L 3 U 40/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 25 U 540/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 40/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Streit.

Am 28. Juni 1994 war der heute 32jährige, im Iran geborene und mittlerweile eingebürgerte Kläger mit seiner damals neunjährigen Schwester N. ins Freibad S. gegangen. Bei N. sind durch Bescheid des Versorgungsamts Hamburg vom 13. November 1997 eine allgemeine und Entwicklungsverzögerung mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen B, G und H festgestellt worden. Zu dem Unfallgeschehen, bei dem sich der Kläger eine hohe Querschnittlähmung zuzog, kam es, als er von seinem Platz auf der Liegewiese aufsprang, diese hinunterstürmte, über die Absperrung setzte und mit einem Hechtsprung in den Nichtschwimmerbereich sprang, wo die Wassertiefe lediglich ca. 30 cm betrug. Aufgrund Bescheides vom 4. April 1996 erhält er von der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Durch seine Prozessbevollmächtigten beantragte er unter dem 31. Mai 1996 Leistungen der Beklagten. Er gab hierzu an, geglaubt zu haben, seine Schwester habe sich im Wasser in Lebensgefahr befunden, und er habe gemeint, sie retten zu müssen. Bereits vier Jahre zuvor sei diese im B. Schwimmbad ins tiefe Wasser gefallen und fast ertrunken, so dass sie drei Tage habe stationär behandelt werden müssen. Diesen Vorfall habe er vor Augen gehabt, als er – ohne lange zu überlegen – zu dem Unglückssprung angesetzt habe.

Der Kläger benannte drei Personen, die den Vorfall beobachtet hätten. Herr A. S., iranischer Staatsangehöriger, gab auf entsprechende Anfrage der Beklagten unter dem 4. September 1996 schriftlich an, er sei durch den Zuruf der rechts von ihm lagernden Familie aufmerksam worden und habe dann zu dem vor ihm liegenden Kläger auf iranisch gesagt: "Ich glaube, irgend etwas ist mit deiner Schwester passiert." Da sei dieser aufgestanden und ins Wasser gesprungen. Durch Vermittlung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gelangten zwei weitere schriftliche Zeugenaussagen an die Beklagte. So gab die im Iran geborene M. A1 unter dem 8. September 1996 an, zum fraglichen Zeitpunkt mit ihren drei Kindern und in Begleitung ihrer polnischen Freundin A2 am S. gewesen zu sein. Ihr sei ein Mädchen in Begleitung eines jungen Mannes aufgefallen. Sie habe, nachdem sie und ihre Freundin ihre Kinder zurückgerufen hätten, versucht, diesem Bescheid zu geben, dass er auf seine Schwester achten solle. Da sei er schlagartig über die Absperrung gesprungen. Frau A3 G. erklärte am 3. September 1996, sie hätten auf der linken Seite des Rasens gesessen und zwischendurch mit den Kindern gebadet. Stunden später habe sie gesehen, dass ein Mädchen mit den Jungen im Wasser gespielt habe. Ihr sei aufgefallen, dass die Kinder zu weit nach vorn gegangen wären. Sie habe die Kinder zurückgerufen und M. habe das auch getan. Danach habe diese sich auf die linke Seite gedreht und zu dem jungen Mann gesagt: "Rufen Sie Ihre Schwester, sie ist zu weit nach vorn gegangen, das wird gefährlich". Da sei er ganz schnell zum Wasser gelaufen und habe einen Kopfsprung gemacht. Er sei nicht wieder nach oben gekommen, sondern unter Wasser geblieben. Sie selbst sei dann auch hingelaufen.

Die Beklagte zog die Krankenakte des Klägers aus der chirurgischen Universitätsklinik Eppendorf bei. In dem darin enthaltenen Notarztprotokoll heißt es unter "2. Notfallgeschehen/Anamnese/Erstbefund: "Marihuanagenuss heute Nachmittag; vor drei Wochen Kokain zuletzt." Die Bewusstseinslage wird als "orientiert" beschrieben. In der Befunddokumentation der Aufnahmeuntersuchung der Universitätsklinik ist vermerkt, dass der Kläger keine Erinnerungslücke hatte. Die Untersuchung seiner Urinprobe durch das Institut für Rechtsmedizin erbrachte den Nachweis von Cannaboiden. Jedoch sah sich das Institut nicht in der Lage, den Einnahmezeitpunkt festzulegen. In dem von der Beklagten des Weiteren angeforderten Unfallfragebogens der Innungskrankenkasse Hamburg mit dem Datum des 9. September 1994 wird als Erklärung des Klägers festgehalten, dass er zum Schwimmbecken gegangen und, da das Wasser nicht bis auf den Grund sichtbar gewesen sei, mit einem Köpfer hineingesprungen sei.

Mit Bescheid vom 26. Mai 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Ereignisses ab. Zwar werde als Arbeitsunfall auch der Unfall einer Person entschädigt, die einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehme. Versicherungsschutz werde auch zugebilligt, wenn der Eingreifende irrtumsbedingt an eine Eingriffslage glaube, obwohl diese objektiv nicht vorliege, sofern konkrete Anhaltspunkte vorhanden gewesen wären, die zur Annahme einer Gefahrenlage berechtigten. Diese im Sinne eines Vollbeweises zu belegenden Anspruchsvoraussetzungen seien aber nicht gegeben. Aus den Zeugenaussagen seien objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahrenlage für seine Schwester nicht abzuleiten. Im Übrigen sei erwiesen, dass der Kläger unter dem Einfluss von Marihuana gestanden habe. Es spreche also mehr dafür als dagegen, dass seine Wahrnehmung hinsichtlich der Gefahrenlage für seine Schwester und der Eignung des Nichtschwimmerbeckens für einen Kopfsprung beeinträchtigt gewesen sei. Soweit der Kläger einem Tatsachenirrtum unterlegen sei, sei dieser wesentlich durch den nachgewiesenen Drogeneinfluss mitbedingt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er habe bei allen Fragen nach dem Unfallhergang stets angegeben, geglaubt zu haben, dass seine kleine Schwester in Gefahr sei. Es entziehe sich seiner Kenntnis, warum dies niemals in dieser Form aufgenommen worden sei. Allerdings habe er darauf wohl auch keinen großen Wert gelegt, weil er nach dem Unfall erst einmal mit dessen Folgen habe fertig werden müssen. Es sei ihm und auch allen anderen Personen, mit denen er Kontakt gehabt habe, nicht bekannt gewesen, dass hier möglicherweise Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung bestehen könnten. Dies sei ihm erst durch seinen Anwalt erklärt worden. Jedoch habe bereits der Chefarzt des Querschnittgelähmten-Zentrums im berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus B1, Dr. G. E., mit Schreiben vom 31. Juli 1995 darauf hingewiesen, dass er seiner Schwester habe zur Hilfe kommen wollen. Dem Notarzt habe er auf die im Hinblick auf die Kreislaufstabilität wegen einer möglichen Operation gestellte Frage gesagt, vor etwa drei Tagen etwas Marihuana geraucht zu haben. Im Übrigen sei er völlig klar und bei Bewusstsein gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass er seine behinderte Schwester bereits einmal aus einer vergleichbaren Notlage gerettet habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es hätten keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich die Schwester des Klägers in Gefahr befunden habe oder solche, die den Anschein einer Notlage hätten aufkommen lassen können. Aus dem Verhalten der Zeugen, die ohne Aufregung und Panik lediglich darauf aufmerksam gemacht hätten, dass er auf seine Schwester achten solle, habe er nicht auf eine Notlage schließen können. Im Widerspruchsverfahren sei zusätzlich der Schwimmmeister - der Zeuge R. - angehört worden, welcher zum Unfallzeitpunkt Dienst gehabt habe. Dieser habe gesehen, dass der Kläger auf der zweiten Ebene der Liegewiese gesessen habe, aufgesprungen, zur Wasserkante gelaufen und mit einem "Köpfer" ins Wasser gesprungen sei. Die später als Schwester des Verunfallten Identifizierte habe zum Unfallzeitpunkt etwa sechs bis sieben Meter von der Beckenkante entfernt gestanden, wo das Wasser 40 bis 50 Zentimeter tief gewesen sei, und damit weitab von der Abtrennungsleine zum Schwimmerbereich. Es sei zu keinem Zeitpunkt ersichtlich gewesen, dass sie sich in Gefahr befunden habe. Er habe weder ein Stolpern, Anrempeln, Ausrutschen oder einen sonstigen Sturz beobachten können. Auch Hilferufe habe es nicht gegeben. Für den Sprung des Klägers habe aus seiner Sicht keine Veranlassung bestanden.

Das Sozialgericht hat der daraufhin fristgerecht erhobenen Klage durch Urteil vom 11. April 2002 nach Anhörung des Klägers und Einvernahme der Zeugin M. A1 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, dem Kläger auf Grund des Unfalls vom 28. Juni 1994 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, es stehe fest, dass der Kläger seine Schwester vor dem Ertrinken habe retten wollen. Dies folge aus seiner Aussage, den schriftlichen Zeugenaussagen und der Einvernahme der Zeugin A1. Von Bedeutung seien insoweit auch die Begleitumstände, namentlich der körperliche und geistige Zustand der Schwester des Klägers und deren Badeunfall im Jahre 1990. Aufgrund der Zurufe der Zeugin A1 habe der Kläger angenommen, seine Schwester sei in der Gefahr zu ertrinken, und sei deshalb ohne weitere Überlegung ins Wasser gesprungen. Insoweit komme es auch nicht auf eine Abwägung der Gefahren durch den Helfer an. Die Rettungshandlung müsse nicht auf einer mehr oder minder langen Überlegung beruhen. Auch eine aufgrund eines sekundenschnell gefassten Entschlusses spontan geleistete Hilfe könne unter Versicherungsschutz stehen. Nach allem sei überhaupt kein anderer Beweggrund für den Sprung ersichtlich als der, dass der Kläger seine Schwester habe retten wollen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 28. Mai 2002 zugestellte Urteil am 6. Juni 2002 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, das Sozialgericht habe den Sachverhalt fehlerhaft gewürdigt, als es für seine Entscheidung davon ausgegangen sei, dass die objektiven Umstände eine Gefahrensituation für die Schwester des Klägers hätten annehmen lassen können. Es hätte hierfür namentlich nicht dahinstehen lassen dürfen, ob die Schwester des Klägers, objektiv betrachtet, zu weit ins Wasser gegangen sei, sich also in einer Wassertiefe befunden habe, die tatsächlich gefährlich gewesen sei. Auch hätte genau ermittelt werden müssen, wie sie sich verhalten habe, als der Kläger ins Wasser gesprungen sei. Es stehe mit der schriftlichen Aussage des Bademeisters R. fest, dass die Schwester sich keineswegs im Gefahrbereich befunden habe. Auch der Kläger habe mit seiner Aussage vor dem Sozialgericht bestätigt, dass sich seine Schwester im Nichtschwimmerbereich aufgehalten habe. In der mündlichen Verhandlung habe er aber eine offenkundig dramatisierende Darstellung der Situation gegeben, in der sich seine Schwester im damaligen Zeitpunkt befunden habe. Denn davon, dass seine Schwester auf dem Wasser gelegen und die Arme bewegt hätte, sei vorher nie die Rede gewesen. In gleicher Weise habe die Zeugin A1 ihre Aussage dramatisiert, die ursprünglich nur dahin gegangen sei, dass dem Kläger gesagt worden sei, er solle auf seine Schwester achten. Nach allem könne nur der Drogenkonsum des Klägers zu der Fehlhandlung geführt haben.

Der Kläger tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen und meint, es komme nicht darauf an, wie sich seine Schwester im Zeitpunkt des Ins-Wasser-Springens verhalten habe, weil lediglich seine subjektive Sicht der Dinge entscheidend sei. Diese sei aber dergestalt gewesen, dass er seine Schwester in Gefahr gewähnt habe. Eine objektive Gefahrenlage müsse nicht bestehen. Deshalb sei auch unerheblich, was der Bademeister aussage, obschon dessen Aussage ohnedies zu bezweifeln sei, weil er selbst als Verantwortlicher in Frage komme und der Betreiber-Verein des Schwimmbades auf Schadensersatz verklagt worden sei. Demgegenüber seien die unbeteiligten Zeugen von einer Gefahrenlage ausgegangen.

Die Beigeladene hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat in einem Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin am 15. Juli 2003 den Kläger zu den Umständen des Unfalls befragt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Kläger erneut angehört worden. Überdies sind vernommen worden die Zeuginnen A3 G., verheiratete C., und M. A1 sowie die Zeugen B2 R. und K. M1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt, eine persönliche Inaugenscheinnahme des Unfallortes seitens des Gerichts und der am Verfahren Beteiligten durchzuführen. Damit solle festgestellt werden, dass eine objektive Gefahrenlage entweder nicht möglich sei oder durch den Bademeister vor Ort entkräftet werden könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Klägers an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Leistungsgewährung verurteilt und den entgegenstehenden Bescheid der Beklagten aufgehoben. Dem Kläger stehen die begehrten Leistungen zu, weil er einen Arbeitsunfall erlitten hat. Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I, S. 1254, 1317, § 212 SGB VII).

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (bei versicherter Tätigkeit) erleidet. Nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO sind in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall auch Personen versichert, die bei Unglücksfällen Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen. Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für Menschen oder Sachen hervorruft oder hervorzurufen droht (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urt. vom 10.10.2002 – B 2 U 8/02 R – m.N.). Da der Helfer das Vorliegen eines Unglücksfalls unter Umständen nur unzulänglich beurteilen kann, genügt es nach allgemeiner Auffassung, wenn er aus seiner subjektiven Sicht nach den objektiv gegebenen Umständen einen Unglücksfall als vorliegend ansieht, Hilfe für notwendig und seine Maßnahme für geeignet hält (vgl. statt vieler KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII Rdnr. 62); es ist darauf abzustellen, ob der Hilfeleistende nach den Umständen eine solche Gefahr annehmen durfte (BSG, Urt. vom 11.12.1973 – 2 RU 30/73 – in BSGE 37, S. 38 ff., 39).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und hier namentlich nach dem Ergebnis der durch das Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass Umstände vorlagen, die den Kläger zur Annahme einer Gefahrenlage berechtigten. Aus der Einvernahme der Zeuginnen A3 C. und M. A1 folgt, dass diese dem Kläger den unmittelbaren Eindruck vermittelt haben, seine Schwester befinde sich in Leibes- oder Lebensgefahr. Anschaulich hat die Zeugin C. geschildert, wie das Kind mit den Armen zappelte und sich mit dem Kopf teils über und teils unter der Wasseroberfläche befand, wobei die Zeugin nicht erkennen konnte, ob dies zum Spaß geschah oder einen anderen Grund hatte, und ferner, dass sie die Zeugin M. A1 aufforderte, den Kläger auf das Verhalten des Mädchens aufmerksam zu machen. Diese wiederum hat bekundet, sie sei davon ausgegangen, dass die "mit den Armen rudernde und paddelnde" Schwester des Klägers sich in Richtung des tiefen Wassers bewegt habe und dass dies für ihre hinterher gehenden Jungen gefährlich werden könne, so dass die Zeugin meinte, den Kläger mit dem Ruf "Die Kinder sind zu weit nach vorn gegangen, das kann gefährlich werden" auf diesen Umstand aufmerksam machen zu müssen. Dabei war es – entgegen der bisherigen Annahme der Beklagten – keineswegs so gewesen, dass dies ohne jede Aufregung und Panik ablief. Vielmehr hat sich die Zeugin A1, wie sie und die Zeugin C. übereinstimmend ausgesagt haben, in Sorge um die Kinder hektisch und lautstark an den Kläger gewandt. Sie gehört nach ihren Angaben zu den Menschen, die leicht in Panik fallen und hysterisch reagieren. Der Senat hat keinerlei Veranlassung, die Aussagen der Zeuginnen, die einen glaubwürdigen Eindruck gemacht haben, in Frage zu stellen. Der Kläger, der sich auf die Zurufe hin erhob und seine Schwester mit den Armen rudern sah, durfte hiernach Hilfe für notwendig, er durfte darüber hinaus auch seine Maßnahme in Gestalt eines Hechtsprunges – so die Wahrnehmung des Zeugen R. – für geeignet halten. Denn sie sollte ihn – eigenem Bekunden in dem durchgeführten Erörterungstermin zufolge – schneller zu dem Kind bringen, nachdem sich die Situation für ihn besonders dringlich darstellte. Die aus den vorerwähnten objektiven Umständen folgende Annahme einer Gefahrenlage ist nämlich beim Kläger durch weitere Gegebenheiten und zusätzlich durch Erfahrungen veranlasst worden, die er mit seiner Schwester in früherer Zeit gemacht hatte. Zum einen war diese wegen ihrer geistigen Behinderung und psychomotorischen Retardierung in besonderem Maße betreuungsbedürftig. Zum anderen hat der Kläger eine Vorprägung durch den im Jahre 1990 stattgefundenen Vorfall im Schwimmbad B. erfahren. Denn das Kind war bereits einmal in einer Situation des Ertrinkens und ihm – dem Kläger – war auch seinerzeit die Aufsicht übertragen. Insoweit ergibt die beigezogene Patientenakte des Kinderkrankenhauses W., dass die Schwester im Alter von etwa fünf Jahren ins tiefe Wasser eines Schwimmbeckens gefallen war, von dem Kläger aus dem Wasser geholt wurde und vom Notarzt behandelt werden musste, wobei zwei Liter Wasser erbrochen wurden. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Alarmrufe den Kläger aufgeschreckt und dazu gebracht haben, zum Becken zu laufen und – angetrieben durch das Bestreben, möglichst schnell die Schwester zu erreichen – ohne weiteres Nachdenken hinein zu springen. Anschaulich hat die Zeugin C. geschildert, wie sie selbst nach der an die Freundin ergangenen Aufforderung, dem Kläger Bescheid zu sagen, dass "mit dem Mädchen irgend etwas sei", auf dem Weg zum Wasser war und dieser sie dann im Laufen überholte und sprang. Ihre Bekundung steht wiederum in Übereinstimmung mit den Erklärungen des Klägers, wonach er durch das "hysterische Geschrei" der Zeugin A1 aufmerksam wurde, losrannte und die Zeugin C. überholte. Die Aussage des Dienst tuenden Bademeisters, des Zeugen B2 R., steht hierzu nicht in Widerspruch. Dieser hat zwar die an den Kläger durch die Zeugin A1 ergangene Aufforderung nicht und auch sonst keine Notsituation im Nichtschwimmerbereich wahrgenommen. Jedoch hat auch er den Kläger losrennen und in das Becken springen sehen. Wenn der Zeuge R. Weiteres nicht wahrgenommen hat, so ist dies angesichts der von ihm geschilderten Anzahl von etwa 100 Personen, die sich nach seiner Aussage allein im Nichtschwimmerbereich aufgehalten haben, sowie des hieraus sich ergebenden Lärmpegels auch nicht verwunderlich. Der Kläger hat die Situation am Unfalltage auch nicht nur etwa deswegen falsch eingeschätzt, weil er kurz zuvor Marihuana geraucht hatte und deswegen einer Sinnestäuschung unterlegen war. Nicht auszuschließen ist, dass der Hinweis im Notarztprotokoll auf den Marihuanagenuss auf einem Missverständnis beruht. Selbst wenn damit aber die Angaben des Klägers korrekt wiedergegeben wurden, findet sich im Protokoll kein Anhalt für eine cannabisbedingte Trübung seines Bewusstseins – im Gegenteil, er war voll orientiert und ohne Erinnerungslücke (so die ausdrückliche Feststellung bei der Erstuntersuchung in der Klinik). Der Senat glaubt dem Kläger, dass die späte Antragstellung auf Unkenntnis zurückgeht und er erst durch die Beratung seines Anwalts zur Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten bewegt wurde. Dass ein Nothelfer gesetzlich unfallversichert ist, erschließt sich einem Laien nämlich nicht ohne weiteres. Immerhin hatte der Kläger entgegen der Behauptung der Beklagten offenkundig bereits vor der anwaltlichen Beratung gegenüber Dritten, nämlich den behandelnden Ärzten, von dem Rettungsversuch wenigstens gesprochen. Dies folgt aus dem Schreiben des Chefarztes des Querschnittgelähmtenzentrums, Dr. E., an den Senatsbeauftragten für Behindertenfragen vom 31. Juli 1995, welches sich in der Sachakte der Beklagten befindet. Der Vorgang belegt, dass bereits etwa ein Jahr vor der Antragstellung die Rettungstat von dem Kläger wenigstens thematisiert worden war. Aufgrund des von dem Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks ist ihm abzunehmen, dass er sich wegen seines zweimaligen Versagens bei der Beaufsichtigung der behinderten Schwester vor seiner Familie schämte und deswegen den wirklichen Hergang zunächst nicht zugeben wollte. Dies erklärt, warum der Unfallfragebogen der Innungskrankenkasse eine andere Darstellung enthält. Versicherungsschutz ist vorliegend auch nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass sich der Kläger durch seinen unüberlegten Sprung selbst in die Gefahr schwerster Verletzungen gebracht hat. Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" wird in der Rechtsprechung des BSG eng ausgelegt und mit größter Zurückhaltung angewandt. Der Versicherungsschutz entfällt nicht schon, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch verunglückt; ebenso beseitigt ein in hohem Maße leichtsinniges, unbedachtes Verhalten den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit – hier: die Rettung einer vermeintlich Hilfebedürftigen – und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls – hier: Hechtsprung in das Nichtschwimmerbecken – nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Verunglückter sich derart sorglos und unvernünftig verhalten hat, dass für den Eintritt des Unfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Dabei wird durch ein solches Verhalten der Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausgeschlossen, wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt. Die selbstgeschaffene Gefahr bekommt erst dann Bedeutung, wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (st. Rspr., vgl. zuletzt Urt. des BSG vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – u, Juris, Rdnr. 22). Davon hat sich der Senat nicht überzeugen können. Nach allen im Verfahren zutage getretenen Umständen hatte der aus dem Laufen angesetzte Sprung des Klägers einzig zum Ziel, schneller zu seiner in vermeintlich großer Not befindlichen Schwester zu gelangen, wurde also von der in Rettungsabsicht erfolgten Handlung eingeschlossen. Außerhalb dieses Zusammenhangs liegende Motive für den Hechtsprung sind nicht ersichtlich. Die Fehlhandlung des Klägers bleibt deshalb vom Versicherungsschutz umfasst. Der von der Beklagten begehrten weiteren Aufklärung durch Einnahme des Augenscheins am Unfallort, zwecks Feststellung, dass eine Notlage in Wahrheit nicht vorlag, bedarf es nicht. Von dem Nichtvorliegen einer Notlage geht nämlich auch der Senat in Übereinstimmung mit allen Beteiligten aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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