S 29 AS 124/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 124/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 08.11.2005 vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach Maßgabe des Gesetzes ohne Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn A, die ihr zustehende Regelleistung und den Mehrbedarf für Alleinerziehende aber nur in Höhe von 70 %, bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren; längstens jedoch bis zum 31.03.2006 oder, sobald eine davon früher eintritt, bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2005 oder bis zur Bestandskraft eines den Leistungszeitraum vom 01.12.2005 bis 31.03.2006 regelnden Bescheides.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn A und damit über die Höhe des der Antragstellerin zustehenden Arbeitslosengeldes II.

Mit ihrem seit August 2003 getrennt lebenden Ehemann, Herrn T1 hat die Antragstellerin drei gemeinsame Kinder im Alter von 3, 6 und 9 Jahren. Zum 01.08.2004 mietete die Antragstellerin die heutige Wohnung an und bezog sie mit ihren Kindern. Herr A unterhielt zu dieser Zeit eine Wohnung in I (Hessen). Zum 01.09.2004 mietete er ein Zimmer im Hause der Eltern der Antragstellerin an. Seit dem 01.01.2005 bezieht die Antragstellerin gemeinsam mit ihren Kindern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Am 21.01.2005 wurde der Stadt T2 durch Dritte zugetragen, dass die Antragstellerin mit Herrn A in Haushaltsgemeinschaft leben solle. Im Februar 2005 gab Herr A seine Wohnung in I auf. Am 15.04.2005 suchte der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin die Antragstellerin auf. Eine Wohnungsbesichtigung war nicht möglich, da diese sich ausgesperrt hatte. Bei einem erneuten Besuch durch den Ermittlungsdienst am 18.04.2005 war das Klingelschild der Antragstellerin um den Namen A ergänzt, es standen Umzugskartons in der Wohnung und die Antragstellerin gab an, sich nach dem Besuch vom 15.04.2005 entschlossen zu haben, "für klare Verhältnisse zu sorgen", Herr A sei gerade im Einzug begriffen. In einer Veränderungsanzeige vom selben Tage gab die Antragstellerin an, Herr A sei zum 15.04.2005 eingezogen. Mit Änderungsbescheid vom 18.04.2005 kürzte die Antragsgegnerin die bereits bis zum 31.05.2005 bewilligten Leistungen unter Anrechnung des Einkommens des Herrn A seit dem 15.04.2005. Mit Bescheid vom 02.06.2005 bewilligte die Antragsgegnerin einer Bedarfsgemeinschaft aus der Antragstellerin, ihren drei Kindern und Herrn A für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis 30.11.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Anrechnung des Einkommens des Herrn A. Als Bedarf der Antragstellerin wurde eine Regelleistung in Höhe von 311,- Euro sowie 1/5 der Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Herr A unterstütze sie und die Kinder in keinster Weise. Er trage lediglich 1/5 der Mietkosten. Dies begründe er damit, dass er Schulden bezahlen müsse und seine wirtschaftliche Selbständigkeit erhalten wolle. Eine eheähnliche Gemeinschaft liege nicht vor, sie und Herr A seien weiterhin wirtschaftlich eigenständig. Es bestehe eine "Liebschaft" ohne weitere gegenseitige Verantwortungsübernahme. Dem Widerspruch lag eine Erklärung des Herrn A bei, dass er lediglich bereit sei, 1/5 der Mietkosten zu tragen. Auf einem Fragebogen der Antragsgegnerin gab die Antragstellerin an, es bestünden keine gemeinsamen Versicherungen oder Konten, auch gegenseitige Kontovollmachten seien nicht erteilt worden und gemeinsame Umzüge seien bislang nicht erfolgt. Durch Änderungsbescheide vom 15.06.2005, 18.08.2005, 10.10.2005 und 09.11.2005 reagierte die Antragsgegnerin auf Änderungen bei den den Kindern der Antragstellerin gewährten Unterhaltsleistungen. Zudem überprüfte sie, dass das Einkommen des Herrn A ausschließlich bei der Antragstellerin und nicht bei deren Kindern Anrechnung fand. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2005 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.06.2005 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.06.2005, 18.08.2005, 10.10.2005 und 09.11.2005 zurück. Es liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor, so dass das Einkommen des Herrn A bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Am 11.11.2005 hat die Antragstellerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie trägt vor, während des Einzuges des Herrn A sei ein Kontrolleur der Antragsgegnerin in der Wohnung gewesen. Dieser habe sie dazu angehalten, eine "Lebensgemeinschaft" anzumelden, da sonst rechtliche Folgen zu befürchten seien. Dies habe sie unter Anleitung der Bediensteten der Antragsgegnerin getan. Gegen die Änderung der Leistungshöhe ab 15.04.2005 habe sie zunächst keinen Widerspruch eingelegt, da ihr bei der Antragsgegnerin der Eindruck vermittelt worden sei, es müsse so sein. Von einer "eheähnlichen Gemeinschaft" könne nicht gesprochen werden, ihre Kinder betreue und erziehe sie alleine. Durch die lange Bearbeitungszeit sei ihre finanzielle Situation höchst bedenklich. Sie schaffe es nur mühsam, die Miete zu bezahlen. Es sei ihr auch unmöglich, ihre Kinder für den bevorstehenden Winter einzukleiden. In den Monaten, in denen der Abschlag für Strom fällig sei, fehle es auch am Geld für Lebensmittel.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

ihr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Anrechnung des Einkommens des Herrn A zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie trägt vor, für eine innere Bindung im Sinne einer eheähnlichen Gemeinschaft spreche der Umstand, dass die Antragstellerin ihr Verhältnis zu Herrn A als "Liebschaft" beschreibe. Wenn in einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau Liebe eine Rolle spiele und diese Beziehung in einer gemeinsamen Wohnung gelebt werde, handele es sich unzweifelhaft um eine Lebensgemeinschaft, die sich durch eine so enge innere Bindung auszeichne, dass ein gegenseitiges Einstehen im Falle der Not erwartet werden könne. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass Herr A vor dem Einzug in die gemeinsame Wohnung bereits im Haushalt der Eltern der Antragstellerin in einem Schwiegersohn-Schwiegereltern-Dasein gelebt habe. Die Äußerung am 18.04.2005 "für klare Verhältnisse" sorgen zu wollen, könne nur als ein Öffentlichmachen dessen verstanden werden, dass zwischen der Antragstellerin und Herrn A eine so enge – eheähnliche – Verbindung bestehe, wie sie üblicherweise in einer gemeinsamen Wohnung gelebt werde. Zudem führe Herr A seit dem Einzug in die gemeinsame Wohnung zu einem erheblichen Teil die gemeinsame Korrespondenz mit der Antragsgegnerin. Besonders wesentlich sei zudem, die Versorgung dreier Kinder in dem gemeinsamen Haushalt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im tenorierten Umfange Erfolg. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein Anspruch (sogenannter Anordnungsanspruch) zusteht, dessen vorläufige Durchsetzung dringlich ist (sogenannter Anordnungsgrund). Die vorläufige Befriedigung des Anspruchs anzuordnen kommt dabei aber nur in Betracht, wenn dem Antragsteller sonst unzumutbare Nachteile entstünden (Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005, AZ: L 9 B 6/05 SO ER). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die eingeschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtschutzverfahren (LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2005, AZ: L 12 B 14/05 AS ER). Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rdnr. 157).

Diese Voraussetzungen liegen hier im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vor.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Letzterer ist identisch mit dem geltend gemachten materiellen Anspruch. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach § 19 i. V. m. den §§ 20, 21 Abs. 3 Nr. 1 und 22 SGB II in Höhe von 345,- Euro Regelleistung, 124,- Euro Alleinerziehenden-Mehrbedarf und einem Fünftel der für die Wohnung anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung erscheint hier begründet. Auch von der Antragsgegnerin wird anerkannt, dass die Antragstellerin dem Grunde nach eine erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne der §§ 7 und 9 SGB II ist. Zu ermitteln ist nur, in welchem Grade sie hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Über eigenes anrechnungsfähiges Einkommen und Vermögen verfügt die Antragstellerin nicht. Nach § 9 Abs. 2 SGB II ist jedoch auch im Falle einer Bedarfsgemeinschaft das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Partner ist nach § 7 Abs. 3 Nr. 3b die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Es kann dahinstehen, in welcher Höhe Herr A Einkommen erzielt, denn er lebt nach summarischer Prüfung mit der Antragstellerin nicht in eheähnlicher Gemeinschaft.

Eine eheähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen. Es muss sich um eine über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft handeln. Davon ist nur auszugehen, wenn die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Sie müssen sich so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden. Ob dies der Fall ist, kann nur durch ein Gesamtwürdigung aller Umstände ermittelt werden. Besonders bedeutsame Indizien sind eine lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17.11.1992, AZ: 1 BvL 8/87). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs durch die Antragstellerin dürfe nicht überspannt werden, da für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft die Antragsgegnerin beweispflichtig ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005, AZ: L 9 B 6/05 SO ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.04.2005, AZ: L 2 B 9/05 AS ER).

Das Gericht betrachtet es als erwiesen, dass zwischen der Antragstellerin und dem Zeugen A eine Wohn- und Zweckgemeinschaft, die auch persönliche Beziehungen einschließt, besteht. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, insbesondere in den Notfällen des Lebens, vermag das Gericht derzeit jedoch nicht zu erkennen. Wechselseitige Einflussmöglichkeiten auf die Vermögenssphäre des jeweils anderen vermochte auch die Antragsgegnerin nicht vorzutragen. Auch die Länge des Zusammenlebens spricht eher gegen das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Zwar ist hier von keiner starren zeitlichen Grenze im Sinne einer Mindestdauer des Zusammenlebens auszugehen und die Antragsgegnerin stellt zutreffend auch auf die Intensität der Bekanntschaft vor dem tatsächlichen Zusammenziehen ab, doch ergeben sich hieraus im Falle der Antragstellerin und des Herrn A keine Anhaltspunkte für eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Das unmittelbare Zusammenleben erfolgt erst seit kurzem. Selbst wenn die Antragstellerin und Herr A nicht erst am 15.04.2005 zusammengezogen sein sollten, sondern schon zum Zeitpunkt des ersten Hinweises an die Antragsgegnerin im Januar 2005 – wogegen die Umzugskartons im April 2005 sprächen -, würde das Zusammenleben bislang noch nicht einmal ein Jahr dauern. Welcher Art die wechselseitigen Beziehungen im Zeitpunkt der Anmietung eines Zimmers durch Herrn A im Hause der Eltern der Antragstellerin waren, hat die Antragsgegnerin nicht einmal versucht zu ermitteln. Selbst bei Einbeziehung dieser Zeiten läge noch keine besondere Dauer der Beziehung vor. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Antragstellerin nach wie vor verheiratet ist und auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erst seit zwei Jahren und drei Monaten von ihrem Ehemann getrennt lebt. Soweit die Antragsgegnerin auf die Versorgung dreier Kinder in dem gemeinsamen Haushalt abstellt, vermag das Gericht in diesem Einzelfall dem keine besondere Bedeutung beizumessen. Zwar spricht die Entscheidung auch mit Kindern des Anderen die Wohnung zu teilen für einen gewissen Grad an Bereitschaft, sich selbst einzuschränken. Doch ist nicht ersichtlich, dass Herr A bislang an der Erziehung der Kinder teilnimmt. Es erscheint auch fraglich, in welchem Umfange er dies überhaupt könnte, da Kinder regelmäßig eine gewisse Zeit brauchen, sich auf einen neuen Mitbewohner einzustellen und zu diesem Vertrauen zu fassen. Zudem ist auch nicht bekannt, inwiefern noch starke Bindungen zum leiblichen Vater entgegenstehen. Auch den übrigen Annahmen der Antragsgegnerin vermag sich das Gericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht anzuschließen. Insbesondere kann das Gericht aus der Verwendung des Wortes "Liebschaft" gerade nicht schließen, dass der Beziehung eine besondere Intensität innewohne. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird dieses Wort gerade verwendet, um eine Beziehung von einer echten Liebesbeziehung abzugrenzen und zu verdeutlichen, dass es an Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Beziehung fehle. Allenfalls mag der Begriff ausdrücken, dass in der Beziehung auch Gefühle eine Rolle spielen. Dies kann aber wenn überhaupt eine notwendige, nicht jedoch eine hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft sein. Gerade nicht jede Paarbeziehung stellt eine eheähnliche Gemeinschaft dar. Vielmehr muss ein gewisser Grad an Selbstaufgabe im Sinne des Zurückstellens eigener Bedürfnisse hinzukommen. Auch aus der Äußerung "für klare Verhältnisse" zu sorgen, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts nichts anderes. Diese deutet allenfalls darauf hin, dass - wie durch die Veränderungsmitteilung auch erfolgt - der Einzug von Herrn A in den Haushalt öffentlich gemacht werden sollte; möglicherweise noch, dass eine Paarbeziehung zwischen der Antragstellerin und diesem vorliegt. Ob diese dann weitergehend auch als eheähnliche Gemeinschaft anzusehen ist, wird ein juristischer Laie kaum kundtun wollen, da er diesen Begriff regelmäßig weder verwendet, noch dessen Vorliegen zu beurteilen vermag. Auch der Einschaltung von Herrn A in die Korrespondenz mit der Antragsgegnerin kann keine besondere Bedeutung zu kommen. Hat ihn doch die Antragsgegnerin selbst als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin eingestuft und ihren Bescheiden somit auch rechtliche Wirkung gegenüber Herrn A beigemessen.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit der Durchsetzung ihres Begehens glaubhaft gemacht. Die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, ist ihr nicht zumutbar. Die Antragsgegnerin räumt durch Bewilligung von Leistungen auch nach Berücksichtigung des Einkommens des Herrn A selbst ein, dass die Verhältnisse im Haushalt der Antragstellerin finanziell sehr beengt sind. Dann aber ist es nachvollziehbar, dass bei ausbleiben einer Unterstützung seitens Herrn A die von der Antragsgegnerin bewilligten Leistungen nicht zur Bedarfsdeckung der Antragstellerin hinreichen. Eine erhebliche Bedarfsunterdeckung ergibt sich schon alleine aus dem Wegfall des Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von 124,- Euro im Monat. Die Beschreibung ihrer finanziellen Situation durch die Antragstellerin ist nachvollziehbar.

Dem Gericht ist Ermessen eingeräumt hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Entscheidung, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO. Die Erfüllung des materiellen Anspruchs scheidet wegen der dem vorläufigen Rechtschutz immanenten Zielrichtung allerdings grundsätzlich aus. Dessen Ziel ist es, Nachteile für die Beteiligten durch lange Verfahrensdauern in der Hauptsache zu verhindern. Ausnahmen vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache sind nur möglich, bei sonst unzumutbaren, namentlich existenziellen bzw. irreparablen Nachteilen (Rechtsvereitelung) für den Antragsteller d.h. wenn nur so effektiver Rechtschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gewährt werden kann. Zwar liegt bei einer vorläufigen Gewährung von Geldleistungen keine echte Vorwegnahme der Hauptsache vor. Können Vermögensalden doch unproblematisch im Nachhinein durch Rückzahlungen bereinigt werden. Doch ist in diesen Fällen regelmäßig von einer faktischen Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen. Denn angesichts der begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Hilfebedürftigen nach dem SGB II, werden Rückzahlungsansprüche des Leistungsträgers regelmäßig nicht in vollem Umfange zu verwirklichen sein. Das Gericht folgt der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, wonach im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen regelmäßig nicht in voller Höhe des Regelsatzes zu gewähren sind, da dieser auch Beträge enthält, die für das Leben nicht unerlässlich sind (Beschlüsse des OVG NRW vom 01.06.1988, AZ: 8 B 1057/88 und 10.05.2002, AZ: 12 B 423/02). Hiervon abzuweichen, um eine Gleichstellung der Antragsteller im Falle des § 86b Abs. 2 SGG mit denen, die nach § 86b Abs. 1 die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs begehren (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2005, AZ: L 19 B 33/05 AS ER), hält das Gericht nicht für sachgerecht. Hierbei würde der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Formen einstweiligen Rechtschutzes verkannt. In den Fällen des § 86b Abs. 1 SGG kommt dem Vertrauensschutz im Hinblick auf eine bereits erfolgte Bewilligung ungleich höhere Bedeutung zu, als wenn im Falle des § 86b Abs. 2 SGG eine (erneute) Bewilligung begehrt wird und der Antragsteller mit einer ergebnisoffenen Prüfung zu rechnen hat. Bezüglich der Höhe der zuzusprechenden Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung, orientiert sich das Gericht an der Wertung des § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II. Zwar handelt es sich bei dem § 31 SGB II um eine Sanktionsnorm, doch enthält der Absatz 3 Satz 3 dieser Norm die eindeutige Wertung, dass so lange 70 % der Regelleistung zur Verfügung stehen, nach Vorstellung des Gesetzgebers keinesfalls eine solche Notlage eintreten könnte, die die ergänzende Gewährung von Sachleistungen erforderlich mache. Dies knüpft sich nach Ansicht des Gerichts auch nahtlos an die bisherige Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht NRW an. Die von diesem regelmäßig nur zuerkannten 80 % der Regelleistung gingen von einem wesentlich geringeren Regelsatz aus. Zum 01.01.2005 wurden die Regelsätze um Ansparbeträge erhöht. Auf diese kann vorübergehend verzichtet werden. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Gericht eine Beschränkung auch von Kindern auf 70 % des Regelsatzes wegen der bei diesen geringer ausgeprägten Möglichkeit, ihre Bedarfe hintenan zu stellen, und deren besonderer Schutzwürdigkeit im Sinne von Art. 6 Grundgesetz nicht für zulässig hält. Eine solche droht hier aber nicht, da die Antragsgegnerin bisher das Einkommen des Herrn A ausschließlich bei der Antragstellerin bedarfsmindernd berücksichtigt hat. Hinsichtlich des Mehrbedarfs für Alleinerziehende hält das Gericht eine vorübergehende Beschränkung auf 70 % für zumutbar, da der Mehrbedarf einen Anspruch der Antragstellerin darstellt und nur mittelbar den Kindern zu Gute kommt. Bezüglich der anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung ist der volle Betrag zu gewähren, da diese Ausgaben sich jeder Einflussnahme der Antragstellerin entziehen und bei mehrmonatiger nicht vollständiger Zahlung der Miete die vermieterseitige Kündigung droht.

Die zeitliche Beschränkung der Entscheidung folgt aus der vorläufigen Natur des einstweiligen Rechtschutzes. Endgültig zu entscheiden sind Streitigkeiten im Hauptsacheverfahren. Zudem mögen sich auch im April 2006 die Verhältnisse im Haushalt der Antragstellerin nach einem Zusammenleben mit Herrn A von dann zumindest einem Jahr Dauer so geändert haben, dass eine andere rechtliche Bewertung erfolgen könnte. Die Beschränkung auch bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2005 ist erforderlich, da noch ungewiss ist, ob es überhaupt zu einem Hauptsacheverfahren kommt, denn bei dem Gericht ist bislang keine diesbezügliche Klage anhängig. Das Gericht weist darauf hin, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Klage nicht ersetzen kann. Ebenso muss die vorläufige Regelung zurücktreten, soweit sie für Folgezeiträume vom 01.12.2005 bis 31.03.2006 Leistungen zuspricht, falls diesbezügliche Bescheide der Antragsgegnerin bestandskräftig werden sollten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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