichts außer Zweifel. Die Antragstellerin, die gegenwärtig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bezieht und hinsichtlich derer aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes die Notwendigkeit zum Erhalt von Leistungen der medizinischen Rehabilitation (vgl. §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, 40 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V; §§ 2 Abs. 1, 26 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX i.V.m. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – SGB XII) in Gestalt einer stationären Drogenentwöhnungsbehandlung zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist und auch sonst in dem vorliegenden Verfahren keinem Zweifel unterliegt, hat nach dem Kenntnisstand des vorliegenden Eilverfahrens gegen die Antragsgegnerin auch einen dementsprechenden (Leistungs-) Anspruch nach § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 SGB IX i.V. mit § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX.

Nach § 14 Abs. 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die begehrte Leistung zuständig ist. Hält dieser (erstangegangene) Rehabilitationsträger sich für unzuständig, leitet er den Antrag unverzüglich an den nach seiner Meinung zuständigen Rehabilitationsträger weiter. Dieser (zweitangegangene) Rehabilitationsträger hat dann nach § 14 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 und 2 SGB IX den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen. Hiermit hat der Gesetzgeber den Nachteilen des gegliederten Systems der Leistungen zur Teilhabe entgegenwirken wollen und zum Ausdruck gebracht, dass der Antrag eines behinderten Menschen auf Gewährung einer Leistung zur Teilhabe nur noch Auslöser für eine umfassende Fallbehandlung sein soll, sowie der Vielfalt der Leistungsträger und ihrer Zuständigkeiten ein Konzept der ganzheitlichen Fallbehandlung auf allen Ebenen gegenübergestellt (vgl. die amtliche Begründung, BT-Drucksache 14/5074, Seite 102, sowie Gagel, Trägerübergreifende Fallbehandlung statt Antragsabwicklung als Grundprinzip des SGB IX, SGb 2004, 464, 465). Wird ein Antrag von dem erstangegangenen Träger weitergeleitet, so erwächst in der Person desjenigen Trägers, an den weitergeleitet wurde, eine besondere (vorläufige) Leistungspflicht. Der zweitangegangene Träger hat bei vorliegendem Rehabilitationsbedarf, der in einem anderen Sozialleistungsbereich bestehen kann, die Teilhabeleistung zu bewilligen und durchzuführen. Er besitzt nach allgemeiner Auffassung (vgl. Gagel, a.a.O.; Schäfer in Kossens/von der Heide/Maaß, Praxiskommentar zum Behindertenrecht, § 14, Rdnr. 8; Haines in LPK-SGB IX, § 14, Rdnr. 11; Löschau in GK-SGB IX, Stand März 2005, § 14, Rdnr. 36 sowie Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, K § 14, Rdnr. 15 ff.) kein weiteres Abgaberecht. Stellt sich die Zuständigkeit eines anderen Trägers heraus, hat er gegen diesen nach § 14 Abs. 4 SGB IX einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen.

So liegt es hier. Die Antragsgegnerin hat die begehrte Leistung kraft Weiterleitung des Antrages zu erbringen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die erfolgte Weiterleitung auf einem entschuldbaren Irrtum, auf Nachlässigkeit oder auf einer übereilten Ablehnung ohne vorherige Prüfung der Zuständigkeit anderer Träger beruht (Gagel, a.a.O.). Es kann deshalb dahinstehen, ob die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg bei ihrer Entscheidung über die Abgabe des Antrags an die Suchtberatungsstelle der Antragsgegnerin übersehen hat, dass die Antragstellerin womöglich Ansprüche gegenüber der Beigeladenen als dem für diese zuständigen Träger der Krankenversicherung hat.

Eine so genannte nochmalige Weiterleitung des Antrages kommt entgegen der von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren erneut geäußerten Auffassung nicht in Betracht. Zwar wird die durch Weiterleitung begründete Leistungspflicht durch das Leistungsspektrum des jeweiligen Trägers begrenzt. Dies folgt aus § 7 Satz 2 SGB IX, wonach sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten. Die Begründung der Zuständigkeit durch Weiterleitung soll nicht dazu führen, dass ein Leistungsträger für eine Leistung aufkommen muss, der hierfür unter keinem Gesichtspunkt zuständig sein kann (vgl. SG Hannover, Beschluss vom 24. Oktober 2002 – S 4 KR 728/02 ER). Im Gesetzeswortlaut des § 14 Abs. 2 SGB IX findet dies mittlerweile durch den mit Wirkung vom 1. Mai 2004 (BGBl I Seite 606) angefügten Satz 5 Ausdruck. Nach dieser Vorschrift klärt in einem solchen Falle der zweitangegangene Rehabilitationsträger, der für die beantragte Rehabilitationsleistung nicht Träger im Sinne des § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann, unverzüglich mit dem von ihm für zuständig gehaltenen, von wem und in welcher Weise über den Antrag zu entscheiden ist. Durch den Hinweis auf § 6 Abs. 1 SGB IX wird nunmehr ausdrücklich der Bezug zum Leistungsgesetz hergestellt. Insoweit wird zwar auch nach der erfolgten Änderung der Vorschrift die Auffassung vertreten, dass eine nochmalige Weiterleitung ausnahmsweise zulässig sein soll, wenn ein Antrag aufgrund eines offensichtlichen Bearbeitungsfehlers an einen Rehabilitationsträger weitergeleitet wurde, dessen Leistungsrecht die in Betracht kommende Leistung nicht umfasst, weil andernfalls der zweitangegangene Träger den Antrag ablehnen müsste und dies im Widerspruch zu dem Gedanken der Verfahrensbeschleunigung stünde (vgl. Löschau, a.a.O.). Diese Auffassung dürfte jedoch der in der Änderung zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers widersprechen, der nunmehr klargestellt hat, dass eine nochmalige Abgabe ausscheidet und dass der zweitangegangene Träger, dessen Leistungsrecht die in Betracht kommende Leistung nicht umfasst, in einem solchen Fall einen ablehnenden Bescheid zu erteilen hat (vgl. die amtliche Begründung zu § 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX, BT-Drucksache 15/1783, Seite 13, sowie Götze a.a.O., Rdnr. 17).

Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann jedoch dahinstehen, ob auch nach der Neufassung eine weitere Abgabemöglichkeit besteht oder aber die Antragsgegnerin einen (ablehnenden Bescheid) zu erteilen hätte. Nach der Auffassung des beschließenden Senats liegt ein derartiger eine Ablehnung oder eine nochmalige Weiterleitung rechtfertigender Ausnahmefall nämlich nicht vor. Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin ist nicht durch das für sie geltende Leistungsgesetz ausgeschlossen. Dies folgt aus § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX i.V. mit §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII, §§ 2 Abs. 1, 26 SGB IX. Danach gehören die von der Antragstellerin begehrten Leistungen der medizinischen Rehabilitation zum Leistungsspektrum der Antragsgegnerin im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen. Etwas anderes folgt entgegen der von dieser geäußerten Auffassung auch nicht aus § 264 SGB V. Nach dieser Vorschrift wird zwar die Krankenbehandlung nicht versicherter Empfänger von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII von der Krankenkasse übernommen. Zur Krankenbehandlung zählen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V auch die Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Damit fällt aber die medizinische Rehabilitation von Empfängern von Sozialhilfe nicht aus dem Leistungsspektrum des Trägers der Sozialhilfe heraus. Denn dieser bleibt zur Tragung der Kosten gegenüber der Krankenkasse nach § 265 Abs. 7 SGB V verpflichtet. Sie nimmt in Fällen unversicherter Empfänger von Sozialhilfe lediglich die Abwicklung der Krankenbehandlung für den Träger der Sozialhilfe vor und rechnet mit diesem ab. Aus dem gleichen Grunde führt auch das Nachrangprinzip der Sozialhilfe nicht zur Annahme eines Ausnahmefalles. Es bleibt durch die im Interesse effektiver Leistungsgewährung eingeführte Zuständigkeitsregel unberührt. Dies gilt schließlich auch im Hinblick auf den Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) durch die Antragstellerin. Durch § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II wird lediglich der gleichzeitige Bezug von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII – Hilfe zum Lebensunterhalt – ausgeschlossen, nicht jedoch der Bezug von solchen nach dem Sechsten Kapitel – Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Für die Gewährung dieser Leistung bleibt die Antragsgegnerin auch während des Bezuges von Arbeitslosengeld II der zuständige Leistungsträger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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