Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 302/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 560/05 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 7. September 2005 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beschwerde zu erstatten.
Gründe:
I.
Bei dem 1950 geborenen und bei der Antragsgegnerin versicherten Antragsteller wurde im Januar 2002 eine radikale Tumornephrektomie durchgeführt. Von April 2002 bis März 2003 unterzog er sich einer kombinierten Immuntherapie mit Interleukin-2/Interferon-alpha; die Therapie wurde wegen nicht mehr tolerierter Nebenwirkungen und insgesamt unzureichenden Ansprechens beendet. Nach Implantation eines venösen port-a-cath-Systems im April 2003 wurde bis Dezember 2003 eine palliative zytostatische Polychemotherapie mit dem Erfolg einer klinisch guten Teilremission durchgeführt. Von Februar bis April 2004 erfolgte eine niedrig dosierte Interleukin-2-Monotherapie, im Mai 2004 die Explantation des venösen port-a-cath-Systems. Wegen der im Juli 2004 festgestellten intrapulmonalen Progression erfolgte im Juli 2004 eine Metastasenresektion im linken Lungenoberlappen.
Nachdem der Antragsteller bereits im April 2002 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme einer inhalativen Anwendung der nicht zugelassenen inhalativen Anwendung von Interleukin-2 (Proleukin S) aufgrund einer Empfehlung des Tumorzentrums M. beantragt hatte, stellte er durch seinen Prozessbevollmächtigte am 19.03.2005 wieder einen Antrag auf Kostenübernahme der inhalativen Interleukin-2-Therapie; im Hinblick auf die Atem- und Nierenfunktion sei eine lebensbedrohliche Situation gegeben. Der von der Antragsgegnerin gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) gelangte in der Stellungnahme vom 20.06.2005 zu dem Ergebnis, eine inhalative Therapie mit Interleukin-2 könne außerhalb von klinischen Studien wegen der unzureichenden Datenlage und des deutlichen Nebenwirkungsprofils dieses Immuntherapeutikums nicht empfohlen werden. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22.06.2005 eine Kostenübernahme ab. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers legte hiergegen am 23.06.2005 Widerspruch ein.
Er hat am 08.07.2005 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine Immuntherapie mit inhalativem Interleukin-2 bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use der beantragten Therapie seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllt. Da für den Antragsteller keine zugelassene Behandlungsoption mehr besteht, mehrere Zyklen der zugelassenen Immuntherapie (subkutan) erfolglos waren, zu einem Progress geführt haben und das Leben des Antragstellers bei einem weiteren Wachsen der Lungenmetastasen unmittelbar bedroht ist, sei einstweiliger Rechtsschutz geboten. Eine unverzügliche inhalative Behandlung mit Interleukin-2 biete gute Chancen auf eine Stabilisierung bzw. Remission der Erkrankung. Nach der Datenlage bestehe eine begründete Aussicht, dass mit der Therapie ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Zahlreiche Veröffentlichungen führender Spezialisten seien zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Therapieform gerade bei Versagen der systemischen Therapie bzw. Kontraindikation zum Erfolg führe. In einer Vielzahl von Fällen sei ein stabiler Krankheitsverlauf erreicht worden. Die Überlebensrate sei deutlich höher, die zu erwartenden schädlichen Nebenwirkungen kaum vorhanden gewesen; dies ergebe sich aus einer Studie des Universitätsklinikums H. aus dem Jahr 2002.
Die Antragsgegnerin hat am 13.07.2005 beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Kosten für die inhalative Interleukin-2-Therapie vorläufig für einen Zeitraum von sechs Monaten, "hilfsweise bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens zu bezahlen". Auch wenn andere Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die Kassen zu einer Kostenübernahme verpflichtet hätten, könne diesen Entscheidungen nicht gefolgt werden. Zu der entscheidenden Frage, ob in der Forschung bereits der Stand der Phase III erreicht worden sei oder aber sich ein Konsens im Hinblick auf die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Methode in der Fachwelt durchgesetzt habe, sei dem Gutachten des Kompetenzzentrums des MDK Nordrhein zu folgen, in dem ein Wirksamkeitsnachweis nicht angenommen wurde. Die bisherigen Veröffentlichungen seien nach diesem Gutachten sowie anderen einzelnen MDK-Gutachten aufgrund zahlreicher Mängel für eine Nutzenbewertung nicht als ausreichend angesehen worden. Diese Position sei sowohl vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch von der dort angesiedelten Off-Label-Expertengruppe bestätigt worden. Wegen des nicht ausreichenden Wirksamkeitsnachweises der streitgegenständlichen Methode könne es nicht sein, dass der Kostenträger bereits im Vorfeld verpflichtet werde, für den gesamten Instanzenzug die Kosten einer Methode ohne Wirksamkeitsnachweis zu übernehmen.
Das SG hat mit Beschluss vom 07.09.2005 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbarer Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei im vorliegenden Fall wegen der schweren Erkrankung des Antragstellers nicht mehr ausreichend. Die hier gebotene Folgenabwägung müsse die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Versicherten hinreichend zur Geltung bringen. Der Anwendungsbereich des Interleukin-2 Präparates (Proleukin) erfasse die subkutane und intravenöse Gabe bei einem metastasierten Nierenzellkarzinom. Auch wenn die begehrte Verabreichung mittels Inhalationen arzneimittelrechtlich nicht zugelassen sei, sei die Antragsgegnerin zur Kostenübernahme der Therapie bei dem hier vorliegenden Off-Label-Use verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein Off-Label-Use zulässig, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gebe und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem Medikament bzw. der jeweiligen Darreichungsform ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Streit bestehe lediglich hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises. Da der Antragsteller im Rahmen einer Therapie unter subkutaner Gabe von Interleukin-2 phasenweise auch erfolgreich behandelt wurde, werde das vom MDK hervorgehobene Nebenwirkungsprofil relativiert, insbesondere im Hinblick darauf, dass der MDK selbst eine Therapieoption nicht benannt habe. Daher komme den Ausführungen des behandelnden Onkologen, der den Antragsteller seit mehreren Jahren medizinisch versorge, besondere Bedeutung zu; dieser habe im Hinblick auf die konkrete Eignung der beantragten Therapieoption die Behandlung empfohlen. Eine vorläufige Kostentragungspflicht für längstens sechs Monate sei nicht möglich, da kein Anhalt dafür bestehe, dass eine Behandlung höchstens sechs Monate in Anspruch nehmen würde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 07.10.2005, mit der sie auf den Abschlussbericht der Off-Label-Expertengruppe hinweist, die einen Off-Label-Einsatz von Interleukin-2 in inhalativer Darreichungsform derzeit nicht für gerechtfertigt halte. Es könne von einer grundsätzlichen Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach wie vor nicht ausgegangen werden. Dennoch übernehme die Antragsgegnerin in Umsetzung des angefochtenen Beschlusses die Behandlungskosten vorläufig und der Antragsteller könne mit der Behandlung beginnen. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß), den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.09.2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach den zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen sei glaubhaft gemacht worden, dass dem Antragsteller keine Alternative bezüglich einer Therapie seiner Krebserkrankung mehr zur Verfügung stehe.
Beigezogen wurden die Akten der Antragsgegnerin und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 173, 174, 176, 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Es fehlt hier das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 08.07.2005 lediglich beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten die Kosten für eine Immuntherapie mit inhalativen Interleukin-2 "bis zur Entscheidung in der Hauptsache" zu übernehmen. Die Antragsgegnerin hat zwar am 13.07.2005 beantragt, den Antrag abzulehnen, aber hilfsweise sich bereit erklärt, die Kosten der beantragten Therapie für einen Zeitraum von sechs Monaten, "hilfsweise bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens" zu zahlen. Ihrem gesamten Vorbringen ist zu entnehmen, dass sie sich gegen eine Verpflichtung zur Kostenübernahme der streitigen Therapie während des "gesamten Instanzenzugs" wendet, aber nicht gegen die vorläufige Kostenübernahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache beim SG. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss die Antragsgegnerin lediglich verpflichtet, vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung "bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen". Auch wenn es in den Gründen des Beschlusses den ersten Hilfsantrag auf Übernahme der Kosten der streitigen Therapie für sechs Monate abgelehnt hat, hat es im Ergebnis dem zweiten Hilfsantrag der Antragsgegnerin entsprochen. Dieser zweite Hilfsantrag enthält materiell-rechtlich eine die Antragsgegnerin bindende Zusicherung der Kostenübernahme der streitigen Therapie für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vor dem SG (§ 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X - SGB X).
Selbst wenn die Beschwerde zulässig wäre, wäre das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ohne Erfolg. Der angefochtene Beschluss des SG ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass eine Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind; beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind, wie das SG ausführlich und zutreffend begründet hat, gegeben.
Der Anordnungsgrund liegt hier in der Eilbedürftigkeit der begehrten Sicherung oder Regelung, nämlich der Fortsetzung der Krebstherapie, d.h. der ärztlich empfohlenen inhalativen Gabe von Interleukin-2, zur Verlängerung des Lebens des Antragstellers (§ 27 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Sozialgesetzbuch V - SGB V).
Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, hängt im allgemeinen von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ab. Handelt es sich jedoch um eine komplizierte Sach- und Rechtslage, wie im vorliegenden Fall, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, die die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers hinreichend zur Geltung bringt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss und 22.11.2002 (NJW 2003, 1236 = NZS 2003, 253) unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz verlangt, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbarer Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Deswegen sind die Gerichte gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende (und nicht nur summarische und pauschale) Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, die, wenn dazu Anlass besteht, auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt die allgemeine Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und die behördlichen und gerichtlichen Verfahren müssen der darin enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden. Befindet sich ein Antragsteller nach Einschätzung der ihn behandelnden Ärzte in einer lebensbedrohlichen Situation, sofern er das fragliche Medikament nicht (mehr) erhält, kann eine Entscheidung der Gerichte über die Verpflichtung zur vorläufigen Übernahme der Kosten nicht ohne Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 2 GG erfolgen. Anstelle der hier geforderten besonders intensiven Prüfung der Erfolgsaussichten kann auch eine Folgenabwägung vorgenommen werden, die die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers berücksichtigt. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt auch in dessen weiteren Entscheidungen zum Ausdruck (Beschluss vom 15.03.2004, 1 BvR 4/04; Beschluss vom 19.03.2004, 1 BvR 131/04; Beschluss vom 22.06.2004, 1 BvR 1332/04). Die Versagung einstweiligen Rechtschutzes darf danach nicht zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führen, wenn das Abwarten akuter Krankheitserscheinungen zu einem Risiko und irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt.
Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat z.B. mit Beschluss vom 04.10.2004 (L 4 B 74/04 KR ER) angeschlossen und bereits hier die Krankenkasse verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung zumindest für einen begrenzten Zeitraum zu erstatten bzw. ihn von diesen Kosten freizustellen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use eines zugelassenen Arzneimittels (BSG vom 19.03.2002 BSGE 89, 184) ist auch im vorliegenden Fall festzustellen, dass es bei dem Antragsteller um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, nach Einschätzung der behandelnden Ärzte keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Im o.g. Beschluss hat der Senat bereits ausgeführt, dass die Bedenken der verpflichteten Kasse gegen den zulassungsüberschreitenden Einsatz (Indikation, Applikationsform) von Interleukin-2 zunächst zurücktreten müssen gegenüber deren Verpflichtung, die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG) zu wahren. Da das Arzneimittel Interleukin-2 die arzneimittelrechtliche Zulassung besitzt, kann davon ausgegangen werden, dass allgemein die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts bereits hinreichend erfüllt sind. In dem o.g. Verfahren ist der Senat der Ansicht gewesen, dass die vom Antragsteller vorgelegten medizinisch-wissenschaftlichen Publikationen über den therapeutischen Nutzen der inhalativen Anwendung von Interleukin-2 bei Lungenmetastasen die zulassungsüberschreitende Anwendung des Arzneimittels als zweckmäßig erscheinen lassen, zumal der inhalative Einsatz der Interleukin-2-Therapie geringere pulmonale Nebenwirkungen hat als die systemische Gabe des Präparats.
Die Antragsgegnerin beruft sich zwar demgegenüber auf den mittlerweile veröffentlichten Abschlussbericht der Off-Label-Expertengruppe "Feststellung zu inhalativem Interleukin-2 bei metastasierten Nierenzellkarzinom" (Stand: Juli 2005). Hierin kommt die Expertengruppe zum Ergebnis, dass ein Off-Label-Einsatz von Interleukin-2 bei inhalativer Darreichung derzeit nicht gerechtfertigt sei. Der Abschlussbericht enthält aber auch die Feststellung, dass nach der Datenlage bei Patienten in ausgewählten Fällen durch eine Interleukin-2 Inhalation ein Behandlungserfolg erzielt werden konnte, die für die zugelassenen Therapieformen nicht geeignet waren oder die auf zugelassene Therapien nicht angesprochen hatten. Damit sieht der Senat auch im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, einen Anordnungsanspruch in Zweifel zu ziehen.
Er kann der Antragsgegnerin nicht folgen, dass im vorliegenden Verfahren bindende Feststellungen über die Wirksamkeit von Interleukin-2 bei inhalativer Anwendung getroffen würden. Denn das Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes bezweckt im Verhältnis zum Verfahren in der Hauptsache lediglich flankierende Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Abwendung unzumutbarer Nachteile für den Antragsteller, ohne dass über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten entschieden wird. Die Antragsgegnerin beruft sich daher auch zu Unrecht auf einen, vorläufigen Rechtschutz ablehnenden Beschluss des Senats vom 12.07.2004 (L 4 B 275/04 KR ER), in dem die Verpflichtung der Krankenkasse zur Übernahme der Kosten einer intravenösen Immunglobulin-Therapie bei einer Aids-Erkrankung verneint wurde; denn dort fehlte es an einem ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Im vorliegenden Fall jedoch hat auch die Off-Label-Expertengruppe bei bestimmten Patientengruppen einen Behandlungserfolg anerkannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 70 SGG).
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beschwerde zu erstatten.
Gründe:
I.
Bei dem 1950 geborenen und bei der Antragsgegnerin versicherten Antragsteller wurde im Januar 2002 eine radikale Tumornephrektomie durchgeführt. Von April 2002 bis März 2003 unterzog er sich einer kombinierten Immuntherapie mit Interleukin-2/Interferon-alpha; die Therapie wurde wegen nicht mehr tolerierter Nebenwirkungen und insgesamt unzureichenden Ansprechens beendet. Nach Implantation eines venösen port-a-cath-Systems im April 2003 wurde bis Dezember 2003 eine palliative zytostatische Polychemotherapie mit dem Erfolg einer klinisch guten Teilremission durchgeführt. Von Februar bis April 2004 erfolgte eine niedrig dosierte Interleukin-2-Monotherapie, im Mai 2004 die Explantation des venösen port-a-cath-Systems. Wegen der im Juli 2004 festgestellten intrapulmonalen Progression erfolgte im Juli 2004 eine Metastasenresektion im linken Lungenoberlappen.
Nachdem der Antragsteller bereits im April 2002 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme einer inhalativen Anwendung der nicht zugelassenen inhalativen Anwendung von Interleukin-2 (Proleukin S) aufgrund einer Empfehlung des Tumorzentrums M. beantragt hatte, stellte er durch seinen Prozessbevollmächtigte am 19.03.2005 wieder einen Antrag auf Kostenübernahme der inhalativen Interleukin-2-Therapie; im Hinblick auf die Atem- und Nierenfunktion sei eine lebensbedrohliche Situation gegeben. Der von der Antragsgegnerin gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) gelangte in der Stellungnahme vom 20.06.2005 zu dem Ergebnis, eine inhalative Therapie mit Interleukin-2 könne außerhalb von klinischen Studien wegen der unzureichenden Datenlage und des deutlichen Nebenwirkungsprofils dieses Immuntherapeutikums nicht empfohlen werden. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22.06.2005 eine Kostenübernahme ab. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers legte hiergegen am 23.06.2005 Widerspruch ein.
Er hat am 08.07.2005 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine Immuntherapie mit inhalativem Interleukin-2 bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use der beantragten Therapie seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllt. Da für den Antragsteller keine zugelassene Behandlungsoption mehr besteht, mehrere Zyklen der zugelassenen Immuntherapie (subkutan) erfolglos waren, zu einem Progress geführt haben und das Leben des Antragstellers bei einem weiteren Wachsen der Lungenmetastasen unmittelbar bedroht ist, sei einstweiliger Rechtsschutz geboten. Eine unverzügliche inhalative Behandlung mit Interleukin-2 biete gute Chancen auf eine Stabilisierung bzw. Remission der Erkrankung. Nach der Datenlage bestehe eine begründete Aussicht, dass mit der Therapie ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Zahlreiche Veröffentlichungen führender Spezialisten seien zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Therapieform gerade bei Versagen der systemischen Therapie bzw. Kontraindikation zum Erfolg führe. In einer Vielzahl von Fällen sei ein stabiler Krankheitsverlauf erreicht worden. Die Überlebensrate sei deutlich höher, die zu erwartenden schädlichen Nebenwirkungen kaum vorhanden gewesen; dies ergebe sich aus einer Studie des Universitätsklinikums H. aus dem Jahr 2002.
Die Antragsgegnerin hat am 13.07.2005 beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Kosten für die inhalative Interleukin-2-Therapie vorläufig für einen Zeitraum von sechs Monaten, "hilfsweise bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens zu bezahlen". Auch wenn andere Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die Kassen zu einer Kostenübernahme verpflichtet hätten, könne diesen Entscheidungen nicht gefolgt werden. Zu der entscheidenden Frage, ob in der Forschung bereits der Stand der Phase III erreicht worden sei oder aber sich ein Konsens im Hinblick auf die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Methode in der Fachwelt durchgesetzt habe, sei dem Gutachten des Kompetenzzentrums des MDK Nordrhein zu folgen, in dem ein Wirksamkeitsnachweis nicht angenommen wurde. Die bisherigen Veröffentlichungen seien nach diesem Gutachten sowie anderen einzelnen MDK-Gutachten aufgrund zahlreicher Mängel für eine Nutzenbewertung nicht als ausreichend angesehen worden. Diese Position sei sowohl vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch von der dort angesiedelten Off-Label-Expertengruppe bestätigt worden. Wegen des nicht ausreichenden Wirksamkeitsnachweises der streitgegenständlichen Methode könne es nicht sein, dass der Kostenträger bereits im Vorfeld verpflichtet werde, für den gesamten Instanzenzug die Kosten einer Methode ohne Wirksamkeitsnachweis zu übernehmen.
Das SG hat mit Beschluss vom 07.09.2005 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbarer Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei im vorliegenden Fall wegen der schweren Erkrankung des Antragstellers nicht mehr ausreichend. Die hier gebotene Folgenabwägung müsse die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Versicherten hinreichend zur Geltung bringen. Der Anwendungsbereich des Interleukin-2 Präparates (Proleukin) erfasse die subkutane und intravenöse Gabe bei einem metastasierten Nierenzellkarzinom. Auch wenn die begehrte Verabreichung mittels Inhalationen arzneimittelrechtlich nicht zugelassen sei, sei die Antragsgegnerin zur Kostenübernahme der Therapie bei dem hier vorliegenden Off-Label-Use verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein Off-Label-Use zulässig, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gebe und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem Medikament bzw. der jeweiligen Darreichungsform ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Streit bestehe lediglich hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises. Da der Antragsteller im Rahmen einer Therapie unter subkutaner Gabe von Interleukin-2 phasenweise auch erfolgreich behandelt wurde, werde das vom MDK hervorgehobene Nebenwirkungsprofil relativiert, insbesondere im Hinblick darauf, dass der MDK selbst eine Therapieoption nicht benannt habe. Daher komme den Ausführungen des behandelnden Onkologen, der den Antragsteller seit mehreren Jahren medizinisch versorge, besondere Bedeutung zu; dieser habe im Hinblick auf die konkrete Eignung der beantragten Therapieoption die Behandlung empfohlen. Eine vorläufige Kostentragungspflicht für längstens sechs Monate sei nicht möglich, da kein Anhalt dafür bestehe, dass eine Behandlung höchstens sechs Monate in Anspruch nehmen würde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 07.10.2005, mit der sie auf den Abschlussbericht der Off-Label-Expertengruppe hinweist, die einen Off-Label-Einsatz von Interleukin-2 in inhalativer Darreichungsform derzeit nicht für gerechtfertigt halte. Es könne von einer grundsätzlichen Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach wie vor nicht ausgegangen werden. Dennoch übernehme die Antragsgegnerin in Umsetzung des angefochtenen Beschlusses die Behandlungskosten vorläufig und der Antragsteller könne mit der Behandlung beginnen. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß), den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.09.2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach den zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen sei glaubhaft gemacht worden, dass dem Antragsteller keine Alternative bezüglich einer Therapie seiner Krebserkrankung mehr zur Verfügung stehe.
Beigezogen wurden die Akten der Antragsgegnerin und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 173, 174, 176, 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Es fehlt hier das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 08.07.2005 lediglich beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten die Kosten für eine Immuntherapie mit inhalativen Interleukin-2 "bis zur Entscheidung in der Hauptsache" zu übernehmen. Die Antragsgegnerin hat zwar am 13.07.2005 beantragt, den Antrag abzulehnen, aber hilfsweise sich bereit erklärt, die Kosten der beantragten Therapie für einen Zeitraum von sechs Monaten, "hilfsweise bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens" zu zahlen. Ihrem gesamten Vorbringen ist zu entnehmen, dass sie sich gegen eine Verpflichtung zur Kostenübernahme der streitigen Therapie während des "gesamten Instanzenzugs" wendet, aber nicht gegen die vorläufige Kostenübernahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache beim SG. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss die Antragsgegnerin lediglich verpflichtet, vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung "bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen". Auch wenn es in den Gründen des Beschlusses den ersten Hilfsantrag auf Übernahme der Kosten der streitigen Therapie für sechs Monate abgelehnt hat, hat es im Ergebnis dem zweiten Hilfsantrag der Antragsgegnerin entsprochen. Dieser zweite Hilfsantrag enthält materiell-rechtlich eine die Antragsgegnerin bindende Zusicherung der Kostenübernahme der streitigen Therapie für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vor dem SG (§ 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X - SGB X).
Selbst wenn die Beschwerde zulässig wäre, wäre das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ohne Erfolg. Der angefochtene Beschluss des SG ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass eine Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind; beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind, wie das SG ausführlich und zutreffend begründet hat, gegeben.
Der Anordnungsgrund liegt hier in der Eilbedürftigkeit der begehrten Sicherung oder Regelung, nämlich der Fortsetzung der Krebstherapie, d.h. der ärztlich empfohlenen inhalativen Gabe von Interleukin-2, zur Verlängerung des Lebens des Antragstellers (§ 27 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Sozialgesetzbuch V - SGB V).
Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, hängt im allgemeinen von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ab. Handelt es sich jedoch um eine komplizierte Sach- und Rechtslage, wie im vorliegenden Fall, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, die die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers hinreichend zur Geltung bringt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss und 22.11.2002 (NJW 2003, 1236 = NZS 2003, 253) unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz verlangt, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbarer Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Deswegen sind die Gerichte gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende (und nicht nur summarische und pauschale) Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, die, wenn dazu Anlass besteht, auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt die allgemeine Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und die behördlichen und gerichtlichen Verfahren müssen der darin enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden. Befindet sich ein Antragsteller nach Einschätzung der ihn behandelnden Ärzte in einer lebensbedrohlichen Situation, sofern er das fragliche Medikament nicht (mehr) erhält, kann eine Entscheidung der Gerichte über die Verpflichtung zur vorläufigen Übernahme der Kosten nicht ohne Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 2 GG erfolgen. Anstelle der hier geforderten besonders intensiven Prüfung der Erfolgsaussichten kann auch eine Folgenabwägung vorgenommen werden, die die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers berücksichtigt. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt auch in dessen weiteren Entscheidungen zum Ausdruck (Beschluss vom 15.03.2004, 1 BvR 4/04; Beschluss vom 19.03.2004, 1 BvR 131/04; Beschluss vom 22.06.2004, 1 BvR 1332/04). Die Versagung einstweiligen Rechtschutzes darf danach nicht zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führen, wenn das Abwarten akuter Krankheitserscheinungen zu einem Risiko und irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt.
Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat z.B. mit Beschluss vom 04.10.2004 (L 4 B 74/04 KR ER) angeschlossen und bereits hier die Krankenkasse verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die Kosten für die inhalative Therapie mit Interleukin-2 nach ärztlicher Verordnung zumindest für einen begrenzten Zeitraum zu erstatten bzw. ihn von diesen Kosten freizustellen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use eines zugelassenen Arzneimittels (BSG vom 19.03.2002 BSGE 89, 184) ist auch im vorliegenden Fall festzustellen, dass es bei dem Antragsteller um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, nach Einschätzung der behandelnden Ärzte keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Im o.g. Beschluss hat der Senat bereits ausgeführt, dass die Bedenken der verpflichteten Kasse gegen den zulassungsüberschreitenden Einsatz (Indikation, Applikationsform) von Interleukin-2 zunächst zurücktreten müssen gegenüber deren Verpflichtung, die verfassungsrechtlich geschützen Belange des Antragstellers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG) zu wahren. Da das Arzneimittel Interleukin-2 die arzneimittelrechtliche Zulassung besitzt, kann davon ausgegangen werden, dass allgemein die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts bereits hinreichend erfüllt sind. In dem o.g. Verfahren ist der Senat der Ansicht gewesen, dass die vom Antragsteller vorgelegten medizinisch-wissenschaftlichen Publikationen über den therapeutischen Nutzen der inhalativen Anwendung von Interleukin-2 bei Lungenmetastasen die zulassungsüberschreitende Anwendung des Arzneimittels als zweckmäßig erscheinen lassen, zumal der inhalative Einsatz der Interleukin-2-Therapie geringere pulmonale Nebenwirkungen hat als die systemische Gabe des Präparats.
Die Antragsgegnerin beruft sich zwar demgegenüber auf den mittlerweile veröffentlichten Abschlussbericht der Off-Label-Expertengruppe "Feststellung zu inhalativem Interleukin-2 bei metastasierten Nierenzellkarzinom" (Stand: Juli 2005). Hierin kommt die Expertengruppe zum Ergebnis, dass ein Off-Label-Einsatz von Interleukin-2 bei inhalativer Darreichung derzeit nicht gerechtfertigt sei. Der Abschlussbericht enthält aber auch die Feststellung, dass nach der Datenlage bei Patienten in ausgewählten Fällen durch eine Interleukin-2 Inhalation ein Behandlungserfolg erzielt werden konnte, die für die zugelassenen Therapieformen nicht geeignet waren oder die auf zugelassene Therapien nicht angesprochen hatten. Damit sieht der Senat auch im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, einen Anordnungsanspruch in Zweifel zu ziehen.
Er kann der Antragsgegnerin nicht folgen, dass im vorliegenden Verfahren bindende Feststellungen über die Wirksamkeit von Interleukin-2 bei inhalativer Anwendung getroffen würden. Denn das Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes bezweckt im Verhältnis zum Verfahren in der Hauptsache lediglich flankierende Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Abwendung unzumutbarer Nachteile für den Antragsteller, ohne dass über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten entschieden wird. Die Antragsgegnerin beruft sich daher auch zu Unrecht auf einen, vorläufigen Rechtschutz ablehnenden Beschluss des Senats vom 12.07.2004 (L 4 B 275/04 KR ER), in dem die Verpflichtung der Krankenkasse zur Übernahme der Kosten einer intravenösen Immunglobulin-Therapie bei einer Aids-Erkrankung verneint wurde; denn dort fehlte es an einem ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Im vorliegenden Fall jedoch hat auch die Off-Label-Expertengruppe bei bestimmten Patientengruppen einen Behandlungserfolg anerkannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 70 SGG).
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