L 10 AL 352/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 210/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 352/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.06.2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1975 geborene ledige Kläger bezog nach der Ausbildung zum Baufacharbeiter seit 15.02.1996 bis zu dessen Erschöpfung Arbeitslosengeld (Alg), anschließend Alhi und Unterhaltsgeld wegen Umschulung zum Bürokaufmann. Während dieses Leistungsbezuges wohnte er in R ... Am 06.11.2002 zog er nach W. um, meldete sich beim Arbeitsamt N. persönlich arbeitslos und beantragte am 07.11.2002 die Gewährung von Alhi. Das Arbeitsamt N. wurde ab 07.11.2002 für zuständig erklärt. Er gab an, ledig zu sein, aber mit einer Partnerin, Frau U. , (i.F. U) in einer Hausgemeinschaft zu leben. Der gemeinsame Haushalt bestehe seit 01.10.2002. Nach einer Verdienstbescheinigung habe die am 24.06.1978 geborene U in W. am 16.09.2002 eine Tätigkeit aufgenommen und 1.179,27 EUR netto (1.790,- EUR brutto) verdient.

Nach Aufklärung über die Berechnung der Alhi gewährte die Beklagte ab 07.11.2002 unter Anrechnung des Einkommens der U in Höhe von 82,10 EUR wöchentlich Alhi in Höhe von 7,21 EUR wöchentlich an den Kläger (Bescheid vom 28.11.2002).

Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, er lebe mit U nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft, sondern in einer erst seit 01.10.2002 bestehenden Haushaltsgemeinschaft. Gemeinsame Kinder hätten sie keine und auch keine Befugnis über das Konto des Partners zu verfügen. Jeder komme für seine Miete, Versicherungen und Lebensunterhalt selbst auf. Der Kläger legte einen Mietvertrag für eine 2,5 Zimmer-Wohnung vor, den sowohl er als auch U mit dem Vermieter geschlossen hatten. U war lt. dem Mietvertrag vorher in N. wohnhaft.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2003 zurück. Es liege eine eheänliche Gemeinschaft vor, was sich aus dem gemeinsamen Umzug, der Wohnungsgröße und der nachträglichen Änderung der Angaben im Antrag durch den Widerspruch ergebe.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er und seine jetzige Freundin U hätten sich bereits vor dem Umzug gekannt. Sie hätten in den neuen Bundesländern gelebt und seien arbeitslos gewesen. Sie hätten beschlossen, aus Kostengründen gemeinsam zu versuchen, in Bayern eine Stelle zu bekommen. U habe ab 01.10.2002 eine neue Arbeitsstelle gefunden und sei deshalb zunächst in die am 16.09.2002 gemeinsam angemietete Wohnung gezogen. Eine eheähnliche Gemeinschaft liege nicht vor, die Voraussetzungen hierfür seien nicht gegeben. Der Kläger habe in seinem Antrag wahrheitsgemäß angegeben, er lebe mit seiner Freundin in einer Wohnung. Dies genüge aber nicht, um deren Einkommen anzurechnen. Ansonsten müsste der Kläger eine eigene Wohnung beziehen und Wohngeld beantragen, was dem Staat noch teurer komme. Es gebe in der Wohnung ein gemeinsames Schlafzimmer. Er und U würden sich seit 1997 kennen.

Das SG hat mit Urteil vom 23.06.2004 die Beklagte unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt, ab 07.11.2002 Alhi ohne Anrechnung des Einkommens der U zu gewähren. Eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe nämlich nicht, die Ernsthaftigkeit einer dauerhaften Beziehung sei erst bei einem dreijährigen Zusammenleben gegeben.

Die Beklagte hat hiergegen Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Aufgrund der sicherlich ausgehändigten Merkblätter "Arbeitslosenhilfe" habe der Kläger gewusst, was unter einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu verstehen sei. Ein dreijähriges Zusammenleben oder das Führen getrennter Konten sei auch nicht zur Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft erforderlich. Andere Indizien, nämlich ein gemeinsames Schlafzimmer, die seit 1997 bestehende Freundschaft und der gemeinsame Abschluss eines Mietvertrages seien gegeben.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.06.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Man habe vorher nicht zusammengewohnt, habe dann aber, um Kosten zu sparen, eine gemeinsame Wohnung angemietet. Er und U hätten durchaus nach ein paar Wochen merken können, dass sie nicht miteinander leben können. Es habe kein gemeinsames Wirtschaften, keine gemeinsamen Vermögensgegenstände und keinen gemeinsamen Hausrat gegeben. Er habe seit 1997 keine anderweitige Beziehung gehabt. Das Verhältnis zu U sei heute enger. Die Mutter des Klägers hat schriftlich erklärt, er sei, um U, die zunächst die Wohnung bewohnt habe, nicht alleine zu lassen, nachgezogen, obwohl er noch keine Arbeit gefunden habe. Er sei von der Mutter unterstützt worden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben. Der Bescheid vom 28.11.2002 idG des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Anspruch auf Alhi haben Arbeitnehmer, die u.a. bedürftig sind (§ 190 Abs 1 Nr 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -). Bedürftig ist ein Arbeitnehmer, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann - dies ist hier unstreitig der Fall - und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht übersteigt (§ 193 Abs 1 SGB III). Zu berücksichtigendes Einkommen sind das Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, soweit es den Freibetrag übersteigt (§ 194 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III). Dabei ist unter Lebenspartner ein gleichgeschlechtlicher Partner zu verstehen (vgl Brandts in Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 193 RdNr 19). Eine solche Partnerschaft besteht hier nicht.

Eine eheähnliche Gemeinschaft im obigen Sinne ist gegeben. Eheähnlich ist danach die Verbindung zweier Partner unterschiedlichen Geschlechts, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründet, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15 mwN). Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorgezeichneten Sinne sind u.a. deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität, eine gemeinsame Wohnung, eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft und eine gemeinsame Versorgung von Angehörigen; die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft setzt allerdings nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den Partner geschlechtliche Beziehungen bestehen. Zur Beurteilung, wann eine derartige Beziehung als dauerhaft verfestigt bewertet werden kann, bietet sich eine Orientierung an Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an, die - gewissermaßen für den umgekehrten Fall - das Scheitern einer Ehe erst nach dreijähriger Trennung unwiderlegbar vermuten. Es liegt nahe, diesen Gedanken insoweit nutzbar zu machen, als erst eine dreijährige Dauer der Beziehung genügende Ernsthaftigkeit und Kontinuität bezeugt (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15).

Hierbei ist aber nicht davon auszugehen, dass die Dreijahresgrenze iS einer absoluten zeitlichen Mindestsvoraussetzung zu verstehen ist, unterhalb derer das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft immer und in jedem Fall verneint werden müsse (vgl hierzu: LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005 - R 9 B 6/05 SO - NJW 2005, 2253; Winkler in Gagel, SGB III, § 144 RdNr 126). Insofern kommt es vielmehr auf das Vorliegen aller Umstände des Einzelfalles an, die für eine dauerhafte Gemeinschaft der beiden Partner sprechen können. Dabei ist allerdings die bisherige Dauer des Zusammenlebens ein wesentliches Indiz für die Ernsthaftigkeit der Beziehung. Auch bei diesem Merkmal handelt es sich um ein richterlich entwickeltes Hilfsmerkmal bzw -kriterium. Solche Merkmale dürfen nicht losgelöst vom Zweck gewertet und mithin nicht "verabsolutiert" werden. Sie haben nicht die Bedeutung vom gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen, sondern sind nur heranzuziehen, um das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmales feststellen zu können. Gegen die Ermittlung dieser Hilfsmerkmale kann nicht eingewandt werden, sie führten insbesondere zu einer verfahrensmäßigen Überlastung der Beklagten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 26). Ein Vergleich der "Hinweistatsachen" der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung mit den soeben herausgearbeiteten "Hilfstatsachen" zeigt, dass ein weitgehender Konsens mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darüber besteht, wann eine Beziehung als "eheähnlich" klassifiziert werden kann (vgl dazu: BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 26).

Es sind strenge Anforderungen an die Ernsthaftigkeit einer solchen Gemeinschaft zu stellen, was durch die Verwendung des Begriffes "eheähnlich" anstelle des Begriffs des "nichtehelich" unterstrichen werden soll. Eine Entscheidung hierüber ist nur anhand der genannten "Hilfstatsachen" möglich. Die objektige Beweislast für das Vorliegen der eheähnlichen Gemeinschaft hat die Beklagte zu tragen (vgl Brandts in Niesel aaO § 192 RdNr 12, § 193 RdNr 26). Diesen Nachweis hat die Beklagte geführt. Der Gegenbeweis ist dem Kläger nicht gelungen.

In seinem Antrag hat der Kläger angegeben, mit U in einer Haushaltsgemeinschaft zu leben, und auf die weiteren Fragen, die sich dann auf eine Hausgemeinschaft in eheähnlicher Gemeinschaft beziehen, geantwortet. Diese z.T nicht nachvollziehbaren Fragen nach einer solchen Hausgemeinschaft sind jedoch für den juristischen Laien nicht in der Form zu beantworten, dass die Antwort als juristisch fundierte Bejahung des Bestehens einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft verstanden werden muss. Auch lebten der Kläger und U noch keine drei Jahre zusammen. Aber sie waren nach eigenem Bekunden bereits seit 1997 befreundet. Diese bereits längerdauernde Freundschaft - ohne Zusammenleben - stellt ein Indiz für die Ernsthaftigkeit der Partnerschaft dar. Der Kläger gibt selbst im Berufungsverfahren an, man hätte nach ein paar Wochen merken können, dass man nicht miteinander leben könne. Gerade dies aber deutet darauf hin, eine eheähnliche Gemeinschaft zumindest probeweise begründen zu wollen. Aufgrund der langen Freundschaft und der Größe der Wohnung (2,5 Zimmer, ca 80 qm, ein gemeinsames Schlafzimmer) ist auch nicht davon auszugehen, dass es jedem der beiden Bewohner frei stehen sollte, sich einen anderen Lebenspartner suchen zu können, ohne dass die bestehende Gemeinschaft aus persönlichen Gründen aufgelöst werden müsste. Insbesondere aber das Vorhandensein eines gemeinsamen Schlafzimmers - dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärt - spricht, ohne dass im ganz persönlichen Bereich der Betroffenen Ermittlungen stattfinden sollen - die Notwendigkeit solcher Feststellungen wollte die Rechtsprechung vermeiden -, nach Auffassung des Senates ebenso eindeutig für eine eheähnliche Gemeinschaft wie auch die im Rahmen des Berufungsverfahrens erfolgten Ausführungen des Klägers und seiner Mutter, er sei zu U gezogen, obwohl er noch keine Arbeit gefunden habe, um U nicht allein zu lassen. Dies ist ganz eindeutig Ausdruck eines gegenseitigen Verantwortungsgefühls, das eine bloße Wohn- und Haushaltsgemeinschaft von der eheähnlichen Gemeinschaft unterscheidet. Hinsichtlich der finanziellen Belange ist auf folgendes hinzuweisen: Beide Partner haben den Mietvertrag unterschrieben und müssen daher für die Miete notfalls im vollen Umfang einstehen. Der Kläger erklärte auch, ihm sei diesbezüglich (z.B. Kaution) Geld von der Mutter zugeflossen. Fest steht damit aber, dass beide gegenüber dem Vermieter die Verantwortung für die - gesamte - Miete übernommen haben, also füreinander einstanden.

Somit bestand und besteht (auch heute noch) eine eheähnliche Lebensgemeinschaft und das Einkommen der U ist auf den Alhi-Anspruch des Klägers anzurechnen. Bezüglich der Berechnung selbst bestehen keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Rechtmäßigkeit.

Nach alledem ist das Urteil des SG aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28.11.2002 idG des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2003 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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