Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 330/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 295/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.05.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Ehemann der Klägerin durch einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) zu Tode gekommen ist und die Klägerin deshalb Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen hat.
Die Klägerin ist die Witwe des am 1942 geborenen und am 31.03.1993 durch I. T. (T.) getöteten Versicherten I. Ü. (Ü.).
Am 31.03.1993 gegen 5.45 Uhr verließ Ü. seine Wohnung in E., um mit seinem im Hofraum der Anwesen W.straße geparkten Pkw zur Arbeit zu fahren. Dort erwartete ihn T. mit einer schussbereiten Vorderschaft-Repetierflinte. Er wusste, dass Ü. an Arbeitstagen regelmäßig zwischen 5.45 und 6.05 Uhr seine Wohnung verließ, um zur Arbeit zu fahren. Er verbarg sich nach den polizeilichen Ermittlungen entweder hinter einem Pkw, der neben seinem PKW geparkt war, oder aber hinter einer nicht einsehbaren Hausecke. Während Ü. im Begriff war, die Fahrertür seines Pkw aufzuschließen, trat T. von hinten an ihn heran und streckte ihn mit zwei Schüssen in den Oberkörper nieder. Ü. sank neben seinem Pkw zu Boden und verstarb. Tatmotiv war nach den Feststellungen des LG A. , das sich auf ein Gutachten des Prof.Dr.N. vom 23.02.1994 stützte, die unberechtigte Annahme des T., Ü. habe ein Verhältnis mit seiner Ehefrau Fatma. Die Familien Ü. und T. waren ursprünglich befreundet. Ü. und T. lernten sich 1978 bei ihrem gemeinsamen Arbeitgeber, der Fa. A., O. , kennen. Etwa seit Ende 1986/Anfang 1987 glaubte T. irrig, zwischen Ü. und seiner Ehefrau Fatma T. bestünde ein Verhältnis. Ohne nachvollziehbare Anlässe steigerte sich die Eifersucht des T. so sehr, dass sie spätestens im Jahr 1992 wahnhafte Züge annahm. Dabei drohte er mehrfach, Ü. eines Tages zu erschießen. Auch war er nun entschlossen, sich von seiner Ehefrau scheiden zu lassen. Etwa im Juni 1992 besorgte sich T. eine Repetierflinte und versteckte sie. Im Laufe des Jahres 1993 nahm die Eifersucht des T. ein solches Ausmaß an, dass er beschloss, Ü. zu töten. Zu diesem Zweck holte er am 30.03.1993 oder wenige Tage zuvor das Gewehr aus dem Versteck und verbrachte es in seine Wohnung im Anwesen , E ... Nach den Feststellungen des Landgerichts A. im Urteil vom 06.10.1994 besuchte T. am Abend des 30.03.1993 nach einem Streit mit seiner Frau zwei Gaststätten und verließ am 31.03.1993 gegen 2.00 Uhr früh die zuletzt besuchte Gaststätte. Er begab sich zu Fuß zu seiner etwa drei bis vier Kilometer entfernt liegenden Wohnung. Dort kam er etwa gegen 3.00 Uhr an und legte sich bekleidet auf sein Bett. Um 5.00 Uhr früh verließ er die Wohnung wieder und lauerte Ü. auf. Nach den polizeilichen Feststellungen verließen gegen 6.00 Uhr früh eine Reihe von ausländischen Arbeitnehmern in der W.straße ihre Wohnungen, um zur Arbeit zu gelangen. Teilweise bildeten sie Fahrgemeinschaften; so fuhr Ü. des öfteren mit H. K. und O. Ö. zur Arbeit. Das durch einen Zeitautomaten gesteuerte Treppenlicht und die Außenlampe der W.straße brannte ca 2 Min 40 Sec. Konturen von Personen waren um ca 6.00 Uhr aus 20 m zu erkennen, bekannte Personen aus einem Abstand von etwa 5 m oder weniger.
Nach Beiziehung der OEG-Akten vom AVF Würzburg mit darin enthaltenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen mit Bescheid vom 11.06.1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 29.08.1997, mit der Begründung ab, der Versicherte sei nicht in Folge eines Arbeitsunfalles verstorben. Die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Versichertem drängten den Zusammenhang des Überfalls mit dem Arbeitsweg als rechtlich unwesentlich zurück. Auch die Tatsache, dass sich der Versicherte routinemäßig in der Morgendämmerung zu seinem Pkw begeben habe, um zur Arbeit zu fahren, stelle keinen besonderen Umstand dar, der zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles führen müsse.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg mit dem Antrag erhoben, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.1997 zu verurteilen, aus Anlass des Todes des Versicherten I. Ü. Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Mit Urteil vom 20.05.1999 hat das SG - dem Antrag der Beklagten entsprechend - die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Wegen seines Eifersuchtswahns habe der Täter den Versicherten unter allen Umständen beseitigen wollen. Dies sei für ihn so wichtig gewesen, dass er seine Mordabsicht auch zu anderer Zeit und bei anderer Gelegenheit in die Tat umgesetzt hätte. Demgegenüber spielten Arbeitswegroutine des Versicherten und die Ausführung der Tat in der Morgendämmerung keine wesentliche Rolle.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, erst aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Arbeitsweges, seiner Regelmäßigkeit und Routine, mit der er zurückgelegt wurde, sei der Mord ermöglicht worden. Der Mörder habe gewusst, dass der Versicherte um 5.45 Uhr sein Haus verlassen würde; die Dunkelheit habe ihn vor Entdeckung geschützt und nicht etwa die Tatausführung mit dem Gewehr erschwert. Schließlich sei der Schuss aus einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern abgegeben worden. Im Schutze der Dunkelheit habe der Täter dann entkommen können.
Der Senat hat die Akten der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg, die OEG-Akten des AVF Würzburg, die Akten der Beklagten sowie eine Auskunft der Fa. A. GmbH, Rechtsnachfolgerin des früheren Arbeitgebers des Versicherten und des Täters, O., vom 28.02.2000 eingeholt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.1997 zu verurteilen, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes des Versicherten I. Ü. am 31.03.1993 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.1999 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG Würzburg hat die Klage zu Recht mit Urteil vom 20.05.1999 abgewiesen.
Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich der zu beurteilende Unfall noch vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach §§ 589 ff RVO, da der Tod ihres Ehemannes I. Ü. nicht durch einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) eingetreten ist (§ 589 Abs 1 iVm §§ 548 Abs 1 Satz 1, 550 RVO).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Eine versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 RVO).
Nach von der Rechtsprechung und Schrifttum zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei tätlichen Auseinandersetzungen bzw Angriffen auf den Wegen von und zur Arbeitsstätte entwickelten Grundsätzen ist Versicherungsschutz während der Zurücklegung des Weges grundsätzlich immer gegeben. Er ist ausgeschlossen, wenn der Angreifer durch persönliche Feindschaft gegen den Beschäftigten oder aus ähnlichen betriebsfremden Beziehungen stammenden Beweggründen zum Überfall veranlasst worden ist und keine besonderen Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges den Überfall wesentlich begünstigt haben (Lauterbach/Watermann, Ges.Unfallversicherung, § 550 RVO Anm 8).
Im vorliegenden Fall liegt ein betriebsbezogenes Tatmotiv nicht vor. Versicherter und Täter haben zwar in der selben Firma gearbeitet, waren jedoch nach Auskunft des Arbeitgebers vom 28.02.2000 immer in verschiedenen, räumlich getrennten Abteilungen eingesetzt, so dass keine betrieblich bedingte Zusammenarbeit vorlag.
Im vorliegenden Fall waren vielmehr betriebsfremde Beziehungen das Motiv für das Tötungsdelikt. Nach den Feststellungen des Landgerichts Aschaffenburg im Urteil vom 06.10.1994, das sich auf das Gutachten des Prof.Dr.N.N. vom 23.02.1994 stützt, lag bei T. eine paranoide Entwicklung im Sinne eines Eifersuchtswahns vor. Er hatte seit Ende 1986/Anfang 1987 den Verdacht, seine Frau Fatma habe ein Verhältnis mit Ü. und drohte wiederholt, ihn umzubringen. In der Nacht vom 30. zum 31.03.1993 hatte er spätestens bei seiner Ankunft in der Wohnung um 3.00 Uhr früh den Entschluss gefasst, dass er Ü. noch am selben Tag töten wolle. Nach den Angaben des Zeugen S. G. und der Ehefrau Fatma hat er sich nach der Tat wiederholt in abfälliger Weise geäußert, indem er zB sagte "er habe es diesem Schwein gezeigt" oder er habe "die Sache erledigt". Aus der Zusammenschau dieser bekannt gewordenen Fakten hat auch der Senat keinen Zweifel daran, dass T. von einer jahrelang vorhandenen und zwanghaft gewordenen Eifersucht zu der Tat getrieben worden ist.
Dieses dem persönlichen Bereich des Überfallenen zuzurechnende Tatmotiv drängt den Zusammenhang des Überfalls mit dem Zurücklegen des Weges nach dem Ort der Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurück, denn der Überfall ist nicht entscheidend durch die besonderen Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges begünstigt worden. Nach der Rechtsprechung sind derartige besondere Verhältnisse Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten, die eine sichere Flucht ermöglichen oder die den Tatplan erheblich bestimmt haben (BSGE 17,75; 78,65,67; Hessisches LSG in Breithaupt 1968,25, Wittmann, SGB 1980, 384, LSG Sachsen-Anhalt vom 02.04.1998 L 6 U 36/96). Zwar konnte T. weitgehend sicher sein, Ü. zwischen 5.45 Uhr und 6.05 Uhr früh - in diesem zeitlichen Rahmen verließ Ü. gewöhnlich die Wohnung - am Tatort anzutreffen. Auch konnte er sich hinter Autos oder einer Hausecke verstecken und Ü. auflauern. Andererseits ging er das beträchtliche Risiko ein, gesehen und aufgegriffen bzw verfolgt zu werden. Der Tatort befindet sich nämlich in einem mit Mehrfamilienhäusern bebauten Wohngebiet. Von den Häusern W.straße 9 und 11 hatten die Bewohner direkten Einblick in den Hofraum. Um ca 6.00 Uhr waren viele Anwohner wach, in verschiedenen Wohnungen brannte zur Tatzeit Licht. T. musste wissen, dass auch Ü. zeitweilig eine Fahrgemeinschaft bildete mit H. K. und O. Ö., so dass die Gefahr bestand, dass H. K. , der W.straße wohnte, gleichzeitig oder kurz nach Ü. das Haus verließ oder auch O. Ö., der W.straße wohnte, den Hofraum betrat. Nachdem die Beleuchtung des Treppenhauses jeweils 2 Min 40 Sec anhielt und der Tatort nur wenige Meter von der Haustür Nr 9 entfernt war, bestand die konkrete Möglichkeit, dass T. gesehen wurde. Diese Auffassung des Senats wird unterstützt durch die Aussage der G. Ö., die vom Fenster der W.straße 11 aus die von Ü. am Auto niedergestellte Tasche im Lichtschein erkennen konnte und dementsprechend zumindest auch die Umrisse des Mörders hätte wahrnehmen können. Dies insbesondere, nachdem auf 20 Meter Entfernung Konturen und auf 5 Meter Entfernung bekannte Personen erkennbar waren. Die Gefahr der Entdeckung für T. war also groß. Diese Umstände machen deutlich, dass der Arbeitsweg eher ungeeignet für die Tat gewesen ist und die Tat keinesfalls begünstigt hat. Dem Umstand, dass es noch dunkel war und T. damit rechnen konnte, dass Ü. pünktlich aus der Haustür trat, kommt demgegenüber kein besonderes Gewicht zu. T. hätte Ü., der ein normales Leben mit den üblichen Außenkontakten führte, auch an einem anderen Ort bei anderer Gelegenheit töten können, wobei er selbstverständlich geschickter Weise auch die Dunkelheit und eine relative Sicherheit, das Opfer anzutreffen, ausgenutzt hätte.
Damit kommt dem Arbeitsweg in Abwägung gegenüber den persönlichen Lebensumständen der Beteiligten und dem unbedingten Entschluss des T., Ü. am 31.03.1993 zu töten, weder die wesentliche Ursache noch eine annähernd gleichwertige Bedingung für die Tat zu.
Die Berufung der Klägerin musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Ehemann der Klägerin durch einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) zu Tode gekommen ist und die Klägerin deshalb Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen hat.
Die Klägerin ist die Witwe des am 1942 geborenen und am 31.03.1993 durch I. T. (T.) getöteten Versicherten I. Ü. (Ü.).
Am 31.03.1993 gegen 5.45 Uhr verließ Ü. seine Wohnung in E., um mit seinem im Hofraum der Anwesen W.straße geparkten Pkw zur Arbeit zu fahren. Dort erwartete ihn T. mit einer schussbereiten Vorderschaft-Repetierflinte. Er wusste, dass Ü. an Arbeitstagen regelmäßig zwischen 5.45 und 6.05 Uhr seine Wohnung verließ, um zur Arbeit zu fahren. Er verbarg sich nach den polizeilichen Ermittlungen entweder hinter einem Pkw, der neben seinem PKW geparkt war, oder aber hinter einer nicht einsehbaren Hausecke. Während Ü. im Begriff war, die Fahrertür seines Pkw aufzuschließen, trat T. von hinten an ihn heran und streckte ihn mit zwei Schüssen in den Oberkörper nieder. Ü. sank neben seinem Pkw zu Boden und verstarb. Tatmotiv war nach den Feststellungen des LG A. , das sich auf ein Gutachten des Prof.Dr.N. vom 23.02.1994 stützte, die unberechtigte Annahme des T., Ü. habe ein Verhältnis mit seiner Ehefrau Fatma. Die Familien Ü. und T. waren ursprünglich befreundet. Ü. und T. lernten sich 1978 bei ihrem gemeinsamen Arbeitgeber, der Fa. A., O. , kennen. Etwa seit Ende 1986/Anfang 1987 glaubte T. irrig, zwischen Ü. und seiner Ehefrau Fatma T. bestünde ein Verhältnis. Ohne nachvollziehbare Anlässe steigerte sich die Eifersucht des T. so sehr, dass sie spätestens im Jahr 1992 wahnhafte Züge annahm. Dabei drohte er mehrfach, Ü. eines Tages zu erschießen. Auch war er nun entschlossen, sich von seiner Ehefrau scheiden zu lassen. Etwa im Juni 1992 besorgte sich T. eine Repetierflinte und versteckte sie. Im Laufe des Jahres 1993 nahm die Eifersucht des T. ein solches Ausmaß an, dass er beschloss, Ü. zu töten. Zu diesem Zweck holte er am 30.03.1993 oder wenige Tage zuvor das Gewehr aus dem Versteck und verbrachte es in seine Wohnung im Anwesen , E ... Nach den Feststellungen des Landgerichts A. im Urteil vom 06.10.1994 besuchte T. am Abend des 30.03.1993 nach einem Streit mit seiner Frau zwei Gaststätten und verließ am 31.03.1993 gegen 2.00 Uhr früh die zuletzt besuchte Gaststätte. Er begab sich zu Fuß zu seiner etwa drei bis vier Kilometer entfernt liegenden Wohnung. Dort kam er etwa gegen 3.00 Uhr an und legte sich bekleidet auf sein Bett. Um 5.00 Uhr früh verließ er die Wohnung wieder und lauerte Ü. auf. Nach den polizeilichen Feststellungen verließen gegen 6.00 Uhr früh eine Reihe von ausländischen Arbeitnehmern in der W.straße ihre Wohnungen, um zur Arbeit zu gelangen. Teilweise bildeten sie Fahrgemeinschaften; so fuhr Ü. des öfteren mit H. K. und O. Ö. zur Arbeit. Das durch einen Zeitautomaten gesteuerte Treppenlicht und die Außenlampe der W.straße brannte ca 2 Min 40 Sec. Konturen von Personen waren um ca 6.00 Uhr aus 20 m zu erkennen, bekannte Personen aus einem Abstand von etwa 5 m oder weniger.
Nach Beiziehung der OEG-Akten vom AVF Würzburg mit darin enthaltenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen mit Bescheid vom 11.06.1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 29.08.1997, mit der Begründung ab, der Versicherte sei nicht in Folge eines Arbeitsunfalles verstorben. Die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Versichertem drängten den Zusammenhang des Überfalls mit dem Arbeitsweg als rechtlich unwesentlich zurück. Auch die Tatsache, dass sich der Versicherte routinemäßig in der Morgendämmerung zu seinem Pkw begeben habe, um zur Arbeit zu fahren, stelle keinen besonderen Umstand dar, der zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles führen müsse.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg mit dem Antrag erhoben, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.1997 zu verurteilen, aus Anlass des Todes des Versicherten I. Ü. Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Mit Urteil vom 20.05.1999 hat das SG - dem Antrag der Beklagten entsprechend - die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Wegen seines Eifersuchtswahns habe der Täter den Versicherten unter allen Umständen beseitigen wollen. Dies sei für ihn so wichtig gewesen, dass er seine Mordabsicht auch zu anderer Zeit und bei anderer Gelegenheit in die Tat umgesetzt hätte. Demgegenüber spielten Arbeitswegroutine des Versicherten und die Ausführung der Tat in der Morgendämmerung keine wesentliche Rolle.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, erst aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Arbeitsweges, seiner Regelmäßigkeit und Routine, mit der er zurückgelegt wurde, sei der Mord ermöglicht worden. Der Mörder habe gewusst, dass der Versicherte um 5.45 Uhr sein Haus verlassen würde; die Dunkelheit habe ihn vor Entdeckung geschützt und nicht etwa die Tatausführung mit dem Gewehr erschwert. Schließlich sei der Schuss aus einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern abgegeben worden. Im Schutze der Dunkelheit habe der Täter dann entkommen können.
Der Senat hat die Akten der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg, die OEG-Akten des AVF Würzburg, die Akten der Beklagten sowie eine Auskunft der Fa. A. GmbH, Rechtsnachfolgerin des früheren Arbeitgebers des Versicherten und des Täters, O., vom 28.02.2000 eingeholt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.08.1997 zu verurteilen, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes des Versicherten I. Ü. am 31.03.1993 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.1999 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG Würzburg hat die Klage zu Recht mit Urteil vom 20.05.1999 abgewiesen.
Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich der zu beurteilende Unfall noch vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach §§ 589 ff RVO, da der Tod ihres Ehemannes I. Ü. nicht durch einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) eingetreten ist (§ 589 Abs 1 iVm §§ 548 Abs 1 Satz 1, 550 RVO).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Eine versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 RVO).
Nach von der Rechtsprechung und Schrifttum zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei tätlichen Auseinandersetzungen bzw Angriffen auf den Wegen von und zur Arbeitsstätte entwickelten Grundsätzen ist Versicherungsschutz während der Zurücklegung des Weges grundsätzlich immer gegeben. Er ist ausgeschlossen, wenn der Angreifer durch persönliche Feindschaft gegen den Beschäftigten oder aus ähnlichen betriebsfremden Beziehungen stammenden Beweggründen zum Überfall veranlasst worden ist und keine besonderen Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges den Überfall wesentlich begünstigt haben (Lauterbach/Watermann, Ges.Unfallversicherung, § 550 RVO Anm 8).
Im vorliegenden Fall liegt ein betriebsbezogenes Tatmotiv nicht vor. Versicherter und Täter haben zwar in der selben Firma gearbeitet, waren jedoch nach Auskunft des Arbeitgebers vom 28.02.2000 immer in verschiedenen, räumlich getrennten Abteilungen eingesetzt, so dass keine betrieblich bedingte Zusammenarbeit vorlag.
Im vorliegenden Fall waren vielmehr betriebsfremde Beziehungen das Motiv für das Tötungsdelikt. Nach den Feststellungen des Landgerichts Aschaffenburg im Urteil vom 06.10.1994, das sich auf das Gutachten des Prof.Dr.N.N. vom 23.02.1994 stützt, lag bei T. eine paranoide Entwicklung im Sinne eines Eifersuchtswahns vor. Er hatte seit Ende 1986/Anfang 1987 den Verdacht, seine Frau Fatma habe ein Verhältnis mit Ü. und drohte wiederholt, ihn umzubringen. In der Nacht vom 30. zum 31.03.1993 hatte er spätestens bei seiner Ankunft in der Wohnung um 3.00 Uhr früh den Entschluss gefasst, dass er Ü. noch am selben Tag töten wolle. Nach den Angaben des Zeugen S. G. und der Ehefrau Fatma hat er sich nach der Tat wiederholt in abfälliger Weise geäußert, indem er zB sagte "er habe es diesem Schwein gezeigt" oder er habe "die Sache erledigt". Aus der Zusammenschau dieser bekannt gewordenen Fakten hat auch der Senat keinen Zweifel daran, dass T. von einer jahrelang vorhandenen und zwanghaft gewordenen Eifersucht zu der Tat getrieben worden ist.
Dieses dem persönlichen Bereich des Überfallenen zuzurechnende Tatmotiv drängt den Zusammenhang des Überfalls mit dem Zurücklegen des Weges nach dem Ort der Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurück, denn der Überfall ist nicht entscheidend durch die besonderen Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges begünstigt worden. Nach der Rechtsprechung sind derartige besondere Verhältnisse Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten, die eine sichere Flucht ermöglichen oder die den Tatplan erheblich bestimmt haben (BSGE 17,75; 78,65,67; Hessisches LSG in Breithaupt 1968,25, Wittmann, SGB 1980, 384, LSG Sachsen-Anhalt vom 02.04.1998 L 6 U 36/96). Zwar konnte T. weitgehend sicher sein, Ü. zwischen 5.45 Uhr und 6.05 Uhr früh - in diesem zeitlichen Rahmen verließ Ü. gewöhnlich die Wohnung - am Tatort anzutreffen. Auch konnte er sich hinter Autos oder einer Hausecke verstecken und Ü. auflauern. Andererseits ging er das beträchtliche Risiko ein, gesehen und aufgegriffen bzw verfolgt zu werden. Der Tatort befindet sich nämlich in einem mit Mehrfamilienhäusern bebauten Wohngebiet. Von den Häusern W.straße 9 und 11 hatten die Bewohner direkten Einblick in den Hofraum. Um ca 6.00 Uhr waren viele Anwohner wach, in verschiedenen Wohnungen brannte zur Tatzeit Licht. T. musste wissen, dass auch Ü. zeitweilig eine Fahrgemeinschaft bildete mit H. K. und O. Ö., so dass die Gefahr bestand, dass H. K. , der W.straße wohnte, gleichzeitig oder kurz nach Ü. das Haus verließ oder auch O. Ö., der W.straße wohnte, den Hofraum betrat. Nachdem die Beleuchtung des Treppenhauses jeweils 2 Min 40 Sec anhielt und der Tatort nur wenige Meter von der Haustür Nr 9 entfernt war, bestand die konkrete Möglichkeit, dass T. gesehen wurde. Diese Auffassung des Senats wird unterstützt durch die Aussage der G. Ö., die vom Fenster der W.straße 11 aus die von Ü. am Auto niedergestellte Tasche im Lichtschein erkennen konnte und dementsprechend zumindest auch die Umrisse des Mörders hätte wahrnehmen können. Dies insbesondere, nachdem auf 20 Meter Entfernung Konturen und auf 5 Meter Entfernung bekannte Personen erkennbar waren. Die Gefahr der Entdeckung für T. war also groß. Diese Umstände machen deutlich, dass der Arbeitsweg eher ungeeignet für die Tat gewesen ist und die Tat keinesfalls begünstigt hat. Dem Umstand, dass es noch dunkel war und T. damit rechnen konnte, dass Ü. pünktlich aus der Haustür trat, kommt demgegenüber kein besonderes Gewicht zu. T. hätte Ü., der ein normales Leben mit den üblichen Außenkontakten führte, auch an einem anderen Ort bei anderer Gelegenheit töten können, wobei er selbstverständlich geschickter Weise auch die Dunkelheit und eine relative Sicherheit, das Opfer anzutreffen, ausgenutzt hätte.
Damit kommt dem Arbeitsweg in Abwägung gegenüber den persönlichen Lebensumständen der Beteiligten und dem unbedingten Entschluss des T., Ü. am 31.03.1993 zu töten, weder die wesentliche Ursache noch eine annähernd gleichwertige Bedingung für die Tat zu.
Die Berufung der Klägerin musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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