L 10 VG 55/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 V 241/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 VG 55/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 20.10.1998 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Im übrigen werden dem Kläger anteilige Gerichtskosten in Höhe von 500,- DM auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1932 geborene Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für Zahnbehandlungen sowie von Fahrtkosten in Zusammenhang mit medizinischen Heilbehandlungsmaßnahmen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie die Gewährung von Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens 30 vom Hundert (v.H.).

Am 19.11.1974 erlitt der Kläger bei Ausübung seiner Tätigkeit als Kundendienstmonteur ohne eigenes Verschulden einen Verkehrsunfall.

1986 beantragte er erstmalig Leistungen nach dem OEG. Der Beklagte lehnte den Antrag u.a. damit ab, daß ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff nicht vorgelegen habe. Im übrigen sei das OEG nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers verursacht worden seien (Bescheid vom 14.04.1986 - Widerspruchsbescheid vom 01.12.1987).

Die gegen die Entscheidung beim Sozialgericht Detmold erhobene Klage (S 18 (7) V 264/87), zu deren Begründung sich der Kläger auch auf Fehler bei der wegen der Unfallfolgen notwendig gewordenen ärztlichen Behandlungen berufen hatte, wurde durch Urteil vom 26.08.1988 abgewiesen. Seine Berufung nahm der Kläger zurück, den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) ebenfalls. Ein erneutes Wiederaufnahmeverfahren ist beim SG Detmold anhängig (S 5 VG 70/98).

1989 stellte der Kläger erneut bei dem Beklagten einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Nach Entlassung aus dem S.-Hospital P ..., in dem er nach dem Unfall zunächst behandelt worden sei, sei er mit einem Zivilfahrzeug wieder in die Nähe der Unfallstelle gebracht und dort hilflos ausgesetzt worden. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 13.04.1989), weil der behauptete Hergang der Aussetzung nicht nachgewiesen sei. Die beim Sozialgericht Detmold erhobene Klage (S 18 V 36/89) wurde durch Urteil vom 13.02.1990 abgewiesen, die beim LSG NRW eingelegte Berufung am 24.05.1991 zurückgewiesen. Es fehle schon jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger Opfer eines tätlichen Angriffes geworden sei, als er im S.-Hospital nach dem Unfallereignis ärztlich versorgt und anschließend entlassen worden sei. Seinen Antrag, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht (BSG) Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, lehnte das BSG ab und verwarf die dagegen eingelegte Beschwerde als unzulässig. Auch insoweit ist ein Wiederaufnahmeverfahren des Klägers beim SG Detmold anhängig (S 17 (5) VG 68/98).

1995 beantragte der Kläger die Erstattung des Eigenanteils in Höhe von 2865,45 DM, den er für zahnprothetische Maßnahmen habe zahlen müssen. Durch Bescheid vom 24.04.1995 lehnte der Beklagte die Versorgung mit Zahnersatz mit der Begründung ab, durch bindenden Bescheid sei der Anspruch auf Versorgung nach dem OEG abgelehnt worden. Eine Anerkennung nach dem Schwerbehindertengesetz löse keinen Anspruch auf Übernahme von Zahnersatzkosten aus. Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger an, bei ihm sei nach dem Schwerbehindertengesetz ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt worden.

Außerdem beantragte der Kläger 1995, ihm die Kosten, die ihm für die Fahrten von insgesamt 130 km in Zusammenhang mit der Durchführung medizinischer Maßnahmen entstanden seien, zu erstatten. Auch diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 30.05.1995 ab. Ein Anspruch nach dem OEG bestehe nicht. Nach dem Schwerbehindertengesetz stünden ihm weder Geldleistungen noch Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung zu.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12.09.1995 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24.04.1995 unter Einbeziehung des Bescheides vom 30.05.1995 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 27.09.1995 beim Sozialgericht Detmold Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, da die Krankenkasse die Kosten für Zahnersatz nicht übernehme und er nur eine geringe Rente beziehe, müsse der Beklagte zur Übernahme aller medizinischen Leistungen verpflichtet werden. Alle ärztlichen Maß nahmen stünden in Zusammenhang mit dem 1974 erlittenen Unfall. Im Laufe des Verfahrens überreichte der Kläger weitere Eigenanteilsrechnungen für zahnprothetische Maßnahmen.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 24.04.und 30.05.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1995 zu verurteilen, die Kosten für Zahnersatz sowie die Fahrtkosten zu erstatten.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nachdem das Sozialgericht den Kläger darauf hingewiesen hatte, daß es beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat es mit Gerichtsbescheid vom 20.10.1998 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen, weil er nicht Versorgungsberechtigter im Sinne des OEG i.V.m. dem BVG sei. Mehrfach und rechtskräftig sei ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des OEG abgelehnt worden.

Gegen den ihm am 10.11.1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.11.1998 Berufung eingelegt. Er hat weiterhin die Übernahme der Kosten für die prothetische Versorgung und die Erstattung von Fahrtkosten geltend gemacht. Ferner hat er Versorgungsrente nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. begehrt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 20.10.1998 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung der Bescheide vom 24.04.1995 und 30.05.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1995, Kosten für Zahnersatz sowie Fahrtkosten zu erstatten und Versorgung nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. nach den gesetzlichen Bestimmungen des OEG i.V.m. BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die Gerichtsakten, die Schwerbehindertenakten sowie die vom Sozialgericht Detmold beigezogenen Prozeßakten S 17 (5) VG 68/98, S 5 VG 401/98 und S 5 SB 69/98 sowie die Verwaltungsakten des Be klagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht erkannt, daß dem Kläger weder ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Versorgung mit Zahnersatz noch für die zur Durchführung von medizinischen Behandlungsmaßnahmen erfolgten Fahrten zusteht.

Gemäß § 1 OEG i.V.m. §§ 9, 10, 11 Abs. 1 Nr. 4, 18 Abs. 1 und 3, 24 Abs. 1 BVG erhält das Opfer einer Gewalttat wegen deren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen nach den Vorschriften des BVG Versorgung, die auch die Heil- oder Krankenbehandlung umfasst, wobei zur Heilbehandlung auch die Versorgung mit Zahnersatz zählt. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, daß dem Kläger ein Anspruch auf Versorgung und damit auch auf die geltend gemachten Leistungen schon deshalb nicht zusteht, weil er, wie bereits mehrfach bindend entschieden worden ist, nicht Opfer einer Gewalttat geworden ist und es somit schon an der Grundvoraussetzung für die geltend gemachten Ansprüche fehlt.

Der geltend gemachte Anspruch läßt sich auch nicht - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - aus dem Schwerbehindertengesetz herleiten, das derartige Leistungen nicht vorsieht (§ 4 Schwerbehindertengesetz).

2. Die auf die Verurteilung des Beklagten zur Leistung von Versorgungsrente nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. gerichtete Klage ist unzulässig.

Voraussetzung einer zulässigen Klage ist, daß der Kläger behauptet, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Daran fehlt es. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 20.06.1998 (richtig: 20.06.1999) begehrt, den Beklagten zu verurteilen, einen Bescheid mit einer MdE um 30 v.H. "nach dem OEG zu erstellen", ist bislang ein anfechtbarer Verwaltungsakt durch den Beklagten mangels (neuerlichem) Antrag nicht erteilt worden.

Auch über §§ 99, 153 Abs. 1 SGG kann dieses Begehren des Klägers nicht in das anhängige Berufungsverfahren einbezogen werden. Es handelt sich dabei um neuen Streitgegenstand, der prozessual als Klageänderung im Sinne einer im Sinne einer Klageerweiterung zu werten ist. Eine Klageänderung gem. § 99 Abs. 1 SGG ist indes nicht möglich, wenn das notwendige Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt ist. Einen anfechtbaren Verwaltungsakt hat der Beklagte insoweit bislang nicht erteilt. Deshalb ist die im Wege der Klageänderung erhobene Aufhebungs- und Leistungsklage unzulässig (hierzu BSG vom 17.02.1972 - 7/2 RU 27/69 - in: USK 1972, Nr. 72150; Zeihe, Kommentar zum SGG, § 99 Anm. 3). Ob - weitergehend - nicht von § 96 SGG erfaßte, noch nicht bindende Bescheide, im Wege der Klageänderung in einen bereits anhängigen Prozeß einbezogen werden, ohne daß es eines weiteren Vorverfahrens bedarf, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen (hierzu LSG NRW vom 23.04.1997 - L 11 Ka 91/96 - mwN; a.A. Zeihe aaO), bedarf keiner Erörterung. Ein derartiger Bescheid existiert nicht.

Im übrigen wären auch die Voraussetzungen für eine zulässige Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 und 2 SGG nicht gegeben. Der Beklagte hat in die Klageänderung nicht eingewilligt. Die Einwilligung wird nach § 99 Abs. 2 SGG unwiderleglich vermutet, wenn der Beteiligte sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in der mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen hat. Auf den Schriftsatz des Klägers vom 20.06.1998 (richtig: 20.06.1999) hat der Beklagte nicht reagiert; ein schriftliches Widersprechen ist nicht nötig (Zeihe aaO Rdn. 5). Auch in der mündlichen Verhandlung hat sich der Beklagte nicht eingelassen. Auf den erweiterten Antrag des Klägers hat er lediglich beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Damit hat der Beklagte seine prozessuale Erklärung auf den Streitgegenstand beschränkt, über den bereits das Sozialgericht entschieden hat und der dem Senat auf die Berufung des Klägers hin angefallen ist. Die unter dem 20.06.1999 erhobene Klage ist hiervon angesichts des abweichenden Streitgegenstandes zu unterscheiden. Hierzu hat sich der Beklagte weder sachlich geäußert noch den Antrag gestellt, die Klage abzuweisen.

Die Klageänderung wäre dennoch zulässig, wenn sie als sachdienlich angesehen werden könnte. Auf die Sachdienlichkeit kommt es allerdings nicht an, wenn es - wie hier - am notwendigen Verwaltungsverfahren fehlt. Dann kommt eine Klageänderung von vornherein nicht in Betracht (so zutreffend Zeihe aaO Rdn. 3). Soweit abweichend die Auffassung vertreten wird, die Klageänderung sei nicht sachdienlich, wenn mangels Prozeßvoraussetzung sachlich nicht entschieden werden könne (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 99 Rdn. 10 mwN), ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Die unter dem 20.06.1999 erhobene und auf Gewährung von Versorgung nach einer MdE um 30 v.H. gerichtete Klage ist unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig.

3. Die Verurteilung des Klägers zur Erstattung eines Teiles der Gerichtshaltungskosten beruht auf § 192 SGG. Danach kann das Ge richt einem Beteiligten, der durch Mutwillen dem Gericht Kosten verursacht hat, diese im Urteil ganz oder teilweise auferlegen. Mutwillen eines Beteiligten liegt vor, wenn er die Erfolglosigkeit weiterer Prozeßführung kennt und entgegen seiner besseren Einsicht von weiterer Rechtsverfolung nicht Abstand nimmt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.06.1961 - 3 RK 67/60 - in: SozR Nr. 4 zu § 192 SGG; BSG, Urteil vom 14.08.1986 - 2 BU 39/86 - in: HV - Info 1986, 1516 bis 1519).

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger die Aussichtslosigkeit seiner Rechtsverfolgung zwar erkannt, gleichwohl aber keinen Grund gesehen hat, die Berufung oder die Klage zurückzunehmen. Dem Kläger wurde die Sach- und Rechtslage eingehend erläutert. Trotzdem hat er ohne jede weitere Begründung auf einer Entscheidung beharrt. Unter diesen Umständen stellt sein Verlangen einen Mißbrauch der Rechtspflege dar. Deswegen ist die Anwendung des § 192 SGG geboten. Die Gemeinschaft der Steuerzahler ist von einer mißbräuchlichen Ausnutzung der grundsätzlichen Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens zu schützen.

Zu den Kosten, die einem Beteiligten nach § 192 SGG auferlegt wer den können, gehören auch die Kosten der Gerichtshaltung, die bei sachgerechtem Verhalten des Klägers vermieden worden wären. Da es sich insoweit um eine Schadensersatzregelung handelt, kann ihre Höhe nach § 202 SGG i.V.m. § 287 Zivilprozeßordnung (ZPO) ge schätzt werden (BSG, Urteil vom 14.08.1986 aaO; Schleswig-Holsteinisches LSG, SGb 1980, 309, 310 mit Anmerkung von Hommel 314). Die Senatsberatung, Urteilsverkündung und - begründung, die weitere richterliche und verwaltungsmäßige Bearbeitung, Urteilsabsetzung, Herstellen und Zustellen der Urteilsausfertigung sowie die Abschlußarbeiten der Geschäftsstelle verursachen zusätzliche Aufwendungen, deren tatsächliche Höhe erheblich über dem vorsorglich auf 500,- DM begrenzten Teilbetrag liegt (vgl. dazu Urteil des LSG NRW vom 11.11.1987 - L 12 Ar 158/85 - m.w.N.).

Die übrige Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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