L 8 AL 367/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 230/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 367/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Juli 2004 und die Bescheide vom 27. April 2001 und 30. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2001 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Erstattung erhaltener Leistungen in Höhe von 2.162,47 DM (= 1.105,65 EUR) streitig.

Der 1956 geborene Kläger meldete sich am 23.11.2000 erneut arbeitslos, woraufhin ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30.11.2000 ab 28.11.2000 Alg bewilligte. Am 25.02.2001 teilte das Zentralamt der Bundesagentur für Arbeit der Beklagten mit, dass der Kläger am 17.01.2002 eine Beschäftigung aufgenommen habe. Mit Schreiben vom 12.03.2001 teilte die Beklagte dem Kläger im Rahmen der Anhörung mit, dass dieser in der Zeit vom 17.01. bis 28.02.2001 Alg in Höhe von 2.162,47 DM (= 1.105,65 EUR) zu Unrecht bezogen habe, da er seit dem 15.01.2001 in einem mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigungsverhältnis stehe. Hierzug teilte der Kläger mit, er sei bei der Firma H. nur einen Tag (Probe) beschäftigt gewesen, wobei er Kartons zusammen zu kleben gehabt hätte. An welchem Tag, wisse er nicht mehr. Er habe auch kein Arbeitsentgelt dafür erhalten. Wahrscheinlich habe man ihn bei der Krankenkasse an-, aber nicht abgemeldet. Nach einem Aktenvermerk über ein Telefonat nahm der Kläger am 17.01.2001 auf Vermittlung der Firma H. bei der Firma A. die Arbeit auf. Eine direkte Kündigung sei nicht ausgesprochen worden, der Kläger habe aber mitgeteilt, dass ihm "die Arbeit nicht tauge" und er damit aufhöre, weil er angeblich bei einer anderen Firma anfangen könne. Man habe ihn daraufhin zweimal abgemahnt und ihm am 15.01.2001 gekündigt. Der Kläger habe einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Arbeitsentgelt habe er nicht erhalten, da er dies abgelehnt habe. Für den 17.01.2001 seien Beiträge an die Krankenkasse abgeführt worden. Als Gründe für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma H. gab der Kläger an, er habe nach Absprache als Staplerfahrer eingestellt werden sollen, sei dann aber als Verpacker für 13,00 DM-Stundenlohn eingesetzt worden. Wegen der Aufhebung der Bewilligung von Alg teilte der Kläger erneut mit, er sei bei der Firma H. lediglich einen Tag auf Probe beschäftigt gewesen.

Am 03.04.2001 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte die Fortzahlung von Alg. Mit Bescheid vom 27.04.2001 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 17.01.2001 auf. Mit weiterem Bescheid vom 30.04.2001 forderte die Beklagte vom Kläger die Erstattung zu Unrecht erhaltener Leistungen in Höhe von 2.162,47 DM (= 1.105,65 EUR). Mit weiterem Bescheid vom 30.04.2001 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 26.01. bis 19.04.2001 fest. Der Kläger habe durch seine Kündigung und sein Verhalten das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma H. verloren.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe kein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma H. gehabt und somit auch nicht gekündigt. Er habe lediglich einen Tag über die Firma H. bei der Firma A. als Lagerarbeiter gearbeitet, wofür jedoch weder ein Beschäftigungsverhältnis zustande gekommen, noch Lohn bezahlt worden sei. Insoweit werde auf die Lohnsteuerkarte verwiesen, die keine Eintragungen aufweise. Im Übrigen hätte er bei dem dort vorgesehenen Verdienst von nur 13,00 DM brutto/Stunde seine Existenzgrundlage bei 986,00 DM zu entrichtenden monatlichen Mietzins und einer Unterhaltsverpflichtung für einen schulpflichtigen 15-jährigen Sohn nicht sichern können, so dass es ihm nicht möglich gewesen sei, auf dieser Basis ein Beschäftigungsverhälntis einzugehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem vorliegenden Arbeitsvertrag, der zwischen der H. GmbH und dem Kläger am 16.01.2001 geschlossen worden war, sei der Kläger dort ab 17.01.2001 als Lagerarbeiter auf unbestimmte Zeit und einer als regelmäßig vereinbarten wöchtentlichen Arbeitszeit ausschließlich der Pausen von 35 Stunden bei einem Bruttostundenlohn von 13,00 DM beschäftigt gewesen. Er sei somit wegen fehlender Beschäftigungslosigkeit ab 17.01.2001 nicht arbeitslos gewesen, weil die Ausübung der Beschäftigung als Lagerarbeiter mindestens 15 Stunden wöchentlich habe umfassen sollen. Er habe somit ab 17.01.2001 keinen Leistungsanspruch mehr gehabt. Nach Würdigung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, die für das Beschäftigungsverhältnis ab 17.01.2001 gegolten hätten und der Auswertung der telefonischen Auskünfte der Mitarbeiterin der H. GmbH habe der Kläger das Beschäftigungsverhältnis selbst am 18.01.2001 zum 18.01.2001 gekündigt. Es hätten sich Gründe dafür finden lassen, dass dem Kläger bis zum Erhalt eines Anschluss-Arbeitsplatzes die Fortsetzung dieses Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses bei der H. GmbH als Lagerarbeiter nicht zumutbar gewesen wäre. Damit habe der Kläger einen wichtigen Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnnisses ab 18.01.2001 gehabt. Wegen Rücknahme der Sperrzeitfestsetzung mindere sich die Erstattungsforderung auf 1.307,54 DM.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger ausgeführt, die Berechtigung zum Leistungsbezug werde durch die eintägige Beschäftigung nicht unterbrochen und beginne daher nicht erst wieder am 03.04.2001, sondern dauere über den 17.01.2001 hinaus fort. Weiterhin sei festzustellen, dass ihm keine Obliegenheitsverletzung mit der Begründung vorgeworfen werden könne, er habe die Arbeitsaufnahme am 17.01.2001 nicht unverzüglich mitgeteilt, denn, wie bereits vorgetragen, habe er sich Art und Umfang der Tätigkeit zunächst ansehen wollen, bevor er dauerhaft ein Beschäftigungsverhältnis eingehe. Außerdem sei er nach der sofortigen Beendigung seiner Tätigkeit nach deren Beginn der Auffassung gewesen, dass er eine derart kurzfriste Tätigkeit nicht melden müsse.

Mit Urteil vom 30.07.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide würden der Sach- und Rechtslage entsprechen. Die Beklagte sei gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 und 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) berechtigt gewesen, die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 17.01.2001 aufzuheben. Nach dem Inhalt der Leistungsakte stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger bei der Firma H. am 17.01.2001 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Soweit der Kläger vortrage, es sei kein Beschäftigungsverhältis zustande gekommen, sei dies für das Gericht nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe einen Arbeitsvertrag unterschrieben und habe die Arbeit auch tatsächlich aufgenommen. Dem Umstand, dass er offensichtlich für seine Arbeitsleistung am 17.01.2001 keine Arbeitsvergütung erhalten habe, sei insoweit keine Bedeutung beizumessen. Im Übrigen stehe fest, dass der Kläger die Beschäftigungsaufnahme nicht mitgeteilt habe. Gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2004 sowie die Bescheide vom 27.04.2001 und 30.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil an.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet.

Zu Unrecht hat das SG Augsburg mit Urteil vom 30.07.2004 die Klage abgewiesen, da die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten vom 27.04.2001, 30.04.2001 und 21.05.2001 nicht der Sach- und Rechtslage entsprechen.

Denn die Beklagte war nicht berechtigt, die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 17.01. bis 28.02.2001 aufzuheben und die Erstattung zu Unrecht erhaltener Leistungen in Höhe von insgesamt 1.105,65 EUR zu fordern.

Gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs.3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Die erforderliche Sorgfalt ist dann in besonders schwerem Maße verletzt (grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X), wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 42, 184). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit, insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff im Sinne des BSGE 35, 108). Insbesondere ist somit in subjektiver Sicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Der Arbeitslose muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt haben.

Unter Anwendung der genannten Kriterien handelte der Kläger nicht grob fahrlässig. Insbesondere steht aufgrund seiner Einlassungen nicht fest, dass ihm bewusst war, dass eine Arbeitsaufnahme von lediglich einem Tag zum Wegfall der Arbeitslosigkeit führen würde, also weitreichende Folgen hätte. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Merkblatt 1 "Ihre Rechte, Ihre Pflichten", dessen Erhalt der Käger bestätigt und versichert hat, von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. In dem Merkblatt ist lediglich eine abstrakte Regelung enthalten, die gerade keine Differenzierung zwischen der Aufnahme einer nur ein-tägigen Beschäftigung und einer längere Zeit dauernde Beschäftigung vornimmt. Zwar hat auch nach § 60 Abs.1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eine Mitteilung unverzüglich zu erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Schuldhaft ist ein Zögern des Verpflichteten immer dann, wenn er die Änderung in den Verhältnissen, die Leistungserheblichkeit der Tatsachen und die daraus entstehende Verpflichtung erkannte oder erkennen konnte (BSGE 35, 108; 47, 28 = SozR 1500 § 86 Nr.1). Aufgrund der Einlassung des Klägers erkannte dieser gerade nicht die Leistungserheblichkeit der Anzeige einer lediglich eintägigen Beschäftigung und die daraus resultierende Verpflichtung zur Mitteilung. Auch die Tatsache, dass der Kläger von sich aus, die eintägige Beschäftigung nach deren Beendigung der Beklagten nicht angezeigt hat, spricht dafür, dass er dieser keine Erheblichkeit zugemessen hat.

Somit waren auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG Augsburg vom 30.07.2004 und die Bescheide vom 27.04.2001 und 30.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2001 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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