L 11 B 25/98 KA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 Ka 98/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 B 25/98 KA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 5) wird der Beschluß des Sozialgerichts Köln vom 12.01.1998 abgeändert. Der Antrag auf sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 22.10.1997 wird abgelehnt. Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 5) ist statthaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können Entscheidungen des Sozialgerichts nach § 97 Abs. 3 SGG nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden (Senatsbeschluß vom 11.09.1985 - L 11 S 15/85 , auch Senatsbeschlüsse vom 28.05.1986 - L 11 S 8/86 -, vom 18.03.1987 - L 11 S 5/87 , vom 17.05.1993 - L 11 S 4/93 und vom 24.09.1997 - L 11 KA 88/97 -, vgl. auch Beschluss des LSG Niedersachsen vom 15.04.1998 - L 5 Ka 2/98 -). Die Beschwerde ist auch im übrigen zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss war abzuändern, weil er zu Unrecht die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Berufungsausschusses vom 22.10.1997 angeordnet hat.

Der Senat hat in der Entscheidung vom 06.06.1994 - L 11 Ka 63/94 - das "öffentliche Interesse" im Sinn des § 97 Abs. 4 SGB V folgendermaßen konkretisiert:

"Anfechtungsklagen in Zulassungssachen haben gemäß § 97 Abs. 1 Ziffer 4 SGG aufschiebende Wirkung. Für Berufungen folgt dasselbe aus § 154 Abs. 1 SGG. Beides gilt unabhängig davon, ob sich ein Vertragsarzt oder ein ermächtigter Arzt gegen die Entziehung der Zulassung oder Einschränkung der Ermächtigung wehrt, oder ob eine Kassenärztliche Vereinigung eine Ermächtigung angreift. Eine Ausnahme vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung sieht § 97 Abs. 1 Ziffer 4 SGG nur für den Fall vor, daß der Berufungsausschuß die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung angeordnet hat. Zu einer solchen Anordnung ist der Berufungsausschuß gemäß § 97 Abs. 4 SGB V "im öffentlichen Interesse" berechtigt. An der Frage, ob die Vollziehung einer Entscheidung in Zulassungssachen in öffentlichen Interesse liegt, hat sich auch die gerichtliche Entscheidung gemäß § 97 Abs. 3 SGG auszurichten, wie sich aus der Bezugnahme in § 97 Abs. 3 über Absatz 1, 4 SGG auf die Kompetenz des Berufungsausschusses zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ergibt. Wegen des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe muß die Anordnung der Vollziehung die Ausnahme bleiben und hierfür das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses gefordert werden, welches über dasjenige hinausgeht, das den Verwaltungsakt rechtfertigt (vgl. zuletzt den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 19.12.1991 - 6 RKa 52/91 - sowie die Beschlüsse des Senates vom 25.06.1993 - L 11 Ka 35/93 - und vom 21.03.1994 L 11 S 48/93-). An das von § 97 Abs. 4 SGB V geforderte "öffentliche Interesse" sind strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt - wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat - insbesondere in Ermächtigungsangelegenheiten, weil hier in aller Regel nicht angenommen werden kann, daß durch die Erteilung oder Versagung einer Ermächtigung konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter wie etwa das System der kassenärztlichen Versorgung oder eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung verursacht werden können, wie das Bundessozialgericht im Beschluss vom 19.12.1991 - 6 RKa 52/91 - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt hat. Dementsprechend hat der Senat sogar in Fällen die Anordnung der Vollziehung einer Entscheidung des Berufungsausschusses in Ermächtigungsangelegenheiten abgelehnt, in denen er selbst durch Urteil die Entscheidung des Berufungsausschusses in der Sache für rechtmäßig gehalten, wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen aber die Revision zugelassen hat (Beschluss vom 26.06.1993 - L 11 Ka 35/93 -)."

Hieran hält der Senat fest. Dies gilt umsomehr, als der Senat in den Beschlüssen vom 05.02.1996 - L 11 SKa 28/95 -, 13.02.1996 - L 11 SKa 7/95-, 14.02.1996 - L 11 SKa 29/95 - und vom 20.05.1995 - L 11 SKa 3/95 - zum Anordnungsgrund in Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes ausgeführt hat, daß nicht jeder Bedarf an ärztlichen Leistungen den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu dessen sofortiger Sicherstellung rechtfertigt. Entscheidend sei vielmehr, ob ein vorhandener und nicht gedeckter Bedarf zu schweren und unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Versicherten führt; das sei beispielsweise dann der Fall, wenn das Leistungsangebot des Arztes nicht von anderen Ärzten abgedeckt werden könne und für die Versorgung der Versicherten eine Notsituation einzutreten drohe, weil diese notwendigeweise auf die Leistungen des betreffenden Arztes angewiesen seien. Im Beschluss vom 20.05.1996 - L 11 SKa 3/96 - hat der Senat diese Rechtsprechung dahin präzisiert, daß die Patienten des betreffenden Arutes konkret gefährdet sein müssen. Eine Unterversorgung allein rechtfertige in der Regel keine einstweilige Anordnung. Das würde dem Ausnahmecharakter dieses Rechtsinstituts (hierzu z.B. Senatsbeschluß vom 28.05.1986 - L 11 S 8/86 -) nicht gerecht und letztlich drauf hinauslaufen, daß jedes Zulassungs- und Ermächtigungsverfahren mittels einer einstweiligen Anordnung unterlaufen und die Hauptsache vorweggenommen werden könne. Deswegen hat der Senat mehrfach betont, daß in Zulassungs- und Ermächtigungssachen der Erlaß einer einstweiligen Anordnung zwar nicht schlechthin ausgeschlossen sei, indes auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt bleiben müsse (z.B. Senatsentscheidung vom 27.11.1991 - L 11 Ka 38/91 -; vgl. auch Beschluss vom 18.11.1996 - L 22 SKa 55/96 -, zuletzt Beschluss vom 14.05.1997 - L 11 SKa 15/97-).

Vorliegend ist ein besonderes öffentliches Interesse, das die Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich. Eine Bedarfslücke allein stellt nach der eingangs dargelegten Rechtsprechung des Senats weder einen Anordnungsgrund dar, noch begründet sie ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 97 Abs. 3 SGB V. Im übrigen ist eine Bedarfslücke schon nicht feststellbar, weil der Planungsbereich Köln für das Fachgebiet des Antragstellers überversorgt ist.

Ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Hauptsache rechtsmißbräuchlich betrieben würde. Die Rechtsmeinungen der Klägerin sind zumindest vertretbar. Der Senat hat den Beteiligten des Hauptsacheverfahrens L 11 KA 62/98 in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.1998 nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage deutlich gemacht, daß die Klage der KV Nordrhein gegen den Berufungsausschuß aus Rechtsgründen wohl keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Gleichwohl hält der Senat die von der KV Nordrhein vertretene Auffassung, daß im Rahmen der Prüfung, ob die Praxisverlegung zu genehmigen ist, auch für ein Entziehungsverfahren relevante Umstände berücksichtigt werden müssen und ggf. hier einer Verlegung entgegenstehen, für erwägenswert. Zur Klärung diese Rechtsfrage hat der Senat den Beteiligten angekündigt, daß er die Revision wohl zulassen würde. Eine abschließende Entscheidung in der Sitzung vom 23.09.1998 ist nur deswegen unterblieben, weil der Senat die Überzeugung gewonnen hat, daß der Konkursverwalter Dr. Heilmann für das Hauptsacheverfahren notwendig beizuladen und ihm mittels Vertagung hinreichend rechtliches Gehör zu gewähren ist.

Letztlich steht der Anordnung des Sofortvollzugs auch entgegen, daß der Antragsteller die Situation, die nach Auffassung des Sozialgerichts ein besonderes öffentliches Interesse begründen soll, durch eigenverantwortliche und mit seiner Tätigkeit als Vertragsarzt schwerlich in Einklang zu bringende Dispositionen geschaffen hat. Ungeachtet der Frage ,inwieweit unvorhergesehene Umstände dazu beigetragen haben, ist der Konkurs von Antragsteller zu verantworten. Der Senat neigt nach Auswertung der Verwaltungsvorgänge und unter Berücksichtigung des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung dazu, daß zumindest in diesem Fall allein die Tatsache der Konkurseröffnung die Eignung des Antragstellers zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zumindest als fraglich erscheinen läßt.

Soweit das Sozialgericht das besondere öffentliche Interesse aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hergeleitet hat, folgt der Senat dem nicht. Beide Gesichtspunkte tragen die Anordnung des Sofortvollzugs nicht. Die Verlegung des Praxissitzes ist Teil der Berufsausübung. Wird somit die beantragte Verlegung des Praxissitzes versagt oder mittels Anordnung des Sofortvollzugs vorab unterbunden, ist die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG berührt.

Berufsausübungsregelungen stehen indessen im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind (std. Rspr. des BVerfG seit E 7, 377, 403 ff.; z.B. BVerfGE 68, 193 ff.; 70.,1 ff.; 81, 156, 188 f.). Hierzu rechnen nicht nur solche Umstände, die das materielle Recht betreffen, sondern gleichermaßen solche, die sich auf das Verfahrensrecht beziehen. Das für die Anordnung des Sofortvollzugs notwendige "besondere öffentliche Interesse" ist in diesem Sinn zu verstehen. Die prozessualen Regelungen sehen vor, daß die Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Berufungsausschusses aufschiebende Wirkung hat. Wird die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen, kommt ein Sofortvollzug nur in Betracht, wenn Gründe vorliegen, die über sie hinausgehen, die die Entziehung rechtfertigen. Damit ist der Schutzwirkung des Art. 12 GG hinreichend Rechnung getragen. Entsprechendes gilt im Fall einer Praxisverlegung. Bereits in Anwendung des materiellen Rechts, also der Vorschrift des SGB V und der Zulassungsverordnung ist Art. 12 GG als Auslegungskriterium heranzuziehen. Eine nochmalige Berücksichtigung des Art. 12 GG - hier auf der geminderten Stufe der Berufsausübungsfreiheit -, um den Sofortvollzug zu begründen, geht über dessen Schutzwirkung hinaus. Gemeinwohlinteresse ist insoweit, daß die Berufsausübungsfreiheit nur dann durchgreift, wenn nicht ein über den Erlaßt des eigentlichen Bescheides hinausgehendes (besonderes) öffentliches Interesse vorliegt. Ein solches ist mit dem Hinweis auf Art. 12 GG nicht dargetan und auch im übrigen nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 und 193 SGG. Das Verfahren über die Anordnung der Vollziehung bzw. Aussetzung der Vollziehung einer Entscheidung des Bundessozialgericht (Beschluss vom 06.09.1993 - 6 RKa 25/91 -) ein eigenständiges Verfahren dar, das nach seiner Beendigung eine Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG erforderlich macht.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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