Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 SO 528/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 386/05 ER SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 8. November 2005 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die notwenigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu tragen. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt Böddeling bewilligt.
Gründe:
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht dem Antragsteller einstweiligen Rechtschutz dadurch gewährt, dass es die aufschiebende Wirkung der von dem Antragsteller gegen den Bescheid vom 6. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 erhobenen Anfechtungsklage (S 55 SO 263/05) wiederhergestellt hat. Der angegriffene Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin die zunächst nach §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz und seit dem 1. Januar 2005 nach §§ 53, 54 in Verbindung mit § 56 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) gewährte Eingliederungshilfe, welche nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten aufgrund eines im Jahre 1967 ergangenen "Kostenbescheides für die Beschäftigung in einer Tagesförderstätte" "bis auf weiteres" erbracht wurde, wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse aufgehoben hat, unterliegt auch nach der Auffassung des beschließenden Senats bei der in dem vorliegenden Eilverfahren lediglich gebotenen summarischen Überprüfung ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
Die von der Antragsgegnerin für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vorausgesetzte wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – lässt sich nach dem Kenntnisstand des Beschwerdeverfahrens nicht feststellen. Sie kann nicht allein darin gesehen werden, dass der Antragsteller bei Erlass des Aufhebungsbescheides kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres stand und die Förderung – wie aus dem auf den 30. September 2005 befristeten Neubewilligungsbescheid vom 7. April 2004 ersichtlich – nach dem Willen der Antragsgegnerin jedenfalls mit Vollendung des 65. Lebensjahres enden sollte. Den Vorschriften des SGB XII, die den Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe ergeben, ist nicht zu entnehmen, dass ein derartiger Anspruch mit Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres gleichsam automatisch endet. Vielmehr bestimmt § 53 Abs. 1 SGB XII, dass behinderte Menschen Eingliederungshilfe erhalten, wenn und solange die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dies ist im Einzelfall zu prüfen und festzustellen. Allerdings werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben regelmäßig mit dem Eintritt des Berechtigten in das Rentenalter an Bedeutung verlieren, wenn auch das Gesetz keinen Hinweis darauf gibt, dass Berufstätigkeit schon allein durch den Eintritt in das Rentenalter enden soll (vgl. auch § 41 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung –). Demgegenüber gibt es für die Leistungen der sozialen Rehabilitation keine Altersgrenze (vgl. Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 53, Rdnr. 25 f. m.N.).
Hiernach kann ein fortgeschrittenes Alter und ein damit verbundenes Nachlassen von Kräften eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ergeben und damit Anlass zur Einstellung einer bestimmten Förderung sein. Dies wird bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sicher früher der Fall sein als bei anderen Rehabilitationsleistungen. Jedoch hat die Antragsgegnerin vorliegend keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob die Fähigkeiten des Antragstellers tatsächlich mittlerweile so eingeschränkt sind, dass die Weiterführung der seit 1967 gewährten Förderung nicht als im Sinne der Zielsetzung der Eingliederungshilfe noch immer erfolgversprechend erscheint. Ungeklärt ist auch, inwieweit die Beschäftigung in der Tagesförderstätte F. der Eingliederung in das Arbeitsleben dient und welche Anteile der Eingliederung in die Gemeinschaft im Übrigen dienen. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil nach dem Kenntnisstand des Eilverfahrens und insoweit entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen werden kann, dass die dem Antragsteller bisher gewährte Förderung ausschließlich der Eingliederung in das Arbeitsleben dient. Vielmehr wird hiervon offenbar die gesamte Lebenssituation des Antragstellers erfasst. Dies hat der Antragsteller bereits im Verfahren vor dem Sozialgericht unter Hinweis auf die zwischen der Antragsgegnerin und dem Leistungserbringer geschlossene Leistungsvereinbarung und die Struktur der Tageförderstätte unwidersprochen vorgetragen. Infolge Fehlens entsprechender Feststellungen hierzu könnte sich der angegriffene Bescheid bei seiner Überprüfung in dem anhängigen Klageverfahren als rechtswidrig erweisen. Jedenfalls aber bedarf der Sachverhalt in diesem Punkte der weiteren Aufklärung. Diese bleibt dem anhängigen Klageverfahren vorbehalten.
Bei dieser Sachlage muss das Interesse des Antragstellers, von den Auswirkungen des nachträglich mit sofortiger Vollziehbarkeit versehenen Bescheides zunächst verschont zu bleiben, weiterhin den Vorrang genießen vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Einstellung der Förderung. Er hat durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht, dass der erreichte Entwicklungsstand bei Wegfall der Tagesförderung gefährdet und ein schneller Abbau seiner körperlichen und geistigen Kräfte zu befürchten wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes beruht auf § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht dem Antragsteller einstweiligen Rechtschutz dadurch gewährt, dass es die aufschiebende Wirkung der von dem Antragsteller gegen den Bescheid vom 6. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 erhobenen Anfechtungsklage (S 55 SO 263/05) wiederhergestellt hat. Der angegriffene Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin die zunächst nach §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz und seit dem 1. Januar 2005 nach §§ 53, 54 in Verbindung mit § 56 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) gewährte Eingliederungshilfe, welche nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten aufgrund eines im Jahre 1967 ergangenen "Kostenbescheides für die Beschäftigung in einer Tagesförderstätte" "bis auf weiteres" erbracht wurde, wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse aufgehoben hat, unterliegt auch nach der Auffassung des beschließenden Senats bei der in dem vorliegenden Eilverfahren lediglich gebotenen summarischen Überprüfung ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
Die von der Antragsgegnerin für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vorausgesetzte wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – lässt sich nach dem Kenntnisstand des Beschwerdeverfahrens nicht feststellen. Sie kann nicht allein darin gesehen werden, dass der Antragsteller bei Erlass des Aufhebungsbescheides kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres stand und die Förderung – wie aus dem auf den 30. September 2005 befristeten Neubewilligungsbescheid vom 7. April 2004 ersichtlich – nach dem Willen der Antragsgegnerin jedenfalls mit Vollendung des 65. Lebensjahres enden sollte. Den Vorschriften des SGB XII, die den Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe ergeben, ist nicht zu entnehmen, dass ein derartiger Anspruch mit Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres gleichsam automatisch endet. Vielmehr bestimmt § 53 Abs. 1 SGB XII, dass behinderte Menschen Eingliederungshilfe erhalten, wenn und solange die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dies ist im Einzelfall zu prüfen und festzustellen. Allerdings werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben regelmäßig mit dem Eintritt des Berechtigten in das Rentenalter an Bedeutung verlieren, wenn auch das Gesetz keinen Hinweis darauf gibt, dass Berufstätigkeit schon allein durch den Eintritt in das Rentenalter enden soll (vgl. auch § 41 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung –). Demgegenüber gibt es für die Leistungen der sozialen Rehabilitation keine Altersgrenze (vgl. Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 53, Rdnr. 25 f. m.N.).
Hiernach kann ein fortgeschrittenes Alter und ein damit verbundenes Nachlassen von Kräften eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ergeben und damit Anlass zur Einstellung einer bestimmten Förderung sein. Dies wird bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sicher früher der Fall sein als bei anderen Rehabilitationsleistungen. Jedoch hat die Antragsgegnerin vorliegend keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob die Fähigkeiten des Antragstellers tatsächlich mittlerweile so eingeschränkt sind, dass die Weiterführung der seit 1967 gewährten Förderung nicht als im Sinne der Zielsetzung der Eingliederungshilfe noch immer erfolgversprechend erscheint. Ungeklärt ist auch, inwieweit die Beschäftigung in der Tagesförderstätte F. der Eingliederung in das Arbeitsleben dient und welche Anteile der Eingliederung in die Gemeinschaft im Übrigen dienen. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil nach dem Kenntnisstand des Eilverfahrens und insoweit entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen werden kann, dass die dem Antragsteller bisher gewährte Förderung ausschließlich der Eingliederung in das Arbeitsleben dient. Vielmehr wird hiervon offenbar die gesamte Lebenssituation des Antragstellers erfasst. Dies hat der Antragsteller bereits im Verfahren vor dem Sozialgericht unter Hinweis auf die zwischen der Antragsgegnerin und dem Leistungserbringer geschlossene Leistungsvereinbarung und die Struktur der Tageförderstätte unwidersprochen vorgetragen. Infolge Fehlens entsprechender Feststellungen hierzu könnte sich der angegriffene Bescheid bei seiner Überprüfung in dem anhängigen Klageverfahren als rechtswidrig erweisen. Jedenfalls aber bedarf der Sachverhalt in diesem Punkte der weiteren Aufklärung. Diese bleibt dem anhängigen Klageverfahren vorbehalten.
Bei dieser Sachlage muss das Interesse des Antragstellers, von den Auswirkungen des nachträglich mit sofortiger Vollziehbarkeit versehenen Bescheides zunächst verschont zu bleiben, weiterhin den Vorrang genießen vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Einstellung der Förderung. Er hat durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht, dass der erreichte Entwicklungsstand bei Wegfall der Tagesförderung gefährdet und ein schneller Abbau seiner körperlichen und geistigen Kräfte zu befürchten wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes beruht auf § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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