L 2 U 17/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 171/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 17/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Verfahren für eine Anerkennung einer nicht „gelisteten“ Berufskrankheit im „Sonderentscheidverfahren“ sah in § 6 Abs. 2 BKVO-DDR die Anerkennung auf Vorschlag der Obergutachterkommission für Berufskrankheiten beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin vor.
Die schriftlich begründeten Vorschläge der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten zur Anerkennung von Berufskrankheiten im Sonderentscheidverfahren (BKSE) gemäß § 2 BKVO waren vom Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), Abt. Sozialversicherung, zu bestätigen und damit rechtskräftig. Bei Einsprüchen im BK-Verfahren waren Bezirksbeschwerdekommissionen für Sozialversicherung des FDGB letzte Instanz.
2. Der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten waren hinsichtlich der an die haftungsausfüllende Kausalität zu stellenden Anforderungen keine rechtlichen Vorgaben gemacht. Die Obergutachtenkommission entwickelte vielmehr selbst Kriterien und Hinweise für die Anerkennung von Berufskrankheiten. Letztlich konnte die Obergutachtenkommission auf der Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Beachtung der von ihr selbst aufgrund von Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen entwickelten Kriterien eine Einzelfallentscheidung treffen.
3. Das Berufskrankheitsrecht kannte expressis verbis keine Unterscheidung zwischen dem Versicherungsprinzip und dem Antragsprinzip, sondern war im Grunde in beide Richtungen auslegbar. In aller Regel galt aber das Versicherungsprinzip. Es mussten also zum Zeitpunkt der Erkrankung – gegebenenfalls auch rückblickend – nachweislich ausreichende Kenntnisse zur Kausalität vorhanden sein, und dies natürlich sowohl für Listen-BK´s als auch solche, die als BKSE zu behandeln waren. Die Informationen, welche den ursächli-chen Zusammenhang zwischen angeschuldigtem Schadfaktor und versicherungspflichtiger Arbeitstätigkeit mit Wahrscheinlichkeit nahe legen sollten, waren Forschungsberichten, aktuellen Einzelpublikationen, Standardwerken der Fachliteratur und eigenen Erfahrungen zu entnehmen und entsprechend dem jeweiligen Schwierigkeitsgrad der Fragestellung vom Gutachter durch die Fundstellen zu belegen.
4. Eine exakte Definition, wann eine wesentliche Verursachung vorlag, existierte im DDR-Recht nicht. Nach § 2 Abs. 2 BKVO/DDR mussten die als BK Sonderentscheid anzuerkennenden Krankheiten durch arbeitsbedingte Einflüsse entstanden sein. Nach der einschlägigen DDR-Literatur wurden „Erkrankungen, für deren Entstehen mit mehr oder we-niger Wahrscheinlichkeit berufsbedingte Faktoren als wesentlich mitwirkende Ursachen verantwortlich zu machen“ waren als BK Sonderentscheid anerkannt.
5. Zum Kausalzusammenhang zwischen beruflich verursachtem Rauch und koronarer Herzkrankheit mit zwei Herzinfarkten bei Vorliegen einer anlagebedingten Fettstoffwechselstörung.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 01.11.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 22.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1998 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 zurückzunehmen, festzustellen, dass die beim Kläger vorliegende koronare Herzerkrankung mit den Herzinfarkten im Juli 1987 und Dezember 1989 eine Berufskrank-heit Sonderentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR darstellt und dem Kläger deswegen vom 01.01.1993 bis zum 20.06.1994 eine Verletzten-rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H., vom 21.06.1994 bis zum 08.04.1999 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H., vom 09.04.1999 bis zum 10.07.2000 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v.H. und vom 11.07.2000 bis zum 10.07.2001 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu gewähren ist. III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beim Kläger vorliegende koronare Herzkrankheit als Berufskrankheit (BK) anzuerkennen und ihm deswegen eine Verletztenrente zu gewäh-ren ist.

Der am 1924 geborene Kläger, dessen Vater im Alter von 46 Jahren an einem Herzinfarkt und dessen Mutter 74-jährig an einem Schlaganfall verstarben, war vom 01.06.1952 bis 31.12.1955 als Praktikant und Hilfsexperte, vom 01.01.1956 bis 30.09.1967 als Tabakex-perte, vom 01.10.1967 bis 31.12.1969 als Produktionsleiter und vom 01.01.1970 bis zum 30.06.1989 als Abteilungsleiter Tabakexperten im VEB T. D. tätig. Zu seinen beruflichen Aufgaben zählte die Qualitätsprüfung von Rohstoffen und Tabakerzeugnissen. Dazu muss-ten sowohl Schnitttabake als auch Zigaretten geraucht werden, deren Nikotingehalt gegen-über handelsüblichen Zigaretten teilweise wesentlich erhöht war. Während seiner Tätigkeiten als Tabakexperte, Produktionsleiter und Abteilungsleiter Ta-bakexperten arbeitete der Kläger pro Arbeitsjahr etwa 6 ½ Monate in seinem Beschäfti-gungsbetrieb in D., hielt sich etwa 4 Monate im Ausland und etwa 2 Wochen/Jahr auf Messen auf. Während seiner Tätigkeit in Dresden nahm der Kläger - bis zu seinem ersten Herzinfarkt - täglich an zwei- bis dreistündigen Verrauchungen teil, bei denen bis zu 20 Muster, vor Messen und in quartalsweise stattfindenden Expertenkollektivsitzungen bis zu 30 Muster geraucht wurden. Bei jeder Zigarette wurden nur 3 bis 10 Züge genommen. Nach der Einschätzung des Klägers habe er während seiner Tätigkeit in D. durchschnittlich die 8 ganzen Zigaretten entsprechende Menge und während seiner Auslandsaufenthalte die 5 ganzen Zigaretten entsprechende Menge/Tag geraucht.

Zudem war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit einer Passivrauchbelastung ausgesetzt. In seinem Beschäftigungsbetrieb in D. stand dem Kläger zusammen mit 3 bis 4 anderen Tabakexperten nur ein Arbeitsraum zur Verfügung, in dem auch die täglichen Verrauchungen durchgeführt wurden. Darüber hinaus wurde über den gesamten Arbeitstag hinweg in diesem Zimmer geraucht, da alle in dem Raum tätigen Mitarbeiter neben den gemeinsamen Verrauchungen auch noch eigenständig Verrauchungen zur Entwicklung der Tabakmischungen vornahmen. Der Kläger selbst schätzt die tägliche Passivrauchbelastung bei seiner Tätigkeit in Dresden auf 7 bis 8 Stunden und während seiner Auslandsaufenthal-te auf bis zu 12 Stunden täglich.

Zu den privaten Rauchgewohnheiten des Klägers existieren verschiedene Äußerungen. Nach den Angaben des Sächsischen Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin habe der Kläger bis 1987 privat etwa 20 Zigaretten/Tag geraucht. Im Widerspruchsverfah-ren legte der Kläger dar, bis 1982 privat etwa 5 bis 8 Zigaretten täglich geraucht zu haben. In seinem Schreiben vom 27.06.1999 gab er an, er habe von 1946 bis 1987 etwa 5 Zigaret-ten täglich geraucht. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG führte der Kläger aus, seine "privaten" Zigaretten überwiegend während der Arbeitszeit geraucht zu haben. Als "private" Zigaretten hätten er und seine Kollegen alle Zigaretten bezeichnet, für die sie kein Ergebnisprotokoll erstellen mussten. Um bei den nachmittäglichen gemeinsamen Verrauchungen über die Zusammenstellung von Tabakmischungen entscheiden zu können, habe man sich "Einrauchen" müssen, um die Geschmacksnerven zu stimulieren. Deshalb habe er bereits am Vormittag ein paar Zigaretten geraucht, um sich auf die Verrauchung am Nachmittag vorzubereiten. Außerhalb seiner Arbeitszeit habe er so gut wie überhaupt nicht geraucht, höchstens einmal in Gesellschaft.

Der Kläger erlitt am 27.07.1987 einen Herzinfarkt (Hinterwandinfarkt) und am 13.12.1989 einen Reinfarkt.

Am 04.02.1991 beantragte er die Anerkennung seines Herzschadens als BK. Das Staatli-che Gewerbeaufsichtsamt Dresden vermochte es in seiner Stellungnahme vom 25.10.1991 nicht auszuschließen, dass die berufliche Nikotinexposition neben weiteren möglichen Ur-sachen (metabolisches Syndrom; familiäre Disposition) wesentliche Teilursache der Herzerkrankung des Klägers sei.

Auf Veranlassung der Beklagten haben daraufhin die Kardiologen Chefarzt Dr. A. und Assistenzärztin W., II. Medizinische Klinik des Krankenhauses D., am 22.12.1992 nach Untersuchung des Klägers ein Gutachten erstellt. Neben dem Rauchen seien auch Hyper-cholesterinämie (erhöhte Konzentration von Cholesterin im Blut), arterieller Bluthoch-druck, Diabetes, Hyperurikämie (erhöhte Harnsäurekonzentration im Blut) und starkes Übergewicht als Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit zu nennen. Herzinfarkte träten bei Rauchern zwei- bis dreimal häufiger als bei Nichtrauchern auf; das Infarktrisiko korreliere mit der Anzahl der gerauchten Zigaretten. Die berufliche Belastung des Klägers durch Rauchen und Passivrauchen sei eine Teilursache für seine kardiovaskuläre Erkran-kung. Allerdings sei das Rauchen nur schwer in seiner isolierten Bedeutung für das Risiko, an einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken, abzuschätzen. Im Falle des Klägers sei-en als weitere Risikofaktoren erhöhte Triglyzeride (erhöhte Blutfettwerte) und psychosozi-aler Stress (häufige Auslandsaufenthalte, Handelsmessen) zu berücksichtigen; jedoch sei die Verbindung zwischen psychosozialem Stress und koronarer Herzkrankheit nicht be-wiesen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Infarkthäufigkeit auch bei Nichtrauchern im Alter zwischen 60 und 80 Jahren hoch sei. Eine BK gemäß § 551 Abs. 2 RVO liege – wegen des Vorhandenseins weiterer Risikofaktoren – nicht vor.

Der Gewerbearzt Dr. J. schloss sich dem gutachterlichen Urteil an und empfahl, eine BK abzulehnen.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung der beim Kläger eingetretenen Herzinfarkte als BK und die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Bescheid vom 26.03.1993 ab. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der Erkrankung sei nicht nachgewiesen. Sie stützte sich auf das eingeholte Gutachten und die gewerbeärztliche Stellungnahme. Auf den Widerspruch des Klägers nahm Dr. J. noch-mals gewerbeärztlich Stellung. Im Gutachten sowie in seiner gewerbeärztlichen Stellung-nahme werde der Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und dem Entstehen einer koronaren Herzkrankheit einerseits und dem beruflichen Rauchen und der Erkrankung als Teilursache andererseits durchaus anerkannt. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung müsse, wenn nicht beweisbar, zumindest hinreichend wahr-scheinlich sein. Der Gutachter habe das berufliche Rauchen lediglich als eine von mehre-ren möglichen Teilursachen der Erkrankung angesehen. Die Klärung der Frage, ob das berufliche Rauchen neben den anderen beim Kläger vorliegenden Risikofaktoren ausrei-chend sei, eine berufliche Entstehung der koronaren Herzkrankheit hinreichend bzw. mit hoher Sicherheit wahrscheinlich zu machen, sei nur durch einen kardiologisch sehr erfah-renen Internisten möglich. Er schlug eine erneute Begutachtung vor.

Daraufhin fertigten auf Veranlassung der Beklagten Prof. Dr. L., Direktor, und der Ar-beitsmediziner St. , Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E., am 20.10.1994 nach Untersuchung des Klägers ein weiteres Gutachten. Beim Kläger liege eine koronare Herzerkrankung sowie eine Hypercholesterinämie und eine Hypertriglyzeridämie vor. Da der Kläger die beruflich gerauchten Zigaretten nie zu Ende geraucht habe, sei der berufliche Zigarettenkonsum mit 5 Zigaretten täglich zu veranschlagen. Die Passivrauch-exposition sei – weil der Raum, in dem geraucht wurde, immer nach dem Rauchen gelüftet wurde – deutlich geringer einzuschätzen als bei einem Arbeitnehmer, der mit einem star-ken Raucher den Arbeitsraum teile. Privat habe der Kläger etwa 40 Jahre lang 6 bis 7 Ziga-retten am Tag geraucht. Die Tatsache, dass der Vater bereits mit 46 Jahren an einem Herz-infarkt verstorben ist, weise auf eine familiäre Disposition zur Koronarsklerose hin. Insge-samt lägen beim Kläger mehrere Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung (beruf-liches und privates Rauchen, familiäre Disposition, Fettstoffwechselstörung und leichter Bluthochdruck) vor. Der Nikotinkonsum sei insgesamt gesehen mäßig gewesen, wobei mehr als die Hälfte des Gesamtkonsums auf Rauchen in der Freizeit entfallen sei. Der Ge-samtzigarettenkonsum sei zwar Cofaktor, nicht aber wesentliche Ursache für die Entste-hung der koronaren Herzerkrankung. Wesentliche Ursache für die Erkrankung sei die auf dem Boden einer familiären Disposition erworbene Fettstoffwechselstörung. Darüber hin-aus sei zu berücksichtigen, dass der Kläger erstmals im Alter von 63 Jahren einen Herzin-farkt erlitten habe, so dass man auch nicht von einem atypisch frühen Manifestationsalter sprechen könne. Eine BK liege nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.1994 zurück.

Am 04.09.1997 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 gemäß § 44 oder § 48 Zehntes Buch Sozialge-setzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Den Bescheiden liege ein falscher Sachverhalt zug-runde. Er habe täglich nicht nur 5 Zigaretten beruflich geraucht, sondern etwa 20, zum Teil noch mehr. Zudem verkenne die Beklagte den Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache, insbesondere sei nicht erforderlich, dass eine Ursache zu mehr als 50 % an der Entstehung einer Erkrankung beteiligt sei, um als wesentliche Ursache anerkannt werden zu können. Vielmehr sei ein mitwirkender Faktor nur dann als rechtlich unwesentlich anzusehen, wenn er von den anderen Faktoren ganz in den Hintergrund gedrängt werde. Nicht berücksichtigt worden sei ferner, dass das Rauchen auch für die Erhöhung der Cholesterin- und Blutfett-werte verantwortlich zu machen sei. Auf der Basis einer Stellungnahme des die Beklagte beratenden Arbeitsmediziners H. vom 31.10.1997 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.01.1998 die Rücknahme des Bescheides vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte sie eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Arbeitsmediziners H. ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1998 zurück.

Sein Begehren hat der Kläger mit der am 26.05.1998 zum Sozialgericht Dresden (SG) er-hobenen Klage weiter verfolgt. Entscheidender als die Anzahl der täglich gerauchten Ziga-retten sei der Zeitraum, über den er beruflich geraucht habe. Darüber hinaus sei das Passiv-rauchen als eigenständiger Risikofaktor für die koronare Herzerkrankung bisher nicht aus-reichend berücksichtigt worden. Zudem sei auch das private Rauchen aufgrund des Sucht-potentials von Zigaretten als berufsbedingt anzusehen. Auch hätten berufliche Motive (Ge-schmackstestung ausländischer Zigaretten) bei seinem privaten Zigarettenkonsum stets eine Rolle gespielt. Ferner sei zur Durchführung seiner beruflichen Tätigkeit ein gewisses Rauchtraining erforderlich gewesen. Daher habe er auch in seiner Freizeit rauchen müssen.

Auf Veranlassung des SG hat die Arbeitsmedizinerin Dr. L., Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin, am 02.06.1999 Stellung genommen. Rauchen sei neben ande-ren Faktoren einer der wesentlichen Risikofaktoren der koronaren Herzkrankheit bzw. des Herzinfarkts. Das Erkrankungsrisiko steige sowohl mit der Menge der täglich konsumier-ten Zigaretten als auch mit der Dauer des Rauchens. Das Rauchen von durchschnittlich 20 Zigaretten am Tag steigere das Krankheits- und Todesrisiko um den Faktor 2 bis 4. Tabak-rauch besitze aber auch bei niedrigen Konzentrationen eine überproportional starke Wir-kung auf das kardiovaskuläre System. Einer Studie zufolge erhöhten bereits 1 bis 4 Ziga-retten täglich das relative Risiko, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken, um den Faktor 2,4.

Prof. Dr. L. hat am 16.12.1999 ergänzend für die Beklagte Stellung genommen. Aufgrund der komplizierten Kausalzusammenhänge sei es nicht einfach, den prozentualen Anteil des Rauchens an der Entstehung einer koronaren Herzerkrankung einzuschätzen. Eine britische Studie habe ergeben, dass in der Altersgruppe der über 60-jährigen Raucher nur 50 % aller Herzinfarkte auf das Rauchen zurückzuführen seien. Unterstelle man – was allerdings rea-litätsfern sei -, dass die koronare Herzerkrankung des Klägers allein durch das Rauchen verursacht worden sei, läge der berufliche Verursachungsanteil bei etwas unter 50 %, da der private Zigarettenkonsum des Klägers den beruflichen leicht überstiegen habe. Somit ergebe sich insgesamt gesehen eine Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung von unter 25 %. Daher sei die Tätigkeit als Tabakexperte nicht als wesentliche Ursache der Herzerkrankung anzusehen.

Prof. Dr. T., Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und molekulare Diagnostik der Universitätsklinik L., hat am 09.02.2001 für das SG ein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Das Rauchen sei ein bedeutender Risikofaktor für ein akutes Ko-ronarsyndrom. Neue Studien zeigten aber auch, dass das Rauchen nicht als singulärer Risi-kofaktor für die Entstehung koronarer Herzerkrankungen verantwortlich gemacht werden könne. Das Rauchen führe in Bezug auf die Entstehung koronarer Herzerkrankungen aber zu einer Verstärkung anderer bedeutsamer kardiovaskulärer Risikofaktoren, wie z. B. Hy-percholesterinämie oder arteriellem Bluthochdruck. Neue Forschungen hätten das Ergebnis erbracht, dass dem Rauchen erst im Zusammenspiel mit weiteren synergistisch wirkenden vaskulären Risikofaktoren, insbesondere Hypercholesterinämie, arteriellem Bluthochdruck und Diabetes mellitus, eine Bedeutung bei der Entstehung koronarer Herzerkrankungen zukomme. Insbesondere die zentrale Rolle erhöhter LDL-Cholesterinwerte für die Entste-hung koronarer Herzkrankheiten stehe außer Frage. Das Risiko, einen akuten Herzinfarkt zu erleiden, steige sowohl mit der Menge der täglich konsumierten Zigaretten als auch mit der Dauer des Zigarettenkonsums. Studien zeigten, dass bereits ein Konsum von weniger als 20 Zigaretten/Tag das Risiko akuter Koronarereignisse bei Frauen deutlich erhöhe, dies gelte insbesondere beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren wie starkem Übergewicht, arte-riellem Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus und hohem Alter. Diese Studien erlaubten jedoch keine Aussage bezüglich des Ursachenzusammenhangs zwischen Rauchen und der Entstehung koronarer Herzerkrankungen. Das Herzinfarktrisiko bei Rau-chern sei auch abhängig vom Lebensalter. Für Raucher im Alter von 30 bis 50 Jahren sei das Herzinfarktrisiko verglichen mit Nichtrauchern fünfmal höher. 50 bis 59-jährige bzw. 60 bis 70-jährige Raucher wiesen jedoch immer noch ein um den Faktor 3 bzw. 2 erhöhtes Risiko auf, einen Herzinfarkt zu erleiden. Dagegen scheine der Schadstoffgehalt einer Zigarette, den vorliegenden Studien zufolge, keinen wesentlichen Einfluss auf die Entste-hung koronarer Herzerkrankungen zu haben. Aufgrund von Studien sei ebenfalls belegt, dass das Passivrauchen ein eigenständiger Risikofaktor für akute Koronarereignisse sei. Das Risiko sei sowohl von der Anzahl der passiv gerauchten Zigaretten als auch von der Expositionsdauer abhängig. Das mit dem Passivrauchen verbundene Risiko sei jedoch deutlich geringer als das eines Aktivrauchers. Beim Kläger lägen als weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren eine Fettstoffwechselstö-rung (erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte), ein arterieller Bluthochdruck, ein deutli-ches Übergewicht sowie eine familiäre Vorbelastung vor, da der Vater des Klägers im Al-ter von 46 Jahren an einem Herzschlag verstorben sei. Zwar sei aufgrund von Studien grundsätzlich nachgewiesen, dass auch erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte auf das Rauchen zurückgeführt werden könnten. Die Tatsache, dass beim Kläger auch nach Jahren der Zigarettenabstinenz wiederholt dramatisch erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte gemessen worden seien, spräche jedoch für eine vom Rauchen unabhängige und am ehes-ten familiär bedingte Fettstoffwechselstörung oder eine sekundäre Dyslipoproteinämie als Folge einer Insulinresistenz (metabolisches Syndrom). Beim Kläger seien in den Jahren 1986 bis 1994 wiederholt erhöhte Blutdruckwerte (1985: 160/90 mm Hg; 02.06.1986: 170/95 mm Hg; 11/1988: 170/90 mm Hg; 07/1994: 160/90 mm Hg) gemessen worden, so dass – trotz der im Jahre 1997 dokumentierten normalen Blutdruckwerte – von einem arte-riellen Bluthochdruck auszugehen sei. Die beim Kläger vorliegenden kardiovaskulären Risikofaktoren erklärten unabhängig von seinem Zigarettenkonsum die Entstehung einer koronaren Herzerkrankung. Dagegen spiele das Rauchen diesbezüglich eine untergeordne-te Rolle. Von sehr viel größerer Bedeutung sei die ausgeprägte Hypercholesterinämie (über 50 %), die arterielle Hypertonie sowie die familiäre Belastung. Zwar könnten diese Risiko-faktoren in ihrer Bedeutung für die Entstehung einer koronaren Herzerkrankung durch das Rauchen potenziert worden sein. Eine genauere prozentuale Quantifizierung des Verursa-chungsanteils sei aufgrund der Komplexität des Sachverhalts aber nicht möglich. Insge-samt gesehen könne das Rauchen im Falle des Klägers aber nicht als wesentliche Bedin-gung der koronaren Herzerkrankung angesehen werden.

Schließlich hat das SG Prof. Dr. T. ergänzend in der mündlichen Verhandlung gehört. Nach seiner medizinischen Erfahrung halte er die Suchtwirkung von Zigaretten für so stark, dass es für den Kläger sehr schwierig gewesen sei, seinen Rauchkonsum auf 2 bis 3 Stunden täglich zu beschränken. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der Suchtwirkung von Zigaretten auch darüber hinaus zur Zigarette greifen musste. Aufgrund einer neuen Meta-Analyse, die mehrere Studien zur Signifikanz des Passivrauchens aus-gewertet habe, sei das relative Risiko für einen Herzinfarkt durch Passivrauchen mit 1,3 zu bewerten. Seiner Auffassung nach sei das Rauchen zwar als Mitursache sowohl für die koronare Herzerkrankung als auch für den Herzinfarkt des Klägers, nicht aber als rechtlich wesentliche Mitursache, anzusehen. Hauptfaktor der Erkrankung des Klägers sei die Fett-stoffwechselstörung. Hätte diese nicht vorgelegen, hätte das Rauchen beim Kläger mit ho-her Wahrscheinlichkeit nicht zur Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung mit an-schließendem Herzinfarkt geführt. Es spreche wesentlich mehr dafür als dagegen, dass es aufgrund der erhöhten Blutfette und des metabolischen Syndroms beim Kläger auch ohne das Rauchen in einem vergleichbaren Zeitraum zu einem Herzinfarkt gekommen wäre. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die erhöhten Blutfettwerte auch teilweise durch das Rauchen mit beeinflusst worden seien. Das als mäßig zu bezeichnende Überge-wicht des Klägers zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarkts sei insofern von Relevanz, als die Kombination erhöhter Triglyceride, erhöhten Cholesterins, erhöhten Blutdrucks und erhöh-ten Körpergewichts ein Erkennungszeichen eines metabolischen Syndroms sei. Es würden sich im Blut hoch gefährliche Fettpartikel bilden, so dass die Patienten ein enorm hohes koronares Risiko auch ohne Rauchen hätten. Patienten mit einem derartigen Syndrom wür-den schon vor dem ersten Herzinfarkt so behandelt, als hätten sie bereits einen Herzinfarkt erlitten.

Das SG hat mit Urteil vom 01.11.2001 die Klage abgewiesen. Auf den vorliegenden Fall sei gemäß § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) das Recht der ehemaligen DDR anzu-wenden, da die Herzerkrankung des Klägers spätestens mit Auftreten des ersten Herzin-farkts im Juli 1987 und damit vor dem 01.01.1992 eingetreten sei und der Kläger diese Erkrankung im Januar 1991 einem ab 01.01.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Trä-ger der Unfallversicherung angezeigt habe. Eine Berufskrankheit im Sinne des Rechts der ehemaligen DDR sei gemäß § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB/DDR) vom 16.06.1997 (GBl. DDR I S. 185 ff.) eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen werde und die in der "Liste der Berufskrankheiten" genannt sei. Eine durch Zigaretten-rauch verursachte Herzerkrankung sei in die Liste der Berufskrankheiten der DDR vom 21.04.1981 (GBl. DDR I 1981 S. 139 ff.) nicht aufgenommen. Gemäß § 2 Abs. 2 der Ver-ordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26.02.1981 (GBl. DDR I S. 137 ff.; BKVO-DDR) könnten im Ausnahmefall aber auch Krankheiten, die nicht in der Liste der Berufskrankheiten genannt sind, als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn sie durch arbeitsbedingte Einflüsse entstanden seien. Nach Auf-fassung des Gerichts handle es sich dabei um keine Ermessensentscheidung des Unfallver-sicherungsträgers; vielmehr sei das Wort "können" in § 2 Abs. 2 BKVO-DDR als Kompe-tenz-"Kann" auszulegen. Aufgrund der beigezogenen medizinischen Unterlagen, insbesondere der Ausführungen von Prof. Dr. T. in der mündlichen Verhandlung, sei die Exposition des Klägers gegenüber Zigarettenrauch zwar als Mitursache, nicht aber als rechtlich wesentliche Ursache seiner Herzerkrankung anzusehen. Damit könne die Herzerkrankung des Klägers nicht als BK anerkannt werden, da es an dem notwendigen Kausalzusammenhang fehle. Aufgrund der glaubhaften Einlassungen des Klägers sowie der ergänzenden Angaben seines ehemaligen Arbeitgebers gehe das Gericht davon aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tä-tigkeit als Tabakexperte arbeitstäglich etwa die 10 bis 16 ganzen Zigaretten entsprechende Menge an Zigaretten geraucht habe und darüber hinaus den Großteil seiner Arbeitszeit einer zusätzlichen Exposition durch Passivrauchen ausgesetzt gewesen sei. Dabei werte das Gericht auch den vom Kläger als "privat" bezeichneten Zigarettenkonsum als beruflich bedingt. Denn aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er seine "privaten" Zigaretten überwiegend während seiner Arbeitszeit als Vorbereitung auf die nachmittäglichen Verrauchungen geraucht habe, bestehe eine so enge Verbindung zur beruflichen Tätigkeit, dass der innere Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit als Tabak-experte zu bejahen sei. Darüber hinaus sei das Suchtpotential von Zigaretten nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. T. so stark, dass es für den Kläger sehr schwierig gewesen sei, seinen Rauchkonsum auf das durch seine berufliche Tätigkeit unbedingt Erforderliche zu reduzieren. Da die Suchtwirkung der Zigaretten durch seine berufliche Tätigkeit bedingt gewesen sei, sei nach Auffassung des Gerichts der ge-samte Zigarettenkonsum des Klägers, also auch die in der Freizeit gerauchten Zigaretten, als beruflich bedingt anzusehen. Aufgrund der übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. A., Prof. Dr. L. und Prof. Dr. T. sehe das Gericht die berufliche Exposition gegenüber Zi-garettenrauch als Mitursache für die Entstehung der Herzerkrankung an. Aufgrund der bei-gezogenen medizinischen Unterlagen stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-keit fest, dass beim Kläger bereits zum Zeitpunkt seines ersten Herzinfarktes ein metaboli-sches Syndrom mit erhöhten Triglycerid- und erhöhten Cholesterinwerten, einem erhöhten Blutdruck und einem mäßigen Übergewicht vorgelegen habe. Zwar hätten Studien gezeigt, dass auch erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte auf das Rauchen zurückgeführt wer-den könnten. Da beim Kläger jedoch noch nach Jahren der Zigarettenabstinenz wiederholt stark erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte gemessen worden seien, gehe das Gericht in Übereinstimmung mit Prof. Dr. T. davon aus, dass beim Kläger bereits vor dem ersten Herzinfarkt eine vom Rauchen unabhängige Fettstoffwechselstörung vorgelegen habe. Aufgrund einer wertenden Abwägung aller für die Entstehung einer Herzerkrankung vor-liegenden Risikofaktoren schließe sich das SG im Ergebnis der Einschätzung der am Ver-fahren beteiligten Sachverständigen an, dass das Rauchen im Falle des Klägers nicht als rechtlich wesentliche Ursache seiner Herzerkrankung anzuerkennen sei.

Gegen das an die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 09.01.2002 abgesandte Urteil haben diese am 24.01.2002 beim SG Berufung eingelegt. Die Berufung ist am 07.02.2002 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen.

Auf Veranlassung des Klägers hat der Chirurg Prof. Dr. H. am 30.09.2002 Stellung ge-nommen. Bei der Beurteilung der Entwicklung der koronaren Herzerkrankung des Klägers und seines Herzinfarkts seien im Wesentlichen folgende ursächliche Faktoren zu berück-sichtigen. Der Nikotinmissbrauch sei die dominierende Ursache für die Entwicklung der Gefäßschädigung und des Herzinfarkts. Ein Übergewicht bedeute stärkere Kreislaufbelas-tung. Gehe man von einer Gewichtsnorm bei Männern (Körpergröße über 100 cm +/- 10 %) aus, könne beim Kläger von einem schädigenden Übergewicht keine Rede sein. Zudem habe beim Kläger auch kein Bluthochdruck vorgelegen. Erhöhte Cholesterinwerte bildeten keinen Risikofaktor für koronare Herzerkrankungen.

Auf Veranlassung des Senats hat Prof. Dr. H., Herzzentrum Dresden GmbH des Universi-tätsklinikums C. D. , am 06.04.2004 ein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Beim Kläger lägen als Risikofaktoren für die Herzerkrankung eine kombinierte Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck, Übergewicht, das Alter und seine Familienanamnese mit Belastung eines Herzinfarkts im mittleren Lebensalter vor. Bereits vor dem ersten Herzinfarkt sei beim Kläger eine Fettstoffwechselstörung (erhöhtes Cholesterin sowie erhöhte Triglyceride) und ein Bluthochdruck (Blutdruckbereich 160 bis 170/90 bis 95 mn Hg) objektiviert worden. Zudem habe beim Kläger zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes bei einer Größe von 1,64 m und 74 kg ein Body-Mass-Index von 28 (leichtes Übergewicht) vorgelegen. Zwar sei das Rauchen als Risikofaktor für die Verursachung der Erkrankung des Klägers medizi-nisch gesichert. Es könne jedoch nicht als singulärer Risikofaktor angesehen werden, führe jedoch zur Verstärkung anderer Risikofaktoren wie der Fettstoffwechselstörung und des Bluthochdrucks. Das Gesamtrisiko ergebe sich aus dem multiplikativen Effekt aller vor-handenen Risikofaktoren. Das Erkrankungsrisiko steige im Zusammenwirken mehrerer Risikofaktoren überadditiv an, da sie in enger Wechselbeziehung stünden. Die berufliche Einwirkung sei beim Kläger in der Summe mehrerer Ursachen mit überadditiver Wirkung lediglich als eine der Mitursachen ohne besondere Wichtung bei der Entstehung oder Ver-schlimmerung der koronaren Herzkrankheit mit Herzinfarkten anzusehen. Eine BK liege nicht vor. Am 22.06.2004 hat Prof. Dr. H. ergänzend Stellung genommen.

Der Kläger hat am 03.04.2004 beantragt, Prof. Dr. H. wegen der Besorgnis der Befangen-heit abzulehnen. Diesen Antrag hat der Senat durch Beschluss vom 31.08.2004 zurückge-wiesen.

Prof. Dr. H2.hat für den Kläger am 12.10.2004 ein Gutachten nach Aktenlage gefertigt. Er hat die in seiner Stellungnahme vom 30.09.2002 geäußerten Auffassungen wiederholt.

Der Arbeitsmediziner Doz. Dr. K. , ehemaliger Vorsitzender der Obergutachtenkommissi-on Berufskrankheiten der DDR, hat am 30.11.2004 auf Veranlassung des Senats ein weite-res Gutachten erstellt. Beim Kläger bestehe als konkurrierende Ursache zu dem Nikotinge-nuss ausschließlich eine Fettstoffwechselstörung. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des ers-ten Herzinfarktes ein Gewicht von 74 kg bei einer Körpergröße von 164 cm gehabt. Dies entspreche einem Body-Mass-Index von 25. Dieser sei grenzwertig am Übergang von normalem zum Übergewicht. Bei Eintritt des Reinfarktes habe der Kläger ein Gewicht von 78 kg gehabt. Der Body-Mass-Index habe 28,0 betragen. Zum Zeitpunkt des ersten Herzin-farktes habe der Kläger folglich nicht an einem Übergewicht und schon gar nicht an einer Adipositas gelitten. Eine arterielle Hypertonie sei nach WHO-Kriterien durch eine Erhö-hung des mittleren arteriellen Blutdrucks auf 160 mm Hg (systolisch) und/oder 95 mm Hg (diastolisch) definiert. Bei systolischen Blutdruckwerten zwischen 140 und 160 mm Hg und/oder diastolischen Werten zwischen 90 und 95 mm Hg spreche man von einer Grenz-wert-Hypertonie. Neuerdings würden auf Vorschlag der WHO (1988) allerdings bereits diastolische Blutdruckwerte von 90 bis 104 mm Hg als milde Hypertonie bezeichnet. Beim Kläger seien zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes bei wiederholten Messungen Blut-druckwerte zwischen 110/70 und 135/80 mm Hg gemessen worden. Lediglich unter ergo-metrischer Belastung sei es zum Anstieg über 200/140 mm Hg gekommen. Folglich habe keine Hypertonie im Sinne der WHO-Definition vorgelegen. Es habe zum Zeitpunkt der Herzinfarkte jedoch bereits eine Fettstoffwechselstörung bestanden. Es existierten sehr umfangreiche epidemiologische und experimentelle Studien, die bewiesen, dass die beiden Lipidfraktionen LDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin eine gegenläufige Wirkung auf-wiesen, in dem ersteres die Arteriosklerose fördere, während letzteres anscheinend sogar eine protektive Eigenschaft im Sinne eines kardiovaskulären Schutzfaktors besitze. Zudem gelte es als weitgehend unbestritten, dass die Entwicklung der koronaren Herzkrankheit maßgeblich von den Ausgangswerten des Gesamtcholesterins und des HDL-Cholesterins sowie der Triglyceride abhänge. Die allgemein akzeptierten Normwertbereiche für die wichtigsten Lipidparameter seien: Gesamtcholesterin 90 bis 200 mg/dl HDL-Cholesterin ) 35 mg/dl LDL-Cholesterin ( 160 mg/dl Triglyceride 50 bis 180 mg/dl. Beim Kläger hätten zum Zeitpunkt des ersten Infarktes folgende Werte vorgelegen: Gesamtcholesterin 363 mg/dl HDL-Cholesterin 33 mg/dl LDH-Cholesterin 291 mg/dl Triglyceride 478 mg/dl. Damit habe eine Lipidstoffwechselstörung erheblichen Ausmaßes bestanden, welche etwa auf ein zweifaches Infarktrisiko gegenüber Probanden mit Normalwerten schließen lasse. Der Zusammenhang zwischen Rauchgewohnheiten und koronarer Herzkrankheit sei be-reits seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt. Heute gehe man bei vorsichti-ger Schätzung davon aus, dass etwa 25 % der Mortalität durch ischämische Herzkrankhei-ten von Männern und 20 % von Frauen auf das Rauchen zurückzuführen seien. Epidemio-logische Studien hätten gezeigt, dass der tägliche Konsum von 20 Zigaretten sowohl das Krankheits- als auch das Todesfallrisiko von Männern und Frauen mittleren Alters um das Zwei- bis Vierfache erhöhe. Es betrage in der Gruppe der 60- bis 70-Jährigen das 2,5-fache gegenüber Nichtrauchern. Beim Vorhandensein weiterer Risikofaktoren, vor allem hoher Cholesterinwerte und/oder Bluthochdruck, steige das Infarktrisiko überadditiv erheblich an. Die Größe des koronaren Herzinfarktrisikos sei neben der Zahl der gerauchten Zigaret-ten und der Dauer des Rauchens auch abhängig vom Alter bei Beginn der Raucherkarriere. Die Rate der Reinfarkte sei bei Rauchern wesentlich höher als bei Nichtrauchern. Nicht abschließend zu beurteilen sei der Faktor des Passivrauchens für die Entwicklung der ko-ronaren Herzkrankheit. Statistisch deute sich bisher ein gering erhöhtes Risiko bis max. 1,3 an. Das Rauchen sei neben der Fettstoffwechselstörung ein unbestrittener Risikofaktor für ko-ronare Herzkrankheiten. Er sei quantitativ beim Kläger allerdings nicht sehr hoch – auch beim Summieren des professionellen und privaten Anteils des Rauchens, welches hier durchaus sinnvoll und geboten erscheine. Es stelle eher ein statistisches Grenzwertrisiko dar, sei aber noch als wesentlich bei der Kausalitätsbetrachtung anzusehen. Entscheidend für die Beantwortung der Kausalitätsfrage sei vorliegend die wissenschaftlich vielfach und sehr eindrucksvoll nachgewiesene überadditive Wirkung beim Zusammentreffen von zwei (oder mehreren) Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit und den Herzinfarkt. Es sei daher versicherungsmedizinisch durchaus wahrscheinlich, dass infolge des Zusammentref-fens des beruflichen mit dem außerberuflichen Risikofaktor das Infarktereignis 1987 her-vorgerufen worden sei. Sowohl das Rauchen als auch das gestörte Lipidprofil seien somit wesentlich für das Zustandekommen der Herzerkrankung. Eine BK liege beim Kläger vor. Die MdE sei entsprechend der Einschätzung von Dr. A. zwischen erstem und zweitem Infarkt mit 50 v. H. zu bewerten. Über die Höhe der MdE nachfolgend sollte ein Kardiolo-ge befragt werden.

Daraufhin hat der Beratungsarzt der Beklagten H. erneut Stellung genommen.

Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger am 12.08.2005 angegeben, er habe im Beru-fungsverfahren von Anfang an auch eine Rente begehrt.

Dr. H. hat auf Veranlassung des Senats am 16.08.2005 geäußert, beim Kläger habe ab 01.01.1991 durchgängig eine MdE von 10 v.H. bestanden.

Am 25.08.2005 hat Doz. Dr. K. für den Senat ergänzend Stellung genommen, bereits Ende 1990 (und auch früher) hätten ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegen, um die Exposition des Klägers - hier die langjährige Degustation von Zigaretten - bezüglich ihres Stellenwertes für die Verursachung der beiden Herzinfarkte begründet beurteilen zu können. Er hat mehrere Literaturquellen angegeben, in denen bereits vor 1990 Erkenntnis-se über eine Kausalität zwischen Rauchen und koronarer Herzkrankheit veröffentlicht wa-ren. Bereits damals hätten auch Erkenntnisse zur Ursächlichkeit von Lipidstoffwechselstö-rungen für koronare Herzkrankheiten vorgelegen. Auch sei bereits in den 1980er Jahren vermutet worden, dass auch genetische Defekte im Ursachenspektrum der ischämischen Herzkrankheit von Bedeutung sein könnten. Bereits vor dem 01.01.1991 sei bekannt gewe-sen, dass Übergewicht einen fördernden Einfluss auf Herz- und Gefäßerkrankungen habe. Überdies sei damals bereits die überadditive Wirkung beim Zusammentreffen von zwei und mehreren Risikofaktoren für die koronare Herzkrankheit bekannt gewesen. Die Übergewichtigkeit habe man in der DDR nicht nach dem Body-Mass-Index, sondern dem Broca-Index ermittelt. Auch bei Anwendung des Broca-Indexes sei das Körperge-wicht des Klägers noch im Grenzbereich zur Adipositas anzusiedeln gewesen. Für ein "metabolisches" Syndrom gäbe es zwei Definitionen: Nach der ersten Definition von David, Wörterbuch der Medizin, 1987, sei das metabolische Syndrom eine Kombina-tion von Fettsucht, Hyperlipoproteinämie, Hypertonie, Diabetes mellitus und Gicht. Nach Leiber, Die klinischen Syndrome, 1996, bezeichne das metabolische Syndrom die Summe der Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komplikationen, bestehend aus androider Fettver-teilung, arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie, Hyperurikä-mie und Glukoseintolleranz bis zum manifesten Diabetes mellitus. Beim Kläger hätten lediglich krankhafte Veränderungen des Fettstoffwechsels (Cholesterin, Triclyceride) vor-gelegen. Alle anderen Faktoren seien lediglich in Andeutung vorhanden gewesen. Ein me-tabolisches Syndrom im Sinne der genannten Definitionen habe daher zum Zeitpunkt der Infarktereignisse nicht vorgelegen. Die gegenteilige Auffassung von Prof. T. sei somit nicht hinreichend begründet. Die Obergutachtenkommission Berufskrankheiten hätte sich bezüglich des vorliegenden Falles mit einer Entscheidung schwer getan. Letztendlich wäre aber wahrscheinlich eine knappe Entscheidung für die Anerkennung im Sonderentscheidverfahren erfolgt, wobei die Begründung in etwa den Ausführungen in seinem Gutachten vom 07.08.2005 entsprochen hätte. Gemäß der Arbeitsordnung der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten sei in strittigen Fällen mit Stimmenmehrheit entschieden worden. Bei Stimmengleichheit habe das Votum des Vorsitzenden den Ausschlag gegeben. Er sei langjähriges Mitglied der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten beim Zent-ralinstitut für Arbeitsmedizin der DDR gewesen. Von 1976 bis 1991 habe er als ihr Vor-sitzender gearbeitet.

Am 14.09.2005 hat Doz. Dr. K. erneut Stellung genommen. Beginnend mit dem Reinfarkt im Dezember 1989 sei für die Dauer eines Jahres bis November 1990 eine MdE von 50 v.H. anzunehmen. Von Dezember 1990 bis zur Untersuchung durch Dr. A. im November 1992 sei eine MdE von 20 v.H. gerechtfertigt. Pectaginöse Beschwerden hätten während dieses Zeitraumes fortbestanden. Die körperliche Belastbarkeit sei eingeschränkt gewesen. Vom Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. A. (12/1992) bis zur Begutachtung durch Prof. L. (06/1994) habe eine leicht eingeschränkte Ejektionsfraktion von 53 % im Echo-kardiogramm mit Narbenbildung und eine Hypokinesie des Herzmuskels vorgelegen. Bei der Ergometrie sei ein Versuchsabbruch bei Belastung bis 100 Watt nach drei Minuten bei ST-Streckensenkung im EKG in mehreren Ableitungen und linksthorakalem Schmerz erfolgt. Die röntgenologische und klinische Untersuchung habe dagegen keine Zeichen der Herzinsuffienz erbracht. Dies gestatte die Einordnung in Stadium II der NYHA-Kriterien und die Einschätzung der MdE mit 30 v.H. Im Zeitraum zwischen der Gutachtenserstel-lung durch Prof. Dr. L. (06/1994) und der Erstellung des Gutachtens durch Prof. H. (09/1996) hätten leichte pectaginöse Beschwerden beim Bergauflaufen bestanden. Bei der Ergometrie sei die Belastung mit 75 Watt durch Zeichen kardialer Minderdurchblutung im EKG sowie Herzrhytmusstörungen limitiert gewesen. Der Röntgenologe habe auf die Ver-kalkung der Koronargefäße hingewiesen. Die MdE habe während dieses Zeitraumes 40 v.H. betragen. Im Zeitraum zwischen der Begutachtung durch Prof. Dr. H. (09/1996) und der Bypassoperation (07/2000) sei eine MdE von 30 bis 40 v.H. anzunehmen. Nach der Bypassoperation sei die MdE für die Dauer eines Jahres mit mindestens 30 v.H. anzuset-zen. Seit Juli 2001 liege keine MdE in rentenberechtigendem Grade mehr vor. Eine Be-fundbesserung sei durch Wiederherstellung der erforderlichen Sauerstoffversorgung des Herzmuskels durch die Bypassoperation erfolgt.

Am 20.09.2005 hat Doz. Dr. K. aufgrund der mit klägerseitigem Schreiben vom 11.09.2005 übersandten Untersuchungsbefunde die MdE-Bewertung abgeändert. Für den Zeitraum von September 1996 bis April 1999 sei die MdE mit 40 v.H. zu bewerten. Von April 1999 bis zur Bypassoperation sei aufgrund der instruktiven Epikrise von Dr. A. we-gen Stenokardien, Intensivbehandlung und dem Ergebnis der Mikroherzkatheteruntersu-chung eine MdE von 60 v.H. gerechtfertigt. Die MdE betrage im Zeitraum von Juli 2000 bis Juli 2001 40 v.H. Nachfolgend habe - dies bestätigten auch die Arztberichte des Kran-kenhauses F. - keine MdE in rentenberechtigendem Grade mehr vorgelegen.

Am 07.10.2005 hat auf Veranlassung der Beklagten der Arbeitsmediziner H. erneut bera-tungsärztlich Stellung genommen. Nach ständiger Rechtsprechung (wohl des BSG) sei ein Kausalzusammenhang zwischen einer schädigenden Einwirkung und dem eingetretenen Schaden nur dann wahrscheinlich im Sinne der Unfallversicherung, wenn durch die schä-digende Einwirkung eine Risikoverdopplung eintrete. Die mit Schreiben der Klägerseite vom 11.09.2005 dokumentierten Befunde belegten ein metabolisches Syndrom. Es habe eine Hyperurikämie mit Zustand nach Gichtanfall, ein Bluthochdruck und ein Diabetes mellitus sowie eine Hypercholesterinämie bestanden.

Am 24.10.2005 hat Doz. Dr. K. erneut Stellung genommen. Die statistische Risikover-dopplung sei zwar der "Goldstandard" der Epidemiologie, um Plausibilität für den Zu-sammenhang zwischen einem angeschuldigten Schadfaktor und einem erwarteten Krank-heitsergebnis reklamieren zu können. Dessen Nichtvorliegen schließe jedoch die bejahen-de Kausalität keinesfalls aus, wenn genügend andere Argumente dafür sprächen. Er hat nochmals auf die Ergebnisse der bisher weltweit repräsentativsten PROCAM-Studie hin-gewiesen, die ein dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, in der Raucher-gruppe gegenüber Nichtrauchern ergeben habe. Bezüglich des metabolischen Syndroms gehe die Beklagte von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Zum Zeitpunkt des ersten Infarktes und zum Zeitpunkt des Reinfarktes habe ein metabolisches Syndrom in der defi-nierten Form nicht vorgelegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 01.11.2001 und den Bescheid der Be-klagten vom 22.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 zurückzu-nehmen, festzustellen, dass die beim Kläger vorliegende koronare Herzerkrankung mit den Herzinfarkten im Juli 1987 und Dezember 1989 eine Berufskrankheit Son-derentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR darstellt und dem Kläger des-wegen vom 01.01.1993 bis zum 20.06.1994 eine Verletztenrente nach einer Min-derung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H., vom 21.06.1994 bis zum 08.04.1999 nach einer MdE von 40 v.H., vom 09.04.1999 bis zum 10.07.2000 nach einer MdE von 60 v.H. und vom 11.07.2000 bis zum 10.07.2001 nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und hilfsweise, ein internistisches Gutachten von Amts wegen einzuholen.

Die Beklagte erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Im Übrigen stützt sie sich auf das von Prof. Dr. H. erstellte Gutachten und die Stellungnahmen ihres Beratungsarz-tes.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen, die Verwaltungsakte der Beklag-ten und die Krankenakte des Allgemeinen Krankenhauses "S. G." H. vor. Sie waren Ge-genstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des SG vom 01.11.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 22.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1998 sind daher aufzuheben. Die Beklagte ist zu verpflichten, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 01.12.1994 zurückzunehmen, festzustellen, dass die koronare Herzerkran-kung des Klägers mit den beiden Herzinfarkten im Juli 1987 und Dezember 1989 eine Be-rufskrankheit Sonderentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR darstellt und dem Kläger vom 01.01.1993 bis zum 20.06.1994 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H., vom 21.06.1994 bis zum 08.04.1999 nach einer MdE von 40 v.H., vom 09.04.1999 bis zum 10.07.2000 nach einer MdE von 60 v.H. und vom 11.07.2000 bis zum 10.07.2001 nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren.

I.

Gegenstand des Rechtsstreits sind die Fragen, ob beim Kläger eine Berufskrankheit Son-derentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR vorliegt und ihm deshalb eine Verletz-tenrente zu gewähren ist.

Die Frage, ob dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren ist, ist nicht ausgenommen. Die Auslegung von Willenserklärungen im sozialgerichtlichen Verfahren darf nicht am Wortlaut haften. Maßgebend ist der objektive Erklärungswert, der sich danach bestimmt, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere nach seiner recht verstandenen In-teressenslage, Erklärungen verstehen muss (BGH, NJW 1994, 1537, 1538; BVerwG, NVWZ 1999, 405). Dabei sind alle Umstände heranzuziehen. Notfalls ist der Beteiligte vom Gericht zu befragen. Weiterer Anhaltspunkt bei der Auslegung ist das von den Betei-ligten vernünftigerweise Gewollte, das aber in irgendeiner Form für das Gericht und die Beteiligten erkennbar zum Ausdruck gekommen sein muss. Die Auslegung muss sich da-nach richten, was der Antragsteller bei vernünftiger Beratung beantragt hätte, wenn keine Gründe für anderes Verhalten vorliegen (BSGE 74, 79). Bei der Auslegung ist Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz zu beachten, der auch die Effektivität des Rechtsschutzes garantiert und verbietet, den Zugang zum Gericht, auch zum Rechtsmittelgericht, in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise, zu erschweren (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rn. 11 a vor § 60). Dies gebietet eine sinnvolle Auslegung des vom Antragstel-ler Gewollten (BVerfG, NJW 1976, S. 141). Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn das Ge-richt dem Sachvortrag des Beteiligten eine Bedeutung beilegt, die zur Zurückweisung als unzulässig führt, während bei sachdienlicher Auslegung ohne weiteres eine Sachentschei-dung möglich wäre (BVerfG, NJW 1993, S. 1380). Es ist im Zweifel anzunehmen, dass ein Betroffener den Verwaltungsakt anfechten will, der nach Lage der Sache angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Ziel zu kommen (BSGE 74, 79).

Zwar hat der Kläger im Ausgangsverfahren lediglich die Anerkennung seiner Erkrankung als BK beantragt. Jedoch hat die Beklagte das Begehren zutreffend im Sinne der klägeri-schen Intention ausgelegt und im Ausgangsbescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 ausdrücklich den Anspruch des Klägers auf Ren-te abgelehnt. Im Überprüfungsverfahren hat der Kläger dagegen mit Schriftsatz vom 20.09.1997 expressis verbis die Gewährung einer Rente beansprucht. Mit Bescheid vom 22.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1998 hat die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 01.12.1994 abgelehnt. Auch in seiner Klageschrift hat der Kläger durch Bezug-nahme auf das und Beifügung des Schreibens vom 20.09.1997 deutlich gemacht, dass er auch eine Rente begehrt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG ist daher sein Antrag ungenau aufgenommen worden. Die Erklärung vor dem SG Dresden, mit der er Berufung einlegt hat, war auslegungsbedürftig. Darin war lediglich von Anerkennung einer BK die Rede. Berücksichtigt man jedoch einerseits, dass der Kläger auch im vorherigen Verfahren in vielen Schriftsätzen ausdrücklich lediglich die Anerkennung einer BK und nur in eini-gen wenigen auch die Gewährung einer Verletztenrente begehrt hat, im Schriftsatz vom 10.08.2005 nachvollziehbar dargelegt hat, sein Begehren im Berufungsverfahren sei von Anfang an auch auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtet gewesen, und anderer-seits, dass er nicht juristisch vertreten war, ist die Berufung sowohl als auf Anerkennung der BK als auch Gewährung einer Verletztenrente gerichtet auszulegen.

II.

Die Beklagte war zu verpflichten, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 01.12.1994 zurückzunehmen und festzustellen, dass die koronare Herzerkrankung des Klägers mit den beiden erlittenen Herzinfarkten eine Berufskrankheit Sonderentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR darstellt.

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar gewor-den ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistun-gen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Bei Erlass des Bescheides vom 26.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 ist das Recht unrichtig angewandt worden. Die koronare Herzerkrankung des Klägers war bereits zu diesem Zeitpunkt als BK anzuerkennen.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass auf den vorliegenden Fall gemäß § 215 Abs. 1 SGB VII i. V. m. § 1150 Abs. 2 RVO das Recht der ehemaligen DDR anzuwenden ist, da die Herzerkrankung des Klägers spätestens mit Auftreten des ersten Herzinfarkts im Juli 1987 und damit vor dem 01.01.1992 eingetreten ist und der Kläger diese Erkrankung im Januar 1991 einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung angezeigt hat.

Eine Berufskrankheit im Sinne des Rechts der ehemaligen DDR ist – wie vom SG zutref-fend ausgeführt – gemäß § 221 AGB/DDR eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben her-vorgerufen wird und die in der Liste der Berufskrankheiten genannt ist. Eine durch Zigaret-tenrauch verursachte Herzerkrankung ist in der Liste der Berufskrankheiten der DDR nicht ausgeführt. Gemäß § 2 Abs. 2 BKVO-DDR können im Ausnahmefall aber auch Krankhei-ten, die nicht in der Liste der Berufskrankheiten genannt sind, als Berufskrankheiten aner-kannt werden, wenn sie durch arbeitsbedingte Einflüsse entstanden sind. Darunter fielen Erkrankungen, "für deren Entstehen mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit berufsbe-dingte Faktoren als wesentlich mitwirkende Ursachen verantwortlich zu machen sind, die aber nicht (oder noch nicht?) in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführt sind" (Häublein/Mangler, in: Häublein/Kersten, Der Arzt im Betriebsgesundheitsschutz, Berlin 1959, S. 484 ff.; Bräunlich/Enderlein/Heuchert/Lorenz/Stark/Wulke, Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer [1945 bis 1990], Berlin 1994, S. 17).

Das Verfahren für eine Anerkennung einer nicht "gelisteten" Berufskrankheit im "Sonder-entscheidverfahren" (K. , in: K. /Rebohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Berlin, 3. Auflage 1988, S. 25) sah in § 6 Abs. 2 BKVO-DDR die Anerkennung auf Vorschlag der Obergut-achterkommission für Berufskrankheiten beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin vor. Das Sonderentscheidprinzip wurde mit Errichtung der Obergutachtenkommission Berufskrank-heiten im Jahre 1956 etabliert. Gesetzliche Grundlage war die Achte Durchführungsbe-stimmung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbei-ter vom 09.06.1956 (GBl. I S. 546), i. V. m. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeri-ums für Gesundheitswesen der DDR vom 25.08.1956, Nr. 9 S. 10, ergänzt durch nicht ver-öffentlichte Arbeitsanweisungen des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR (Urteil des Senats vom 26.06.2003, Az.: L 2 U 19/97).

Der Senat hat im Urteil vom 26.06.2003 das Verfahren der Anerkennung einer BK im Sonderentscheidverfahren folgendermaßen dargelegt: "Die schriftlich begründeten Vor-schläge der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten zur Anerkennung von Berufs-krankheiten im Sonderentscheidverfahren (BKSE) gemäß § 2 BKVO waren vom Bundes-vorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), Abt. Sozialversicherung, zu bestätigen und damit rechtskräftig. Bei Einsprüchen im BK-Verfahren waren Bezirksbe-schwerdekommissionen für Sozialversicherung des FDGB letzte Instanz (GBl 1, Nr. 8 [1978], S. 111). (K. et al., Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Ent-schädigung bei Berufskrankheiten, S. 28-29)."

Nach dem Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 28.11.2001, Az.: L 6 U 46/97, waren der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten hinsichtlich der an die haftungsausfüllende Kausalität zu stellenden Anforderungen keine rechtlichen Vorgaben gemacht. Die Obergu-tachtenkommission entwickelte vielmehr selbst Kriterien und Hinweise für die Anerken-nung von Berufskrankheiten. Letztlich konnte die Obergutachtenkommission auf der Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Beachtung der von ihr selbst aufgrund von Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen entwickelten Kriterien eine Einzelfallentscheidung treffen.

"Aus sozialen Erwägungen konnte für eine im Einzelfall auftretende berufsbedingte Er-krankung festgelegt werden, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufs-krankheit erfüllt sind. Die Verwaltung der Sozialversicherung beim Bundesvorstand des FDGB entschied auf der Grundlage der Empfehlung des Sonderentscheids über die Leis-tungsgewährung" (Bräunlich/Enderlein/Heuchert/Lorenz/Stark/Wulke, a.a.O).

Im bereits zitierten Urteil des Senats heißt es bezogen auf das Recht der ehemaligen DDR weiter: "Das Berufskrankheitsrecht kannte expressis verbis keine Unterscheidung zwischen dem Versicherungsprinzip und dem Antragsprinzip, sondern war im Grunde in beide Rich-tungen auslegbar. In aller Regel galt aber das Versicherungsprinzip. Es mussten also zum Zeitpunkt der Erkrankung – gegebenenfalls auch rückblickend – nachweislich ausreichen-de Kenntnisse zur Kausalität vorhanden sein, und dies natürlich sowohl für Listen-BK´s als auch solche, die als BKSE zu behandeln waren. Die Informationen, welche den ursächli-chen Zusammenhang zwischen angeschuldigtem Schadfaktor und versicherungspflichtiger Arbeitstätigkeit mit Wahrscheinlichkeit nahe legen sollten, waren Forschungsberichten, aktuellen Einzelpublikationen, Standardwerken der Fachliteratur und eigenen Erfahrungen zu entnehmen und entsprechend dem jeweiligen Schwierigkeitsgrad der Fragestellung vom Gutachter durch die Fundstellen zu belegen."

Beim Kläger liegt der Versicherungsfall einer Berufskrankheit Sonderentscheid nach dem Recht der DDR vor. Die koronare Herzkrankheit, die sich am 27.07.1987 in einem Herzin-farkt und am 13.12.1989 in einem Reinfarkt äußerte, ist Folge der BK.

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers und der Stellungnahme seines Arbeitge-bers sowie der Erhebungen des Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Chemnitz geht der Senat mit dem SG davon aus, dass der Kläger während seiner berufli-chen Tätigkeit als Praktikant und Hilfsexperte (01.06.1952 bis 31.12.1955), als Tabaksex-perte (01.01.1956 bis 30.09.1967), Produktionsleiter (01.10.1967 bis 31.12.1969) und als Abteilungsleiter Tabakexperten (01.01.1970 bis 30.06.1989) täglich an Verrauchungen teilgenommen hat. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger während seiner Tätig-keiten als Tabakexperte, Produktionsleiter und Abteilungsleiter Tabakexperten beim VEB T. D. pro Arbeitsjahr etwa 6 1/2 Monate im Betrieb gearbeitet und sich etwa 4 Monate im Ausland aufgehalten hat. Ferner hat er sich zwei Wochen pro Jahr auf Messen befunden. Während seiner Tätigkeit in Dresden hat der Kläger täglich an zwei- bis dreistündigen Verrauchungen teilgenommen, bei denen bis zu 20 Muster, vor Messen und in quartalswei-se stattfindenden Expertenkollektivsitzungen bis zu 30 Muster geraucht wurden. Die Ziga-retten sind jedoch nicht zu Ende geraucht, sondern lediglich 3 bis 10 Züge genommen worden.

Zudem – davon ist der Senat ebenso überzeugt – war der Kläger während seiner berufli-chen Tätigkeit einer Passivrauchbelastung ausgesetzt. In seinem Betrieb in Dresden stand dem Kläger zusammen mit 3 bis 4 anderen Tabakexperten nur ein Arbeitsraum zur Verfü-gung, in dem auch die täglichen Verrauchungen durchgeführt wurden. Darüber hinaus wurde über den gesamten Arbeitstag hinweg in diesem Zimmer geraucht, da alle in diesem Raum tätigen Tabakexperten neben den gemeinsamen Verrauchungen auch noch eigen-ständig zur Entwicklung von Tabakmischungen rauchten. Die Überzeugung des Senats stützt sich auf die glaubhaften Angaben des Klägers. Ernsthafte Gesichtspunkte, die hier-gegen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden.

Nicht zulässig erscheint dem Senat – mit Prof. Dr. T. , Doz. Dr. K. und dem SG – das "private" Rauchen des Klägers vom beruflichen Rauchen zu trennen. Mit dem SG und den genannten Sachverständigen wertet der Senat auch den vom Kläger als "privat" bezeichne-ten Zigarettenkonsum als beruflich (mit-)verursacht. Aufgrund der vom SG als glaubhaft geschilderten Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor diesem, er habe seine "privaten" Zigaretten überwiegend während der Arbeitszeit als Vorbereitung auf die nachmittäglichen Verrauchungen geraucht, und vor allem eingedenk des von Prof. Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG für den Senat überzeugend geschilder-ten Suchtpotentials des Rauchens, zu dem der Kläger als Tabakexperte beruflich ver-pflichtet war, besteht ein derartiger Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, dass auch das "private" Rauchen als wesentlich durch die berufliche Tätigkeit (mit-)verursacht angesehen werden muss.

Der Kläger leidet an einer koronaren Herzerkrankung, die zu den beiden Herzinfarkten geführt hat. Das haben die Gutachter Dr. A. und W. , Prof. Dr. L. und Dr. St. , der Bera-tungsarzt der Beklagten H. , Prof. Dr. T. , Prof. Dr. H. , Prof. Dr. H. und Doz. Dr. K. über-einstimmend zur vollen Überzeugung des Senats festgestellt. Zudem ergibt sich die Tatsa-che, dass der Kläger 1987 den ersten Herzinfarkt erlitt, aus der Epikrise des Allgemeinen Krankenhauses "S. G." H. vom 24.08.1987.

Diese koronare Herzerkrankung ist mit Wahrscheinlichkeit durch das durch seine berufli-che Tätigkeit verursachte Rauchen des Klägers als Hilfs-/Tabakexperte, Produktions- bzw. Abteilungsleiter Tabakexperten wesentlich mitverursacht.

Eine exakte Definition, wann eine wesentliche Verursachung vorlag, existierte im DDR-Recht nicht. Nach § 2 Abs. 2 BKVO/DDR mussten die als BK Sonderentscheid anzuer-kennenden Krankheiten durch arbeitsbedingte Einflüsse entstanden sein. Nach der ein-schlägigen DDR-Literatur wurden "Erkrankungen, für deren Entstehen mit mehr oder we-niger Wahrscheinlichkeit berufsbedingte Faktoren als wesentlich mitwirkende Ursachen verantwortlich zu machen" waren als BK Sonderentscheid anerkannt (Bräun-lich/Enderlein/Heuchert/Lorenz/Stark/Wulke, a.a.O.) Diese Voraussetzungen sind vorlie-gend erfüllt.

Alle im Verfahren gehörten Sachverständigen haben übereinstimmend das Rauchen als eine Ursache für die beim Kläger eingetretene Herzerkrankung betrachtet.

Der Senat ist mit Doz. Dr. K. davon überzeugt, dass das Rauchen des Klägers auch als wesentliche Ursache für die koronare Herzkrankheit anzusehen ist. Diese Auffassung hat auch Prof. Dr. H2. geteilt. Wie Doz. Dr. K. in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.08.2005 für den Senat überzeugend erläutert hat, ist der Zusam-menhang zwischen Rauchen und koronarer Herzerkrankung seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt. Er hat in der genannten Stellungnahme umfangreich Literaturquellen zitiert, die belegen, dass sowohl zum Zeitpunkt des ersten Infarktes als auch zum Zeitpunkt der Einleitung des Feststellungsverfahrens in ausreichendem Maße wissenschaftliche Er-kenntnisse bezüglich dieses Zusammenhangs vorlagen. So hatte G1. (1976) ausgeführt, dass die Koronarsklerose mit Herzinfarkt die häufigste Todesursache bei Rauchern ist. Nach der Veröffentlichung von Barth (1981) betrug das Herzinfarkt-Neuerkrankungsrisiko (bei einer Beobachtungszeit von zehn Jahren) für Männer im Alter von 30 bis 59 Jahre pro 1.000 Einwohner - für Nichtraucher 40, - für unter 10 Zigaretten täglich rauchende Personen 66,

- für 10 bis 20 Zigaretten täglich rauchende Personen 83, - für über 20 Zigaretten täglich rauchende Personen 131. Zudem belegten die genannten Veröffentlichungen, dass das Reinfarktrisiko in Abhängig-keit vom Rauchverhalten stehe: Nach den von Parsi (1981) veröffentlichten Studien liege eine signifikante Korrelation zwischen der Zahl der gerauchten Zigaretten und dem Aus-maß der im Koronarangiogramm dargestellten arteriosklerotischen Veränderungen vor. Nach Hecht (1986) war das Zigarettenrauchen neben dem Bluthochdruck sowie der Hyper- und Dysproteinämie ein essentieller Risikofaktor für die koronare Herzerkrankung.

Von der Tatsache, dass das Rauchen das Risiko, an einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken, nicht unerheblich vergrößert, sind auch Dr. A. und die Assistenzärtzin W., Prof. Dr. L. und Dr. St. , Prof. Dr. T. , Prof. Dr. H. und Prof. Dr. H. in ihren Gutachten sowie Dr. L. von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in der Stellungnahme vom 02.06.1999 ausgegangen.

Der Kläger war nach den oben genannten Feststellungen einer 35-jährigen beruflich be-dingten Gesamtaktivrauchbelastung von regelmäßig deutlich mehr als 10 Zigaretten pro Tag ausgesetzt. Hinzuzurechnen ist die Passivrauchbelastung über die gesamte Beschäfti-gungszeit. Diese Ursache, das beruflich verursachte Rauchen, ist - hierin folgt der Senat der schlüssigen und nachvollziehbaren Stellungnahme von Doz. Dr. K. - durch die weitere ebenso wesentliche Ursache für die koronare Herzerkrankung - auf die im Folgenden noch einzugehen ist -, die Lipidstoffwechselstörung, nicht völlig in den Hintergrund gedrängt worden, weil die Rauchbelastung mehrere Jahrzehnte andauerte, und – wenn man die Ge-samtaktiv- und -passivrauchbelastung berücksichtigt – eine nicht als unrelevant zu be-zeichnende tägliche Exposition darstellt. Nach den übereinstimmenden Auffassungen in den durch umfangreiche Studien untersetzten Einschätzungen von Doz. Dr. K. und Prof. Dr. T. ist das Risiko eines 60 bis 70-jährigen Rauchers, eine koronare Herzkrankheit zu erleiden, im Vergleich mit einem Nichtraucher etwa um das Zweifache erhöht. Dies wird auch durch die von Dr. L. , Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in ihrer Stellungnahme vom 02.06.1999 zitierte Studie von Willet et. al. (1987) untersetzt. Hier-nach erhöht das Rauchen von 1 bis 4 Zigaretten täglich das Risiko, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken, um den Faktor 2,4. Folglich hat bereits das Aktivrauchen beim Kläger zu einer deutlichen Risikoerhöhung geführt. Angesichts der ebenfalls zu be-rücksichtigenden Passivrauchbelastung ist von einer weiteren Risikosteigerung auszuge-hen.

Zwar besteht beim Kläger als weitere Ursache für die Herzerkrankung eine (wohl anlage-bedingte) Fettstoffwechselstörung, die sich in einem stark überhöhten Gesamtcholesterin-spiegel, einem Missverhältnis von Gesamt- zu HDL-Cholesterin und einem stark erhöhten Serum Triglycerid äußert. Aufgrund der Darlegungen von Doz. Dr. K. , Prof. Dr. T. und Prof. Dr. H. ist der Senat davon überzeugt, dass die beim Kläger vorliegende Fettstoff-wechselstörung eine wesentliche Ursache für die Entstehung einer koronaren Herzkrank-heit und der Herzinfarkte darstellt. Die Störung des Lipidprofils war beim Versicherten zum Zeitpunkt der Infarkte hochgradig und entsprach statistisch etwa der Verdopplung des Infarktrisikos gegenüber Personen gleicher Altersgruppe mit normalem Lipidprofil des Serums. Beim Kläger wurden bereits vor und zum Zeitpunkt des ersten Infarktes die da-mals allgemein akzeptierten Normwertbereiche (Gesamtcholesterin ( 200 mg/dl; HDL-Cholesterin ) 35 mg/dl; LDL-Cholesterin ( 135 mg/dl; Triglyceride ( 200 mg/dl; vgl. Schettler/Greten, Innere Medizin, 8. Auflage, 1990, S. 469) nicht eingehalten. Am 02.06.1986 wurde ein Gesamtcholesterinwert von 320 mg/dl und ein Triglyzeridwert von 320 mg/dl gemessen. Zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes bestand nach der Epikrise des Allgemeinen Krankenhauses "St. Georg" vom 24.08.1987 ein Gesamtcholesterin von 363 mg/dl. Das HDL-Cholesterin lag bei 33 mg/dl, das LDL-Cholesterin bei 291 mg/dl und die Triglyceride bei 478 mg/dl. Während der vom 30.10.1988 bis zum 02.12.1988 dauernden stationären Rehabilitationsmaßnahme betrug der Gesamtcholesterinwert 316 mg/dl und derjenige für Triglyzeride 276 mg/dl.

Prof. Dr. T. hat festgestellt, dass selbst nach Jahren der Zigarettenabstinenz (1994 und 1995) wiederholt dramatisch erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte auftraten. Es kann dahinstehen, ob seiner Schlussfolgerung hieraus, die Fettstoffwechselstörung habe sich unabhängig vom Rauchen entwickelt und sei am ehesten anlagebedingt, zu folgen ist, weil dies selbst wenn man dieser Auffassung folgte und damit annähme, dass das Rauchen nicht wesentlich zur Verschlimmerung der Fettstoffwechselstörung beigetragen hätte, keine Auswirkung auf die Tatsache hätte, dass das Rauchen neben der Fettstoffwechselstörung eine wesentliche Ursache für die beim Kläger bestehende koronare Herzerkrankung dar-stellt.

Gestützt auf die für den Senat nachvollziehbaren Ausführungen von Doz. Dr. K. ist der Senat ferner davon überzeugt, dass weitere wesentliche konkurrierende Ursachen für die koronare Herzerkrankung des Klägers, die zu den beiden Infarkten geführt haben, nicht nachgewiesen sind bzw. nicht bestehen.

Die familiäre Disposition stellt keine weitere Ursache dar. Derzeit wird – wie sich aus dem Gutachten von Doz. Dr. K. für den Senat überzeugend ergibt – vermutet, dass genetische Defekte im Bereich der Lipidtransportproteine die Arteriosklerose disponieren. Sie sind Gegenstand der medizinischen Forschung. Jedoch liegen einerseits folglich derzeit noch keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse vor. Solche waren daher vor dem 01.01.1991 ebenso nicht vorhanden. Andererseits ist jedoch die Lipidstoffwechselstörung bereits als anlagebedingte Ursache der Herzerkrankung berücksichtigt worden. Als darüber hinaus gehender genetischer Faktor kann sie daher keine Beachtung finden. Dieselbe Auf-fassung haben auch Prof. Dr. L. und Dr. St. sowie Prof. Dr. H. in ihren Gutachten vertre-ten.

Zudem war zwar – wie sich aus dem Gutachten und der Stellungnahme von Doz. Dr. K. 25.08.2005 unter Hinweis auf die seinerzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Weber, 1986) ergibt – bereits zum Zeitpunkt des ersten Infarktes bekannt, dass eine Adi-positas auf Herz- und Gefäßerkrankungen eine fördernde Wirkung sowohl hinsichtlich der Entstehung als auch der Verschlimmerung haben kann. Das beim Kläger zum Zeitpunkt des ersten Infarktes festgestellte leichte Übergewicht stellt jedoch nach der auf die Ausfüh-rungen von Doz. Dr. K. und Prof. Dr. H2. gestützten Überzeugung des Senats keine wei-tere wesentliche Ursache für die Herzerkrankung dar. Beim Kläger lag vor dem und zum Zeitpunkt des Herzinfarkts 1987 lediglich ein relativ geringfügiges Übergewicht vor. Nach dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik aus dem Jahre 1983 hatte der 162 cm große Kläger ein Gewicht von 72 kg. Ausweislich der Epikrise des Allgemeinen Kranken-hauses "St. Georg" vom 24.08.1997 hatte der Kläger zum Zeitpunkt des ersten Herzinfark-tes eine Größe von 1,64 m und ein Gewicht von 74 kg. In den ärztlichen Unterlagen ist unter dem 04.03.1988 vermerkt "hat 20 Pfund abgenommen". Während der vom 30.10.1988 bis zum 02.12.1988 dauernden Rehabilitationskur betrug das Körpergewicht ausweislich des Entlassungsberichtes vom 13.01.1989 71 kg. Nach dem zum damaligen Zeitpunkt auch in der DDR gebräuchlichen Broca-Index (Normalgewicht ist die Körper-länge in cm abzüglich 100; vgl. hierzu Schulz/Stobbe, Grundlagen und Klinik innerer Er-krankungen, Band II, 1989, S. 203) lag nach der vom Senat nachvollzogenen Stellungnah-me von Doz. Dr. K. jeweils lediglich leichtes Übergewicht vor. Ein solches war gegeben, wenn - wie beim Kläger - das Normalgewicht lediglich um weniger als 20 Prozent über-schritten war (Schulz/Stobbe, a.a.O.). Auch die Gegenkontrolle nach dem heute üblichen - für den Fall letztlich nicht maßgeblichen - Body-Mass-Index (BMI), bei dem das Körper-gewicht in kg durch die Körperlänge2 geteilt wird (es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der BMI regelmäßig aus bestimmten Tabellen abzulesen ist), führt zu keinem anderen Er-gebnis. Zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes lag ein BMI von deutlich unter 30 (zur Berechnung vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, S. 231) vor. Ein BMI von 20 bis 25 entspricht dem Normbereich (Pschyrembel, a.a.O.). Erst ab einem BMI von 30 liegt eine Adipositas (Fettsucht) vor (Fritze, Die ärztliche Begutachtung, 2001, S. 647). Erst eine solche bzw. ein Übergewicht nach dem Broca-Index von mehr als 20 Prozent erhöht das Risiko des Auftretens einer koronaren Herzkrankheit bzw. eine Herzinfarktes (Schulz/Stobbe, a.a.O., S. 203; Fritze, a.a.O., S. 649).

Beim Kläger bestand vor dem und zum Zeitpunkt des ersten Infarktes kein krankhafter Bluthochdruck. Es lag allenfalls zeitweise eine Grenzwerthypertonie vor, die jedoch – auch darin folgt der Senat der Auffassung von Doz. Dr. K. (eine ähnliche Auffassung hat auch Prof. Dr. H2. vertreten) – keine wesentliche Ursache für die Herzerkrankung des Klägers darstellt. Der Senat geht in Übereinstimmung mit allen gehörten Sachverständigen davon aus, dass arterieller Bluthochdruck einen Risikofaktor für Herzerkrankungen darstellt. Eine arterielle Hypertonie ist nach den zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes bzw. bei Einlei-tung des Feststellungsverfahrens geltenden WHO-Kriterien allerdings lediglich bei Erhö-hung des mittleren arteriellen Blutdrucks auf 160 mm Hg (systolisch) und/oder 95 mm Hg (diastolisch) anzunehmen (Schulz/Stobbe, a.a.O., Band I, 1989, S. 92). Bei systolischen Blutdruckwerten zwischen 140 und 160 mm Hg und/oder diastolischen Werten zwischen 90 und 95 mm Hg spricht man von Grenzwerthypertonie (Schulz/Stobbe, a.a.aO.; Schett-ler/Greten, a.a.O., S. 159). Während der stationären Rehabilitationsmaßnahme in Berggießhübel im Jahre 1983 wur-den ausweislich des Entlassungsberichts Blutdruckwerte von 140/85 gemessen. In den Be-handlungsunterlagen des Klägers sind im Jahre 1985 Werte von 160/90, 1986 Werte von 155/90, 150/90, 150/85, 1987 von 140/90 und 135/80, 1988 von 140/90 und 170/90 sowie 1989 von 135/80 dokumentiert. Ausweislich der Epikrise des Allgemeinen Krankenhauses "St. Georg" Hamburg vom 24.08.1997 wurden beim Kläger nach dem ersten Herzinfarkt Werte von 110/70, 160/70, 130/80, 135/85 und 105/65 gemessen. Während des stationären Aufenthaltes vom 13.12.1989 bis zum 03.01.1990 wurden Werte von 130/80 und 140/100 gemessen. Es lag folglich beim Kläger ein Normalblutdruck bzw. ein Grenzwertblutdruck vor.

Nach der ergänzenden Stellungnahme von Doz. Dr. K. vom 25.08.2005 - der der Senat folgt - lag beim Kläger zum Zeitpunkt des Herzinfarktes und des Reinfarktes kein metabo-lisches Syndrom im Sinne der Definition vor. Nach David (Wörterbuch der Medizin, 1987) ist das metabolische Syndrom definiert als Kombination von Fettsucht (Adipositas), Hy-perliproteinämie, Hypertonie, Diabetes mellitus und Gicht. Nach Leiber (Die klinischen Syndrome, 1996) bezeichnet das metabolische Syndrom die Summe der Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komplikationen, bestehend aus androider Fettverteilung, arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, Hyperurikämie und Glukoseintoleranz bis zum manifesten Diabetes mellitus (ähnlich auch Marx/Klepzig, Medizinische Begutachtung innerer Krankheiten, 7. Auflage 1997, S. 401). Beim Kläger lagen zum Zeitpunkt der Infarkte lediglich krankhafte Veränderungen des Fettstoffwechsels (Cholesterin, Triglyzeride) vor. Die anderen Symptome waren - wie oben ausführlich dargelegt - nicht vorhanden.

Das beruflich verursachte Rauchen wird von der weiteren wesentlichen Ursache der koro-naren Herzkrankheit, der Fettstoffwechselstörung, nicht völlig in den Hintergrund ge-drängt. Dies resultiert - neben den bereits genannten Argumenten - aus der von Doz. Dr. K. in seinem Gutachten beschriebenen und in der mündlichen Verhandlung nochmals ein-drucksvoll erläuterten überadditiven Wirkung beim Vorhandensein von mindestens zwei Ursachenfaktoren. Im Fall des Klägers lagen mit dem beruflich verursachtem Rauchen und der Fettstoffwechselstörung zwei wesentliche Ursachen vor, die beide für sich genommen das Risiko, an einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken, deutlich erhöht haben. Durch ihr Zusammentreffen ist das Risiko, eine derartige Krankheit zu erleiden, jedoch darüber hinaus überadditiv angestiegen. Zudem hat der Senat gestützt auf die Stellungnahme von Doz. Dr. K. vom 25.08.2005 keinen Zweifel, dass zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes die überadditive Wirkung beim Zusammentreffen mehrerer Risikofaktoren bereits bekannt war. Auf die potenzierende Wirkung beim Zusammentreffen von mindestens zwei Risiko-faktoren haben auch Prof. Dr. T. und Prof. Dr. H. hingewiesen.

Der Senat ist darüber hinaus aufgrund der Stellungnahme von Doz. Dr. K. vom 25.08.2005 davon überzeugt, dass die Obergutachtenkommission der DDR – basierend auf den zum Zeitpunkt der Infarkte vorliegenden Erkenntnissen – im Falle des Klägers eine BK Sonderentscheid anerkannt hätte. Doz. Dr. K. war – wie sich aus seiner Stellungnahme vom 25.08.2005 ergibt – von 1972 bis 1975 Sekretär und von 1976 bis zum Februar 1991 Vorsitzender der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten der DDR. In seiner Stel-lungnahme vom 25.08.2005 hat er ausgeführt, in Kenntnis der Voraussetzungen und der Verfahrensweise nach DDR-Recht wäre die Erkrankung des Klägers als BK-Sonderentscheid anerkannt worden.

Der Beurteilung von Dr. A. und Dipl.-Med. W. folgt der Senat nicht. Ihre Ausführungen sind nicht schlüssig. Einerseits haben sie eingeschätzt, dass das beruflich bedingte Tabak-rauchen eine Teilursache für die Herzerkrankung darstellt, andererseits sind sie – ohne dies näher zu begründen – zu der Auffassung gelangt, eine BK liege nicht vor. Zudem haben sie – im Gegensatz zum Senat – das "private" Rauchen als konkurrierende Ursache betrachtet. Darüber hinaus sind sie von fehlerhaften rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen, in dem sie das Vorliegen einer "Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO" – die hier jedoch aus o.g. Gründen nicht maßgeblich ist und die verglichen mit dem DDR-Recht weitere Voraussetzungen für die Anerkennung erfordert – geprüft haben.

Der Einschätzung von Prof. Dr. L. und Dr. St. , es liege, wenn man den rein beruflichen und den so genannten "privaten" Tabakkonsum zusammenzähle, lediglich ein mäßiger Nikotinkonsum vor, der gegenüber der auf dem Boden einer familiären Disposition erwor-benen Fettstoffwechselstörung in den Hintergrund trete und nicht als wesentlich zu be-zeichnen sei, schließt sich der Senat aus oben genannten Gründen nicht an. In ihrer Stel-lungnahme vom 16.12.1999 haben Prof. Dr. L. und Dr. S. dargelegt, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Herzinfarkte das 60. Lebensjahr bereits vollendet hatte und nach einer Studie von Parish/Collins/Peto bei Rauchern im Alter von 60 bis 79 Jahren nur die Hälfte der Herzinfarkte durch Tabak verursacht sei, zudem lediglich maximal die Hälfte des Zigaret-tenrauchens des Klägers beruflich indiziert gewesen sei, ergäbe sich eine Wahrscheinlich-keit für eine berufliche Verursachung von unter 25 Prozent. Damit sei das Tabakrauchen an der Entstehung der Herzerkrankung zwar ursächlich mitbeteiligt, jedoch nicht die we-sentliche Ursache. Indem die genannten Sachverständigen diese Wertung vornehmen, ohne näher zu erläutern, wieso bei dieser Prozentzahl die Ursache nicht wesentlich sei, beachten sie die Theorie der wesentlichen Bedingung - die auch nach DDR-Recht galt - nicht (vgl. die von Krasney aufgestellte "Faustregel", zitiert u.a. in: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 81). Zudem teilt der Senat - wie oben ausführlich dargelegt - ihre Ansicht, wonach das Rauchen in ein "berufliches" und ein "privates" zu trennen sei, nicht.

Auch die Gutachten von Prof. Dr. T. und Dr. H. überzeugen den Senat im Ergebnis nicht. So haben beide die vor dem ersten Herzinfarkt bzw. zwischen dem ersten und dem zweiten Infarkt gemessenen Blutdruckwerte lediglich sehr unvollständig aus den Akten erhoben und sind deshalb zu - aus der Sicht des Senats - unrichtigen Schlussfolgerungen gelangt. Außerdem haben sie nicht in ausreichendem Maße zwischen krankhaftem Bluthochdruck nach WHO-Kriterien und einer Grenzwerthypertonie unterschieden. Prof. Dr. T. hat zu-dem bezüglich der Annahme eines "deutlichen Übergewichts" ausschließlich auf im Mai 1995 festgestellte Werte (Größe 163 cm, Gewicht 77,9 kg) abgestellt. Das ist aus mehreren Gründen nicht zulässig. Bei der Frage, welche Bedingungen die koronare Herzkrankheit des Klägers, die zu zwei Herzinfarkten geführt hat, wesentlich verursacht haben, ist auf die Verhältnisse beim erstmaligen Auftreten der Erkrankung - hier 1987 - abzustellen. Ferner hat Prof. Dr. Thierry sich gerade die für den Kläger ungünstigsten Werte herausgesucht, ohne die oben erwähnten Werte zum Zeitpunkt vor dem und zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes, die aus der Sicht des Klägers wesentlich günstiger waren, zu berücksichti-gen. Überdies hat er fehlerhafterweise die familiäre Disposition neben der Fettstoffwech-selstörung berücksichtigt. Auch lag - anders als von ihm angenommen - im Falle des Klä-gers zum Zeitpunkt der Herzinfarkte kein metabolisches Syndrom vor.

Prof. Dr. H. hat die kombinierte Fettstoffwechselstörung und die familiäre Belastung (die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gerade eine Fettstoffwechselstö-rung disponiert) ebenfalls als zwei außerberufliche Ursachen gewertet. Auch hinsichtlich der Berücksichtigung der privaten Rauchgewohnheiten und der Annahme eines maßgebli-chen Übergewichts des Klägers folgt der Senat aus oben Genannten seinem Gutachten nicht.

Den Einschätzungen des Beratungsarztes der Beklagten H. vermag sich der Senat ebenso nicht anzuschließen. Zum einen legt er seiner Stellungnahme einen falschen Rechtssatz zugrunde. So führt er in seiner Stellungnahme vom 18.02.2005 aus, rechtlich wesentlich sei eine Teilursache dann, wenn sie nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Er-folg entfiele. Zudem berücksichtigt er nicht die Suchtwirkung des beruflich veranlassten Tabakkonsums und damit die wesentliche Teilverursachung des privaten Tabakkonsums durch das berufliche Rauchen.

III.

Eine Verletztenrente ist dem Kläger ab 01.01.1993 zu gewähren. Gemäß § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rück-nahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an ge-rechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbrin-gen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Der Kläger hat am 04.09.1997 die Rücknahme des Bescheids vom 26.03.1993 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1994 beantragt. Daher sind Leistungen ab 01.01.1993 zu gewähren.

Zu diesem Zeitpunkt bestand nach materiellem Recht ein Anspruch auf Rente. Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung der Renten der Sozial-pflichtversicherung – Rentenverordnung – vom 23.11.1979 (GBl. DDR I S. 401 ff.) i. V. m. §§ 1154 Abs. 1 Nr. 1 und 1156 Abs. 1 RVO hat der Kläger materiell bereits seit 01.01.1991 die Voraussetzungen für eine Rentenleistung erfüllt (vgl. Entscheidung des Senats vom 26.06.2003, Az.: L 2 U 19/97).

Ausgehend von der Einschätzung von Doz. Dr. K. und unter Berücksichtigung der Beur-teilung durch Dr. A. und Dipl.-Med. W. beträgt die MdE vom 01.01.1993 bis 20.06.1994 30 v.H., vom 21.06.1994 bis zum 08.04.1999 (Befund Dr. A./Dr. G./Dr. G. vom 12.04.1999) 40 v.H., vom 09.04.1999 bis zur Bypassoperation am 10.07.2000 60 v.H. und vom 11.07.2000 bis zum 10.07.2001 40 v.H.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z. B. BSG, Urteil vom 18.03.2003, Az.: B 2 U 31/02 R) ist neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leis-tungsvermögens des Versicherten die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfah-rungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchti-gungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Ge-biet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkennt-nis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an, wobei die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch die Folgen der BK beeinträchtigt sind, in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichen Gebiet liegt. Hierbei sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die so genannten MdE-Erfahrungswerte zu berücksichtigen, die allgemeine Erfahrungssätze darstellen und in der Regel die Basis für einen Vorschlag bilden, den der medizinische Sachverständige zur Hö-he der MdE unterbreitet, wobei ihnen nicht der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zukommt (BSG, Urteil vom 02.05.2001, Az.: B 2 U 24/00 R). Im Streitfall liegt die Ent-scheidung beim Gericht.

Nach den Erfahrungswerten ist die MdE bei Herz-/Kreislauferkrankungen - ohne wesentliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit bis zu 20 v. H., - mit Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit 30 v. H., - mit starker Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und dauernder Schonungsbe-dürftigkeit mit 40 bis 100 v. H. zu bewerten (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 6/2004, An-hang 12, S. J 016).

Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 897) benutzen für die Bewertung der Höhe der MdE folgendes Schema: NYHA-Klasse linksventrikuläre Funk-tionsstörung MdE in % Stadium I: normale körperliche Lei- stungsfähigkeit, nur techni- sche Hinweise auf Herzin- suffizienz 1: Kleinkreislaufdrücke nur unter Belastung erhöht; Herzzeitvolumen unter Belastung normal bis 10 Stadium II: leichte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Spa- ziergänge bis zu 5 km aus- führbar Stadium 12: Kleinkreisrücklaufdrücke in Ruhe sowie unter Be-lastung erhöht; Herz- zeitvolumen unter Belas-tung normal 20-3040-50 Stadium III: erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit, nur noch leichte Belastungen 3: Herzzeitvolumen in Ruhe noch normal; unter Belas-tung jedoch unzu-reichender Anstieg 60-90 Stadium IV: jede körperliche Belastung verursacht Beschwerden, Einhaltung von Bettruhe 4: Herzzeitvolumen bereits in Ruhe unzureichend 100

Nach Marx (Medizinische Begutachtung, 1992, S.162) ist für Herzschäden - ohne wesentliche Beeinträchtigung selbst bei schwerer körperlicher Belastung eine MdE von bis zu 10 v.H., - mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschweren Belastungen, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung von 75 Watt wenigs-tens 3 Minuten eine MdE von 20 bis 40 v.H. und - mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung, Be-schwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung von 50 Watt wenigstens 3 Minuten eine MdE von 50 bis 70 v.H. gerechtfertigt.

Das vom 01.01.1993 bis 20.06.1994 eine MdE von 30 v.H. gerechtfertigt ist, ergibt sich aus den von Dr. A. und Dr. W. in ihren Gutachten vom 22.12.1992 erhobenen Untersu-chungsbefunden. Diese beinhalteten eine leicht eingeschränkte Ejektionsfraktion von 53 % im Echokardiogramm mit Narbenbildung und Hypokinese des Herzmuskels. Bei der Er-gometrie erfolgte der Versuchsabbruch bei Belastung bis 100 Watt nach 3 Minuten bei ST-Streckensenkung im EKG in mehreren Ableitungen und linksthorakalem Schmerz. Mit Doz. Dr. K. geht der Senat davon aus, dass die komplexe Untersuchung die Einordnung der Erkrankung in Stadium II der NYHA-Kriterien und die Einschätzung der MdE mit 30 v.H. rechtfertigt.

Vom 21.06.1994 bis zum 08.04.1999 hält der Senat eine MdE von 40 v.H. für angemes-sen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. L. und Dr. St. bestanden leichte pectakinöse Beschwerden beim Bergauflaufen. Bei der Ergometrie war die Belastungs-grenze mit 75 Watt durch Zeichen kardialer Minderdurchblutung im EKG sowie Herz-rhythmusstörungen (Extrasystolen) limitiert. Der Röntgenologe verwies auf die Verkal-kung der Koronargefäße. Unter Berücksichtigung der von Marx genannten Erfahrungswer-te ist mit Doz. Dr. K. eine MdE von 40 v. H. gerechtfertigt.

Vom 09.04.1999 bis zur Bypassoperation am 10.07.2000 bestand - auch insoweit folgt der Senat der Einschätzung von Doz. Dr. K. - eine MdE von 60 v.H. Ausweislich des Berich-tes von Dr. A. , Dr. G1. und Dr. G2. vom 12.04.1999 lagen beim Kläger am 09.04.1999 stenokardische Beschwerden vor. Eine Intensivbehandlung erfolgte. Eine Herzkatheterun-tersuchung am 12.05.2000 ergab eine dringliche Indikation für eine Bypassoperation.

Nach der Bypassoperation bestand - auch insoweit folgt der Senat der Beurteilung von Doz. Dr. K. - für die Dauer eines Jahres eine MdE von 40 v.H. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit den von Marx genannten Erfahrungswerten.

Ab 10.07.2001 lag keine MdE in rentenberechtigendem Grade mehr vor. Auch insoweit folgt der Senat den Stellungnahmen von Doz. Dr. K ... Durch die Bypassoperation wurde die erforderliche Sauerstoffversorgung des Herzmuskels wieder hergestellt. Die Untersu-chungsbefunde des Krankenhauses F. vom 22.02.2002 und 31.07.2002 zeigen eine Belast-barkeit des Klägers bezüglich der Ergometrie von 100 bzw. 125 Watt. Ein Abbruch erfolg-te wegen allgemeiner Erschöpfung. Eine Angina-Pectoris-Symptomatik trat nicht auf. Auch ischämietypische EKG-Veränderungen wurden ebenso wie Herzrhythmusstörungen nicht gefunden.

IV.

Dem Hilfsantrag der Beklagten war nicht nachzukommen, weil im Verfahren bereits zahl-reiche - darunter internistische - Gutachten eingeholt wurden.

V.

Nach alledem waren das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufzuheben. Die Beklagte war zu verpflichten, den Bescheid vom 26.03.1993 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 01.12.1994 zurückzunehmen, festzustellen, dass die koronare Herzerkrankung mit den Herzinfarkten im Juli 1987 und Dezember 1989 eine Berufs-krankheit Sonderentscheid nach dem Recht der ehemaligen DDR darstellt und dem Kläger deswegen eine Verletztenrente zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Gründe für die Zu-lassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Gegenstand der Prüfung ist hier so genanntes "abgestorbenes" Recht der ehemaligen DDR, das nur noch bestands-schutzrechtlich bedeutsam ist. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass noch eine Vielzahl von Fällen zu entscheiden ist, die das Problem der Weiterentwicklung der Voraussetzun-gen einer BK Sonderentscheid zum Gegenstand haben (so bereits Urteil des Senats vom 15.11.2001, Az.: L 2 U 47/96).
Rechtskraft
Aus
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