L 3 RJ 101/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 RJ 130/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RJ 101/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente beanspruchen kann. Dabei ist insbesondere umstritten, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Grodno in der damaligen UdSSR als Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.

Die jüdische Klägerin wurde am 00.00.1923 in T bei Grodno als polnische Staatsangehörige geboren und ist als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes - BEG - anerkannt. Sie lebt seit 1950 in Israel und ist im Besitz der israelischen Staatsangehörigkeit.

Am 04.11.2002 beantragte sie unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG - die Gewährung der Regelaltersrente. In dem entsprechenden Antragsformular der Beklagten gab sie unter dem 21.01.2003 an, sie gehöre nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis an und habe von Oktober 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Grodno gelebt und als Arbeiterin gearbeitet. Die Höhe des Entgeltes sei nicht erinnerlich. Es seien Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden. In einem dem Antragsvordruck als ergänzende Anlage beigefügten Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung des ZRBG gab die Klägerin ebenfalls unter dem 21.01.2003 an, sie habe täglich zehn bis zwölf Stunden außerhalb des Ghettos gearbeitet und habe dabei Wäsche gewaschen, Wege gereinigt und Schneeräumarbeiten durchgeführt. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des örtlichen Judenrates zustande gekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden. Barlohn oder Sachbezüge habe sie nicht erhalten. Auf die Frage, wie die Arbeit entlohnt worden sei, gab sie an: "Lebensmittel". Zeugen für die Arbeitszeiten im Ghetto könne sie nicht benennen.

Die Beklagte zog daraufhin von dem Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die Entschädigungsakten betreffend der Klägerin bei, die eine eidliche Erklärung der Klägerin vom 22.11.1955 enthalten, wonach sie nach dem Einmarsch der Deutschen zusammen mit allen anderen Juden im September 1941 in das Ghetto Grodno überführt wurde. Das Ghetto habe sich am Marktplatz befunden, sei mit Stacheldraht umzäunt gewesen und von polnischer Polizei und deutscher Aufsicht überwacht worden. In dem Ghetto habe es einen Judenrat gegeben. Die Juden hätten den Judenstern auf Brust und Rücken tragen und unter Zwang Aufräumungsarbeiten außerhalb des Ghettos verrichten müssen, denn viele Teile der Stadt seien ausgebrannt gewesen. Dorthin sei sie unter Bewachung gebracht worden. Die Zeugin L gab in einer eidlichen Erklärung ebenfalls unter dem 22.11.1955 an, sie sei im Spätsommer 1941 in das Ghetto Grodno eingeliefert worden und habe dort die Klägerin kennen gelernt. Das Ghetto sei hinter Stacheldraht gewesen und von Weißrussen und SD bewacht worden. Sie hätten verschiedene Aufräumarbeiten vom Judenrat zugewiesen bekommen. Die Zeugin T gab am 22.11.1955 ebenfalls an, sie sei im September 1941 zusammen mit der Klägerin in das am Marktplatz befindliche und mit Stacheldraht umzäunte Ghetto Grodno eingeliefert worden, dass von ukrainischer Polizei unter deutscher Aufsicht bewacht worden sei. Sie hätten den gelben Judenstern auf Brust und Rücken tragen und verschiedene Zwangsarbeiten außerhalb des Ghettos verrichten müssen. Innerhalb des Ghettos habe es auch jüdische Polizei und einen Judenrat gegeben, von dem sie das Essen erhalten hätten.

Mit Bescheid vom 27.05.2003 lehnte die Beklagte die Bewilligung der Regelaltersrente an die Klägerin ab, weil keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden seien. Es habe nicht glaubhaft gemacht werden können, dass es sich bei den von der Klägerin in dem Ghetto Grodno verrichteten Arbeiten um eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt gehandelt habe. Anlässlich des Rentenantrages habe die Klägerin angegeben, an die Höhe des Entgelts könne sie sich nicht erinnern und für die Arbeiten habe sie Lebensmittel erhalten. Es seien jedoch keine Unterlagen zur Glaubhaftmachung vorgelegt worden. Im übrigen habe die Klägerin angegeben, Zeugen könnten nicht benannt werden. Außerdem ergäbe sich aus den im Entschädigungsverfahren abgegebenen Erklärungen, dass sie während der im Ghetto Grodno verrichteten Arbeiten zumindest zeitweise unter Bewachung gestanden und dass die Ghettoinsassen ihr Essen von dem Judenrat erhalten hätten. Damit sprächen die Umstände der Arbeitsverrichtung nicht für eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 03.06.2003 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin. Sie trug vor, sie habe sich von Oktober 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Grodno befunden und wirklich mit Hilfe des Judenrates Arbeit gefunden. Sie habe in der Wäscherei Wäsche gewaschen und Reinigungsarbeiten verrichtet. Dafür habe sie zusätzliche Lebensmittel bekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden. Mit Bescheid vom 16.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt aus eigenem Willensentschluss der Klägerin anlässlich ihres Aufenthaltes in dem Ghetto Grodno sei nicht überwiegend wahrscheinlich; es bestünden vielmehr begründete Zweifel.

Wegen dieser Entscheidung hat die Klägerin am 23.09.2003 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Sie hat geltend gemacht, sie habe sich während ihres Aufenthaltes in dem Ghetto Grodno von Oktober 1941 bis Januar 1943 über den Judenrat eine Tätigkeit in der Wäscherei als Arbeiterin gesucht. Als Entlohnung habe sie zusätzliche Lebensmittel erhalten. Zeugen gebe es nicht.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 zu verurteilen, die Tätigkeit von Oktober 1941 bis Januar 1943 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich in ihrer Klageerwiderung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide bezogen.

Mit Urteil vom 15.09.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, das aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen und gegen Entgelt ausgeübt worden sei. Auch wenn im Entschädigungsverfahren an keiner Stelle von den nunmehr behaupteten Arbeiten in einer Wäscherei die Rede gewesen sei und die Klägerin ebenso wie die seinerzeit gehörten Zeuginnen von Aufräumarbeiten außerhalb des Ghettos berichtet hätten, die ihnen vom Judenrat zugewiesen worden seien, halte es die erkennende Kammer im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Renten- und Klageverfahren zwar für gut möglich, dass sie sich den behaupteten Arbeiten gegebenenfalls nach Aufforderung durch den Judenrat hinreichend freiwillig gestellt habe, um der drohenden Deportation zu entgehen. Das Gericht habe sich jedoch nicht im Sinne einer guten Möglichkeit davon überzeugen können, dass die Klägerin eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Sie trage nunmehr (im Klageverfahren) vor, sie habe für ihre Arbeiten zusätzliche Lebensmittel erhalten. Nach Auffassung der Kammer bleibe es jedoch offen, ob es sich dabei lediglich um Lebensmittelrationen zur Aufrechterhaltung der Arbeitskraft der Klägerin oder um die Gewährung zusätzlicher Lebensmittel in Form von Sachbezügen durch den Judenrat gehandelt habe. Damit sei die Gewährung von Entgelt in Form von zusätzlichen Lebensmitteln möglich, jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 29.10.2004 zugestellte Urteil des Sozialgerichts noch am selben Tage Berufung eingelegt.

Die Klägerin macht geltend, im Ghetto in Grodno habe es nach ihrer Kenntnis ebenso wie im Ghetto Lodz einen Arbeitsmarkt gegeben, der vom Judenrat des Ghettos verwaltet worden sei. Leider seien keine Arbeitszeugnisse ausgestellt worden und alle in Betracht kommenden Zeugen seien zwischenzeitlich verstorben. Der hierdurch begründeten Beweisnot der Rechtsuchenden habe der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass nach den Ausführungsbestimmungen zum ZRBG eidesstattliche Erklärungen des Leistungsberechtigten zur Glaubhaftmachung der streitbefangenen Tatsachen vorgesehen seien. Die Klägerin habe nach ihren insoweit vorgelegten Erklärungen für ihre vom örtlichen Judenrat vermittelten Arbeiten im Ghetto Grodno von Oktober 1941 bis Januar 1943 von der Ghettoverwaltung wöchentlich zusätzliche Lebensmittel in Form von Gemüse, Kartoffeln und Brot für zu Hause erhalten. Außerdem habe sie freie Unterkunft und Holz bekommen. Da diese Lebensmittel nicht zum sofortigen Verbrauch, sondern zur beliebigen Verfügung bestimmt gewesen seien, seien sie als Sachbezüge anzusehen. Ein sofortiger Verbrauch sei im Übrigen bei Lebensmitteln wie z.B. Kartoffeln, Zucker, Graupen, Sonnenblumenöl oder Salz gar nicht möglich. Dass die Klägerin im Entschädigungsverfahren eine freiwillig gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung nicht erwähnt habe, belege nicht, dass eine Beschäftigung nicht ausgeübt worden sei. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass die damaligen Angaben davon geprägt gewesen seien, eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu erhalten. Angaben über die Aufnahme freiwilliger Tätigkeiten mit Lohnzahlungen seien ohne Bedeutung gewesen und deshalb auch nicht abgefragt worden. Die Entlohnung für die im Ghetto verrichteten Tätigkeiten seien möglicherweise auch deshalb lange Zeit nicht erwähnt worden, weil von einer adäquaten Gegenleistung im Hinblick auf die verrichtete Arbeit natürlich nicht ausgegangen werden könne. Hierauf komme es jedoch auch nicht an. Entscheidend sei vielmehr, dass eine Entlohnung gewährt worden sei, die dafür ausreichte, den Lebensunterhalt nach den damaligen Umständen hinreichend zu bestreiten. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem im Entschädigungsverfahren verwandten Begriff der Zwangsarbeit um einen juristischen Begriff handle, bei dem nicht erwartet werden könne, dass ein Versicherter als juristischer Laie ihn immer im zutreffenden Zusammenhang verwende. Es sei nicht fair, dem Begehren der Klägerin nicht zu entsprechen, weil keine Zeugen oder andere Nachweise mehr auffindbar seien. Vor zehn bis fünfzehn Jahren hätten vielleicht noch Zeugen benannt werden können. Die Beklagte habe jedoch seit Anfang 1990 viel unternommen, um die Leistungsberechtigten von einer Antragstellung abzuhalten, so dass die frühere Einleitung eines Verfahrens von ihr in keiner Weise gefördert, sondern blockiert worden sei. Den von der Beklagten in einem anderen Rechtsstreit eingebrachten historischen Fakten zum Arbeitseinsatz von Juden während des Zweiten Weltkrieges in Osteuropa sei zu entnehmen, dass im Generalgouvernement seit Sommer 1940 nach zuvor weitgehend chaotischen Verhältnissen von einem von den örtlichen Arbeitsämtern durchaus zentralgesteuerten jüdischen Arbeitsmarkt ausgegangen werden könne. Die von den Arbeitsämtern eingerichteten Judeneinsatzstellen hätten den erfassten Juden Meldekarten ausgestellt und den deutschen Dienststellen und Unternehmen bei Bedarf über die Judenräte bestimmte Arbeiter oder Personenkontingente vermittelt. Die erste Verordnung über die Einführung arbeitsrechtlicher Vorschriften im Distrikt Galizien vom 07.08.1941 habe bestimmt, dass alle Juden im Alter von vierzehn bis sechzig Jahren dem Arbeitszwang unterlägen. Dieser habe entweder in einem freien Arbeitsverhältnis oder durch Rekrutierung verwirklicht werden können. Es lägen Erkenntnisse darüber vor, dass die jüdischen Arbeitnehmer entlohnt worden seien. Grundsätzlich hätte für die Arbeiter ein niedriger Lohn bezahlt werden sollen, der entweder an sie selbst oder den Judenrat zu entrichten gewesen sei. Die Dienststellen und Betriebe hätten sich jedoch insbesondere gegen die Bezahlung von unqualifizierter Arbeit gewehrt, zu der Juden insbesondere oft herangezogen worden seien. Zwischen den Arbeitsbehörden und den Institutionen, die jüdische Arbeiter beschäftigten, sei es ständig zu Streitereien um die Bezahlung der jüdischen Arbeitskräfte gekommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.2004 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 zu verurteilen, der Klägerin eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von Oktober 1941 bis Januar 1943 nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht in ihrer Berufungserwiderung geltend, eine Entlohnung in Form von Verpflegung entspreche nicht dem Entgeltbegriff des ZRBG. Sachbezüge in geringem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten zählten noch zum freien Unterhalt. Unter Berücksichtigung der historischen Verhältnisse in den von den Nationalsozialisten im besetzten Europa errichteten Ghettos (Isolierung von der Außenwelt, mangelnde Versorgung und ständige Unterernährung der Einwohner) sei es nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin Sachbezüge in wesentlichem Umfang geleistet worden seien. Die Gewährung zusätzlicher Verpflegung sei nur als freie Unterhaltsgewährung zu werten. Die Klägerin habe nach ihren Angaben keinen Barlohn und keine Sachbezüge erhalten.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der die Klägerin betreffenden Entschädigungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte seine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG fällen, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 ist rechtmäßig, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren. Die Klägerin hat die für die allein in Betracht kommende Regelaltersrente nach § 35 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Rentenversicherung) - SGB VI - erforderliche Anspruchsvoraussetzung der allgemeinen Wartezeit nicht erfüllt. Damit ist auch das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.2004 zu Recht ergangen.

Nach § 35 SGB VI hat eine Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sind nach den §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit anrechenbaren Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten nur Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Betrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt, denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetz nur Versicherten zugute kommen (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Nach den §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.

Eine Anerkennung der von der Klägerin im Ghetto Grodno von Oktober 1941 bis Januar 1943 zurückgelegten Arbeitszeiten als Beitragszeiten nach den vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen kommt nicht in Betracht, weil die dort verrichteten Arbeiten nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst wurden. Die Stadt Grodno lag nach vorheriger Zugehörigkeit zu Russland seit dem polnisch-russischen Krieg im Jahre 1921 und dem nachfolgenden Frieden von Riga vom 18.03.1921 zunächst auf polnischem Staatsgebiet. Seit dem Einmarsch russischer Truppen am 17.09.1939 in Ostpolen, das nach dem deutsch - sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. 08.1939 bzw. nach Art. 2 des hierzu ergangenen (geheimen) Zusatzprotokolls zur russischen Einflusssphäre zählte, gehörte Grodno zur Sowjetunion (Die Zeit, Lexikon in 20 Bänden, Band 11; Der Neue Brockhaus, Band 4 (1975) jeweils Stichwort Polen; Putzger, Historischer Weltatlas, 92. Auflage (1970), Seite 160; www. Molotow-Rippentrop Treaty, 1939). Damit zählte die Geburtsstadt der Klägerin trotz ihrer Besetzung durch deutsche Truppen während der streitbefangenen Zeiten dem Deutschen Reich gegenüber als Ausland. Als ehemalige polnische und später sowjetische Staatsangehörige jüdischer Abstammung gehörte die Klägerin nicht zu dem von den Reichversicherungsgesetzen erfassten Personenkreis. Zuständig war nach dem damaligen Rechtszustand während der streitigen Zeit allein der sowjetische Sozialversicherungsträger.

Die Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anrechnung der streitigen Zeit nach den §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes - FRG -. § 15 Abs. 1 S. 1 FRG sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach § 16 FRG gilt entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet. Eine Anwendung der vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen dürfte jedoch bereits entgegenstehen, dass die Klägerin nicht zu dem von § 1 FRG erfassten begünstigten Personenkreis gehört, denn sie ist insbesondere keine Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes. Der Klägerin kommt auch nicht die Regelung des § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WSVG - zugute, die aufgrund Art. 21 Nr. 4 des Rentenreformgesetzes 1992 rückwirkend zum 01.02.1971 neu gefasst worden ist. Nach Abs. 1 S. 1 dieser Vorschrift stehen bei Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen vertriebene Verfolgte gleich, die lediglich deshalb nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. § 20 setzt jedoch voraus, dass der Leistungsberechtigte im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte. Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis wurde von der Klägerin jedoch anlässlich ihres Antrages auf Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung ausdrücklich verneint. Im Ergebnis kann dies allerdings dahingestellt bleiben. Der Senat hat sich in diesem Zusammenhang auch nicht abschließend mit der Rechtsfrage befasst, ob das ZRBG - insoweit im Sinne einer eigenständigen Anspruchsgrundlage - die Möglichkeit der Anerkennung von Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG ohne die notwendige Zugehörigkeit des Leistungsberechtigten zum Personenkreis der Vertriebenen oder des § 20 WGSV eröffnet oder ob das ZRBG - ohne Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises - (lediglich) den Zweck verfolgt, Rentenansprüche unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zu Arbeitszeiten in Ghettos ins Ausland zahlbar zu machen. Für letzteres dürfte die Gesetzesbegründung sprechen, wonach das ZRBG ausdrücklich in Reaktion und Akzeptanz der Ghetto-Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden ist, um allein die Trennung zwischen den insoweit zurückgelegten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und nicht versicherter Zwangsarbeit zu verdeutlichen (vgl. BT-Drucks. 14/8583 S. 1, 6; 14/8602 S. 6; vgl. auch BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Im Ergebnis bedurfte diese Rechtsfrage keiner abschließenden Klärung. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin entgegen ihrem ausdrücklichen Vortrag von einer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis mit der Folge der prinzipiellen Anwendbarkeit der §§ 15, 16 FRG ausgeht, kommt eine Anerkennung von Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nicht in Betracht, denn es konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass die Klägerin in der streitbefangenen Zeit von Oktober 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Grodno Arbeitszeiten zurückgelegt hat, die als Beitragszeiten zu berücksichtigen sind.

Eine Gleichstellung polnischer Beitragszeiten gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 FRG scheitert daran, dass die Entrichtung von Beiträgen zum polnischen Rentenversicherungsträger weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist (vgl. § 4 Abs. 1, 2 FRG). Für die Entrichtung derartiger Beiträge fehlt trotz der diesbezüglichen Behauptungen der Klägerin jeglicher Anhalt. Angesichts der wechselseitigen Zugehörigkeit der Region um Grodno zu Polen und der Sowjetunion, ihrer Besetzung durch deutsche Truppen sowie unter Berücksichtigung der während der streitbefangenen Zeit herrschenden allgemeinen Kriegswirren erscheint die Existenz einer geordneten Rentenversicherung und die Entrichtung entsprechender Beiträge für Ghettobewohner höchst unwahrscheinlich.

Auch eine Gleichstellung der im Ghetto Grodno von der Klägerin zurückgelegten Arbeitszeiten mit in Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG kommt nicht in Betracht. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung sind Zeiten einer Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeit im Sinne des Abs. 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichzustellen, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. In diesem Zusammenhang hat es der erkennende Senat dahingestellt bleiben lassen, ob für die Klägerin Rentenversicherungspflicht nach damaligem sowjetischen Recht bestand. Selbst wenn man dies zu ihren Gunsten unterstellt, scheidet eine Gleichstellung mit deutschen Beitragszeiten aus, weil die weitere Voraussetzung des § 15 Abs. 3 S. 1 FRG (" ... soweit für sie Beiträge nach Bundesrecht zu zahlen gewesen wären.") nicht gegeben ist. Auch insoweit kann es dahingestellt bleiben, ob im Rahmen der Gleichstellung nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG auf die im Zeitpunkt der streitbefangenen Arbeitszeit geltende Rechtslage oder - im Hinblick auf § 16 Abs. 1 S. 2 FRG - auf das am 01.03.1957 geltende Recht abzustellen ist. Nach § 1226 Abs. 1 Nr. 1 RVO in seiner während der streitbefangenen Zeit geltenden Fassung (aF) waren für den Fall der Invalidität und des Alters u. a. Arbeiter, Gesellen und Hausgehilfen versichert. Voraussetzung der Versicherung für diese Personen war nach § 1226 Abs. 2 RVO aF, dass sie gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt waren. Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, war versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF). Nach § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RVO in seiner am 01.03.1957 geltenden Fassung (nF) wurden in der Rentenversicherung der Arbeiter alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt waren, versichert, sofern sie nicht u. a. wegen derselben Beschäftigung versicherungsfrei waren. Versicherungsfreiheit war nach § 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO nF gegeben, wenn als Entgelt für eine Beschäftigung, die nicht zur Berufsausübung ausgeübt wurde, nur freier Unterhalt gewährt wurde. Damit war sowohl nach der in den Jahren 1941 bis 1943 als auch nach der am 01.03.1957 geltenden Gesetzeslage die Entgeltlichkeit einer Beschäftigung kraft Gesetzes Voraussetzung für das Entstehen von Versicherungs- und Beitragspflicht.

Dies gilt auch für Rentenansprüche, die auf das ZRBG gestützt werden. Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem angegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.

Zu den nach § 1 Abs. 1 ZRBG anzuerkennenden Beschäftigungen zählen sowohl nach dem Wortlaut dieser gesetzlichen Bestimmung als auch nach der Entstehungsgeschichte des ZRBG nur solche Beschäftigungsverhältnisse, die entgeltlich im Sinne der oben erwähnten Bestimmungen der RVO ausgeübt worden sind (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Es war jedoch nicht glaubhaft zu machen, dass die Klägerin während der streitigen Arbeitszeiten im Ghetto Grodno eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt hat, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Damit kommt auch die Anerkennung von Ersatzzeiten und deren Anrechnung auf die allgemeine Wartezeit nicht in Betracht.

Der erkennende Senat hat entgegen der Ansicht des Vordergerichts bereits erhebliche Zweifel daran, ob den von der Klägerin im Ghetto Grodno ausgeübten Arbeiten der freie Willensentschluss der Klägerin zugrunde lag. Zwar ist insoweit gemäß dem Vorbringen der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren nicht auszuschließen, dass die von ihr verrichteten Arbeiten nach entsprechenden eigenen Bemühungen und Vermittlung durch den örtlichen Judenrat im Ergebnis auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses der Klägerin aufgenommen wurden. Aufgrund des Vorbringens der Klägerin im Entschädigungsverfahren in ihren Erklärungen vom 22.11.1955 und 11.11.1957, die durch die seinerzeitigen Angaben der Zeugen K, L und L1 vom 22.11.1955 und 11.11.1957 gestützt werden, wonach sie unter Zwang Aufräumarbeiten außerhalb des Ghettos habe ausüben müssen und unter Bewachung dort hingebracht worden sei, ist es jedoch zumindest ebenso möglich, dass es sich hierbei um Arbeiten gehandelt hat, die dem Typus der Zwangsarbeit entsprachen, weil sie durch derart hoheitliche Eingriffe überlagert waren, dass sich die Klägerin ihnen nicht entziehen konnte. Jedenfalls begründet dieses Vorbringen erhebliche Zweifel an einer durch freien Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung. Zwar ist einzuräumen, dass der Klägerin anlässlich ihrer Erklärungen in den Jahren 1955 und 1957 ebenso wie den seinerzeit schriftlich gehörten Zeugen nicht die rechtliche Ausprägung des Begriffs der Zwangsarbeit bekannt und bewusst war. Das Wort Zwang hat jedoch - neben seiner inhaltlich differenzierten Bedeutung im Zusammenhang mit dem Rechtsbegriff der Zwangsarbeit - auch und insbesondere einen allgemeingültigen Sinngehalt dahingehend, dass der Begriff des Zwangs gemeinhin als Gegenbegriff zur freien Willensentscheidung verstanden wird und das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließt. Gerade weil der Klägerin und den im Entschädigungsverfahren gehörten Zeugen der (genaue) rechtliche Gehalt des Begriffs der Zwangsarbeit nicht bekannt war, spricht vieles dafür, dass durch die Verwendung dieses Begriffs entsprechend seinem üblichen Verständnis zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass sich die Betroffenen dem Arbeitseinsatz gerade nicht entziehen konnten und gegen ihren Willen zur Arbeit gezwungen wurden. Hierfür spricht auch, dass im Entschädigungsverfahren von einer Zuweisung und damit nicht freiwilligen Aufnahme der Arbeiten die Rede ist. Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweislage hat dies jedoch zur Folge, dass ein Arbeitseinsatz gegen den Willen der Klägerin zumindest ebenso gut möglich, wenn nicht wahrscheinlicher ist als die gute Möglichkeit eines freiwilligen Arbeitseinsatzes. Dies schließt die Glaubhaftmachung einer durch freien Willensentschluss begründeten Arbeit aus.

Darüber hinaus war es insbesondere aber auch nicht glaubhaft zu machen, dass die Klägerin eine entgeltliche Beschäftigung im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat, denn es ist (ebenfalls) nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie für ihre Arbeitsleistungen aus Anlass ihres Aufenthaltes in dem Ghetto Grodno Gegenleistungen erhalten hat, die den Umfang freien Unterhalts übersteigen.

Als freier Unterhalt im Sinne von § 1227 RVO bzw. § 1228 RVO ist dasjenige Maß von Wirtschaftsgütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinaus geht (Verbandskommentar, RVO, 4. und 5. Buch, Stand März 1956, § 1227, Anm. 2 mwN; Eicher/Hase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl. 1978, § 1228 Anm. 5). Werden anstelle des freien Unterhalts Sachbezüge oder auch geringfügige Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts geleistet, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Dagegen zählen Sachbezüge in geringerem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten noch zum freien Unterhalt (vgl. hierzu Etmer, RVO Bd. I, Stand März 1966, § 1228 Anm. 4). Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder vorbestimmt zur beliebigen Verfügung gegeben werden (RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, Bd. IV - Invalidenversicherung - 2. Auflage, Berlin 1930, § 1227 Anm. 2). In diesem Zusammen ist jedoch auch stets ergänzend zu berücksichtigen, dass nur diejenige für die geleistete Arbeit gewährte Gegenleistung der Zahlung eines Entgeltes gleichzustellen ist, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in einem "angemessenen" Verhältnis steht, weil allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung schon nicht mehr Entgeltcharakter haben. Das Entgelt in Form von Sachbezügen muss somit eine Mindesthöhe erreichen, um von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen zu können (BSG a.a.O.). Dies konnte im Falle der Klägerin nicht glaubhaft gemacht werden.

Der erkennende Senat sieht es allerdings als glaubhaft gemacht an, dass den Insassen des Ghettos Grodno jedenfalls im Zusammenhang mit den von ihnen geleisteten Arbeiten vom örtlichen Judenrat Verpflegung zur Verfügung gestellt wurde. In Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Klägerin hat auch bereits der im Entschädigungsverfahren gehörte Zeuge K in seiner eidlichen Erklärung vom 22.11.1955 angegeben, man habe vom örtlichen Judenrat "das Essen" erhalten. Der konkrete Umfang der im Zusammenhang mit den Arbeitsverrichtungen der Klägerin gewährten Lebensmittel und eventuell sonstigen Gegenleistungen lässt sich jedoch nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit ermitteln, denn das Vorbringen der Klägerin, das - da Zeugen nicht (mehr) vorhanden sind - die alleinige Grundlage für die Beurteilung des insoweit entscheidungserheblichen Sachverhalts bietet, ist insoweit uneinheitlich und nicht frei von Widersprüchen. Folglich lässt sich auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass sie als Gegenleistung für die aus Anlass ihres Aufenthaltes in dem Ghetto Grodno verrichteten Arbeiten über freien Unterhalt hinausgehende Sachbezüge erhalten hat, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit (noch) in einem angemessenen Verhältnis gestanden haben. Die (negativen) Folgen dieser Beweislage gehen zu Lasten der Klägerin als Beweislastträgerin, auch wenn die Beweislage zu einem früheren Zeitpunkt für die Klägerin günstiger gewesen sein mag.

In dem Vordruck zu ihrem Antrag auf Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21.01.2003 hat die Klägerin angegeben, die Höhe ihres Entgeltes sei ihr nicht mehr erinnerlich. Zu der Frage, ob sie Sachbezüge in Form von Kost, Logis oder Deputat erhalten habe, machte sie keine Angaben. Die isolierte Betrachtung dieses Vorbringens vermittelt zunächst den Eindruck, dass die Gewährung von Entgelt behauptet wird und lediglich dessen Höhe nicht mehr erinnerlich sei. Demgegenüber gibt die Klägerin jedoch in dem zusammen mit dem Antragsvordruck übersandten Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG ebenfalls unter dem 21.01.2003 an, sie habe weder Bahrlohn noch Sachbezüge für ihre Tätigkeit erhalten. Die Frage "Wie wurde die Arbeit entlohnt?" wird mit "Lebensmitteln" beantwortet. Im Widerspruchsverfahren trägt die Klägerin ergänzend vor, dass sie für ihre Arbeiten in der Wäscherei "zusätzliche Lebensmittel" erhalten habe. Im Berufungsverfahren wird ihr Vortrag mit der Erklärung vom 03.02.2005 dahingehend erweitert, dass sie von der Ghettoverwaltung wöchentlich "zusätzliche Lebensmittel für zu Hause" erhalten habe. Dies seien gewöhnlich Gemüse, Kartoffeln und Brot gewesen. Außerdem habe sie freie Unterkunft und Holz erhalten. Dieses Vorbringen wird durch den Vortrag des Klägerbevollmächtigten nachfolgend dahingehend ergänzt, dass die Klägerin als Lebensmittel Kartoffeln, Zucker, Graupen, Sonnenblumenöl oder auch Salz erhalten habe, deren sofortiger Verbrauch von vornherein nicht möglich sei. Dieser im Verlauf des Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren inhaltlich divergierende Vortrag, der - wie bereits ausgeführt - mangels sonstiger Beweismittel als alleinige Grundlage zur Beurteilung der rechtserheblichen Tatsache der entgeltlichen Beschäftigung zur Verfügung steht, ist nicht geeignet, die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Gewährung von Sachbezügen in Form einer angemessenen Gegenleistung für die erbrachte Arbeit zu begründen, die den Umfang der Gewährung freien Unterhalts übersteigt. Selbst wenn man im Rahmen der gebotenen Beweiswürdigung allein auf die Erklärung der Klägerin im Berufungsverfahren abstellt, wonach sie neben Lebensmitteln wie Gemüse, Kartoffeln und Brot freie Unterkunft und Holz erhalten haben will, reicht dieses Vorbringen - seine Richtigkeit unterstellt - nicht aus, den Erhalt rechtserheblicher Sachbezüge glaubhaft zu machen, denn selbst aus dieser Erklärung lassen sich hinreichend sichere Schlussfolgerungen zum konkreten Umfang, Wert und zu der Menge der Gegenleistungen für die erbrachten Arbeiten nicht ziehen. Die Glaubhaftmachung des Erhalts erheblicher, die Versicherungspflicht begründender Sachbezüge lässt sich damit auf diese Angaben nicht stützen. Dies gilt erst Recht für den Vortrag der Klägerin im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, sie habe "Lebensmittel" bzw. "zusätzliche Lebensmittel" für ihren Arbeitseinsatz erhalten. Außerdem steht der Annahme der Gewährung rechtserheblicher Sachbezüge entgegen, dass selbst die im Berufungsverfahren behaupteten Gegenleistungen für die während des Ghettoaufenthaltes erbrachten Arbeiten kaum - wie von der Rechtsprechung gefordert (s.o.) - in einem angemessenen Verhältnis zueinander standen, denn die tägliche Arbeitszeit betrug nach dem Vorbringen der Klägerin zehn bis zwölf Stunden. Zu einem derart umfangreichen Arbeitseinsatz steht selbst der Erhalt von Lebensmitteln, Holz und Unterkunft als Gegenleistung auch unter Berücksichtigung der damaligen historischen Umstände eher außer Verhältnis. Hiervon geht offenbar auch die Klägerin aus.

Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren zu den für ihre Arbeiten gewährten Gegenleistungen erscheint im übrigen nicht uneingeschränkt glaubhaft. Zweifel ergeben sich insbesondere daraus, dass die Klägerin anlässlich ihres Rentenantrages auf die ausdrückliche Frage im Antragsvordruck nach der Gewährung von Kost, Logis oder Deputat keine Angaben macht bzw. ihre Angaben auf den Vermerk "Höhe des Bahrlohns nicht erinnerlich" bzw. - in der Anlage des Vordrucks - auf den Erhalt von Lebensmitteln beschränkt. Zwar mag es - trotz aller Bedenken - prinzipiell nicht auszuschließen sein, dass das Berufungsvorbringen der Klägerin den damaligen Verhältnissen im Ghetto Grodno entspricht, obwohl die Ghettobewohnern gewährten Verpflegungsrationen im Regelfall allgemeinkundig allenfalls das Überleben sicherten und deshalb über das Maß des freien Unterhalts im rentenrechtlichen Sinne regelmäßig nicht hinausgingen. Nach der Lebenserfahrung hätte es jedoch nahegelegen, im Rahmen der Beantwortung der im Vordruck zum Rentenantrag ausdrücklich gestellten Frage nach Kost, Logis und Deputat bereits damals auf die im Berufungsverfahren behauptete Gewährung von Holz als Deputat, freier Unterkunft und durchaus umfangreicher Lebensmittel hinzuweisen und die Antwort auf die o. g. Frage in dem Antragsvordruck nicht auf die Angabe "Höhe des Entgelts nicht erinnerlich" zu beschränken. Angesichts der unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung des Vortrags der Klägerin zum Umfang der ihr für die Ghettoarbeiten gewährten Gegenleistungen und der Entwicklung ihres durch fortwährende Ergänzungen geprägten Vorbringens erscheint dieses insgesamt nur wenig glaubhaft. Im übrigen kann vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R), das sich detailliert mit dem Entgeltbegriff in der Sozialversicherung und dem Erhalt von Sachbezügen in Abgrenzung zum (versicherungsfreien) freien Unterhalt als Gegenleistungen für Ghettoarbeiten auseinandersetzt, nicht ausgeschlossen werden, dass sich das von den Angaben der Klägerin im Rentenverfahren abweichende (spätere) Berufungsvorbringen an der durch das vorgenannte Urteil präzisierten Rechtslage orientiert, auch wenn die Behauptung des Erhalts zusätzlicher Lebensmittel bereits vor der Verkündung dieses Urteil aufgestellt wurde. Die Glaubhaftmachung der Gewährung von Entgelt in Form von Sachbezügen ist damit ausgeschlossen.

Auch die Hinweise der Klägerin zu den Umständen des Arbeitseinsatzes von Juden im Generalgouvernement und im Distrikt Galizien sind nicht geeignet, die Glaubhaftmachung einer entlohnten Beschäftigung zu begründen, denn Grodno lag weder im Generalgouvernement noch im Bezirk Galizien. Da es für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin gegen angemessenes Entgelt und damit versicherungspflichtig beschäftigt war, allein auf die konkret in ihrem Fall für die erbrachten Arbeiten gewährten Gegenleistungen ankommt, waren historische Ermittlungen zum Arbeitseinsatz von Juden im Ghetto Grodno entbehrlich, denn diese sind als Beweismittel für die Bestimmung der konkreten Höhe der im Einzelfall der Klägerin gewährten Vergütung ungeeignet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 192 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Rechtskraft
Aus
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