S 9 RA 4299/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 4299/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Das Verfahren wird ausgesetzt. 2. Dem Europäischen Gerichtshof wird folgende Frage vorgelegt: Ist die Bestimmung des Anhang VI. D. (früher C.) Deutschland Nr. 1 zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) mit höherrangigem Europarecht, insbesondere dem Freizügigkeitsgebot - hier: dem Leistungsexportgebot des Artikel 42 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) - vereinbar, soweit er auch die Leistung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ausschließt?

Sachverhalt:

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin nach deren Umzug nach Spanien bzw. Großbritannien Altersrente auch aus so genannten Reichsgebiets-Beitragszeiten zu zahlen hat. Die am XXXXXXX 1923 in P./Polen (damals P./Deutsches Reich) geborene Klägerin, die deutsche Staatsangehörige ist, lebte seit Ende 1946 im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Seit dem XXXXXXX 1988 bezieht sie von der Beklagten Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Berechnung dieser Rente lagen neben Pflichtbeitragszeiten für Beschäftigungen im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland und Kindererziehungszeiten zunächst auch glaubhaft gemachte Pflichtbeitragszeiten nach der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) für die Zeit vom 1. April 1937 bis 1. Februar 1945 für Tätigkeiten im Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 zu Grunde. Am 28. Mai 2001 teilte der Sohn der Klägerin dem Rentenservice in Augsburg mit, dass die Klägerin ab 1. Juli 2001 in Spanien leben würde. Mit Schreiben vom 29. Juni 2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Rentenzahlung zu Ende Juni 2001 eingestellt habe. Gleichzeitig bat sie um Angabe, wo die Beitragszeiten für die Zeit vom 1. April 1937 bis 31. Dezember 1946 zurückgelegt worden seien. Mit Schreiben vom 24. Juli 2001 teilte der Sohn der Klägerin mit, dass die Klägerin in der Zeit von 1937 bis 1939 eine zweijährige Lehre zur "Hauswirtschafterin" auf einem Bauernhof in "S. bei P." (richtig: S. bei P., heute Z. bei P.) absolviert habe und in der Zeit von 1939 bis 1940 in der Küche eines Gutshofes in S. (polnischer Name nicht bekannt) bei P. (P.) gearbeitet habe und von 1940 bis 1943 als Hausmädchen auf dem Gut von Frau B.t in "P." (vermutlich richtig: P., heute P. bei S. (heute S.). Von 1943 bis Kriegsende sei die Klägerin bei der Bahnhofsverwaltung in "S." (richtig: S., heute S.) beschäftigt gewesen. 1944 seien die Arbeiterinnen der Bahnhofsabteilung nach H. (heute S. O.) an der polnischen Grenze verlegt worden, um Verteidigungsgräben auszuheben. Die Abteilung sei dann mit der herannahenden Front rückwärts weiterhin mit dem Bau von Verteidigungsanlagen beschäftigt gewesen. Dies habe bis zum Kriegsende angehalten und habe in Schwerin geendet. Ende 1946 sei die Klägerin aus der sowjetischen Besatzungszone nach G. geflohen. Hier habe sie in den Trümmern gearbeitet, aber bis Ende 1946 keine Anstellung gefunden. Mit Bescheid vom 24. August 2001 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 29. Juni 1988 für die Zeit ab 1. September 2001 auf. Sie führte aus, dass die Voraussetzungen des § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) erfüllt seien, da die Klägerin sich seit dem 24. Juni 2001 gewöhnlich in Spanien aufhalte. Die Zahlung der Rente in der bisherigen Höhe sei während des Auslandsaufenthaltes auf Grund der gesetzlichen Vorschriften nicht möglich, da neben Beitragszeiten im heutigen Bundesgebiet auch solche außerhalb dieses Gebietes zurückgelegt worden seien. Der Versicherungsverlauf sei zu aktualisieren. Ab 1. Juli 2001 würde ein Vorschuss in Höhe von 830,00 DM gezahlt werden. Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2001 legte der Bevollmächtigte der Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und wandte sich gegen die Kürzung der Rente auf Grund der Nichtberücksichtigung der Reichsgebiets-Beitragszeiten. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2001 stellte die Beklagte die Regelaltersrente der Klägerin ab 1. Juli 2001 neu fest. Die zu berücksichtigenden Entgeltpunkte verringerten sich um 5,6553 auf 20,1335, was einer Rentenminderung um 143,15 EUR monatlich entspricht. Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 7. Januar 2002 Widerspruch ein. Nach mehrfachen Ermahnungen des Bevollmächtigten auf Bescheidung der Widersprüche erhob er am 17. Mai 2002 Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Berlin (Verfahren S 2 RA 3406/02). Mit Schreiben vom 31. März 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass vor Erteilung eines Bescheides, der in Rechte eines Beteiligten eingreife, eine Anhörung zu erfolgen habe. Diese sei vorliegend versäumt worden, werde nun jedoch nachgeholt. Es wurde der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich zu der Entscheidung und den erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Klägerin mit Bescheid vom 29. Juni 1988 auf die mögliche Verringerung der Rentenzahlung bei Auslandsaufenthalt hingewiesen worden sei. Die Klägerin hätte sich vor Verzug über die Auswirkungen auf die Rentenzahlung informieren müssen. Die Voraussetzungen der Aufhebung der Rente ab Änderung der Verhältnisse seien daher gegeben. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2003 äußerte sich der Bevollmächtigte der Klägerin zu der Anhörung. Er führte aus, dass und aus welchen Gründen die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Weiter trug er vor, die Kürzung der Rente wegen des Auslandsaufenthaltes verstoße eindeutig gegen Grundrechte, da hier die Rente eines Deutschen, der Zeit seines Lebens auf dem Gebiet dieses Staates seinen Wohnsitz gehabt habe und seine Rentenanwartschaften durch Beitragszahlungen in die jeweilige Rentenkasse dieses Staates erworben habe, ohne nachvollziehbaren Grund gekürzt werden solle. Mit Bescheid vom 14. Juli 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt b und c der Gerichtsakten verwiesen. Mit der am 9. August 2003 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Vorschriften der §§ 113, 114 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI), auf die sich die Beklagte beziehe, insoweit verfassungswidrig seien, als sie einem im Ausland wohnenden berechtigten Deutschen nur eine Rente zugestünden, die sich aus Beitragszeiten berechneten, die auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik zurückgelegt worden seien. Berechtigte Deutsche seien auch solche Personen, die vor 1949 geboren worden seien und vor 1949 als Deutsche Rentenversicherungsbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung des ehemaligen Deutschen Reiches eingezahlt hätten. Diese vor 1949 eingezahlten Versicherungsbeiträge in die reichsgesetzliche Rentenversicherung auszuklammern, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und stelle einen enteignungsgleichen Eingriff in die rechtmäßig erworbenen Rechte der Klägerin dar. Die Klägerin sei in P. / Pommern geboren. Pommern habe zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin zum Deutschen Reich in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen von 1937, und zwar seit Gründung des Reiches, gehört, zuvor habe Pommern zum Königreich Preußen gehört. Damit stehe fest, dass die Klägerin nicht als Auslandsdeutsche betrachtet werden könne. Die Klägerin habe das Gebiet des Deutschen Reiches zu keinem Zeitpunkt verlassen, sondern habe vor und während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland gearbeitet und Versicherungszeiten in der reichsgesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Diese Beitragszeiten könnten und dürften nicht in Wegfall geraten, nur weil die Klägerin im Alter einen Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland genommen habe. Da die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien genommen habe, verstoße die Regelung der §§ 113, 114 SGB VI auch gegen EU-Recht. Schließlich genössen alle Bürger der Europäischen Union Freizügigkeit im gesamten Gebiet der Staatengemeinschaft, und damit habe die Klägerin ein verbürgtes Recht, ihren Wohnsitz auch in Spanien nehmen zu können. Dieses Recht auf Freizügigkeit innerhalb des gesamten Gebietes der Europäischen Union dürfe nicht durch Bestimmungen wie die der §§ 113, 114 SGB VI eingeschränkt werden, in dem ein Bürger, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehme, finanziell benachteiligt werde. Die Gründe, weswegen die Klägerin nach Spanien verzogen seien, seien im Prinzip nachrangig und spielten als solche keine Rolle, sie sollten jedoch erwähnt werden um darzulegen, dass die Klägerin nicht nach Spanien verzogen sei, um dort ihre reichliche Rente unter südlicher Sonne zu verprassen, sondern dass es hierfür handfeste persönliche und vor allem gesundheitliche Gründe gegeben habe, die darin zu sehen seien, dass die unter verschiedenen Krankheiten leidende Klägerin sich aus Alters- und Gesundheitsgründen veranlasst gesehen habe, im Alter von 78 Jahren zu einem ihrer beiden Söhne zu ziehen. Da ihr anderer Sohn selber krank sei, sei sie zu ihrem zweiten Sohn gezogen, der in G. gearbeitet habe. Durch die finanzielle Benachteiligung, die sich aus den §§ 113, 114 SGB VI ergebe, werde das Recht auf Freizügigkeit und das Recht aller EU-Bürger, in einem beliebigen Staat der Europäischen Union den gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, in unzulässiger Weise eingeschränkt. Damit verstießen diese Regelungen gegen übergeordnetes EU-Recht. Im Übrigen verstoße die Regelung auch gegen die Verfassung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf den Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 7. August 2003 verwiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. September 2005 hat die Beklagte ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die Neufeststellung der Rente (ohne die Reichsgebiets-Beitragszeiten) nicht auch für die Vergangenheit, sondern erst für die Zukunft, d.h. für die Zeit ab Zugang des Änderungsbescheides, also für die Zeit ab 1. September 2001, vorzunehmen ist. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Die Klägerin beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 24. August 2001 und 27. Dezember 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2003 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie verweist auf ihren Widerspruchsbescheid. Zusätzlich hat sie ausgeführt, dass die einschränkenden Vorschriften über die Berücksichtigung von Entgeltpunkten für Reichsgebiets-Beitragszeiten (ebenso Fremdrentenzeiten) beim Auslandstransfer nicht gegen Verfassungsrecht verstießen. Nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichtes als auch des Bundessozialgerichts sei weder eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz (GG) noch des Gleichheitssatzes des Artikel 3 GG gegeben. Zwar genössen auch Anwartschaften auf Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung den Schutz der Eigentumsgarantie, jedoch nur, soweit sie auf Beiträgen beruhten, die im Bundesgebiet entrichtet worden seien und den Rentenversicherungsträgern tatsächlich zugeflossen seien. Nach der Rechtsprechung gelte dies jedoch nicht für die Fremdrenten- und Reichsgebiets-Beitragszeiten, da es sich bei der Berücksichtigung derartiger Zeiten bei der Rentenberechnung lediglich um die Bewältigung von Kriegsfolgen und damit um eine staatliche Fürsorgeleistung handele, die auf dem Eingliederungsprinzip beruhe. Ebenfalls sei kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gegeben, da der Gesetzgeber die Zahlung von Renten, die u. a. auf Fremdrenten- und Reichsgebiets-Beitragszeiten beruhten, im Rahmen der mit der Kriegsfolgenbeseitigung verbundenen sehr weiten Gestaltungsfreiheit begrenzen dürfe. Eine Korrektur der Beschränkung des Auslandstransfers von Entgeltpunkten für Reichsgebiets-Beitragszeiten könne auch nicht durch die Gleichstellung der Person nach Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gewährt werden, da auf Grund der Gesetzessystematik der § 113, 114 SGB VI kein personenbezogener, sondern ein territorialer Vorbehalt normiert sei. Auch bei einem deutschen Staatsangehörigen könnten beim gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat des EWR keine Entgeltpunkte für FRG- und Reichsgebiets-Beitragszeiten berücksichtigt werden. Das Gericht hat eine Anfrage an die Beklagte dahingehend gestellt, ob sie angesichts der Tatsache, dass die Gebiete, in denen die in Rede stehenden Reichsgebiets-Beitragszeiten zurückgelegt worden seien, seit dem 1. Mai 2004 zur Europäischen Union gehörten, ihre Entscheidung aufrecht erhalte. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2004 hat die Beklagte diese Frage bejaht. Das Gericht hat eine weitere Anfrage an die Beklagte dahingestellt gestellt, ob für die Zeit ab 1. Mai 2004, also dem Zeitpunkt des Beitritts Polens zur Europäischen Union (EU) ein Anspruch der Klägerin auf Rentenzahlung aus der polnischen Rentenversicherung in Betracht komme. Dies hat das für die rentenrechtlichen Beziehungen mit Polen zuständige Dezernat der Beklagten mit Schriftsatz vom 16. September 2005 verneint. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 46 der Gerichtsakten verwiesen. Die Klägerin ist am 1. Juni 2004 nach Großbritannien verzogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die Akten der Beklagten die Klägerin betreffend haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe:

Das Gericht legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die im Tenor genannte Rechtsfrage zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) zur Vorabentscheidung vor, da sie im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist.

Sofern die Bestimmungen im Anhang VI D. Deutschland Nr. 1 zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind, hätte die Beklagte die Rente der Klägerin nach dem Verzug nach Spanien (und später nach Großbritannien) zu Unrecht ohne die im ehemals deutschen Pommern zurückgelegten Reichsgebiets-Beitragszeiten festgestellt.

Nach den anzuwendenden deutschen Rechtsvorschriften können Renten, soweit sie auf Reichsgebiets-Beitragszeiten beruhen, nicht in das Ausland gezahlt werden. Nach deutschem Recht ergibt sich durch den Verzug nach Spanien bzw. Großbritannien folgende Rechtslage: Es ist eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) eingetreten. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Änderung in den Verhältnissen ist wesentlich, weil gemäß den §§ 110 Abs. 2, 113 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) eine Zahlung aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ins Ausland ausgeschlossen ist. § 110 Abs. 2 SGB VI lautet: Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

§ 113 Abs. 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten werden ermittelt aus 1. Entgeltpunkten für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 2. dem Leistungszuschlag für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 3. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich oder Rentensplitting unter Ehegatten, 4. Abschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich oder Rentensplitting, soweit sie auf Bundesgebiets-Beitragszeiten entfallen, 5. Zuschlägen aus Zahlungen von Beiträgen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters oder bei Abfindung von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, 6. Zuschlägen an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung, 7. zusätzlichen Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus nicht gemäß einer Vereinbarung über flexible Arbeitszeitregelungen verwendeten Wertguthaben, 8. Zuschlägen an Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten und 9. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters.

Bundesgebiets-Beitragszeiten sind Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden sind, und die diesen im 5. Kapitel gleichgestellten Beitragszeiten.

Die von der Klägerin im ehemals deutschen Pommern zurückgelegten Beitragszeiten sind den Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht gleichgestellt. Nach § 271 SGB VI sind Bundesgebiets-Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den vor dem 9. Mai 1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen

1. Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Inland oder 2. freiwillige Beiträge für die Zeit des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland oder außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze

gezahlt worden sind. Kindererziehungszeiten sind Bundesgebiets-Beitragszeiten, wenn die Erziehung des Kindes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da die Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung nicht im Inland gezahlt worden sind, sondern im jetzigen Ausland, nämlich in Polen.

In den Genuss der Vergünstigung des § 272 SGB VI kommt die Klägerin nicht, da sie nicht vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen hat. § 272 Absatz 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten, die die Staatsangehörigkeit eines Staates haben, in dem die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 anzuwenden ist, die vor dem 19. Mai 1950 geboren sind und vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen haben, werden zusätzlich ermittelt aus 1. Entgeltpunkten für Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz, begrenzt auf die Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 2. – 4. ( ).

§ 272 Abs. 3 Satz 1 SGB VI lautet: Zu den Entgeltpunkten von Berechtigten im Sinne von Absatz 1, die auf die Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten begrenzt zu berücksichtigen sind, gehören auch Reichsgebiets-Beitragszeiten.

Auch aus § 110 Abs. 3 SGB VI ergibt sich nichts anderes. § 110 SGB VI lautet:

1. Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

2. Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

3. Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

Es ist nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt im Sinne des Absatzes 3 des § 110 SGB VI, da sich im Anhang VI D. (früher C.) Deutschland Nr. 1 EWGV 1408/71 eine das Exportgebot des Art. 10 EWGV 1408/71 einschränkende Bestimmung findet. Nach dieser Vorschrift berührt Artikel 10 der Verordnung nicht die Rechtsvorschriften, nach denen aus Unfällen (Berufskrankheiten) und Zeiten, die außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt sind, Leistungen an Berechtigte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden.

Es gilt für die Klägerin auch nicht das so genannte "Rentnerprivileg" des § 98 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Trotzdem seit einer Rechtsänderung zum 1. Januar 2001 für eine Neufeststellung der Rente das Recht anzuwenden ist, das bei Erstfeststellung der Rente anzuwenden war (§ 300 Abs. 3 SGB VI), hat der Gesetzgeber die Anwendung des alten Rechts für den Fall ausgeschlossen, dass ein Verzug ins Ausland erfolgt (§ 317 Abs. 2 a SGB VI).

Sofern also die Bestimmung des Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 zum EWGV 1408/71 rechtmäßig ist, hätte die Beklagte die Neufeststellung der Rente ohne die Reichsgebiets-Beitragszeiten zu Recht vorgenommen.

Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Normen mit höherrangigem Recht ergeben sich aus dem in Artikel 42 EGVtr normierten Recht auf Freizügigkeit, hier dem Leistungsexportgebot. Zu dem hierdurch geschützten Personenkreis gehören nicht nur die Arbeitnehmer im engeren Sinn, sondern auch Rentner, d.h. ehemalige Arbeitnehmer, vorausgesetzt, sie werden durch ein gesetzliches Sozialversicherungssystem erfasst (vgl. Langer in: Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 42 EGVtr, Randziffer(Rz) 11 mit weiteren Nachweisen; Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00 R- Aktenzeichen des EuGH: C-156/02-, JURIS-Ausdruck S.6). Weiterhin ist es für die Anwendung der EWGV 1408/71 nicht notwendig, dass ein Wechsel von einem Mitgliedsstaat zu einem anderen aus beruflichen Gründen stattgefunden hat (Langer in Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 42 EG Rz 13).

Es könnte hier insbesondere ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 EWGV 1408/71, der den Koordinierungsauftrag des Art 42 lit b) EGVtr einlösen soll, vorliegen. Nach Art 10 Abs. 1 Satz 1 EWGV 1408/71 dürfen die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder , auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten Anspruch erworben worden ist, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Der Ausschluss der Zahlung der Rente in andere Mitgliedsstaaten, der durch die Vorschrift des Anhang VI, D. Deutschland Nr. 1 EWGV 1408/71 bewirkt wird, wird nach Auffassung der Kammer nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht in den sachlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 fällt. Der sachliche Geltungsbereich ist in Art. 4 EWGV 1408/71 festgelegt. Diese Vorschrift lautet:

1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen: a) –b) ( ) c) Leistungen bei Alter d) –h) ( ) 2) Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme, nach denen die Arbeitgeber, einschließlich der Reeder, zu Leistungen gemäß Absatz 1 verpflichtet sind. 2 a) Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden b) oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind. 2 b) Diese Verordnung gilt nicht für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaates beschränkt ist. 3) ( ) (4) Diese Verordnung ist weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden.

Nach Auffassung der Kammer fällt die Rente, auch wenn in ihr Reichsgebiets-Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, unter das System der Leistungen bei Alter und an Hinterbliebene im Sinne des Art. 4 Abs. 1 c und d EWGV 1408/71 (so auch Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00 R, Jurisauszug Seite 6, 7, das allerdings nicht zwischen Fremdrentenzeiten und Reichsgebiets-Beitragszeiten differenziert, obwohl auch dort Reichsgebiets-Beitragszeiten in Streit gewesen sein dürften). Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Erklärung gemäß Art. 5 EWGV 1408/71 (All. Nr. C 210 vom 5. September 2003) unter I. 3. a) das Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch vom 18. Dezember 1989 als Rechtsvorschriften und Systeme im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EWGV Nr. 1408/71 benannt hat. Die Berücksichtigung der Reichsgebiets-Beitragszeiten bei der Rentenberechnung ergibt sich jedoch aus einer Vorschrift dieses Gesetzes, nämlich aus § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Diese Vorschrift lautet: Beitragszeiten sind auch Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Hat ein Mitgliedsstaat in einer Erklärung gemäß Art. 5 EWGV 1408/71 eine Rechtsvorschrift genannt, so folgt daraus zwingend, dass die in der Rechtsvorschrift angesprochenen Leistungen solche der sozialen Sicherheit im Sinne der EWGV 1408/71 sind. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dann an ihren Erklärungen festhalten lassen (Fuchs in: Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 5 EWGV 1408/71, Rz 2 mit weiteren Nachweisen).

Selbst wenn man jedoch die Erklärung nach Art. 5 nicht als bindend ansehen und nach dem tatsächlichen Wesen der Leistungen fragen wollte, so wären die Rentenzahlungen aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nach Überzeugung der Kammer jedenfalls keine beitragsunabhängigen Sonderleistungen im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 a EWGV 1408/71, die nicht –bzw. nur in den Ausnahmefällen des Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 – in den Geltungsbereich der genannten Verordnung fallen. Der Grund für die Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten (solange sich der Berechtigte in der Bundesrepublik Deutschland aufhält) liegt gerade in der Tatsache, dass früher Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden bzw., wie im Falle der Klägerin, als gezahlt gelten, weil die Beitragszahlung glaubhaft gemacht wurde. Aus diesem Grund wurden die Reichsgebiets-Beitragszeiten auch bereits mit dem Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I, 93) aus dem Fremdrentenrecht herausgenommen und in die allgemeinen Regelungen, nämlich die Reichsversicherungsordnung (RVO) und das AVG übernommen (§ 1250 RVO und § 27 AVG) und befinden sich auch jetzt in den allgemeinen Regelungen. nämlich dem SGB VI (vgl. Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Anhang Band 1, Vorbemerkung vor § 1 FRG, Rz. 2.13).

Es handelt sich auch deshalb nicht um "beitragsunabhängige Sonderleistungen", weil sie wie die Renten, die auf im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Zeiten beruhen, finanziert werden. Es gilt das Umlageverfahren (§ 153 SGB VI), d.h. die zur Zeit aktiv berufstätigen Versicherten zahlen aus ihren Beiträgen die Renten für diejenigen, die früher Beiträge entrichtet haben. Das bedeutet auch gleichzeitig, dass Leistungen an die Klägerin aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht etwa entschädigungsrechtlichen Charakter hätten, etwa weil die frühere Landesversicherungsanstalt Pommern untergegangen ist. Es kommt nicht darauf an, welches Kapital ein Versicherungsträger früher einmal gesammelt hat und ob dieses eventuell kriegsbedingt verloren gegangen ist. Auch werden die Leistungen, die sich aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ergeben, nicht etwa aus dem Bundeszuschuss (§ 213 SGB VI) finanziert. Dieser gilt zwar als Abgeltung für so genannte "versicherungsfremde Leistungen", wobei außerordentlich umstritten ist, welche Leistungen zu diesen zählen (vgl. Sitte, Alternative Finanzierung der sozialen Sicherung, Soziale Sicherheit 1998, Seite 134, 135; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, München 2000, S.195 ff); regelmäßig werden dabei jedoch nur solche Zeiten genannt (vgl. z. B. Kommentar zur gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben von Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 213, Rz. 4.1, S.17 Mitte), die nicht auf Beiträgen beruhen, wie z. B. die Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI), die u. a. als rentenversicherungsrechtlich relevant berücksichtigt werden, weil –kriegsbedingt- gerade keine Beiträge gezahlt werden konnten. Reichsgebiets-Beitragszeiten fallen auch nicht unter § 291 b SGB VI, nach dem der Bund den Trägern der Rentenversicherung die Aufwendungen für Leistungen nach dem Fremdrentenrecht erstattet, da sie, wie oben erläutert, nicht im Fremdrentengesetz (FRG) geregelt sind.

Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei Leistungen aus reichsgebietsrechtlichen Zeiten auch nicht um Leistungen aus einem "Leistungssystem für Opfer des Krieges und seiner Folgen" i. S. d. Art. 4 Abs. 4 EWGV 1408/71, auf die diese Verordnung nicht anzuwenden ist. Der EuGH hat zwar in den Rechtssachen 79/76 (Fossi, Slg. 1977, 667= SozR 6050 Art 3 EWG-V 1408/71 Nr. 2) und 144/78 (Tinelli, Slg. 1979, 757 = SozR 6050 Allg EWG-V 1408/71) entschieden, dass Leistungen dann nicht als dem Bereich der sozialen Sicherheit zugehörig anzusehen sind, wenn "die seinerzeit zuständigen Versicherungsträger, bei denen die von der betreffenden Vorschrift erfassten Personen versichert waren, nicht mehr bestehen oder sich außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland befinden, da ferner die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Härtefälle mildern sollen, die durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, da schließlich die Zahlung der streitigen Leistungen an die eigenen Staatsangehörigen Ermessenssache ist, wenn diese im Ausland wohnen". Im Rahmen dieses Rechtsstreits hatte die Bundesregierung eine Stellungnahme abgegeben, die betont hatte, dass die Fremdrentengesetzgebung bezweckt habe, die Flüchtlinge und Vertriebenen, die mit ihrer Arbeit zum Wiederaufbau in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen hätten, nach den mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Ereignissen wiedereinzugliedern (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979, Az. 144/78, Tinelli, SozR Allg EWGV 1408/71 Nr. 1, S.3). Die Kammer hat starke Bedenken bezüglich des dort gefundenen Ergebnisses und der gegebenen Begründung. Zunächst handelt es sich hier, wie oben bereits aufgezeigt, nicht um einen Fremdrentenfall; es ist nach Auffassung der Kammer zu differenzieren zwischen Fremdrentenzeiten, die auf der Berücksichtigung von Beitragszeiten in einem fremden, d.h. nichtdeutschen System zurückgelegt wurden und Reichsgebiets-Beitragszeiten, bei denen Beiträge an einen deutschen Träger entrichtet wurden. Dass es sich bei Zahlungen aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, wie sie die Klägerin zurückgelegt hat, nicht um eine Leistung für Opfer des Krieges und seiner Folgen handeln kann zeigt schon die Tatsache, dass diese Zeiten, dächte man den Krieg hinweg, genauso behandelt werden würden, wie sie jetzt behandelt werden (solange sich der Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland aufhält), d.h. ihre Anerkennung als Beitragszeiten beruht nicht auf der Tatsache, dass der Krieg stattgefunden hat, sondern eben darauf, dass Beiträge gezahlt wurden. Weiter kann auch das Argument, dass sich der seinerzeit zuständige Versicherungsträger, bei dem die von der betreffenden Vorschrift erfassten Personen versichert waren nicht mehr besteht, kein Argument für die Annahme einer Kriegfolgeleistung sein, weil die Beiträge, die in den früheren Reichsgebieten zu der damaligen Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) gezahlt wurden, genauso behandelt werden. Die RfA ist zwar auch nicht mehr existent, sie hatte ihren Sitz jedoch in Berlin, also auf dem Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland, und ihr Vermögen (z. B. die Grundstücke und Verwaltungsgebäude) ist in das Eigentum der jetzigen Beklagten, also der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (ab 1. Oktober 2005: Deutsche Rentenversicherung Bund) übergegangen. Die RfA ist aber nicht nur für diejenigen Versicherten untergegangen, die in den ehemaligen Ostgebieten lebten, sondern auch für diejenigen, die bei ihr versichert waren und im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland lebten. Der zuletzt genannte Personenkreis kann aber in ein EU –Land verziehen, ohne dass seine Rente gekürzt wird.

Der EuGH hat auch in seiner späteren Rechtsprechung (vgl. die zusammenfassende Übersicht bei Fuchs in: Fuchs(Hg.) Europäisches Sozialrecht, Art. 4 EWGV 1408/71, Rz 40 folgende) stärker auf den Zweck der Bestimmung abgestellt. Tut man dies auch bezogen auf den vorliegenden Fall, kommt man nach Auffassung der Kammer zu dem Ergebnis, dass es sich bei Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht um eine Leistung aus einem Leistungssystem für Opfer des Krieges handelt.

Das Gericht kann auch keine sonstige Rechtfertigung für die Einschränkung des Leistungsexportgebotes durch Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 erkennen. Der EuGH hat zwar schon solche Einschränkungen zugelassen (vgl. z.B Urteil vom 2. Mai 1990, Rs. C- 293/88 Winter-Lutzins, Slg. 1990 I-1623 = SozR 3-6050 Art 10 Nr 1). Die Kammer versteht dieses Urteil so, dass eine einschränkende Wohnortklausel dann zulässig sein kann, wenn ein Bezug der Leistung nur zum gewährenden Land besteht, der bei Wegzug entfällt (dort das Wohnen in den Niederlanden als einzige Voraussetzung der Leistung). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich. Voraussetzung für die Leistung aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ist, wie oben bereits mehrfach angesprochen, die Zahlung von Beiträgen. Dies hat nicht nur einen Bezug zu Deutschland, bzw. nicht stärker, als die jetzige Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der häufiger erwähnte "Eingliederungsgedanke" (vgl. z.B die oben bereits erwähnte Stellungnahme der Bundesregierung in der Rechtssache Tinelli, Az. 144/78, Slg. 1979, 757= SozR Allg EWG-V 1408/71 Nr. 1) ist für die Kammer kein Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung des Leistungsexportgebotes. Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum mit einer Eingliederung in die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht immer auch gleichzeitig eine Eingliederung in die EU-Gemeinschaft verbunden sein soll, da schließlich auch eine Unionsstaatsbürgerschaft besteht (Art. 17 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft vom 7. Februar 1992 in der Fassung vom 2. Oktober 1997) und der Grundgedanke aller Regelungen der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft die Vorantreibung der europäischen Integration und die Schaffung der Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker ist (vgl. die Präambeln zu dem Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, beide in der Fassung vom 2. Oktober 1997). Erst Recht erscheint eine solche Begründung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gebiet, auf dem die in Rede stehenden Beschäftigungen von der Klägerin zurückgelegt wurden, nämlich ein Teil des Staatsgebiets Polens, seit dem 1. Mai 2004 zur Europäischen Union und zur Europäischen Gemeinschaft gehört, nicht schlüssig.

Es besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Rente aus dem polnischen Rentenversicherungssystem, so dass der Verlust der Leistungen aus den Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht durch einen anderen Anspruch kompensiert wird (vgl. dazu die Stellungnahme des für die rentenrechtlichen Beziehungen mit Polen zuständigen Dezernats der Beklagten vom 16. September 2005, Bl. 46 der Gerichtsakten).

Nach alldem ist die im Tenor unter 2. formulierte Frage entscheidungserheblich.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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