S 34 R 153/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 34 R 153/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 24.10.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Der im Jahre 1969 geborene Kläger ist von Beruf Betriebsschlosser. Seit 1997 arbeitet er im Personennahverkehr der Stadt F als Busfahrer. Nach langer Arbeitsunfähigkeit übt er diese Tätigkeit derzeit aus.

Vom 23.05.2000 bis 28.06.2000 absolvierte der Kläger ein stationäres Heilverfahren in der Klinik S Bad E. Ausweislich des Entlassungsberichtes vom 20.07.2000 bestanden eine Adipositas permagna, eine Arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung, ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom sowie ein Hämorrhoidalleiden. Bei einer Körpergröße von 179 cm konnte das Aufnahmegewicht von 133 kg auf 127 kg gesenkt werden. Die Rehabilitationsärzte empfahlen eine weitere Gewichtsreduktion im Rahmen einer Adipositas-Schulung. Im Oktober und Dezember 2004 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung der Klinik B in I. Diagnostiziert wurde eine schlafbezogene Atemstörung mit Obstruktion der Atemwege bei persistierender Tagesschläfrigkeit. Der Leitende Arzt der Klinik B Prof. Dr. S ging in seinem Entlassungsbericht vom 22.12.2004 davon aus, dass der Kläger bezüglich der beruflichen Fahrtätigkeit zur Zeit berufsunfähig sei.

Auf den Rehaantrag des Klägers vom 24.10.2004 zog die Beklagte ein internistisches Gutachten von Dr. S vom 24.11.2004 bei. Dr. S beschrieb eine Adipositas permagna, eine Arterielle Hypertonie und eine Hypertriglyzeridämie. Im Vordergrund stünden Probleme, die sich aus dem erheblichen Übergewicht ergäben. Deswegen sei bereits vor 4 Jahren ein Heilverfahren mit nur kurzfristigem Erfolg durchgeführt worden. Es sollten zunächst die ambulanten Möglichkeiten, gegebenenfalls unter Betreuung durch die Krankenkasse, ausgeschöpft werden. Mit Bescheid vom 13.12.2004 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag auf Gewährung stationärer medizinischer Leistungen zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit ab. Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf seine fortbestehende Tagesmüdigkeit. Er sei als Busfahrer arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zog einen Befundbericht des Hausarztes Dr. N vom 10.01.2005 bei. Dr. N befürwortete eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Versuche der Gewichtsabnahme und eine medikamentöse Therapie seien bereits erfolgt. Der Kläger leide an einer Ruhe- und Belastungsdyspnoe und zunehmender Unbeweglichkeit. Schicht- und Wochenenddienste als Busfahrer stellten eine besondere Belastung dar. Die Beklagte zog das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 27.01.2005 bei. Demnach bestand bei dem Kläger eine schlafbezogene Atemstörung mit Obstruktion der extrathorakalen Atemwege, eine ausgesprochene Tagesmüdigkeit bei optimaler CPAP-Einstellung unklarer Ursache, eine massive Adipositas sowie eine Hypertonie. Der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig und behandlungsbedürftig. Neben der erforderlichen Abklärung der Tagesmüdigkeit sei eine dauerhafte Gewichtsreduktion dringend notwendig. Diesbezüglich benötige der Kläger entsprechende Hilfen, gegebenenfalls auch in Form einer ambulanten Psychotherapie. Die Erwerbsfähigkeit erscheine gemindert. Die Durchführung einer medizinischen Reha-Maßnahme in einer Spezialklinik für Eßgestörte werde sehr empfohlen. Der Kläger zeige eine gute Krankheitseinsicht und sei bereit zur aktiven Mitarbeit.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2005 als unbegründet zurück. Eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei nicht genügend Erfolg versprechend. Ambulante Leistungen wie eine Diätberatung durch die Krankenkasse oder eine Volkshochschule mit dem Ziele einer ausgiebigen Gewichtsreduzierung bei hausärztlicher Betreuung seien vordringlich. Es sei nicht sachwidrig, den Einsatz von Mitteln der Versichertengemeinschaft für eine Heilbehandlung abzulehnen, weil eine Reduzierung des für die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit ursächlichen Übergewichts auch durch eine ambulante Behandlung erreicht werden könne.

Zur Begründung der am 10.05.2005 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Beklagte lasse die bei ihm bestehende Schlafapnoe außer Betracht, obwohl sie wesentlich sei für die Gefährdung des Leistungsvermögens. Im Übrigen habe der Kläger unter ärztlicher Aufsicht und Umstellung der Ernährung bereits eine Gewichtsreduktion erzielt, wobei sich das Gewicht jedoch seit ca. 6 Monaten wieder aufgebaut habe. Der Kläger verweist auf seine mehrmonatige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe der Weight Watchers im Jahre 2005.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005, über seinen Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Behandlung der schlafbezogenen Atemregulationsstörung in der Fachklinik B ausreichend sei. Trotz den Empfehlungen der Reha-Klinik S im Jahre 2000 zur Gewichtsreduzierung habe der Kläger seine Lebens- und Ernährungsgewohnheiten nicht umgestellt. Es sei eine erhebliche Gewichtszunahme zu verzeichnen (Februar 2005: 149 kg).

Die Beteiligten sind im Erörterungstermin am 25.11.2005 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Sie haben gegen diese Verfahrensweise keine Bedenken erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtswidrig, weil die Beklagte zu Unrecht die persönlichen Voraussetzungen der Leistungen der medizinischen Rehabilitation bei dem Kläger verneint hat. Da Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 9 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) im Ermessen der Beklagten stehen, kann die Beklagte nur zur Neubescheidung verurteilt werden.

Nach § 10 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt,

1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und

2. bei denen voraussichtlich bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen der medizinischen Rehabilitation abgewendet werden.

Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor. Der Kläger leidet im Wesentlichen an einer massiven Adipositas, einer schlafbezogenen Atemstörung mit Obstruktion der extrathorakalen Atemwege und einer ausgesprochenen Tagesmüdigkeit bei optimaler CPAP-Einstellung unklarer Ursache. Diese Gesundheitsstörungen bedingen bei dem Kläger eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Dies ergibt sich bereits daraus, das ausweislich der Entlassungsberichte der Klinik B und des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK Westfalen-Lippe vom 27.01.2005 die Fortführung der Tätigkeit des Klägers als Busfahrer in Frage zu stellen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht auch die begründete Aussicht, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme abgewendet werden kann. So geht der MDK Westfalen-Lippe davon aus, dass neben ambulanten Hilfestellungen für eine nachhaltige Gewichtsreduktion bei dem Kläger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in einer Spezialklinik für Eßgestörte erforderlich ist. Soweit die Beklagte dem entgegen hält, die 5 Jahre zurückliegende erste stationäre Rehabilitationsmaßnahme des Klägers habe diesbezüglich keinen nachhaltigen Erfolg gezeigt, rechtfertigt dies nicht den dauerhaften Ausschluss des Klägers von der Inanspruchnahme der erforderlichen Hilfestellung unter stationären Bedingungen. Im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterliegt der Kläger einer wesentlich intensiveren ärztlichen und psychotherapeutischen Einflussnahme, als dies durch ambulante Maßnahmen möglich ist. Sowohl der Befundbericht des behandelnden Hausarztes wie das Protokoll über die Teilnahme des Klägers an einer Selbsthilfegruppe für Eßgestörte deuten darauf hin, dass es dem Kläger trotz Inanspruchnahme geeigneter ambulanter Behandlungen und Hilfestellungen nicht gelungen ist, die einmalige stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Jahre 2000 zu einer dauerhaften Reduzierung seines Übergewichtes zu nutzen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger an einer erheblichen schlafbezogenen Atemregulationsstörung mit Obstruktion der extrathorakalen Atemwege und fortbestehender Tagesmüdigkeit leidet. Dieser Aspekt wird in dem von der Beklagten herangezogenen internistischen Gutachten von Dr. S nicht hinreichend gewürdigt, obwohl er ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte der Klinik Ambrock eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers in seinem Beruf als Busfahrer bedingt.

Nach alledem erscheint es im vorliegenden Fall nicht als angemessen, den Kläger mit dem Argument einer vermeintlich sparsamen Verwendung von Versichertengeldern abzuweisen. Für die Versichertengemeinschaft wäre es erheblich kostenaufwendiger, wenn sich seine erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in einer rentenberechtigenden Erwerbsminderung niederschlügen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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