S 14 R 4048/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 4048/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 6. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung zu gewähren.

Die am 1958 geborene Klägerin hat zwischen 1980 und 1983 den Beruf der chemisch-technischen Assistentin (CTA) erlernt und war im Anschluss daran ausschließlich in diesem Beruf tätig. Seit 1992 ist die Klägerin bei einem Wetterdienst beschäftigt. Nach Schließung der Dienststelle H. wurde die Klägerin 1996 von H. zur Dienststelle H. versetzt. Seit 11.11.2002 bsteht Arbeitsunfähigkeit.

Mit Schreiben vom 09.07.2004 wurde ein Antrag auf Kostenüberbahme für eine Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung an die Beklagte gestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin elektrosensibel sei. In der Nähe des Arbeitsplatzes der Klägerin befände sich ein Mobilfunkmast. Die einschlägigen Grenzwerte am Arbeitsplatz seien nicht überschritten. Wenn die Klägerin elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sei, z.B. auch durch Handy-Telefonierer oder andere Mobilfunkmasten, würde der Calziumspiegel der Klägerin rapide absinken. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei aufgrund der Elektrosensibilität erheblich gefährdet.

Die Klägerin beantragte auch beim Arbeitsamt F. die Kostenübernahme für Strahlenschutzkleidung. Der Antrag wurde einschließlich der umfangreichen Unterlagen der Klägerin an die Beklagte weitergeleitet. Nach den Unterlagen der Klägerin habe sie im Jahr 1982 unfallbedingt einen Verlust der Schilddrüse und der Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) erlitten. Seitdem sei eine dauerhafte Substitution u.a. mit Calzium erforderlich. Bis zum August 1996 hätten keine Probleme mit dem Calziumspiegel bestanden. Nach der Versetzung zum H. sei zunehmend eine höhere Calziumsubstitution notwendig geworden. Begleitbeschwerden wie Schmerzen, Erschöpfung und Schwindel seien aufgetreten. Es komme zu Calziumkrisen mit Tatanien (Krampfanfällen). Ursache der Gesundheitsbeschwerden sei die elektromagnetische Strahlung durch den Sendeturm in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes. Darauf befänden sich Mobilfunk-, Rundfunk-, Fernseh- und Richtfunksendeantennen.

Eine medizinische Rehabilitation in der Klinik H. im Januar 2003 habe sie nach sechs Tagen abbrechen müssen, weil der Calziumspiegel entgleist sei. Auf dem Dach der Klinik habe sich eine Mobilfunkanlage befunden. Geschildert werden ferner Einschränkungen im Alltagsleben, etwa beim Einkaufen, beim Restaurantbesuch, bei der Wohnortwahl oder bei Zugfahrten. Wenn Telefonat mit einem Handy oder einem schnurlosen Telefon erfolge, müsse sie flüchten. Aufgrund der massiven Exposition von Hochfrequenzstrahlung am Arbeitsplatz sei sie mit nachhaltigen Folgen für das gesamte Lebensumfeld krank geworden. Mit einem entsprechenden Schutzanzug könne sie an ihrem Arbeitsplatz wieder erwerbstätig sein.

Dem Antrag waren beigefügt Daten zu Calziuminfusionen im Zeitraum ab 2002 und Atteste zu intravenösen Calziuminjektionen, die zum Teil vonseiten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes erfolgten.

Vorgelegt wurden ferner mehrere Bestätigungen behandelnder Ärzte, wonach die Calziumkrisen durch elektromagnetische Strahlenbelastungen verursacht seien. Nach einem Arzt sei auch eine Vorbelastung durch eine Schwermetallintoxikation (Amalgamversorgung der Zähne) vorhanden. Eine Zahnsanierung erfolge derzeit.

Die Klägerin legte weiter unterschiedliche Stellungnahmen verschiedener Einrichtungen und Personen zu den Gefahren des Mobilfunks und den aktuellen Strahlengrenzwerten vor, u.a. - ein Interview mit Prof. Dr. Eckel, dem Vorsitzenden des Ausschusses Umwelt und Gesundheit der Bundeärztekammer aus der Ärzte Zeitung vom 04.10.2000, - den "Freiburger Appell" der interdisziplinären Gesellschaft für Umweltmedizin e.V. vom 09.10.2002, - das Themenpapier Nr. 05/2001 "Elektromagnetische Felder und Gesundheit" des Europäischen Parlaments, Generaldirektion Wissenschaft - Direktion A, STOA-Technikfolgenabschätzung und - eine Mitteilung zu einem Forschungsvorhaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Mit Bescheid vom 05.08.2004 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung ab. Die Schutzkleidung sei nicht erforderlich. Es bestehe keine medizinische Indikation für die Schutzkleidung. Die Störung des Calziumhaushaltes beruhe einzig und allein auf einem erworbenen und bestehenden Hypoparathyreoidismus und sei nicht die Folge von Strahlung. Die bloße Annahme eines derartigen Zuammenhanges sei für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht ausreichend.

Mit Schreiben vom 26.08.2004 wurde Widerspruch eingelegt. Die Schutzkleidung sei für die weitere Berufsausübung dringend notwendig. Die Anfälligkeit der Klägerin für jegliche Strahlung steige. Ob durch eine Gewährung der Leistung ein Präzedenzfall geschaffen werde, sei kein medizinischer Grund für eine Ablehnung der beantragten Leistung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Störung des Calziumhaushaltes beruhe auf dem Hypoparathyreoidismus und sei nicht Folge der Strahlungen, sodass die begehrte Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung nicht zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit diene. Es könne nur der Stand der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzbar gemacht werden und nur anerkannte medizinische Erkenntnisse der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Danach müsse davon ausgegangen werden, dass die begehrte Schutzkleidung nicht zum Erfolg führen werde. Für den Strahlenschutz sei die Strahlenschutzbehörde zuständig, für den Arbeitsschutz im Übrigen der Arbeitgeber. Der Rentenversicherungsträger könne nur Hilfsmittel finanzieren, die eine Behinderung ausgleichen, nicht aber Mittel, die vor schädlichen Arbeitseinflüssen schützen würden. Die begehrte Schutzkleidung sei kein Hilfsmittel, das zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes diene.

Mit Schreiben vom 07.02.2005 wurde Klage erhoben. Zur Begründung wurde auf ein Attest des behandelnden Orthopäden verwiesen, wonach der letzte tetanische Anfall wegen Calziummangels vor sechs Monaten erfolgt sei. Es habe sich eine Besserung ergeben, weil die Klägerin einen Strahlenschutzanzug erhalten habe. Die Klägerin selbst führt an, dass die Kenntnisse der Beklagten veraltet seien. Sie könne sich von Zeit zu Zeit einen Schutzanzug ausleihen, weshalb sich der Calziumspiegel normalisiert habe. Ohne Schutzkleidung könne sie sich jedoch nur dort aufhalten, wo eine Belastung durch elektromagnetische Strahlungen nicht zu befürchten sei. Weiter wurde vorgelegt eine Stellungnahme einer behandelnden Ärztin sowie eine Auswertung ärztlicher Erhebungen in Oberfranken bei 356 Personen zu Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern.

Zur Abklärung der Ursache der Tetanien regte die Beklagte ein endokrinologisches Gutachten an, dem die Klägerin zustimmte. Expositionsversuche mit und ohne Strahlenbelastung lehnte die Klägerin als völlig indiskutabel ab.

Kurz vor der mündlichen Verhandlung wechselten die Klägerbevollmächtigten. Die Klagebegründung wurde dahingehend ergänzt, dass die Beklagte keine Bedenken wegen eines Präzedenzfalles haben müsste, da der vorliegende Fall einzigartig sei. Wegen des Ausbaus des Mobilfunknetzes bestünden die Probleme praktisch an jedem Arbeitsplatz, sodass die generelle Ewrerbsfähigkeit der Klägerin gefährdet oder gemindert sei. Die elektromagnetischen Felder seien aufgrund der Verbreitung der Mobilfunktechnik allgegenwärtig.

Weiter wurde ausgeführt, dass ein offenkundiger Zusammenhang zwischen der Strahlungsbelastung und den Calziumkrisen bestünde. Die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImschV sei kein Beleg für das Fehlen des Kausalzusammenhanges, weil bereits fraglich sei, ob die 26. BImschV Schutz vor Schäden durch nichtthermische Reaktionen gewährleiste. Dies ergebe sich aus der Begründung der Verordnung. Die Klägerin sei gesundheitlich durch den Verlust der Schilddrüsen vorgeschädigt. Es sei wissenschaftlich anerkannt, dass elektromagnetische Felder den Calzium-Ausstrom aus Zellen beeinflussen. Hingewiesen wurde auf entsprechende Versuche mit Zellkulturen. Die Klägerin habe sachverständige Zeugen benannt und umfangreiches Belegmaterial vorgelegt. Nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.02.2004, Az.: V ZR 217/03 komme im Rahmen eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruches der Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte nur die Bedeutung bei, dass die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung indiziert sei. Diese Indizwirkung werde erschüttert, sofern die Klägerin Umstände dargelegt und beweist um den Tatbestand des § 906 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Indizwirkung zu nehmen. Ein Kläger müsse nicht nachweisen, dass eine Beeinträchtigung wesentlich sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2005 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für eine Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Klageakte sowie den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie erweist sich aber als nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung.

Nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um den Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit oder ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder Versicherte möglichst dauerhaft wieder in das Erwerbsleben einzugliedern. Die persönlichen Voraussetzungen sind nach § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder bereits gemindert ist und voraussichtlich durch die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert, wiederhergestellt oder zumindest erhalten werden kann. Nach § 16 SGB VI werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 33 bis 38 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) erbracht.

1.
Ein Anspruch gegen die Beklagte besteht schon deswegen nicht, weil die Beklagte für die begehrte Leistung nicht zuständig ist. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen der begehrten Leistung und der Erwerbstätigkeit der Klägerin.

Bereits der Begriff "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" zeigt, dass die Rentenversicherung nur dann Träger von Leistungen sein kann, wenn die Leistungen final darauf ausgerichtet sind, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu fördern. Dies wird durch die Aufgabenbeschreibung in § 9 Abs. 1 SGB VI bestätigt. Auch die Beschreibung der einzelnen Arten der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in § 33 SGB IX zeigt, dass ein enger innerer Zusammenhang der Leistungen mit der Erwerbstätigkeit bestehen muss.

Der Strahlenschutzanzug wäre der Art nach ein Hilfsmittel nach § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX oder eine technische Arbeitshilfe nach § 33 Abs. 8 Nr. 5 SGB IX. Aus § 33 Abs. 8 Nr. 4 und 5 SGB IX ergibt sich jedoch, dass derartige Hilfsmittel bzw. Arbeitshilfen nur dann förderfähige Leistungen sein können, wenn sie zur Berufsausübung bzw. am Arbeitsplatz erforderlich sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 12.10.1988, Az.: 3 RK 29/87) ist die gesetzliche Rentenversicherung dann zuständiger Träger, wenn ein Hilfsmittel für die konkrete Beschäftigung erforderlich ist. Ist das Hilfsmittel aber zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse notwendig oder um überhaupt eine Tätigkeit ausüben zu können, ist der Rentenversicherungsträger nicht zuständig. Insgesamt muss für eine Zuständigkeit der Rentenversicherung eine berufsbezogene Notwendigkeit für die Leistungen bestehen, d.h. ein innerer Zusammenhang der Leistung mit der Erwerbstätigkeit.

Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Ursächlichkeit elektromagnetischer Strahlung für ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen als zutreffend unterstellt, besteht kein innerer Zusammenhang der beantragten Leistung mit der Erwerbstätigkeit der Klägerin. Wie die Klägerin darlegt, sei sie bei jedweder Form der Lebensgestaltung durch ihre Erkrankung beeinträchtigt. Beim Einkaufen, bei einem Restaurantbesuch, bei einer Fahrt mit dem Zug, kurz in allen Lebensbereichen sei sie von der elektromagnetischen Strahlung beeinträchtigt. Auch zur mündlichen Verhandlung am 06.12.2005 hat die Klägerin einen Strahlenschutzanzug getragen. In der letzten Klagebegründung wird ausgeführt, dass die elektromagnetischen Felder aufgrund der Verbreitung der Mobilfunktechnik allgegenwärtig seien. Diese Einschätzung ist zutreffend: Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage vom 11.10.2004 (Bundestags-Drucksache 15/3906) befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland 70.884 Mobilfunkbasisstationen. Damit ist ein Strahlenschutzanzug keine Leistung, die für die konkrete Erwerbstätigkeit der Klägerin erforderlich wäre. Es würde sich vielmehr nach dem Vortrag der Klägerin um ein Hilfsmittel handeln, das zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse in allen Lebenslagen notwenig wäre. Damit ist aber eine Zuständigkeit der Beklagten als Trägerin von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeschlossen.

Ein innerer Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit der Klägerin wird auch nicht durch den Sendeturm in der Nähe des Arbeitsplatzes geschaffen. Dieser Sendeturm hat mit der Erwerbstätigkeit selbst nichts zu tun, er befindet sich zufällig in der Nähe des Arbeitsplatzes. Der Träger der Rentenversicherung ist nicht dafür zuständig, zufällige Umgebungseinflüsse abzuwehren.

Zur Verdeutlichung der fehlenden Zuständigkeit der Beklagten wird auf folgende Beispiele hingewiesen: Wenn Düsenflugzeuge den Arbeitsplatz überfliegen und dadurch besonderen Lärm verursachen würden, wäre der Träger der Rentenversicherung nicht verpflichtet, für Lärmschutz (z.B. Schallschutzfenster am Arbeitsplatz) zu sorgen. Wenn aufgrund einer Stoffwechselerkrankung eine besondere teure Diät erforderlich wäre, die mittelbar auch dazu dienen würde, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, wäre der Träger der Rentenversicherung nicht verpflichtet, diese Diät als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bezahlen.

2.
Eine Erfolgsaussicht der begehrten Leistung, d.h. ob der Strahlenschutzanzug die Erwerbsfähigkeit tatsächlich verbessert oder erhält, ist nicht beweisbar. Es besteht lediglich eine Kausalvermutung der Klägerin, dass elektromagentische Strahlung die Calziumkrisen auslöst. Damit fehlt es an der erforderlichen Erfolgsaussicht der begehrten Leistung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.

Die Kausalvermutung der Klägerin und einiger ihrer behandelnden Ärzte beruht auf dem räumlich-zeitlichen Zusammenhang des Arbeitsplatzwechsels von H. zum H. und der nachfolgenden gesundheitlichen Entwicklung. Als weitere Argumente werden der Verlauf der medizinischen Rehabilitation in der Klinik H. und die Besserung des Gesundheitszustandes infolge der leihweisen Benutzung eines Strahlenschutzanzuges vorgebracht.

Diese Kausalvermutungen sind nicht geeignet, die Kausalität der Strahlung für die Gesundheitseinschränkungen und damit eine Erfolgsaussicht der begehrten Leistung zu beweisen. Ein Beweis ist dann gegeben, wenn das Gericht sich die volle Überzeugung von den beweiserheblichen Tatsachen verschafft hat. Erforderlich ist ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. Meyer-Ladewig u.a., Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 118 RdNr. 5). Hiervon kann keine Rede sein.

Es fehlen die wissenschaftlichen Grundlagen für die zentrale Frage, ob die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin durch die elektromagnetische Strahlung verursacht oder aufrecht erhalten wird. Die Forschung zur Elektrosensibilität steckt in den "Kinderschuhen". Dies ergibt sich bereits aus den Quellen, die die Kägerin übermittelt hatte:

- Prof. Dr. Heyo Eckel, der Vorsitzende des Ausschusses Um welt und Gesundheit der Bundesärztekammer, führt in dem In terview in der Deutschen Ärzte Zeitung vom 04.10.2000 aus, dass es bislang nur wenige Arbeiten gibt, die sich mit der Folgenabschätzung von gepulster Strahlung durch den Mobilfunk für den Menschen beschäftigen. Dabei handelt es sich vor al lem um tierexperimentielle Studien.

- Das Themenpapier des Europäischen Parlaments Nr. 05/2001 zu elektromagnetischen Feldern und Gesundheit führt insbesondere zur hier einschlägigen Störung des Calziumsspiegels aus, dass man annimmt, dass der Calziumspiegel der Zellen unter elek tromagnetischer Strahlung absinke. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass man diese Wirkung nur vermutet, nicht aber gesichertes Wissen hierzu hat.

- Im Freiburger Appell vom 09.10.2002 werden mehrere Erkrankun gen und mehrere Gesundheitsstörungen aufgeführt. Die im vor liegenden Fall einschlägige Gesundheitsstörung, Calziumkrisen mit Tetanien, ist hier aber gerade nicht aufgeführt.

- Die Berliner Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi zin hat bis Ende 2004 zahlreiche Tests durchgeführt, um Elek trosensibilität bei Testpersonen nachzuweisen. Diese Versuche wurden Ende 2004 wegen Erfolglosigkeit eingestellt.

Lediglich ergänzend wird auf die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zu Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung vom 11.10.2004 (Bundestags-Drucksache 15/3906) verwiesen. Dort hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass es bei Einhaltung der geltenden Grenzwerte nach derzeitigem international anerkanntem wissenschaftlichem Erkenntnissstand keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit gegeben sind. Diese Bewertung beruhe auf den Empfehlungen anerkannter unabhängiger internationaler Fachgremien wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der internationalen Kommission zum Schutz von nichtionisierenden Strahlen (ICNIRP) sowie der Deutschen Strahlenschutzkommission. Einzelne vorliegende Hinweise auf biologische Effekte unterhalb oder in der Nähe der Grenzwerte müssten durch weitere Forschungsanstrengungen geklärt werden.

Im vorliegenden Fall fehlt es nicht nur an den wissenschaftlichen Grundlagen für die Kausalvermutung der Klägerin, es gibt auch mehrere denkbare Alternativursachen für die Gesundheitsprobleme der Klägerin.

Bereits 1982 hat die Klägerin die Schilddrüse und die Nebenschilddrüsen verloren. Die Nebenschilddrüsen produzieren das Parathormon, das den Calziumstoffwechsel steuert. Das Fehlen der Nebenschilddrüsen hat u.a. einen Calziummangel ggf. mit Tetanien zur Folge (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage unter Hypoparathyreoidismus). Es wurde von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt, dass dieser Calziummangel wegen des Fehlens der Nebenschilddrüsen bei ihr besteht. Dies wurde von ihr, den Klägerbevollmächtigten und auch von ihren behandelnden Ärzten als Vorschädigung bezeichnet. Aus diesem Grund wurde seit 1982 Calzium subsituiert. Dazu, dass neben dieser grundlegenden Störung des Calziumhaushaltes die elektromagnetische Strahlung einen wesentlichen Beitrag zu den Calziumkrisen der Klägerin leistet, fehlt es an belastbaren Beweisen. Ein endokrinologisches Gutachten wurde trotz Bereitschaft der Klägerin nicht erstellt, weil der Hypoparathyreoidismus der Klägerin unbestritten vorliegt und ein endokrinologisches Gutachten nicht geeignet wäre, einen Anspruch der Klägerin auf eine Strahlenschutzkleidung zu begründen. Ein Gutachten mit Expositionsversuchen (mit und ohne Strahlenexposition) kam nicht in Betracht, weil die Klägerin dies - aus ihrer Sicht durchaus verständlich - ablehnte und es an den wissenschaftlichen Grundlagen zur Bewertung der Ergebnisse derartiger Versuche fehlt. Die Amtsermittlungspflicht des Gerichtes nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geht nicht weiter als der derzeitige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Auch ein behandelnder Arzt erörtert eine weitere Ursache, die die Ursachenvermutung der Klägerin in Frage stellt. Die Klägerin leide unter einer Schwermetallintoxikation wegen Amalgamfüllungen der Zähne. Es erfolge eine Zahnsanierung. Die Klägerin könnte also auch die Amalgambelastung für ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen verantwortlich machen. Die von der Klägerin zuletzt berichtete deutliche Besserung des Gesundheitszustandes könnte dann auf die mittlerweile erfolgte Zahnsanierung zurückgeführt werden.

Der Klägerbevollmächtigte hat auf das Urteil des BGH vom 13.02.2004, Az.: V ZR 217/03 (NJW 2004, S. 1317) zum Strahlenschutz und der 26. BImschV verwiesen. Hierbei ging es um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen einen Betreiber einer Mobilfunksendeanlage. Dies ist aber eine völlig andere materiell- und prozessrechtliche Situation als im vorliegenden Klageverfahren. Beim zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch geht es um die Frage, ob ein Betroffener von einem Störer, d.h. hier einem Betreiber einer Mobilfunkanlage, ein Unterlassen der Einwirkung verlangen kann. Hier stellt § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit der 26. BImschV eine Beweislastverteilung dergestalt dar, dass die Einhaltung der Grenzwerte ein Indiz für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung ist. Der Störer muss also zunächst nur die Einhaltung der Grenzwerte nachweisen. Wenn aber der Betroffene besondere Umstände des Einzelfalls darlegt und beweist, dass ein wissenschaftlich begründeter Zweifel an der Richtigkeit der festgelegten Grenzwerte und ein fundierter Verdacht einer Gesundheitsgefährdung besteht, dann wird diese Indizwirkung der Einhaltung der Grenzwerte erschüttert. In diesem Fall muss dann der Störer die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung weiter beweisen. Diese Beweislastverteilung ist hier schon deswegen nicht einschlägig, weil die Beklagte nicht Betreiberin von Mobilfunkanlagen ist.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Strahlenschutzanzug gegen die Beklagte hat, weil die Beklagte für eine derartige Leistung nicht zuständig ist und weil es aufgrund des derzeitigen Stands der Wissenschaft keine Beweise für die Verursachung der Gesundheitsprobleme der Klägerin durch die elektromagnetische Strahlung gibt.

Abschließend sei auf Folgendes hingewiesen: Die Klägerin hat auch bei der Agentur für Arbeit, der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Strahlenschutzkleidung gestellt. Sie geht davon aus, dass irgendein Träger der Sozialversicherung für diese Leistung zuständig sein muss. Angesichts der langjährigen Arbeitsunfähigkeit und der überschaubaren Kosten für einen derartigen Strahlenschutzanzug (nach Angaben der Klägerin rund 2.400 EUR) ist zu bedenken, dass einerseits die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis im Hinblick auf eine Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Strahlung nicht nur den Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger betreffen und dass andererseits durchaus Bedarfssituationen bestehen können, für die kein Sozialversicherungsträger die Kosten übernehmen muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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