L 19 B 65/05 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 42/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 65/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 19.07.2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, der Antragstellerin das Darlehen in der Zeit vom 01.05.2005 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 29.07.2004 zunächst mit Bescheid vom 02.12.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) für die Zeit vom 01.01. - 30.06.2005. Diese Entscheidung hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19.01.2005 auf. Bei der Bewilligung sei nicht berücksichtigt worden, dass die Antragstellerin Mitglied einer Erbengemeinschaft sei, die ein Haus mit sechs Wohnungen besitze, von denen die Antragstellerin eine Wohnung bewohne. Es handle sich dabei um nicht geschütztes Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, so dass grundsätzlich eine Verwertung zu verlangen wäre.

Mit Bescheid vom 01.03.2005 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von "laufend ca 540,- EUR ab 01.01.2005". Die Hilfe werde darlehensweise bewilligt, da der sofortige Einsatz oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich sei oder für die Antragstellerin eine Härte im Sinne des § 9 Abs. 4 SGB II bedeuten würde. Diese Entscheidung ergehe unter der aufschiebenden Bedingung (§ 32 Abs. 2 Ziffer 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) einer Sicherung des Rückerstattungsanspruches der Antragsgegnerin durch Eintragung im Grundbuch unter der Rubrik "Nebenbestimmungen" ist unter anderem aufgeführt: "Zur Sicherung der Rückzahlung des Darlehens ist im Grundbuch Folgendes einzutragen: Ein Pfandrecht von 5.000,- EUR / Anteil." Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 17.03.2005 Widerspruch ein.

Am 03.05.2005 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragte schriftsätzlich,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 29.07.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ab sofort zu gewähren, hilfsweise, die Leistungen im Rahmen eines Darlehens zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragte,

den Antrag abzulehnen.

Die darlehensweise Zahlung von Arbeitslosengeld II dürfe von dinglichen Sicherungen abhängig gemacht werden, auch wenn dies nicht ausdrücklich in § 9 Abs. 4 SGB II geregelt sei.

Mit Beschluss vom 19.07.2005 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin darlehensweise Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe des Bescheides vom 01.03.2005 ab 01.05.2005 bis zum bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu gewähren. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag zurückgewiesen und der Antragsgegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die darlehensweise Leistungsgewährung dürfe nicht von der Einräumung einer dinglichen oder anderweitigen Sicherheit abhängig gemacht werden. Nach § 31 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) dürften Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuches nur begründet oder festgestellt werden, soweit ein Gesetz es vorschreibe oder zulasse. Eine solche Ermächtigung zur Sicherung einer darlehensweise gewährten Leistung enthalte das Sozialgesetzbuch nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen.

Gegen den ihr am 20.07.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 25.08.2005 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht verpflichte die Antragsgegnerin zu Unrecht dazu, die Leistungen bis zum bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu gewähren. Vor allem aber dürfe die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II von grundbuchrechtlichen Sicherungen des Rückforderungsanspruches abhängig gemacht werden. Insofern sei auf die Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2005 - L 19 B 25/05 AS ER - zu verweisen.

Die Antragstellerin hält nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Sie betont, die Antragstellerin sei Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft und insofern abhängig von der Zustimmung des weiteren Mitglieds der Erbengemeinschaft, nämlich ihrer Mutter. Diese sei auch nicht zu der Erklärung bereit, keine Verfügungen über das Grundstück zu treffen, bevor nicht die Antragsgegnerin über die Verfügung in Kenntnis gesetzt worden sei.

II.

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 26.08.2005), hat nur insofern Erfolg, als eine vorläufige Regelung nur bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides zu treffen ist. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist jedoch zurückzuweisen, insofern sie die mit Bescheid vom 01.03.2005 darlehensweise bewilligten Leistungen nicht ohne Sicherung ihres Zurückerstattungsanspruches durch Eintragung im Grundbuch gewähren will. Die Antragsgegnerin qualifiziert ihre Leistungsbewilligung nach dem SGB II im Bescheid vom 01.03.2005 zutreffend als Entscheidung unter einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 2 SGB X.

Soweit für den Senat erkennbar, gibt es bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob eine derartige Nebenbestimmung im Sinne einer aufschiebenden Bedingung isoliert angefochten werden kann. Da die neuere Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bundessozialgerichts für alle Nebenbestimmungen die isolierte Anfechtbarkeit zulässt (siehe Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 32 Randziffern 35 f.), neigt der Senat dazu, das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin als Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegen. Prüfungsmaßstab ist demnach, ob die Antragstellerin durch die Leistungsbewilligung mit einer Nebenbestimmung in ihren subjektiven Rechten verletzt ist bzw. ob das Interesse der Antragstellerin, Leistungen nach dem SGB II in Form eines Darlehens ohne Grundbuchsicherung der Antragsgegnerin zu erhalten, gegenüber deren Interesse an einer dinglichen Sicherung ihres Rückerstattungsanspruches zurücktreten muss. Zur Überzeugung des Senats geht diese Interessenabwägung aus den im Folgenden dargestellten Gründen zu Gunsten der Antragstellerin aus.

Dasselbe Ergebnis käme aber auch zustande, wenn man, wie offensichtlich das Sozialgericht, nicht von einer isolierten Anfechtbarkeit der Nebenbestimmung ausgeht und demzufolge eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG in Betracht zieht. Denn in diesem Falle wäre aus den im Folgenden dargelegten Gründen ein sogenannter Anordnungsanspruch (d.h. die Antragstellerin kann ihren Anspruch auf materielles Recht stützen) glaubhaft gemacht.

Der Senat ist ebenso wie das Sozialgericht der Auffassung, dass es für eine Leistungsbewilligung unter der aufschiebenden Bedingung einer grundbuchrechtlichen Absicherung der Darlehensrückzahlung (als Nebenbestimmung zur Bewilligung) im SGB II - im Gegensatz zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) und zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - keine Ermächtigungsgrundlage gibt (anders noch: Beschluss des Senats vom 06.07.2005 - L 19 B 25/05 AS ER - ; die generelle Zulässigkeit einer dinglichen Sicherung ausdrücklich offen lassend bei Verneinung eines Anordnungsgrundes im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG - Beschluss des LSG NW vom 01.12.2005 - L 9 B 101/05 AS ER).

§ 9 Abs. 4 SGB II gewährt in Fällen, in denen der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder eine besondere Härte bedeuten würde, mit der Formulierung "in diesem Fall sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen" einen dem Wortlaut nach nicht im Ermessen der Verwaltung stehenden Leistungsanspruch. Dagegen lautet die Formulierung der Parallelvorschrift in § 91 SGB XII: " ... soll die Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden. Die Leistungserbringung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird." § 91 SGB XII nimmt damit den Wortlaut von § 89 BSHG auf und folgt in seiner Anwendung dessen Auslegung (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf SGB XII, § 91 Rdnrn. 1ff).

§ 9 Abs. 4 SGB II enthält damit weder eine ausdrückliche Ermächtigung, eine Absicherung zu verlangen, noch stellt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach die Leistungsgewährung selbst in das Ermessen der Verwaltung. § 9 Abs. 4 SGB II in direkter Anwendung erlaubt es nicht, die Gewährung gesetzlich zustehender Leistungen von einer dinglichen oder anderweitigen Sicherung der Rückzahlung abhängig zu machen. Dies gilt namentlich im Hinblick auf die hier streitige aufschiebende Bedingung, die nach § 32 Abs. 1 SGB X nur zulässig wäre, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen wäre oder sicherstellen sollte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Leistungsbewilligung erfüllt werden. (Mecke in Eicher/ Spellbrink, SGB II, § 9, Rdnr. 49; Brühl in LPK-SGB II, § 9 Rdnr. 43 m.w.N.; Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 25.04.2005 - S 11 AS 15/05 ER - ). Die gegenteilige Auffassung (ohne Begründung: Sauer in Jahn, SGB II, Stand Januar 2005, § 9 Rdnr. 17; gestützt auf die Begründung, die Zulässigkeit des Verlangens nach auch dinglicher Absicherung ergebe sich aus einer Analogie zu § 91 Satz 2 SGB XII: Hengelhaupt in Hauck/ Noftz, SGB II, Stand Oktober 2005, § 9 Rdnrn. 147, 148; Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit 5.2 Abs. 3 zu § 9) teilt der Senat nicht.

Der existenzsichernde Charakter der streitigen Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II, die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Gesetzesvorbehalts in Art. 20 des Grundgesetzes und die gesetzliche Regelung in § 31 SGB I lassen einen Analogieschluss zu § 91 Satz 2 SGB XII nicht zu. Zudem ist eine unbedachte Regelungslücke als weitere Voraussetzung der Analogiebildung bei erster Sichtung der Gesetzesmaterialien nicht zu erkennen. Insoweit heißt es in der Begründung zum Entwurf eines 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in der Bundestagsdrucksache 15/1516 vom 05.03.2003 zu der nun in § 9 Abs. 4 SGB II enthaltenen Regelung: "Hilfebedürftig ist auch Derjenige, der wegen tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse das zu berücksichtigende Vermögen objektiv nicht sofort verwerten kann. Darüber hinaus ist derjenige hilfebedürftig, für den die sofortige Verwertung eine Härte bedeuten würde, beispielsweise bei einer kapitalbildenden Lebensversicherung kurz vor dem vereinbarten Auszahlungszeitpunkt. In beiden Fällen werden die Leistungen zum Lebensunterhalt nur als Darlehen erbracht".

Der Senat verkennt hierbei nicht die noch im Beschluss vom 06.07.2005 in den Vordergrund gestellte Zweckmäßigkeit einer grundbuchrechtlichen Sicherung ansonsten gefährdeter Rückzahlungsansprüche. Das nicht zu leugnende praktische Bedürfnis hat bereits zu dem Vorschlag geführt, den Gesetzgeber zur Klarstellung der Zulässigkeit einer Absicherung von Darlehen im Rahmen von § 9 Abs. 4 SGB II aufzufordern (Vorlage zu Top 2.2 Entwurf "Erste Änderungsbedarfe zum SGB II" 9. zur Sitzung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge - Arbeitskreis "Grundsicherung und Sozialhilfe" - am 19. Mai 2005 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss an das Bundessozialgericht ist nach § 177 SGG nicht zulässig.
Rechtskraft
Aus
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