S 19 AL 220/05 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AL 220/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der Antragstellerin für den Fall der Auf- nahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für das am 08. August 2005 beginnende 3-monatige Eingangsver- fahren bis auf weiteres zu gewähren. 2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Fall der Aufnahme in der Werkstatt für behinderte Menschen in P ...

Die am 1981 geborene, aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung verbunden mit psychischen Auffälligkeiten wie Unruhe und Angstzuständen sowie Depressionen behinderte Antragstellerin (GdB 80) besuchte die Schule für geistig Behinderte in L./L., die sie im Sommer 2005 abschloss (Abschlusszeugnis der Förderschule für geistige Behinderte in L. vom 22.06.2005). Der Besuch der Förderschule in L./L. war für die im ca. 30 km entfernten L wohnende Antragstellerin aufgrund der ungünstigen Organisation des Fahrdienstes mit einer daraus resultieren erheblichen zeitlichen Beanspruchung mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis an die Grenze der Tolerierbarkeit verbunden (Bescheinigung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. von 18. Juli 2005). Die Integration in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. bereitete die Antragstellerin seit 2003 durch mehrere Praktika vor (17.11.2003 bis 21.11.2003; 26.04.2004 bis 30.04.2004; 25.10.2004 bis 29.10.2004; 04.04.2005 bis 08.04.2005; Bestätigung der Lebenshilfewerkstätten hand in hand gemeinnützige GmbH vom 14. Juli 2005).

Am 18. Juli 2004 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und für den Fall der Aufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. die Gewährung von Leistungen bei dem jeweils zuständigen Kostenträger. Nach Beiziehung des schulärztlichen Gutachtens des Gesundheitsamtes des Landkreises D.-S. vom 25. Januar 2000, der Bescheinigung des C.-T.-Klinikums C., Sozialpädiatrisches Zentrum an der Kinderklinik vom 02.08.1993, des Schwerbehindertenausweises der Antragstellerin vom 11.03.1992, der Zustimmung der getroffenen Bildungswegeempfehlung im Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Staatlichen Schulamtes für die Kreisfreie Stadt C. vom 15.05.1995, des Ergebnisses des schulärztlichen Gutachtens des Gesundheitsamtes des Landkreises D.-S. vom 13.01.2004 sowie des Bescheids über den weiteren Besuch der Förderschule für geistig Behinderte L. im Schuljahr 2004/2005 des Staatlichen Schulamtes W.f vom 23.03.2004 unterbreitete die Antragsgegnerin den Lebenshilfewerkstätten hand in hand gemeinnützige GmbH, Träger der Werkstatt für behinderte Menschen in P., mit Schreiben vom 04. Januar 2005 einen Eingliederungsvorschlag für die Antragstellerin für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich in der Werkstatt für behinderte Menschen in P. vom 08. August 2005 bis 07. November 2006.

Mit Bescheid vom 10. März 2005 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin sodann deren Antrag auf Aufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Antragstellerin erfülle laut schulärztlichem Gutachten vom 25. Januar 2000 zwar die Voraussetzungen des § 136 Abs. 2 SGB III, weshalb einer Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen seitens der Antragsgegnerin zwar grundsätzlich zugestimmt werde. Eine Anmeldung in einer Werkstatt für behinderte Menschen könne jedoch nur unter Beachtung des Einzugsgebietes, das heißt für die Antragstellerin in L. erfolgen. In § 137 SGB IX werde darauf hingewiesen, dass anerkannte Werkstätten diejenigen behinderten Menschen aus ihrem Einzugsgebiet aufnehmen, die die Aufnahmevoraussetzungen gemäß § 136 Abs. 2 SGB IX erfüllten, wenn Leistungen durch die Rehabilitationsträger gewährleistet seien.

Dagegen legte die Antragstellerin durch ihre Betreuerin am 21. März 2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie zum einen aus, von ihrem Wunsch und Wahlrecht gemäß § 9 SGB XII zu Gunsten der Werkstatt für behinderte Menschen in P. Gebrauch zu machen. Des Weiteren verwies sie auf das während der vier Praktika in der Werkstatt für behinderte Menschen in P. entwickelte sehr gute Verhältnis zwischen ihr und den Mitarbeitern sowie dem Personal und ferner darauf, dass sie einen sehr guten Bezug zu den Tätigkeiten in der Werkstatt für behinderte Menschen in P. (Zuarbeiten für die Firma F.) hätte, da sie wisse, dass ihre Mutter und Betreuerin im Büro tätig sei und Produkte der Firma F. bei ihrer Arbeit benötige. Außerdem verwies sie darauf, dass ihre Mutter und Betreuerin sie auf dem Weg zur und von der Arbeit in C. mitnehmen wolle, woraus eine in zeitlicher Hinsicht deutlich verminderte Belastung resultieren würde. Die Antragsgegnerin nahm daraufhin telefonische Rücksprache mit dem zuständigen Sozialträger des Landkreises D.-Sp., der eine Aufnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen außerhalb des Einzugsgebietes die Zustimmung verweigerte (Vermerk vom 24.06.2005). Mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juli 2005 wies die Antragsgegnerin daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, zwar bestehe die Möglichkeit der Aufnahme der Antragstellerin in einer anderen anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen außerhalb des Einzugsgebietes. Den Wünschen der Antragstellerin sei aber nicht zu entsprechen, wenn unverhältnismäßige Mehrkosten entstünden. Dies sei vorliegend der Fall, da ein besonderer Fahrdienst eingerichtet werden müsste, der erhebliche zusätzlich Kosten gegebenenfalls bis ins Rentenalter hinein verursache. Vor diesem Hintergrund komme es auch nicht darauf an, dass die Mutter und Betreuerin der Antragstellerin die Antragstellerin aufgrund ihrer Berufstätigkeit in C. zur Zeit selbst in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. bringen und von dort abholen könnte.

Mit ihrem durch die anwaltlich vertretene Betreuerin der Antragstellerin am 21. Juli 2005 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgt die Antragstellerin ihr Anliegen weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, unverhältnismäßige Mehrkosten entstünden gerade nicht, da – was im Kern zutrifft – die Entfernung von L nach P. mit ca. 15 km deutlich unter der Entfernung von L nach L. mit ca. 30 km rangiere. Zudem bestünde die Möglichkeit, dass die Antragstellerin jedenfalls nach einer Eingewöhnung den öffentlichen Personennahverkehr benutzen könnte. Auch seien bei einem Besuch der Werkstatt für behinderte Menschen L. gesundheitliche Nachteile zu befürchten.

Nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt die Antragstellerin daher,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen im Eingangsverfahren der Werkstatt für behinderte Menschen durch Übernahme der Kosten für das Eingangsverfahren der Werkstatt P., Gewerbepark ... in ... P. des Trägers Lebenshilfewerkstätten hand in hand gemeinnützige GmbH, I., ... G./C. ab dem 08. August 2005 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid.

Das Sozialgericht Cottbus hat zur weiteren Sachverhaltsaufklärung insbesondere beigezogen die von der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung ihres Begehrens überreichten und oben genanten Unterlagen, insbesondere die Bescheinigung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. vom 18.07.2005, wonach im Unterschied zum Schulbesuch in./L. aufgrund des verlängerten Aufenthaltes in einer Werkstatt für behinderte Menschen bei einer Vollbeschäftigung zuzüglich des anfallenden Fahrweges der Belastungszeitraum aus nervenärztlicher Sicht überdurchschnittlich lang und eine psychische Dekompensation der Antragstellerin zu befürchten sei. Eine Internetrecherche ergab, dass die Entfernung zwischen der Wohnung der Antragstellerin und der Werkstatt für behinderte Menschen in P. sich auf 18,61 km beläuft und die Entfernung zwischen der Wohnung der Antragstellerin und der Werkstatt für behinderte Menschen in L. auf 35,92 km sich beläuft. Nach der Internetauskunft der www.vbb-fahrinfo.de besteht zwischen der Wohnung der Antragstellerin und der Werkstatt für behinderte Menschen eine direkte ÖPNV-Verbindung (Bus 21). Nach den vorgenannten Auskünften beläuft sich die Fahrzeit von L nach P. auf ca. 25 (bei Benutzung eines Pkw) bzw. ca. 47 Minuten (bei Benutzung des Busses inklusive Fußwege zur Haltestelle von jeweils ca. 4 Minuten) beläuft.

Das Sozialgericht Cottbus hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten im Rahmen einer nichtöffentlichen Sitzung am 27. Juli 2005 erörtert. Dabei ergab sich, dass aufgrund einer pauschalen Kostenregelung inklusive Fahrdienstleistungen zwischen dem Leistungsträger und der Werkstatt für behinderte Menschen in P. zusätzliche Kosten für einen Fahrdienst zwischen L und P. nicht entstehen würden. Ferner ergab sich, dass die Gliederung der Einzugsgebiete auf eine Netzwerkplanung zwischen dem MASGF, der Regionalredaktion der Antragsgegnerin und den Werkstätten für behinderte Menschen zurückgeht, wobei die Werkstätten für behinderte Menschen sich selbst diese Einzugsgebiete gegeben haben. Außerdem ergab sich, dass die Antragstellerin nicht nur bei Nichtaufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. aufgrund der größeren zeitlichen Belastung des Fahrdienstes z. B. zur Werkstatt für behinderte Menschen in L. psychische Dekompensationen erleiden könnte, sondern dass sie bei Nichtaufnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen zum 08. August 2005 ohne Aufsicht alleine zu Hause wäre (Berufstätigkeit der Betreuerin). Des weiteren ergab sich, dass keine Möglichkeit besteht, den mit der Inanspruchnahme eines Fahrdienstes von L nach L. verbundenen (zeitlichen und daraus resultierend auch gesundheitlichen) Belastungen der Antragstellerin entgegenzuwirken. Schließlich ergab sich, dass die Aufnahme der Antragstellerin in der Werkstatt für behinderte Menschen in P. nicht von der Entscheidung der Antragsgegnerin abhängt, sondern ein mit Vertretern von Sozialamt, der Antragsgegnerin und der Werkstatt für behinderte Menschen paritätisch besetzter Fachausschuss über die Aufname der Antragstellerin in die Werkstatt für behinderte Menschen durch Abgabe einer Empfehlung (mit-) entscheidet und die Antragsgegnerin Leistungen nur für den Fall der Aufnahme der Antragstellerin in dem o. g. Rechtsstreit die Werkstatt für behinderte Menschen in P. gewähren könnte.

Für die weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet, weshalb der Antragsgegnerin aufzugeben war, der Antragstellerin für den Fall der Aufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für das am 08. August 2005 beginnende 3-monatige Eingangsverfahren bis auf weiteres zu gewähren.

1. Der Antrag ist zulässig. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im allgemeinen statthaft. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz) ist es geboten, auch in sozialgerichtlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn der Bürger ein Tätigwerden der Verwaltung, dessen Durchsetzung im Klageverfahren mit einer Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage zu erreichen wäre, begehrt (BVerfGE 46, 166). Auch im vorliegenden Fall ist der Antrag gem. § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft, obgleich die Antragstellerin sich (auch) gegen den Ablehnungsbescheid vom 10. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juli 2005 wendet. Dies ergibt sich daraus, dass der Antrag der Antragstellerin seitens der Antragsgegnerin abgelehnt wurde und der eine Leistung der Antragsgegnerin begehrenden Antragstellerin eine aufschiebende Wirkung gerade nicht weiterhelfen würde (siehe Mayer/Ladewig, § 86 a SGG Rn. 6). Ausgehend davon, dass nicht die Antragsgegnerin, sondern nur der paritätisch besetzte Fachausschuss über die Aufnahme der Antragstellerin in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. durch Abgabe einer Empfehlung an die Reha-Träger (mit-) entscheidet, war der Antrag der Antragstellerin dahin auszulegen, dass die begehrte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nur für den Fall der Aufnahme begehrt wird, wie sie dies auch am 18. Juni 2004 bei der Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren beantragt hatte. Da die Antragstellerin zudem zugleich Hauptsacheklage zum Sozialgericht Cottbus erhoben hat, stellte sich die Frage nicht mehr, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits vor Klageerhebung zulässig ist (s. § 86b Abs. 3 SGG).

2. Der Antrag ist auch begründet. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweiligen Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der Antragsteller schlüssig dargelegt und glaubhaft macht, einen Rechtsanspruch auf die gewünschte Maßnahme zu haben. Vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist auszugehen, wenn der Antragsteller bei einem Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können. Die einstweilige Anordnung soll dann verhindern, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksam Rechtsschutz erlangen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Die Bundesagentur für Arbeit erbringt behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern (§ 97 Abs. 1 SGB III). Hierzu zählen auch berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Teilnahme an Maßnahmen im Eingangsverfahren bzw. im Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen, wenn die Maßnahmen erforderlich sind, um die Leistungsfähigkeit des Behinderten zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen. Behinderte werden in diesem Bereich nur gefördert, sofern erwartet werden kann, dass sie nach Teilnahme an dieser Maßnahme in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX zu erbringen (§ 102 Abs. 2 SGB III). Auf diese Leistungen besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch. Ein Ermessen steht der Bundesagentur für Arbeit weder bei der Überprüfung des Anspruchs auf berufliche Rehabilitation dem Grunde nach noch hinsichtlich des Umfangs der zu gewährenden Reha-Leistungen zu. Grundsätzlich sind die Hilfen zu gewähren, die erforderlich sind. Allein diese Zielsetzung bestimmt Art und Umfang der Hilfe. Dies kann daher auch Reha-Leistungen umfassen, die durch Anordnung nicht geregelt sind. Ein Rechtsanspruch des Betroffenen besteht auch auf Förderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung, sofern Werkstattauglichkeit des Behinderten gegeben ist. Die Werkstatt steht nämlich nach § 136 Abs. 2 SGB IX allen behinderten Menschen im Sinne des Abs. 1 unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung offen, sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlicher verwertbarer Arbeitsleistung erbringen werden. Aus § 137 Abs. 1 SGB IX resultiert eine Aufnahmeverpflichtung seitens der Werkstatt für behinderte Menschen, sofern der behinderte Mensch im regionalen Einzugsgebiet der Werkstatt wohnt. Nach § 8 Abs. 3 der Werkstättenverordnung (WVO) muss die Werkstatt mit öffentlichen oder sonstigen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar sein.

b) Gemessen an diesen Vorgaben kann der Bescheid vom 10. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juli 2005 nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Betrachtung schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Antragstellerin entgegen der Annahme der Antragsgegnerin im Regionaleinzugsgebiet der Werkstatt für behinderte Menschen in P. gemäß §§ 136, 137 SGB IX in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BSHG bzw. § 9 Abs. 2 SGB XII wohnt, nicht auch nur überhaupt Mehrkosten im Sinne der genannten Bestimmungen entstehen und darum die Leistungen durch die Rehabilitationsträger als gewährleistet anzusehen sind.

Dass die Antragstellerin mit ihrem Wohnort L im Regionaleinzugsgebiet der Werkstatt für behinderte Menschen in P. sich befindet, ergibt sich daraus, dass diese – etwa im Unterschied zur Werkstatt für behinderte Menschen in L. – nur 18,61 km statt – wie etwa die Werkstatt für behinderte Menschen in L. – 35,92 km vom Wohnort der Antragstellerin entfernt liegt und zudem vom Wohnort der Antragstellerin zur Werkstatt für behinderte Menschen eine direkte Busverbindung (Bus 21) eingerichtet ist und die Fahrzeit von L nach P. sich auf ca. 25 (bei Benutzung des Pkw) bzw. ca. 47 Minuten (bei Benutzung des Busses inklusive Fußwege zur Haltestelle von jeweils ca. 4 Minuten) beläuft. Denn die Beurteilung des Einzugsgebietes richtet sich nach Überzeugung des Gerichts nach der Erreichbarkeit der Werkstatt für behinderte Menschen vom Wohnort der Antragstellerin. Es genügt nach § 8 Abs. 3 WVO, dass die Werkstatt für behinderte Menschen mit öffentlichen oder sonstigen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar ist (siehe auch Götze, in: Hauck § 137 SGB IX Rn. 7).

Eine von dieser Beurteilung ggf. abweichende Netzwerkplanung ist demgegenüber nach Überzeugung des Gerichts unbeachtlich, da die höherrangigen gesetzlichen Vorgaben insoweit vorgehen (ebenso SG Stuttgart v. 10.5.2002, Az. 17 AL 6128/01 ER bzgl. eines gesetzeswidrigen, für den Antragsteller im dortigen Verfahren nachteiligen Betreuungsschlüssels aufgrund einer internen Vereinbarung zwischen der Werkstatt für behinderte Menschen, dem Landeswohlfahrtsverband und dem Landesarbeitsamt; insoweit auch vom LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.8.2002, Az. 13 AL 2380/02 ER-B, nicht moniert). Hinzu kommt, dass entgegen der im Widerspruchsbescheid vom 05. Juli 2005 angeführten Begründung, wonach aufgrund eines besonders einzurichtenden Fahrdienstes zwischen L und der Werkstatt für behinderte Menschen in L. unverhältnismäßige Mehrkosten entstünden, aufgrund der pauschalen, einen Fahrdienst einschließenden Kostenregelung zwischen den Leistungsträgern und den Werkstätten für behinderte Menschen gerade nicht auch nur überhaupt Mehrkosten entstehen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Gewährleistung von Leistungen durch die Rehabilitationsträger gemäß §§ 136, 137 SGB IX nicht gegeben sein soll. Auch die Rehabilitationsträger haben letztlich die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Cottbus zur Beurteilung des Einzugsgebietes und der Mehrkosten zu beachten.

c) Auch ein Anordnungsanspruch ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Betrachtung gegeben. Sofern die gesetzlichen Erfordernissen vorliegen, besteht gemäß §§ 3 Abs. 5, 102 Abs. 2 SGB III, § 40 SGB IX ein Rechtsanspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Vorliegend hat auch die Antragsgegnerin eingeräumt, dass die Antragstellerin die persönlichen Voraussetzungen erfüllt und es sich bei der Werkstatt für behinderte Menschen in P. um eine anerkannte Werkstatt handelt. Sie hat darum auch gegenüber der Werkstatt für behinderte Menschen in P. einen Eingliederungsvorschlag für die Antragstellerin in der Werkstatt für behinderte Menschen in P. unterbreitet. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gemäß § 137 Abs. 1 in Verbindung mit § 136 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BSHG bzw. § 9 Abs. 2 SGB XII auch im regionalen Einzugsgebiet der Werkstatt für behinderte Menschen in P. wohnt und Mehrkosten nicht entstehen, weshalb Leistungen durch die Rehabilitationsträger gemäß §§ 136, 137 SGB IX als gewährleistet anzusehen sind (siehe oben II. 2. a). Vor diesem Hintergrund ist die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts der Antragstellerin hinsichtlich einer Förderung des Eingangsverfahrens für den Fall der Aufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. zu beachten.

Im Übrigen läge nach Überzeugung des Sozialgerichts Cottbus, ließe man sich einmal auf die Mehrkostenargumentation der Antragsgegnerin ein, in der Person der Antragstellerin ein atypischer Fall vor, der es geboten erscheinen ließe, von der Vorgabe des § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG bzw. § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII abzuweichen. Dies folgert das Gericht aus den von der Antragstellerin in der Werkstatt für behinderte Menschen bereits abgeleisteten Praktika, die ihre Integrationschanchen wesentlich erhöhen dürften.

Dem Anordnungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass zunächst nicht die Antragsgegnerin, sondern nur der paritätisch besetzte Fachausschuss über die Aufnahme der Antragstellerin in die Werkstatt für behinderte Menschen in P. durch Abgabe einer Empfehlung (mit-) entscheidet. Zum einen begehrt die Antragstellerin vorliegend Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur für den Fall der Aufnahme (siehe oben unter II.1.). Zum anderen hat der Fachausschuss ebenso wie bereits die Rehabilitationsträger (siehe oben unter II.2.b) letztlich die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Cottbus zur Beurteilung des Einzugsgebietes und der Mehrkosten zu beachten. Aus § 2 Abs. 2 WVO ergibt sich gerade keine Berechtigung des Fachausschusses, von den höherrangigen gesetzlichen Vorgaben abzuweichen und die bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 137 Abs. 1 SGB III bestehende Aufnahmeverpflichtung der Werkstatt für behinderte Menschen zu unterlaufen. Seine Aufgabe ist vielmehr die Einzelfallbeurteilung in fachlicher Hinsicht, die dem Gericht ohne Zuziehung von Sachverständigen im Eilverfahren kaum möglich ist.

d) Schließlich ist auch ein Anordnungsgrund gegeben, da die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (zu den Anforderungen siehe etwa SG Stuttgart, a.a.O.). Zum einen ist überhaupt zum 08. August 2005 eine Regelung für eine Aufnahme der Antragstellerin in eine Werkstatt für behinderte Menschen zu treffen, da sie ansonsten aufgrund der Berufstätigkeit ihrer Betreuerin tagsüber allein zu Hause wäre und das Eingliederungsziel am Besten erreicht werden kann, wenn das Eingangsverfahren möglichst zeitnah zum Abschluss der Förderschule begonnen werden kann. Um die Belastungen aufgrund des Fahrdienstes von L nach L. und eine daraus resultierende psychische Dekompensation der Antragstellerin zu vermeiden, erscheint zudem gerade die Förderung durch Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Fall der Aufnahme für behinderte Menschen in P. nötig.

Insbesondere dies hat die Antragstellerin durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung nach Überzeugung des Gerichts auch hinreichend glaubhaft gemacht. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin einräumte, den bei Inanspruchnahme des Fahrdienstes von L nach L. entstehenden zeitlichen und daraus auch resultierenden gesundheitlichen Belastungen nicht entgegenwirken zu können.

Dabei liegt eine gegebenenfalls unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache deshalb nicht vor, weil vorliegend lediglich das 3-monatige Eingangsverfahren anstelle der im Eingliederungsvorschlag der Antragsgegnerin unterbreiteten Maßnahme vom 08. August 2005 bis 07. November 2006, bei der zusätzlich der Berufsbildungsbereich berücksichtigt wurde, in Rede steht (siehe auch Beschl. d. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., das gerade die Vorschaltung des Eingangsverfahrens betont). Im Übrigen wäre ein Rechtsschutz der Antragstellerin sonst nicht zu erreichen und zur Vermeidung der soeben dargestellten wesentlichen Nachteile ein Abwarten des langjährigen Hauptsacheverfahrens im Blick auf den angestrebten Eingliederungserfolg unzumutbar, zumal die Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen würde.

Nach alledem war dem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung zu entsprechen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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