Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 81/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 103/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag des Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 06.12.2004 wird abgelehnt.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Mit einem Gerichtsbescheid vom 06.12.2004 (Az.: S 29 EG 81/03) hat das Sozialgericht München den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 05.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für ihr 1997 geborenes Kind S. Landeserziehungsgeld (LErzg) für den Zeitraum vom 04.11.1999 bis 03.11.2000 in Höhe von 5/6 des Bundeserziehungsgeldes für das zweite Lebensjahr zu gewähren.
Dagegen hat der Beklagte am 20.12.2004 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt (Az.: L 9 EG 136/04).
Am 13.04.2005 hat der Beklagte unter dem Az.: L 9 EG 103/05 ER beantragt, die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Ein Erfolg seiner Berufung sei überwiegend wahrscheinlich. Auch könne das LErzg jetzt nicht mehr entsprechend dem Willen des Gesetzgebers zeitnah ausgezahlt werden. Schon deshalb stehe ein überwiegendes Interesse der Klägerin der Aussetzung des Vollzugs nicht entgegen. Vielmehr würde die Vollstreckung zu einem nicht zu ersetzenden Nachteil für ihn führen, da mit einer Rückerstattung der Leistung bei Aufhebung des Gerichtsbescheides nicht gerechnet werden könne.
Die Klägerin hat beantragt, den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs abzulehnen. Sie verweist darauf, dass das Landessozialgericht in mindestens vier vergleichbaren Fällen zugunsten der jeweiligen Klägerin entschieden habe. Die Berufung der Beklagten biete daher keine Aussicht auf Erfolg. Das aktuelle Lebensalter des Kindes sei unerheblich; es sei gerade das Wesen der Wiedereinsetzung oder des Herstellungsanspruchs, dass in der Vergangenheit liegende Sachverhalte korrigiert würden. Die Klägerin sei dringender als der Beklagte auf finanzielle Mittel angewiesen.
Wegen des Vortrags der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Aussetzungsantrag des Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 199 Abs.2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. In der vorliegenden Streitsache wirkt der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts als Urteil (§ 105 Abs.3 SGG). Ein auf eine Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs.4 SGG ergangenes Grundurteil hat einen vollstreckungsfähigen Inhalt und ist vollstreckungsrechtlich wie ein Verpflichtungsurteil zu behandeln (BSG SozR 3-1500 § 199 SGG Nr.1 S.3 f. m.w.N.). Auch bewirkt die Berufung des Beklagten nach § 154 Abs.1 i.V.m. § 86a SGG sowie nach § 154 Abs.2 SGG keinen Aufschub.
Doch ist der Vollzug des Gerichtsbescheides vom 06.12.2004 gleichwohl nicht auszusetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs.2 SGG ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sowie unter Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Nachteile, die dem Antragsteller bei einer Vollstreckung entstehen würden (vgl. BSG Beschluss vom 26.11.1991 - 1 RR 10/91, USK 91 155 S.738; anderer Ansicht BSG SozR 3-1500 § 199 SGG Nr.1 S.10 f.: maßgeblich nur die für den Antragsteller entstehenden Nachteile).
Der Beklagte selbst hält in der Berufungsbegründung die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 bis 4 des Bayer. Landeserziehungsgeldgesetzes und die besonderen Voraussetzungen des europäisch-türkischen Assoziationsrechts für gegeben. Er bestreitet allerdings das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sowie der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Antragsfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 des Bayer. Landeserziehungsgeldgesetzes. Bei der Prüfung des Antrags ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin das LErzg am 15.02.2002 beantragt hat. Nachdem der Senat in vergleichbaren Fällen bisher nur eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bejaht und Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, hat er nunmehr in mehreren Berufungsentscheidungen vom 24.03.2005 ungeachtet der verstrichenen Antragsfristen den Leistungsanspruch bejaht. Auch unter Berücksichtigung der vom Senat zugelassenen Revision muss daher jetzt von überwiegenden Erfolgsaussichten der Klägerin ausgegangen werden.
Ferner ist erheblich, dass die Klägerin nach dem in der Beklagtenakte abgehefteten Einkommensteuerbescheid für 1997 und der Verdienstbescheinigung ihres beim Flughafen M. arbeitenden Ehemannes für 1998 (Bruttoverdienst monatlich mehr als 5.000,00 DM im Durchschnitt) bei zwei in den Jahren 1991 und 1997 geborenen Kindern in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche wesentliche Änderung sind nicht ersichtlich. Es besteht daher keine relevante Gefahr, dass der Beklagte eventuelle Rückforderungsansprüche gegen die Klägerin nicht realisieren könnte und einen nicht zu ersetzenden Nachteil hinnehmen müsste.
Unter Abwägung dieser Umstände mit dem Interesse des Beklagten, auch in gleichgelagerten Fällen nicht vor der endgültigen Entscheidung im Rechtszug das LErzg auszuzahlen und möglicher weise wieder zurückfordern zu müssen, kann in der vorliegenden Streitsache den Belangen des Beklagten kein Vorrang eingeräumt werden. Es verbleibt daher hier bei der gesetzlichen Regelung, wonach die Berufung des Beklagten keinen Aufschub bewirkt und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vollstreckbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Mit einem Gerichtsbescheid vom 06.12.2004 (Az.: S 29 EG 81/03) hat das Sozialgericht München den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 05.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für ihr 1997 geborenes Kind S. Landeserziehungsgeld (LErzg) für den Zeitraum vom 04.11.1999 bis 03.11.2000 in Höhe von 5/6 des Bundeserziehungsgeldes für das zweite Lebensjahr zu gewähren.
Dagegen hat der Beklagte am 20.12.2004 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt (Az.: L 9 EG 136/04).
Am 13.04.2005 hat der Beklagte unter dem Az.: L 9 EG 103/05 ER beantragt, die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Ein Erfolg seiner Berufung sei überwiegend wahrscheinlich. Auch könne das LErzg jetzt nicht mehr entsprechend dem Willen des Gesetzgebers zeitnah ausgezahlt werden. Schon deshalb stehe ein überwiegendes Interesse der Klägerin der Aussetzung des Vollzugs nicht entgegen. Vielmehr würde die Vollstreckung zu einem nicht zu ersetzenden Nachteil für ihn führen, da mit einer Rückerstattung der Leistung bei Aufhebung des Gerichtsbescheides nicht gerechnet werden könne.
Die Klägerin hat beantragt, den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs abzulehnen. Sie verweist darauf, dass das Landessozialgericht in mindestens vier vergleichbaren Fällen zugunsten der jeweiligen Klägerin entschieden habe. Die Berufung der Beklagten biete daher keine Aussicht auf Erfolg. Das aktuelle Lebensalter des Kindes sei unerheblich; es sei gerade das Wesen der Wiedereinsetzung oder des Herstellungsanspruchs, dass in der Vergangenheit liegende Sachverhalte korrigiert würden. Die Klägerin sei dringender als der Beklagte auf finanzielle Mittel angewiesen.
Wegen des Vortrags der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Aussetzungsantrag des Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 199 Abs.2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. In der vorliegenden Streitsache wirkt der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts als Urteil (§ 105 Abs.3 SGG). Ein auf eine Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs.4 SGG ergangenes Grundurteil hat einen vollstreckungsfähigen Inhalt und ist vollstreckungsrechtlich wie ein Verpflichtungsurteil zu behandeln (BSG SozR 3-1500 § 199 SGG Nr.1 S.3 f. m.w.N.). Auch bewirkt die Berufung des Beklagten nach § 154 Abs.1 i.V.m. § 86a SGG sowie nach § 154 Abs.2 SGG keinen Aufschub.
Doch ist der Vollzug des Gerichtsbescheides vom 06.12.2004 gleichwohl nicht auszusetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs.2 SGG ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sowie unter Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Nachteile, die dem Antragsteller bei einer Vollstreckung entstehen würden (vgl. BSG Beschluss vom 26.11.1991 - 1 RR 10/91, USK 91 155 S.738; anderer Ansicht BSG SozR 3-1500 § 199 SGG Nr.1 S.10 f.: maßgeblich nur die für den Antragsteller entstehenden Nachteile).
Der Beklagte selbst hält in der Berufungsbegründung die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 bis 4 des Bayer. Landeserziehungsgeldgesetzes und die besonderen Voraussetzungen des europäisch-türkischen Assoziationsrechts für gegeben. Er bestreitet allerdings das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sowie der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Antragsfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 des Bayer. Landeserziehungsgeldgesetzes. Bei der Prüfung des Antrags ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin das LErzg am 15.02.2002 beantragt hat. Nachdem der Senat in vergleichbaren Fällen bisher nur eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bejaht und Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, hat er nunmehr in mehreren Berufungsentscheidungen vom 24.03.2005 ungeachtet der verstrichenen Antragsfristen den Leistungsanspruch bejaht. Auch unter Berücksichtigung der vom Senat zugelassenen Revision muss daher jetzt von überwiegenden Erfolgsaussichten der Klägerin ausgegangen werden.
Ferner ist erheblich, dass die Klägerin nach dem in der Beklagtenakte abgehefteten Einkommensteuerbescheid für 1997 und der Verdienstbescheinigung ihres beim Flughafen M. arbeitenden Ehemannes für 1998 (Bruttoverdienst monatlich mehr als 5.000,00 DM im Durchschnitt) bei zwei in den Jahren 1991 und 1997 geborenen Kindern in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche wesentliche Änderung sind nicht ersichtlich. Es besteht daher keine relevante Gefahr, dass der Beklagte eventuelle Rückforderungsansprüche gegen die Klägerin nicht realisieren könnte und einen nicht zu ersetzenden Nachteil hinnehmen müsste.
Unter Abwägung dieser Umstände mit dem Interesse des Beklagten, auch in gleichgelagerten Fällen nicht vor der endgültigen Entscheidung im Rechtszug das LErzg auszuzahlen und möglicher weise wieder zurückfordern zu müssen, kann in der vorliegenden Streitsache den Belangen des Beklagten kein Vorrang eingeräumt werden. Es verbleibt daher hier bei der gesetzlichen Regelung, wonach die Berufung des Beklagten keinen Aufschub bewirkt und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vollstreckbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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