L 13 SB 88/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 88/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Auf den Antrag des Klägers vom 2. Dezember 1999 erkannte der Beklagte bei diesem durch Bescheid vom 24. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2000 einen Grad der Behinderung - GdB - von 40 an. Der Empfehlung des Orthopäden Dr. L. folgend, der den Kläger am 30. Mai 2000 untersucht hatte, berücksichtigte er bei der Bildung des Gesamt-GdB folgende Behinderungen:

a) Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk, Nervus-achsillaris-Parese rechts

b) Statische Beschwerden nach Abheilung von Frakturen des 1. und 4. LWK

c) Fußbeschwerden nach Abheilung von Mittelfußfrakturen links

mit folgenden Einzel-GdB: zu a) GdB 30, zu b) GdB 20, zu c) GdB 10.

Im anschließenden Klageverfahren erkannte der Beklagte aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen, insbesondere unter Berücksichtigung eines Kurzgutachtens des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. M. vom 6. März 2001 durch Bescheid vom 5. Juni 2001 die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers mit einem GdB von 50 an. Der im Widerspruchsbescheid unter Buchstabe b) berücksichtigten Behinderung billigte er nunmehr einen den Gesamt-GdB erhöhenden Einzel-GdB von 30 zu, weil die Auswirkungen der Frakturen zu einem schmerzhaften BWS- und LWS-Syndrom geführt hätten.

Der Kläger sah den Rechtsstreit hierdurch nicht als erledigt an. Er machte nunmehr erstmalig das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ geltend.

Das Sozialgericht hat die hierauf gerichtete Klage durch Urteil vom 19. Oktober 2001 abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch -SGB IX - seien nicht erfüllt. Die medizinischen Erkenntnisse gäben nichts dafür her, dass der Kläger infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermöge, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt würden. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 -Anhaltspunkte- sei Voraussetzung für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, dass u.a. auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestünden, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingten. Darüber hinaus könnten nach der gleichen Regelung die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würden. Ausgehend von den für zutreffend erachteten Einzel-GdB der bei dem Kläger anerkannten Behinderungen würden diese weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit die Anerkennung des umstrittenen Merkzeichens rechtfertigen.

Gegen das am 8. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 10. Dezember 2001 (Montag). Die Ausführungen des Sozialgerichts würden die Ablehnung des Merkzeichens nicht stützen. Wenn er eine Wegstrecke von 2 km nur unter erheblichen Schmerzen bewältigen könne, sei ihm diese auch nicht mehr zumutbar. Er berufe sich vorsorglich auf ein Sachverständigengutachten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2001 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 24. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2000 sowie den Bescheid vom 5. Juni 2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es fehle an objektivierbaren Befunden für ein eingeschränktes Gehvermögen des Klägers.

Wegen der Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftwechsel Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidung waren.

II.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG- durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig nicht für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Eine Anhörung der Beteiligten (Abs. 4 Satz 2 a.a.O.) ist erfolgt.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein Schwerbehinderter in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (Anhaltspunkte) 1996 sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn die Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden, z.B. bei einer dauernden Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades, ist eine erhebliche Gehbehinderung anzunehmen (vgl. im einzelnen Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte).

Die als antizipierte Sachverständigengutachten zu wertenden Anhaltspunkte beschreiben - wie oben wiedergegeben - Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen sind und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können. Anspruch darauf hat darüber hinaus auch, wer nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleichschweren Auswirkungen auf die Gehfunktion dem in den Anhaltspunkten beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist (vgl. Bundessozialgericht in BSG SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).

Das Sozialgericht hat in dem hier angefochtenen Urteil richtig dargelegt, dass die medizinischen Erkenntnisse über den Kläger dessen Anspruch auf das Merkzeichen „G“ nicht stützen. Eine mit einem GdB von wenigstens 50 bewertete Behinderung der unteren Gliedmaßen liegt nicht vor. Das mit einem GdB von 30 eingeschätzte Wirbelsäulenleiden hat nicht den in den Anhaltspunkten vorgeschriebenen Schweregrad von 50. Diesen erreicht der Kläger auch nicht durch die Kombination der Wirbelsäulenbeschwerden mit der als Behinderung anerkannten Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, die wiederum - für sich allein betrachtet - auf das Gehvermögen ohne qualitativen Einfluss ist. Gleichfalls nicht ins Gewicht fallen die als Behinderung mit einem GdB von 10 anerkannten Fußbeschwerden nach abgeheilter Mittelfußfraktur links.

An dieser Einschätzung ändert die Tatsache, dass sich der Kläger am 6. November 2002 einer Arthroskopie des linken Kniegelenks unterzogen hat, nichts. Bei festgestellter Chondropathie II. bis III. Grades wurde von Dr. M.eine Knorpelglättung durchgeführt. Der Knorpelschaden lässt, wenn er - wie hier - ausgeprägt ist und mit anhaltenden Reizerscheinungen verbunden ist, einseitig ohne Bewegungseinschränkung einen GdB von 10 bis 30 zu, mit Bewegungseinschränkung einen GdB von 20 bis 40 (Anhaltspunkte, Ziffer 26.18, S. 152). Im Gutachten des Dr. L. vom 30. Mai 2000 heißt es zum Untersuchungsergebnis der Kniegelenke des Klägers, diese seien frei beweglich, unauffällig und nicht druckschmerzhaft. Bänder und Menisken seien intakt. Auswirkungen auf das Gehvermögen des Klägers wurden nicht gesehen und bis zum Zeitpunkt seiner Untersuchung und auch in der Folgezeit von Dr. M. nicht beschrieben (vgl. Befundbericht vom 6. März 2001). Das von Dr. M. dem Kläger verordnete Tragen einer Kniebandage erleichtert das Gehen eher als dass es die Fortbewegungsfähigkeit beeinträchtigt. Es handelt sich um eine dem Kläger zumutbare therapeutische Maßnahme.

Ob die Funktionsfähigkeit des linken Kniegelenks des Klägers durch den Eingriff vom 6. November 2002 wieder hergestellt oder beeinträchtigt sein wird und welche Auswirkungen sich hieraus ggf. für das - hier allein umstrittene - Gehvermögen des Klägers ergeben, wird sich erst sechs Monate nach dem Eingriff beurteilen lassen (vgl. Anhaltspunkte, Ziffer 18, Abs. 5, S. 31). Dem Kläger steht dann, falls erforderlich, die Möglichkeit eines Neufeststellungsantrages frei.

Sonstige relevante Tatsachen, die eine vom Sozialgericht abweichende medizinische Beurteilung rechtfertigen könnten, sind vom Kläger im Berufungsverfahren weder vorgetragen noch durch ärztliche Unterlagen untermauert worden.

Die Kostenentscheidung, die dem Ergebnis in der Hauptsache folgt, beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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