Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AY 12/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstwilligen Anordnung verpflichtet, der Klägerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen bei Krankheit gemäß § 4 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren trägt der Antragsgegner.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) bezog von dem Antragsgegner (Ag.) seit November 1993 laufend Leistungen nach dem AsylbLG. Der letzte – aus der Verwaltungsakte des Ag. bekannte – Bewilligungsbescheid datiert vom 27.12.2001.
Am 23.06.2004 vermerkte ein Mitarbeiter des Ag. (vgl. Bl. 84 VA): "Frau T ist die Lebensgefährtin des Herrn B und bezieht zur Zeit Leistungen nach dem Asyllbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Herr B erhält von mir keine Leistungen, da er offensichtlich über Einkommen und verwertbares Vermögen verfügt. Es wird geprüft, ob die Hilfezahlung an Frau T eingestellt werden kann."
Ohne Anhörung der Ast. stellte der Ag. durch Bescheid vom 06.08.2004 die bisher aufgrund des AsylbLG gewährte Leistung ab dem 01.08.2004 ein mit der (vollständigen) Begründung "Fehlende Mitwirkung und Besitz von verwertbarem Vermögen." Dagegen erhob die Ast. am 01.09.2004 Widerspruch. Als über diesen bis Juli 2005 noch nicht entschieden war, erhob die Ast. am 00.00.0000 Klage (S 00 AY 0/00).
Am 19.05.2005 richtete der Ag. ein mit "Widerspruchsbescheid" überschriebenes Schreiben an die Bevollmächtigten der Ast. Mit folgendem Inhalt: " Sehr geehrte Herren Rechtsanwälte, ich habe aufgrund Ihres Widerspruchs vom 01.09.2004 die Sach- und Rechtslage überprüft, sehe jedoch keine Möglichkeit dem Widerspruch abzuhelfen und weise Ihren Widerspruch zurück. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage (K)"
Am 06.10.2005 hat die Ast. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt,
den Ag. vorläufig zu verpflichten, ihr Leistungen gemäß § 1a AsylbLG und gemäß § 4 AsylbLG zu gewähren. Sie verweist darauf, dass es ihr nicht zumutbar sei, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, soweit es um Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln gehe.
Der Ag. hat am 03.11.2005 mitgeteilt, die Ast. sei bei nichtexistierendem Vermögen und Einkommen des Lebensgefährten B Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG.
II.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Zwar soll grundsätzlich durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht die Hauptsache vorweg genommen werden. Dies ist aber ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Antragstellerin ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden kann (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rn. 31). Dies ist hier der Fall, weil die Einstellung der Leistungen nach dem AsylbLG ab 01.08.2004 offensichtlich rechtswidrig ist.
Die vom Ag. im Hauptsacheverfahren vorgelegte Verwaltungsakte enthält keinerlei Unterlagen, die die Einstellung der Leistung rechtfertigen. Der "Einstellungsbescheid" vom 06.08.2004 lässt nicht erkennen, welche(r) Bescheid(e) über die Gewährung von AsylbLG-Leistungen aufgehoben wird (werden) und auf welcher Rechtsgrundlage dies geschieht. Darin liegt ein erheblicher Begründungsmangel. Der sogenannte "Widerspruchsbescheid" vom 19.09.2005 entbehrt hinsichtlich Form und Inhalt jeglichen Mindestanforderungen an eine Entscheidung über einen Widerspruch; es ist nicht ersichtlich, ob vor Erlass "sozial erfahrene Dritte" gehört worden sind (§ 116 Abs. 1 und 2 SGB XII); der Autor des "Widerspruchsbescheids" vom 19.09.2005 ist derselbe Sachbearbeiter, der auch den Vermerk vom 06.08.2004 formuliert hat, der zum Erlass des Einstellungsbescheides vom 06.08.2004 geführt hat und dessen Autor er ebenfalls war. Es ist nicht nachvollziehbar, ob der Sachbearbeiter K sowohl die erlassende Behörde als auch die Widerspruchs- behörde formell ordnungsgemäß repräsentiert. Offensichtlich sind die Leistungen nach dem AsylbLG ab 01.08.2004 wegen mangelnder Mitwirkung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I eingestellt worden. Insofern ist aber nicht ersichtlich, ob und in welcher Form die Ast. den Vorgaben des § 66 Abs. 3 genügend unter Fristsetzung auf ihre Mitwirkungspflicht und die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung hingewiesen worden ist; das in der Verwaltungsakte befindliche Schreiben des Ag. vom 02.07.2004 genügt dem in keinster Weise; dort wurde keine Mitwirkung der Ast., sondern des Herrn B gefordert; es ist nicht ersichtlich, welche Mitwirkungspflicht die Ast. haben soll und wie sie diese ggf. erfüllen sollte.
Der Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) ergibt sich daraus, dass die Ast. keinen Krankenversicherungsschutz hat. Aus den im Hauptsacheverfahren S 20 AY 9/05 vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass bereits Notfälle eingetreten sind, in denen die Ast. ins Kranken-haus eingeliefert werden musste. Die Übernahme der Kosten ist (u.a.) Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Durch den Erlass der einstweiligen Anordnung wird gewährleistet, dass die Ast. bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen ärztlich behandelt und mit Arznei- und Verbandsmitteln sowie sonst erforderlichen Leistungen versorgt wird. Die Klägerin kann – soweit ersichtlich – die Kosten solcher Leistungen nicht selbst aufbringen. Und den Ärzten und Leistungserbringern ist es nicht zumutbar, ihre Leistungen ohne Bezahlung oder auf das Versprechen künftiger Bezahlung hin zu erbringen.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich § 1a i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylbLG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) bezog von dem Antragsgegner (Ag.) seit November 1993 laufend Leistungen nach dem AsylbLG. Der letzte – aus der Verwaltungsakte des Ag. bekannte – Bewilligungsbescheid datiert vom 27.12.2001.
Am 23.06.2004 vermerkte ein Mitarbeiter des Ag. (vgl. Bl. 84 VA): "Frau T ist die Lebensgefährtin des Herrn B und bezieht zur Zeit Leistungen nach dem Asyllbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Herr B erhält von mir keine Leistungen, da er offensichtlich über Einkommen und verwertbares Vermögen verfügt. Es wird geprüft, ob die Hilfezahlung an Frau T eingestellt werden kann."
Ohne Anhörung der Ast. stellte der Ag. durch Bescheid vom 06.08.2004 die bisher aufgrund des AsylbLG gewährte Leistung ab dem 01.08.2004 ein mit der (vollständigen) Begründung "Fehlende Mitwirkung und Besitz von verwertbarem Vermögen." Dagegen erhob die Ast. am 01.09.2004 Widerspruch. Als über diesen bis Juli 2005 noch nicht entschieden war, erhob die Ast. am 00.00.0000 Klage (S 00 AY 0/00).
Am 19.05.2005 richtete der Ag. ein mit "Widerspruchsbescheid" überschriebenes Schreiben an die Bevollmächtigten der Ast. Mit folgendem Inhalt: " Sehr geehrte Herren Rechtsanwälte, ich habe aufgrund Ihres Widerspruchs vom 01.09.2004 die Sach- und Rechtslage überprüft, sehe jedoch keine Möglichkeit dem Widerspruch abzuhelfen und weise Ihren Widerspruch zurück. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage (K)"
Am 06.10.2005 hat die Ast. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt,
den Ag. vorläufig zu verpflichten, ihr Leistungen gemäß § 1a AsylbLG und gemäß § 4 AsylbLG zu gewähren. Sie verweist darauf, dass es ihr nicht zumutbar sei, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, soweit es um Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln gehe.
Der Ag. hat am 03.11.2005 mitgeteilt, die Ast. sei bei nichtexistierendem Vermögen und Einkommen des Lebensgefährten B Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG.
II.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Zwar soll grundsätzlich durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht die Hauptsache vorweg genommen werden. Dies ist aber ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Antragstellerin ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden kann (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rn. 31). Dies ist hier der Fall, weil die Einstellung der Leistungen nach dem AsylbLG ab 01.08.2004 offensichtlich rechtswidrig ist.
Die vom Ag. im Hauptsacheverfahren vorgelegte Verwaltungsakte enthält keinerlei Unterlagen, die die Einstellung der Leistung rechtfertigen. Der "Einstellungsbescheid" vom 06.08.2004 lässt nicht erkennen, welche(r) Bescheid(e) über die Gewährung von AsylbLG-Leistungen aufgehoben wird (werden) und auf welcher Rechtsgrundlage dies geschieht. Darin liegt ein erheblicher Begründungsmangel. Der sogenannte "Widerspruchsbescheid" vom 19.09.2005 entbehrt hinsichtlich Form und Inhalt jeglichen Mindestanforderungen an eine Entscheidung über einen Widerspruch; es ist nicht ersichtlich, ob vor Erlass "sozial erfahrene Dritte" gehört worden sind (§ 116 Abs. 1 und 2 SGB XII); der Autor des "Widerspruchsbescheids" vom 19.09.2005 ist derselbe Sachbearbeiter, der auch den Vermerk vom 06.08.2004 formuliert hat, der zum Erlass des Einstellungsbescheides vom 06.08.2004 geführt hat und dessen Autor er ebenfalls war. Es ist nicht nachvollziehbar, ob der Sachbearbeiter K sowohl die erlassende Behörde als auch die Widerspruchs- behörde formell ordnungsgemäß repräsentiert. Offensichtlich sind die Leistungen nach dem AsylbLG ab 01.08.2004 wegen mangelnder Mitwirkung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I eingestellt worden. Insofern ist aber nicht ersichtlich, ob und in welcher Form die Ast. den Vorgaben des § 66 Abs. 3 genügend unter Fristsetzung auf ihre Mitwirkungspflicht und die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung hingewiesen worden ist; das in der Verwaltungsakte befindliche Schreiben des Ag. vom 02.07.2004 genügt dem in keinster Weise; dort wurde keine Mitwirkung der Ast., sondern des Herrn B gefordert; es ist nicht ersichtlich, welche Mitwirkungspflicht die Ast. haben soll und wie sie diese ggf. erfüllen sollte.
Der Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) ergibt sich daraus, dass die Ast. keinen Krankenversicherungsschutz hat. Aus den im Hauptsacheverfahren S 20 AY 9/05 vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass bereits Notfälle eingetreten sind, in denen die Ast. ins Kranken-haus eingeliefert werden musste. Die Übernahme der Kosten ist (u.a.) Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Durch den Erlass der einstweiligen Anordnung wird gewährleistet, dass die Ast. bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen ärztlich behandelt und mit Arznei- und Verbandsmitteln sowie sonst erforderlichen Leistungen versorgt wird. Die Klägerin kann – soweit ersichtlich – die Kosten solcher Leistungen nicht selbst aufbringen. Und den Ärzten und Leistungserbringern ist es nicht zumutbar, ihre Leistungen ohne Bezahlung oder auf das Versprechen künftiger Bezahlung hin zu erbringen.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich § 1a i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylbLG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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