L 6 R 190/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 71/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 190/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Kläger gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von weiteren Leistungen für Hinterbliebene aus den Jahren 1983 bis 1993 haben.

Die Kläger sind die 1944 geborene Witwe (Klägerin zu 1) und die 1965 (V.), 1968 (R.), 1970 (H.) und 1973 (S.) geborenen Halbwaisen (Kläger zu 2 bis 5) des 1942 geborenen und am 07.11.1974 an den Folgen eines Verkehrsunfalls im ehemaligen Jugoslawien verstorbenen Versicherten S. B ... Die Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheiden vom 10.09.1979 Witwenrente und Halbwaisenrenten ab dem 07.11.1974. Mit Schreiben vom 27.02.1982 teilte der die Kläger in einem Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 07.11.1974 vertretende Rechtsanwalt der Beklagten mit, den Klägern seien Unterhaltsansprüche gegen die jugoslawische Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaft V. N. des Unfallverursachers in Höhe von monatlich 5.000,00 Dinar für den Zeitraum bis 01.01.1979 und danach in Höhe von monatlich 11.876,00 Dinar zuerkannt worden. Mit Schreiben vom 09.03.1983 bezog sich die Beklagte auf diese Mitteilung und wies die Klägerin zu 1) darauf hin, dass die zuerkannte Unterhaltsrente von umgerechnet 475,00 DM gemäß § 1542 RVO auf die Beklagte übergehe, weshalb die gewährten Renten gemäß dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen aufzurechnen seien. Von der Witwenrente seien monatlich 481,90 DM und von der Waisenrente monatlich 239,60 DM einzubehalten. Die Beklagte gab der Klägerin Gelegenheit, sich dazu innerhalb von drei Wochen zu äußern.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.04.1983 stellte die Beklagte die ab 01.06.1983 zu zahlenden Renten fest und behielt die angekündigten Beträge mit der im vorangegangenen Schreiben mitgeteilten Begründung ein. Die Abzugsbeträge wurden bezüglich der Witwenrente mit Wirkung vom 01.04.1993 und bezüglich der Halbwaisenrenten ab 01.09.1984 (V.), ab 01.06.1987 (R.), ab 01.01.1989 (H.) und ab 01.07.1992 (S.) eingestellt.

Mit Schriftsatz vom 07.01.1997 ließ die Klägerin zu 1) bei der Beklagten nach der Höhe der Versicherungsleistungen der jugoslawischen privaten Versicherung und nach der Rechtsgrundlage für die Verrechnung der beiden Leistungen fragen und forderte die Rückzahlung aller zu Unrecht einbehaltenen Beträge mit der Begründung, die private Versicherung habe keinen Unterhaltsschaden erstattet, der alleine einen Regress zulasse, sondern Sachschäden und andere nicht deckungsgleiche Leistungen. Mit Schreiben vom 17.03.1997 wies die Beklagte auf mehrere ergangene Urteile jugoslawischer Gerichte hin, wonach den Klägern eine Unterhaltsrente zugesprochen worden sei. Die erforderliche sachliche Kongruenz zwischen der Hinterbliebenen- und den Unterhaltsrenten würde vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 27.03.1997 forderten die Kläger von der Beklagten erneut die Rückzahlung der einbehaltenen Beträge. Die Beklagte habe die Verminderung der Rentenhöhe ohne wirksame Anhörung vorgenommen. Außerdem sei kein Ermessen ausgeübt worden. Die Aufrechnung sei unwirksam, weil keine Aufrechnungslage gegeben und diese mit der gesamten Nachzahlung ohne Aufrechnungserklärung vorgenommen worden sei. Die Beklagte entgegnete mit Schreiben vom 25.04.1997, selbst wenn davon auszugehen sei, dass die Anhörung und die Ermessensausübung nicht im erforderlichen Umfang erfolgt seien, seien diese Fehler grundsätzlich heilbar. Im Übrigen könnten Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden. Da die Rente an die Klägerin zu 1) seit dem 01.04.1993 wieder in voller Höhe angewiesen werde, käme allenfalls ein Anspruch für den Zeitraum vom 01.01.1993 bis 31.03.1993 in Betracht.

Mit den am 26.01.1998 zum Sozialgericht Landshut erhobenen Klagen begehrten die Kläger von der Beklagten, zu Unrecht einbehaltene Rentenbeträge auszuzahlen. Ansprüche auf Auszahlung zu Unrecht einbehaltener Rentenbeiträge könnten mit der echten Leistungsklage eingefordert werden. Die Beklagte habe sich zu Unrecht eines Verwaltungsaktes zur Abgabe der Aufrechnungserklärung bedient. Wegen fehlender Rechtsgrundlage hätte die Entscheidung nicht durch Verwaltungsakt ergehen dürfen. Im Zuge der Aufrechnungsentscheidung sei nicht von dem der Beklagten eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht worden und eine ordnungsgemäße Anhörung sei nicht durchgeführt worden. Die Voraussetzungen einer Aufrechnung seien nicht gegeben. Es fehle an der Gegenseitigkeit der beiden Leistungen, denn die Beklagte habe nicht mit einer Forderung aufgerechnet, die ihr gegen die Hinterbliebenen zustehe, sondern mit einem vermeintlichen Anspruch, der kraft Gesetzes auf die Beklagte übergegangen sei. Eine Aufrechnungslage sei nicht gegeben und die Aufrechnungserklärung unwirksam. § 1542 RVO sei nicht anwendbar, denn es fehle die zur Anwendung notwendige Kongruenz. Teilweise seien die Hinterbliebenenrenten neu berechnet worden und sich ergebende Nachzahlungen ohne Aufrechnungserklärung einbehalten worden. Es sei nicht beachtet worden, dass in den der Klägerin zugeflossenen Leistungen in erheblichem Ausmaß Entschädigungen für Sachschäden aufgrund des Unfalls enthalten waren.

Mit Schriftsätzen vom 08.06.1998, 08.02.2000 und 09.08.2000 ließen die Kläger vortragen, dass eine Umdeutung der Klage auf einen Überprüfungsantrag nicht in Betracht komme. Die Zusammenstellung der Rentenzahlungen und der Einbehaltungen vom 28.01.1999 solle für die Antragstellung maßgeblich sein. Die Beklagte, die einen Prozess gegen die Haftpflichtversicherung führe, könne Versäumnisse der Beklagten, insbesondere die späte Geltendmachung mit dem Risiko der Verjährung nicht durch Aufrechnung gegenüber der Klägerin kompensieren. Die Beklagte entgegnete im Schriftsatz vom 18.09.2000, sie habe mit bestandskräftigem Bescheid die Aufrechnung erklärt. Die Kläger könnten somit ihre Rechte nur über § 44 SGB X geltend machen.

Mit Urteil vom 21.02.2001 wies das Sozialgericht die Klage als unzulässig ab, mit der Begründung, Voraussetzungen für eine echte Leistungsklage seien ein Rechtsanspruch auf eine Leistung, dass ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen brauche und ein solcher auch nicht ergangen sei. Als Hauptanwendungsfall werde der so genannte Parteistreit im Gleichordnungsverhältnis angesehen, bei dem eine Leistung nicht durch Verwaltungsakt einseitig festgesetzt werden könne. Hier bestehe kein Gleichordnungsverhältnis, insoweit hätte ein Verwaltungsakt ergehen müssen.

Am 03.04.2001 ging die Berufung der Kläger gegen das ihnen am 09.03.2001 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. In der Begründung wird im Wesentlichen der bisherige Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt.

Die Kläger beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 21.02.2001 zu verurteilen, an die Kläger zu Unrecht einbehaltene Rentenbeträge auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut, der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.02.2001 ist nicht zu beanstanden, denn die vom Sozialgericht unter zutreffender Anwendung gemäß § 113 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbundenen Klagen sind unzulässig.

Die Entscheidung erging nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 155 Abs.3,4 SGG).

Das Klagesystem des SGG sieht hier unter den gegebenen Voraussetzungen keine Möglichkeit vor, die geltend gemachten Ansprüche gegenüber der Beklagten durchzusetzen, auch nicht mit der so genannten echten Leistungsklage gemäß § 54 Abs.5 SGG. Auch wenn § 51 Abs.1 Nr.1 SGG für Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung den Sozialverwaltungsrechtsweg eröffnet, gewähren die Sozialgerichte Rechtsschutz nur im Rahmen bestimmter Klage- bzw. Antragsarten. Der Unterteilung der Klagearten kommt dabei unter Berücksichtigung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz eine Ordnungsfunktion zu (Mayer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 54 Rndr.1a). Aufgrund der verschiedenen Voraussetzungen und Folgen der einzelnen Klagearten kann es grundsätzlich nicht dahin gestellt bleiben, um welche Klage- bzw. Antragsart es sich handelt. Die zutreffende Klageart ergibt sich dabei nicht nur aus der ausdrücklichen Bezeichnung der Klageart, wie sie hier mit der echten Leistungsklage genannt wurde, sondern insbesondere auch aus dem sonstigen Vortrag. Im vorliegenden Fall eröffnet das SGG gerade nicht einen Weg, das Klagebegehren mit einer echten Leistungsklage zu durchzusetzen.

Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, die sich auf einen Verwaltungsakt beziehen, schließen grundsätzlich sonstige Klagearten und insbesondere die echte Leistungsklage aus. Wendet sich der Kläger gegen eine Beeinträchtigung, die in einem Verwaltungsakt liegt oder die die Folge eines Verwaltungsaktes darstellt, sieht das SGG ausschließlich die Durchsetzung eines Anspruchs über die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage vor. Hierbei ist zu beachten, dass die Einlegung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse der Hoheitsverwaltung und des Rechtsschutzes in diesem Bereich an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, wie z.B. die Durchführung eines Vorverfahrens gemäß §§ 78 ff. SGG. Im einem wie hier vorliegenden Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Rentenversicherungsträger und Rentenberechtigte ist die Beklagte befugt, über die Ansprüche durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Nach herrschender Auffassung handelt es sich bei der Aufrechnungserklärung nicht um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung im Zuge der Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts, sondern um einen Verwaltungsakt (KassKomm-Seewald § 51 SGB I Rdnr.21). Wenn sich aber der Rechtsstreit auf einen Verwaltungsakt bezieht, sind andere Klagen als die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage unzulässig. Die echte Leistungsklage kommt im Über- und Unterordnungsverhältnis nur in Betracht, wenn die angegriffene Verwaltungsmaßnahme weder ein Verwaltungsakt ist, noch eine Folge eines Verwaltungsaktes darstellt. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn die Klage lediglich auf die Auszahlung eines bereits durch Verwaltungsaktes bewilligten Rentenbetrages abzielt. Setzt also eine begehrte Leistung wie hier die Aufhebung eines Verwaltungsaktes voraus, der dem begehrtem Anspruch entgegensteht, so ist die allein zutreffende Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs.1 SGG.

Einen Klageantrag, der wie hier als Antrag zur bloßen Erbringung einer Leistung gefasst ist, hat das Gericht auszulegen. Eine Klage kann nicht schon dann als unzulässig abgewiesen werden, nur weil der Kläger die falsche Klageart wählt. Ein Antrag auf Verurteilung zur Zahlung nicht geleisteter Rentenbeträge ist somit als Antrag auf Aufhebung bzw. Abänderung des zugrunde liegenden Rentenbescheides und Verurteilung zur Leistung auszulegen bzw. bei Ermessensentscheidungen als Antrag auf Aufhebung des Bescheides und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Klage mit dem Ziel der Erteilung eines Bescheides nach § 44 SGB X ist eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die mit einer Leistungsklage verbunden ist.

Die Auslegung des Klagegegenstands erfolgt anhand des Klageantrags, der durch die Klagebegründung präzisiert wird. Daraus ergibt sich, dass die Kläger Entscheidungen angreifen, die die Beklagte durch Verwaltungsakte getroffen hat. In der Klage- und Berufungsbegründung kritisieren sie, dass sich die Beklagte eines Verwaltungsaktes bedient hatte. Auch werden Fehler der Verwaltung im Zusammenhang mit den Entscheidungen behauptet. So sei nicht von einem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, es sei keine ordnungsgemäße Anhörung durchgeführt und die Aufrechnung sei fehlerhaft durchgeführt worden. Damit ist der Klagegegenstand durch die von der Beklagten getroffenen Entscheidungen bestimmt, die durch Verwaltungsakt getroffen wurden. Dies betrifft die Einbehaltung der Rentenbeträge aufgrund der Unterhaltsleistungen mit den bestandskräftigen Grundlagenbescheiden vom 06.04.1983 mit den Folgebescheiden. Die Kläger können diese durch Verwaltungsakt getroffenen Entscheidungen wegen der Bestandskraft schon deshalb nicht mit Erfolg unmittelbar anfechten, weil ein Vorverfahren nicht durchgeführt wurde. Die Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte erfolgt gemäß § 44 SGB X. Ein entsprechendes Verfahren wurde offensichtlich mangels für die Kläger hinreichender Erfolgsaussicht wegen der Verjährungsregel des § 44 Abs.4 SGB X nicht durchgeführt. Die echte Leistungsklage haben die Kläger offenbar gewählt, weil diese Klageart die prozessualen Voraussetzungen einer Anfechtungsklage wie Klagefrist oder Vorverfahren nicht erfordern. Die echte Leistungsklage hat aber im Wesentlichen ihren Anwendungsbereich nicht in einem wie hier vorliegenden Über- und Unterordnungs-, sondern in einem Gleichordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, das eine einseitige hoheitliche Regelung ausschließt.

Der Einwand der Kläger, die Beklagte hätte die Aufrechnungen nicht durch Verwaltungsakt regeln dürfen, greift hier nicht. Denn unabhängig von der Frage, ob die Rechtsnatur der Aufrechnung zivilrechtlicher Natur ist oder einen Verwaltungsakt darstellt, betrifft diese allein die Begründetheit und nicht der Zulässigkeit der Klage (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage Rndr.15a m.w.N.).

Auch eine Feststellungsklage nach § 55 SGG kommt nicht in Betracht, weil diese gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage subsidiär ist.

Damit kann die Klage aus prozessualen Gründen keinen Erfolg haben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.02.2001 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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