L 13 VH 37/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 VH 63/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VH 37/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Oktober 2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewie- sen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu er- statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG).

Der 1955 geborene Kläger wurde nach einem gescheiterten Fluchtversuch zusammen mit seinem Bruder am 1. August 1979 in Ungarn verhaftet. Nach seiner Auslieferung an die DDR befand er sich dort bis zum 18. Juni 1980 im politischen Gewahrsam. Er wurde von der Bundesrepublik freigekauft und traf am 18. Juni 1980 in G ein.

Am 23. September 1980 beantragte er Versorgung nach dem HHG. Der Antrag werde wegen Rücken- und psychischer Beschwerden gestellt. Der Beklagte zog in der Folgezeit die Akten der AOK bei, aus denen sich Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen eines psycho-vegetativen Haftsyndroms bis zum 26. November 1980 ergaben und die zwei MDK-Gutachten vom 15. Oktober 1980 und 16. November 1980 enthielten, und nahm Kopien des Sozialversicherungsausweises des Klägers zu den Akten. Anschließend ließ er den Kläger durch die Fachärztin für Chirurgie M, die Internistin K und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.T untersuchen. Dr. T schilderte in seinem Gutachten vom 12. Juni 1981 den psychischen Befund als unauffällig, abgesehen von einem leicht verminderten, leicht irritierbaren Selbstwertgefühl. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sei es im Zusammenhang mit hafteigentümlichen Verhältnissen nicht zu bleibenden Störungen von Krankheitswert gekommen, während zwischen der Erkrankung in der Zeit vom 18. Juni bis 26. November 1980 und der Haft ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich sei.

Durch Bescheid vom 21. August 1981 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung ab. Der Kläger habe sich durch den politischen Gewahrsam keine bleibenden Gesundheitsstörungen zugezogen, die als Folgen einer Schädigung anzuerkennen wären.

Vom 9. Mai bis zum 15. Juni 1983 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der K-Nervenklinik wegen religiöser Wahnideen. Es wurde eine zykloide Psychose (erregt-gehemmte Verwirrtheitspsychose) diagnostiziert. Anschließend wurde er durch die dortige psychiatrische Ambulanz weiterbetreut. Weitere stationäre Aufenthalte folgten vom 11. April bis zum 8. Mai 1984 und vom 13.Mai bis zum 29. Juni 1984. Auf seinen im Februar 1985 gestellten Rentenantrag bewilligte die Landesversicherungsanstalt Berlin (LVA) ihm zunächst eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit, nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C in seinem Gutachten vom 18. Februar 1985 eine Berentung wegen Antriebsarmut und Depressivität für erforderlich hielt.

Einen im September 1985 gestellten Neufeststellungsantrag, mit dem der Kläger die Psychose als Haftschaden geltend machte, lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 22. Januar 1986 ab. Die jetzt vorliegende Erkrankung sei nicht auf hafteigentümliche Umstände zurückzuführen. Dem lag eine nervenärztliche Stellungnahme vom Dr. Tvom 11. Dezember 1985 zugrunde, nach der es sich bei einer schizo-affektiven Psychose um eine endogene Psychose handele, ein Zusammenhang mit der Haft scheide aus. Bei den geltend gemachten Depressionen handele es sich um eine Nachschwankung nach einem akuten Schub der Psychose.

Einen erneuten Überprüfungsantrag vom 23. November 1999 lehnte der Beklagte nach Beiziehung der für die LVA am 2. Februar 1989 und 6. April 1990 erstatteten neurologisch- psychiatrischen Gutachten durch Bescheid vom 29. Januar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1999 ab. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Bescheid vom 21. August 1981 von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Das dagegen angerufene Sozialgericht hat einen Befundbericht des den Kläger seit 1993 behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Z (vom 26. August 1999) eingeholt. Anschließend ist der Kläger durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie H untersucht worden. In ihrem Gutachten vom 8. Februar 2000 ist die Versorgungsärztin zu dem Ergebnis gekommen, dass nach den jetzigen Schilderungen wie nach den bisher vorliegenden Berichten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Haft und der drei Jahre später auftretenden akuten psychotischen Erkrankung nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Der zeitliche Abstand spreche dagegen, da nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (Anhaltspunkte) die Erkrankung in enger zeitlicher Verbindung mit der Belastung begonnen haben müsse. Auch intrusive Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht festzustellen.

Der daraufhin vom Sozialgericht mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragte Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ghat in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2000 angegeben, der Kläger habe ihm gegenüber glaubhaft und plausibel von Erlebnissen im Sinne von Dejà-vu-Phänomenen auch in der Zeit nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit Ende November 1980 bis zum Beginn religiöser Wahnvorstellungen berichtet. Diese habe er sich in der Eingewöhnungszeit im Westen nicht anmerken lassen, da er ja habe Fuß fassen wollen. Es sei bezüglich des Beginns einer psychotischen Erkrankung, wie sie beim Kläger vorliege, bekannt, dass vegetative/psychovegetative Vorpostensyndrome bzw. ungewohnte Erlebnisweisen und/ oder ungewohnte Verhaltensweisen aufträten, die anfangs nicht als psychotisch zu erkennen seien. Psychovegetatives, Selbstwertgefühlveränderungen und Dejà-vu-Phänomene ließen sich unter Beachtung des langen zeitlichen Verlaufes plausibel als Prodromalsymptome im Sinne von Brückensymptomen bis hin zur Manifestation der floride - psychotischen Erkrankung ansehen. Etwaige Anhaltpunkte für schädigungsfremde Faktoren, die die Vorpostensymptome erklären könnten, stellten sich weder bei Aktendurchsicht noch durch das Ergebnis der Untersuchung dar. Bei der psychotischen Erkrankung handele es sich um eine chronisch schizo-affektive Psychose, bei der kein Schub- oder phasenhafter Verlauf vorliege, vielmehr komme es immer wieder zu wahnhaften Symptomen, wenn diese gebessert seien, herrsche die affektive Symptomatik vor. Die in den Anhaltspunkten benannte enge zeitliche Verbindung sei bei Berücksichtigung der Vorpostensymptome gegeben. Bis Mai 1983 betrage die MdE 20 %, mit Eintritt der gravierenden Verschlimmerung im Mai 1983 70 %.

Dagegen hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W in versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 4. Januar 2001 und 7. Juni 2001 eingewandt, aus den gelegentlichen Dejà-vu-Phänomenen ohne paranoide Verarbeitung könne keine Prodromalsymptomatik abgeleitet werden. Auch könne das psychovegetative Haftsyndrom nicht im Sinne einer Fortentwicklung bis zum Ausbruch der psychotischen Erkrankung wahrscheinlich gemacht werden, vielmehr werde der plötzliche Beginn der Wahnideen im Krankenhausentlassungsbericht und im vertrauensärztlichen Gutachten übereinstimmend geschildert.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2001 hat Dr. G darauf hingewiesen, dass sich eine psychotische Erkrankung anfangs durch Verhaltensweisen auszeichne, die nicht sogleich als krankhaft erkannt würden. Dieses könne Monate, zuweilen Jahre dauern. Die Haft habe als tief eingreifende psychosoziale Belastung zu der direkt anschließenden Erkrankungssymptomatik geführt. Die inhaltlich bei der Erkrankung eine Rolle spielenden religiösen Wahnvorstellungen seien kein Argument gegen die Annahme, dass die rechtsstaatswidrige Haft die wesentliche Bedingung für das anhaltende Auftreten der Psychoseerkrankung seit der Haftentlassung darstelle. Die geltende Vulnerabilitätshypothese besage, dass bei entsprechender Disposition schwerwiegende Belastungen zum Ausbruch der Erkrankung führen könnten, wobei die Inhalte des Wahns unterschiedlich seien. Deswegen verwiesen die Anhaltspunkte 1996 anders als die von 1983 nicht mehr auf eine thematisch adäquate Beziehung zu den Schädigungsfaktoren.

Bei seiner Vernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2001 hat der Sachverständige ergänzend geschildert, die mischpsychotische Erkrankung sei unter den Voraussetzungen der Nrn 69.1 ( schizophrene Psychosen) und 69.3 (affektive Psychosen) der Anhaltspunkte zusammen zu prüfen. Vor Mai 1983 habe der Kläger nicht an einer affektiven Psychose gelitten. In der Rückschau sei es jedoch nicht möglich, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die schizophrene Psychose in die schizo-affektive Psychose übergegangen sei.

Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 15. Oktober 2001 verpflichtet, den Bescheid vom 21. August 1981 zurückzunehmen und dem Kläger ab 1. Januar 1994 unter Anerkennung einer chronisch schizo-affektiven Psychose als Haftschaden Versorgung auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. zu gewähren. Die chronisch schizo-affektive Psychose als Mischpsychose sei als Haftfolge anzuerkennen, da die Voraussetzungen der Kannversorgung nach Nr. 69 der Anhaltspunkte erfüllt seien. Hinsichtlich der schizophrenen Psychose sei die in Nr. 69 Abs. 1 Buchstabe b) geforderte enge zeitliche Verbindung mit der Belastung gegeben. Die Kammer folge dem Gutachten von Dr. G, das dieser in der mündlichen Verhandlung plausibel erläutert habe. Danach stelle die von ihm dargelegte Vorpostensymptomatik den Beginn der psychotischen Erkrankung dar, so dass ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben sei. Dass sich die Vorposten im Mai 1983 gravierend verschlimmert hätten, gehöre nach der Erläuterung von Dr. G zu den Verlaufseigentümlichkeiten dieses Krankheitsbildes. Es liege kein episodischer Verlauf vor, da in den Zeiten, in denen der Kläger nicht unter der akuten psychotischen Symptomatik leide, ihn die affektive Symptomatik, die medikamentös kaum behandelbar sei, besonders belaste. Die MdE werde von Dr. G in Übereinstimmung mit dem sonstigen Akteninhalt nachvollziehbar mit 70 v.H. bewertet. Der Kläger habe nach § 44 Abs.4 Sozialgesetzbuch (SGB) IX ab 1. Januar 1994 einen Anspruch auf "Kannversorgung”.

Gegen das ihm am 5. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 30. November 2001. Er macht unter Bezugnahme auf eine nervenärztliche Stellungnahme von Dr. Dvom 22. November 2001 geltend, dass die von Dr. Ggeschilderten Symptome als unspezifisches Geschehen als Vorposten nur möglich, nicht aber wahrscheinlich seien. Denkstörungen und Wahrnehmungsverzerrungen, denen eine höhere prädiktive Bedeutung zukomme, ergäben sich aus dem haftnah erstellten Gutachten von Dr. Tnicht.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Oktober 2001 auf- zuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

In weiteren psychiatrischen Stellungnahmen vom 17. Juli 2002 und 17. Februar 2003 hat Dr. W darauf verwiesen, die geltend gemachten Symptome seien unspezifisch. Erst ab Mai 1983 bestehe eine eindeutige psychotische Symptomatik, so dass der geforderte enge Zusammenhang fehle. Für die Diagnose einer schizo-affektiven Psychose müssten sowohl affektive als auch schizophrene Symptome auftreten. Für die schizophrene Symptomatik habe Dr. Tkein Symptom gefunden. Nach Nr. 39 der Anhaltspunkte rechtfertigten Ungewissheiten im Sachverhalt die Kannversorgung nicht, wenn rechtserhebliche Zweifel über den Zeitpunkt des Leidensbeginns bestehen, weil die geltend gemachten Erstsymptome mehrdeutig seien. Sie rege die Einholung eines weiteren Gutachtens an.

Der Senat hat ein Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Z vom 2. Juni 2003 eingeholt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass der Kläger an einer schweren psychischen Erkrankung leide, die als psychotische Störung qualifiziert, aber mit unterschiedlichen Begriffen belegt worden sei. Diese diagnostischen Etiketten dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein einheitliches und recht charakteristisches Krankheitsgeschehen aus dem schizophrenen Formenkreis handele. Rückblickend lasse sich aus den Dokumenten der Jahre 1980/1991 eine gedehnte Anpassungsstörung diagnostizieren, die nicht aus unverarbeiteten Hafterfahrungen, sondern aus einer verständlichen vorübergehenden seelischen Destabilisierung resultiert hätten, welche die Konfrontation mit einer fremden Lebenswirklichkeit mit sich gebracht habe. Gegen das Vorliegen von Prodromalsymptomen der schizophrenen Erkrankung schon in den ersten Monaten nach der Haft spreche sein aktives Verhalten nachdem er sich in den neuen Lebensverhältnissen zurechtzufinden begonnen habe, indem er Reisen unternommen habe, sich sportlich betätigt und erwogen habe, das Abitur nachzuholen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass in zeitlicher Nähe zur Haft u.a. Déjà-vu-Phänomene aufgetreten seien, handele es sich nur um einen zufälligen zeitlichen Zusammenhang. Hätte nämlich die Haft als rechtlich wesentlicher Kausalfaktor in der Pathogenese der schizophrenen Erkrankung fungiert, müsste erwartet werden, dass die psychotische Störung bereits unter dem Druck der Hafterlebnisse in Erscheinung getreten sei. Zumindest hätten sich Frühzeichen des Krankheitsbildes während der Untersuchungshaft zeigen müssen, weil der Kläger einem erhöhten Angstdruck sowie sozialer und sensorischer Abschirmung ausgesetzt gewesen sei. Demgegenüber hätte erst die Konfrontation mit den Verhältnissen der westdeutschen Gesellschaft eine Erschütterung der vorherigen Gewissheiten ausgelöst. Es könne nicht mit Wahrscheinlichkeit behauptet werden, dass psychotische Prodromalsymptome, sollten sie für die Monate nach der Haftentlassung unterstellt werden, in einem Kausalbezug zur Haft stünden. Für die Klärung der Zusammenhangsfrage sei eine Differenzierung zwischen schizophrener und schizoaffektiver Erkrankung ohne Belang.

Der hierzu erneut gehörte Dr. G ist in einer Stellungnahme vom 7.Oktober 2003 bei seiner Auffassung verblieben. Prof. Dr. Z Argumentation überzeuge ihn nicht, weil der Kläger ihm gegenüber plausibel Erstsymptome unmittelbar nach der Haftentlassung beschrieben habe und fließende Übergänge zur Anpassungsstörung im Zusammenhang mit den neuen Lebensverhältnissen vorlägen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten nach Aktenlage von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, forensische Psychiatrie Dr. K vom 10. September 2004 eingeholt. Dieser hat zunächst die Diskussion über möglicherweise das Entstehen einer schizophrenen Psychose auslösende Situationen dargestellt und auf die Wertigkeit von Symptomen, die in der Vorphase einer schizophrenen Psychose auftauchen mögen, verwiesen. Sodann ist er zu dem Schluss gelangt, dass es bei dem Kläger nach der Übersiedlung zu einer Selbstwertkrise gekommen sei, die zu sanft depressiven Verstimmungen geführt habe. Diese Anpassungsstörung sei nach einigen Monaten abgeklungen. Es sei eine Zeit der beruflichen Integration gefolgt, in deren Verlauf es bei dem Besuch der Abendschule zu unspezifischen Déjà-vu- Erlebnissen gekommen sei, die für sich keine Zeichen einer sich anbahnenden Psychose seien. Die geschilderten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis zum Eintritt der Psychose seien nicht als Vorboten zu sehen. Insbesondere ein Prodromalstadium würde sich durch die charakteristischen Symptome und die damit verbundene Einbuße an Leistungsfähigkeit gezeigt haben, die erkennbar nicht vorliege.

Die Gerichtsakten und die Versorgungsakten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Versorgungsleistungen ablehnenden Bescheide des Beklagten vom 21. August 1981 und 22. Januar 1986, die Anerkennung einer chronisch schizo-affektiven Psychose als Haftschaden nach dem HHG und auf eine Versorgung auf der Grundlage einer MdE von 70 v.H.

Nach § 4 Abs. 1 HHG erhält ein Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Nach § 4 Abs.5 HHG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die Gesundheitsstörung als Folge der Schädigung anerkannt werden, die Zustimmung kann allgemein erteilt werden. Für schizophrene Psychosen ist die Zustimmung in Ziffer 69 Abs. 1 der Anhaltspunkte allgemein dahingehend erteilt, dass die Gesundheitsstörung Folge der Schädigung ist, wenn

a. als Schädigungsfaktoren tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastungen vorgelegen haben, die entweder längere Zeit angedauert haben oder zeitlich zwar nur kurzfristig wirksam aber so schwer waren, dass ihre Folgen eine über längere Zeit anhaltende Wirkung auf das Persönlichkeitsgefüge gehabt haben, b. die Erkrankung in enger zeitlicher Verbindung (bis zu mehreren Wochen) mit diesen Belastungen begonnen hat.

Sowohl nach den versorgungsärztlichen Stellungnahmen als auch nach den Sachverständigengutachten stellt die Haft eine tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastung für den Kläger dar.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist aber nicht wahrscheinlich, dass die schizophrene Psychose in engem zeitlichen Zusammenhang mit diesen Belastungen begonnen hat. Zwar hat der Sachverständige Dr. G einen derartigen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Haft und der schizophrenen Psychose bejaht, indem er die bei dem Kläger im Zeitraum von 1980 bis 1983 festgestellten Gesundheitsstörungen in Form von einem psychovegetativen Syndrom, Selbstwertveränderung und Déjà-vu-Erlebnissen als Brückensymptome gewertet hat. Dieser Bewertung könnte jedoch nur dann gefolgt werden, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der Haft und den Brückensymptomen wahrscheinlich ist.

Eine derartige Wahrscheinlichkeit kann nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht angenommen werden. Prof. Dr. Z hat in seinem Gutachten vom 2. Juni 2003 zwei wesentliche Faktoren herausgestellt, die gegen einen derartigen Zusammenhang sprechen.

Zum einen hat er darauf verwiesen, dass sich Frühzeichen der Erkrankung noch während der Strafhaft hätten zeigen müssen, da der Kläger als lebensbedrohend vor allem seine Verhaftung in Ungarn sowie die Umstände der Stasi-Haft und die damit verbundene Ungewissheit geschildert habe, nicht jedoch die anschließende Haft in C. Die Tatsache, dass der Kläger den verschärften Haftumständen standhaft begegnet und nicht in eine schizophrene Krankheitsepisode abgeglitten sei, spreche gegen die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges. Des Weiteren hat er dargelegt, dass die Konfrontation mit den Verhältnissen in der westdeutschen Gesellschaft eine vorübergehende psychische Labilisierung bewirkt habe. Hierzu hat der Sachverständige sich für den Senat nachvollziehbar auf die Angaben des Klägers gegenüber Dr. T im Jahr 1981 bezogen, als der Kläger wiederholt darüber berichtete, dass er als ehemaliger DDR-Häftling auf Ablehnung stoße. Unter Berücksichtigung dieser Auslegungen, die der Senat für schlüssig und nachvollziehbar erachtet, verbleiben als Brückensymptome nur die von Dr. G als zeitnah mit der Haftentlassung beschriebene Déjà- vu-Erlebnisse. Diese Angaben sind jedoch nicht geeignet, einen kausalen Zusammenhang zwischen Haft und Ausbruch der vollständigen Erkrankung wahrscheinlich zu machen.

Da insoweit die Feststellung einer Gesundheitsstörung erforderlich ist, gilt nicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit, sondern grundsätzlich der Maßstab des Vollbeweises, der nur insoweit durchbrochen wird, als nach § 15 KOV-VfG die Glaubhaftmachung der Gesundheitsstörung ausreichend ist. Diese Glaubhaftmachung ist nicht gelungen. Es bestehen schon Zweifel, inwieweit diese geschilderten Symptome in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung aufgetreten sind, da der Kläger sie noch gegenüber Dr. H im Jahr 2000 nicht erwähnt hat und das gegenüber Dr. G geschilderte Beispiel auf einen Umstand hinweist, der sich erst 1982 ereignet haben kann. Denn der Kläger hat als Beispiel angegeben, einen Lehrer an der Tafel gesehen zu haben und dabei das Gefühle gehabt zu haben, er habe diese Situation schon einmal gesehen. Der Kläger hat jedoch nach seinen Angaben die Abendschule erst 1982 besucht. Des Weiteren spricht gegen das Vorliegen derartiger Ereignisse im Sinne von Prodromalsymptomen, dass diese nach Auffassung von Prof. Dr. Z im Gegensatz zu dem sonstigen aktiven Lebenswandel des Klägers standen. Schließlich war zu berücksichtigen, dass unter Berücksichtigung der Auffassung von Dr. K Zweifel daran bestehen, welche Wertigkeit den Déjà- vu-Erlebnissen als solchen zukommen kann, die auch durch eine Stress-Situation aufgrund der zusätzlichen Belastung durch die Abendschule ausgelöst worden sein könnten.

Das Vorliegen einzelner Symptome ist für die Anerkennung eines zeitnahen Beginns der Erkrankung nicht ausreichend. Nach der allgemeinen Regelung zur Kannversorgung in Ziffer 39 Abs.2 c der Anhaltspunkte muss zwischen der Einwirkung der wissenschaftlich in ihrer ursächlichen Bedeutung umstrittenen Umstände und der Manifestation des Leidens eine zeitliche Verbindung gewahrt sein, die mit den allgemeinen Erfahrungen über biologische Verläufe und den in den wissenschaftlichen Theorien vertretenen Auffassungen über Art und Wesen des Leidens in Einklang steht. Hierzu hat zwar Dr. G unter Bezugnahme auf einschlägige Literatur in seinem Gutachten ausgeführt, dass die zu Beginn einer Schizophrenie auftretenden Verhaltensweisen entweder nicht als krankhaft oder nicht als psychotisch zu erkennen sind, und diese Ausführungen in den folgenden Stellungnahmen ergänzt.

Dem kann der Senat jedoch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die einzelnen Brückensymptome nicht in einen Kausalzusammenhang mit der Haft gestellt werden können, nicht folgen.

Sind schon die Voraussetzungen der Anerkennung der schizophrenen Psychose als Schädigungsfolge nicht erfüllt, brauchte die Frage, ob ein Leistungsanspruch ab Januar 1994 daran scheitert, dass wegen eines episodischen Verlaufs der Erkrankung nur Krankheitsschübe bis 1987 berücksichtigungsfähig wären, nicht mehr geklärt zu werden.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache, sie ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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