L 2 U 56/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 3/98 BB
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 56/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Erkrankung der Klägerin als eine Berufskrankheit nach Nr. 1101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO).

Die 1945 geborene Klägerin war in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 31. März 1990 im damaligen VEB BKW D als Leiterin der Konsumgüterproduktion Keramik Theißen in einer Keramikwerkstatt tätig. Seit April/Mai 1989 war die Klägerin nach ihren Angaben nur noch halbtags tätig, aufgrund einer Augenmuskelschwäche hatte die Leiterin der Augenabteilung des Kreiskrankenhauses ZDr. H am 24. August 1989 eine Teilzeitbeschäftigung für maximal 5 Arbeitsstunden empfohlen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit kam die Klägerin mit bleihaltigen und kadmiumhaltigen Glasuren und Zuschlagstoffen in Kontakt. Zu ihren Aufgaben gehörten die Erarbeitung von Entwürfen, das Anrühren und Auftragen von Glasuren und Farben sowie das Einsetzen der Töpferware in die vorgeheizten Öfen.

Die Produktionsstätte Keramik T wurde zum 31. März 1990 stillgelegt. Ausweislich eines Schreibens des Betriebsdirektors R vom 2. Februar 1990 sah sich dieser auf der Grundlage mehrerer durchgeführter Befahrungen seines Bereiches in der Produktionsstätte "Keramik” in T zur Begutachtung und Beratung der dort vorhandenen Bedingungen des Gesundheitsschutzes, der technischen Sicherheit und der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie einer medizinischen Analyse über die negativen Belastungen der dortigen Werktätigen aufgrund des Bleigehaltes in der Raumluft veranlasst, diese Produktionsstätte zu schließen.

Im April 1993 zeigte die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. S vom Universitätsklinikum C, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Epidemiologie, gegenüber der Beklagten an, dass aus ihrer Sicht der begründete Verdacht einer beruflichen Verursachung der Erkrankung der Klägerin bestehe, die sich zur Zeit äußere in rezidivierenden Oberbauchschmerzen, Schwindel, Kopfschmerz, Sehstörungen, Hörsturz, Sensibilitätsstörungen, Parästhesien; es bestehe eine fragliche toxische Polyneuropathie.

Die Beklagte richtete diesbezüglich eine Anfrage an die Rechtsnachfolgerin des früheren Arbeitsgebers der Klägerin MIBRAG (Vereinigte Mitteldeutsche Braunkohlenwerke AG), ob die Klägerin während ihrer Tätigkeit für das Unternehmen gegenüber bleihaltigen Glasuren und Zuschlagstoffen exponiert gewesen sei. Die MIBRAG teilte daraufhin durch Schreiben vom 23. Juli 1993 unter Bezugnahme auf ein beigefügtes "Meßprotokoll und Arbeitshygienische Stellungnahme – Chemische Schadstoffe - ” der Arbeitshygiene- Inspektion des Rates des Kreises H vom 24. Juni 1988 mit, dass bei durchgeführten Raumluftmessungen die MAK - (maximale Arbeitsplatzkonzentration, also die Konzentration, bei der im allgemeinen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird) - Grenzwerte eingehalten worden seien. Der 1988 gemessene Wert von 0,03 mg/m3 würde allerdings eine Überschreitung der Auslöseschwelle nach TRGS (Technische Regeln für Gefahrstoffe) 100 bedeuten; eine Exposition durch Bleidämpfe könne bei der Klägerin nicht ausgeschlossen werden. Beigefügt war ferner ein am 16. November 1989 erhobener Blut-Bleistatus der Betriebspoliklinik L-Werke "”, wonach der bei der Klägerin gemessene PbB-Wert (Blutbleiwert) 0,99 µmol/l und die bei zwei Kolleginnen gemessene PbB- Werte 0,55 µmol/l und 0,72 µmol/l betrugen.

Aufgrund der beigebrachten Unterlagen kam der Mitarbeiter des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten Herr W in einem Vermerk mit einer "Stellungnahme zur Exposition” vom 15. Februar 1994 zu dem Ergebnis, dass aus dem Schreiben des Betriebsdirektors vom 2. Dezember 1990 ersichtlich sei, dass die Produktionsstätte Keramik T u.a. aufgrund einer medizinischen Analyse über die negativen Belastungen der dort beschäftigten Werktätigen hinsichtlich des Bleigehaltes in der Raumluft zu schließen gewesen sei. Seines Erachtens seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne einer BK 1101 im vorliegenden Fall gegeben.

Die Klägerin überreichte diverse Unterlagen über ärztliche Behandlungen bzw. Diagnostik. Die Beklagte zog ferner Sozialversicherungsausweise der Klägerin bei und ließ sich von der Firma R F-L, bei welcher die Klägerin ab 1. April 1990 tätig gewesen war, bestätigen, dass die Klägerin während dieses Arbeitsverhältnisses keine Berührung mit Blei gehabt habe (Schreiben vom 13. Dezember 1994).

Auf Nachfrage durch die Beklagte bestätigte ferner die MBV Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH als Teil-Rechtsnachfolgerin der MIBRAG mit Schreiben vom 20. Juni 1995, dass die Klägerin sowohl mit blei- als auch mit kadmiumhaltigen Glasuren Umgang gehabt habe. Der Brennofen hätte keine Absaugung oder Bleifilter gehabt; während des Brennvorganges hätten die Dämpfe ungefiltert in den Werkstattbereich entweichen können. Die Werkstatt selbst habe nicht über eine Zwangsbelüftung oder eine Absauganlage verfügt. Eine Aufnahme über Haut und Atemwege sei während der gesamten Schicht gegeben gewesen. Da kein Sozialraum (Umkleideraum, Speiseraum) vorhanden gewesen sei, wären Speisen und Getränke in der Werkstatt aufgenommen worden. Eine orale Aufnahme von Blei- und Kadmiumstäuben oder Aerosolen hätte so möglich sein können. Arbeitsmedizinische Unterlagen hätten sich in den ihr zugänglichen Archiven nicht gefunden. Beigefügt waren u.a. eine Skizze über die Arbeitsräume der Klägerin, eine "Aktennotiz über die Befahrung der Produktionsstätte "Keramik” T am 18. Dezember 1989” vom 29. Dezember 1989, ein "Protokoll über durchgeführte arbeitshygienische Messungen” des Direktors für Sozialökonomie vom 2. September 1987, sowie ein "Messprotokoll über durchgeführte Staubmessung beim Mahlen des Quarzstaubes in der Keramik-Tgemäß Protokoll vom 2. Februar 1988” vom 31. Mai 1988.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin Prof. Dr. B ein, der mit Datum vom 6. Oktober 1995 ausführte, dass eine Exposition der Klägerin gegen blei- und kadmiumhaltige Schadstoffe nicht ausgeschlossen, durch vorliegende Raumluftmessungen aber auch nicht eindeutig bestätigt werden könnte. Die Einhaltung oder Überschreitung von MAK-Werten könne nicht zur Begründung eines Kausalzusammenhanges im rechtlichen Sinne des BK-Verfahrens herangezogen werden. Der bei der Klägerin gemessene Bleigehalt im Blut von 0,99 µmol/l habe noch unterhalb der seinerzeit zulässigen Belastung gelegen. Da die wiederholt durchgeführten Laboruntersuchungen immer Hämoglobin-, Erythrozytenwerte im Referenzbereich aufgewiesen hätten, könne eine Bleiwirkung nicht wahrscheinlich gemacht werden. Untersuchungen über eine vermehrte Ausscheidung der Delta-Aminolävulinsäure oder das vermehrte Auftreten des Erythrozytenprotoporphyrins (EPP), welches eine gesundheitsrelevante Beeinflussung durch Blei nachweise, lägen bei der Klägerin nicht vor. Erfahrungsgemäß träten Nervenlähmungen nur in den motorischen Nervenfasern vorwiegend der oberen Gliedmaßen auf. Ein kombinierter Befall der motorischen und sensiblen Nervenfasern sei bisher nur bei sehr schweren Bleivergiftungen beobachtet worden. Die ausschließliche Bevorzugung der sensiblen Nervenfasern - wie sie bei der Klägerin bestehe - spreche eher gegen einen Zusammenhang mit einer Bleieinwirkung. Es sei durch umfangreiche epidemiologische und Fallkontrollstudien gesichert, dass bei neurologisch symptomfreien Bleiarbeitern Neuropathien auftreten könnten. Die motorischen Ausfälle seien jedoch bei Expositionskarenz völlig reversibel. Das Fortbestehen der sensiblen Nervenstörungen trotz Beendigung der Exposition bei der Klägerin spreche gegen einen kausalen Zusammenhang. Zusammenfassend sei festzustellen, dass für die geklagten Beschwerden und vorliegenden Befunde ein kausaler Zusammenhang mit einer beruflichen Bleibelastung nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Die bei der Klägerin erhobenen Befunde sprächen für Ausfälle im Hirnstammbereich. Da durch eine Dopplersonographie und Nachweis eines Stenosegeräusches eine erhebliche Einengung der das Gehirn versorgenden Jugularisarterien gesichert sei und eine Einengung auch im Bereich der Karotisarterien und im Aortenbogen vermutet werde, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass eine Mangeldurchblutung der genannten Hirnbereiche Ursache der geklagten Beschwerden und Befunde sei. Hierbei handele es sich um eine anlagebedingte Erkrankung, die in keinem kausalen Zusammenhang mit einer Blei- oder Cadmiumeinwirkung bestehe.

Die Beklagte lehnte daraufhin im Anschluss an eine entsprechende gewerbeärztliche Stellungnahme durch Dr. M vom Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt vom 3. November 1995 die Anerkennung einer Berufskrankheit sowie die Erbringung von Leistungen durch Bescheid vom 4. März 1996 ab. Die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit Nr. 1101 lägen nicht vor.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, mit dem sie u.a. ausführte, dass eine Messung nie während eines Brennvorganges erfolgt sei, so dass die gemessenen Luftwerte völlig aussagelos seien. Die ganze Wahrheit sei mit Absicht nicht ermittelt worden. Eine Schließung sei aber dennoch sofort verfügt worden, so dass Kenntnisse über die tatsächliche Verseuchung vorgelegen haben müssten. Untersuchungen ihrer Person im Akutstadium seien gar nicht vorgenommen worden. Ihr Blutbleigehalt sei zu einem Zeitpunkt untersucht worden, als sie sich wochenlang nicht in der Werkstatt befunden hätte. Es gäbe mithin keine Werte bei unmittelbarem Kontakt mit der bleihaltigen Luft des Brennraumes. Daher hätten auch nicht Zeichen einer akuten Vergiftung dokumentiert werden können. Dagegen liege eine Fülle der Merkmale einer chronischen Bleivergiftung gemäß den Befunden, die auch der Gutachter dokumentiert habe, vor. Hingegen sei ihr nicht bekannt, jemals wegen einer Blutung unter der weichen Hirnhaut erkrankt oder krankgeschrieben gewesen zu sein. Es habe nachweislich auch noch nie eine Verengung der das Gehirn versorgenden Arterien vorgelegen. Mittels Gefäßsonographie am 13. November 1992 sei eine Einengung mit Auswirkung von Durchblutungsstörungen im Gehirn ausgeschlossen worden. Auch alle weiteren Gefäßuntersuchungen hätten keine Einengungen an den gehirnversorgenden Arterien ergeben. Die beschriebenen Beschwerden hätten mithin eine andere Ursache, nämlich die chronische Bleivergiftung.

Die Beklagte forderte daraufhin vom Landkreis W noch vorhandene Unterlagen der Betriebspoliklinik des BKW Dan, woraufhin ihr u. a. eine Behandlungskarte für die Zeit von April 1986 bis Mai 1989 und Unterlagen der Betriebspoliklinik L Werke über einen erhobenen Bleistatus vom 3. Mai 1989 übersandt wurden. Die bei dieser Untersuchung festgestellten PbB-Werte betrugen 0,72 µmol/l bei der Klägerin und 0,96 µmol/l sowie 2,2 µmol/l bei zwei Kolleginnen der Klägerin. Die Beklagte zog weiter das Ergebnis einer transkraniellen Doppleruntersuchung vom 16. November 1992 des Klinikums B-B sowie weitere Unterlagen der Universitäts-Augenklinik Hund des Krankenhauses Zbei.

Die Beklagte holte sodann ein weiteres Gutachten durch den Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin der F U B Prof. Dr. S (erstattet mit der Ärztin i.P. Pam 18. Februar 1998) ein. Prof. Dr. S kam zu dem Ergebnis, dass die bei der Klägerin bestehenden Krankheitserscheinungen nicht auf eine Blei- oder Cadmiumexposition zurückzuführen seien. Für die Zeit der Tätigkeit in der Keramikproduktion liege lediglich ein Wert über die Blutbleikonzentration (vom 24. Juni 1988) mit 0,99 µmol/l vor. Diese Konzentration liege weit unter dem arbeitsmedizinisch relevanten Grenzwert vom 300 µg/l Blut. Auch die am 28. Oktober 1997 und am 20. November 1997 gemessenen Bleikonzentrationen im Blut und im Urin hätten deutlich im aktuell gültigen Bereich der Norm gelegen. Nach einer Ausschwemmung durch DMPS-Heyl® am 21. November 1997 hätte sich zwar ein deutlicher Anstieg der Bleikonzentration über den Ausgangswert im Blut sowie im Urin gefunden; beide Werte lägen aber immer noch im Normbereich, wenn auch deutlich über den durchschnittlichen Messwerten einer eigenen Studie. Die geringe sensible demyelierende Polyneuropathie sei nicht typisch für eine Bleineuropathie. Das erstmalige Auftreten von Bauchkoliken und Verstopfung von Mai bis Juni 1987 stünde zwar im zeitlichen Zusammenhang zu der Bleiexposition. Diese Symptomatik bestehe jedoch heute immer noch. Da selbst nach Ausschwemmung die Bleikonzentration im Blut sowie im Urin unverändert im Normbereich liege, sei die Bleiexposition nicht als Ursache für die Koliken tragfähig. Die bei der Klägerin vorliegenden neurologisch-psychiatrischen Veränderungen seien insgesamt nicht als Folge einer Blei- oder Cadmiumexposition zu werten.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie des V Prof. Dr. G kam in einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 18. Dezember 1997 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein typischer Befund wie bei einer Bleiencephalopathie, welcher nicht nur mit psychischen Ausfallsituationen verbunden sei, sondern auch regelhaft zu motorischen Beeinträchtigungen im Sinne eines Parkinson-Syndroms führe, nicht festzustellen sei. Zusammenfassend bestände bei der Klägerin ein mäßiges hirnorganisches Psychosyndrom mit eingebetteten depressiven und dysphorischen Zuständen. Eine EEG-Untersuchung habe eine allgemeine Frequenzverlangsamung mit pathologischer Verteilung der bioelektrischen Aktivität gezeigt und sei als ein cerebrovasculäres Syndrom oder eine cerebrovaskulär verursachte Encephalopathie beurteilt worden. Eine EMG-Untersuchung hätte eine geringe sensible demyelierende Polyneuropathie gezeigt, die aufgrund des Befundes im Nervus radiales nicht typisch für eine Bleipolyneuropathie und eher in Verbindung mit einer Stoffwechselerkrankung möglich sei. Auch der eher stationär verbliebene Verlauf im Vergleich mit einer Voruntersuchung 1993 spreche gegen das Vorliegen einer Bleipolyneuropathie. Eine typische Bleipolyneuropathie sei nicht nachweisbar.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin daraufhin durch Widerspruchsbescheid vom 24. März 1998 unter Bezugnahme auf die Gutachten zurück.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, dass immer wieder von einem unrichtigen Tatbestand im Hinblick auf den seinerzeitigen Arbeitsraum ausgegangen werde, sie habe in einem Raum gearbeitet, in dem fünf und nicht etwa nur vier Brennöfen gearbeitet hätten. Wenn diese fünf Öfen in voller Produktion gebrannt hätten, wie es üblich gewesen sei, sei es unvermeidlich zu einer Belastung von Bleidämpfen in der Raumluft weit über dem damals gültigen MAK-Wert gekommen. Diese Überschreitung hätte auch zur kompletten Schließung der Produktionsstätte Keramik T geführt. Arbeitsschutzrechtliche Bedingungen wären in der DDR nicht wirklich ernsthaft analysiert worden, weil die Planerfüllung im Vordergrund gestanden hätte. Dass es eine exakte Messung unter lebenswahren Bedingungen des Bleibrandes in der Produktionsstätte Keramik Theißen nicht gegeben habe, werde unberechtigterweise ihr zugerechnet, indem nur die unter irrealen Bedingungen gemessenen wesentlich niedrigeren, aber nicht die exakten Werte in den Tatbestand einfließen würden. Eine Stoffwechselerkrankung sei nicht bekannt. Sie leide auch nicht an Bluthochdruck. Dieser sei medikamentös gut eingestellt und nur anlässlich der Gutachteruntersuchung angestiegen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten nach Aktenlage durch den Arzt für Arbeitsmedizin Dr. Dr. D vom 28. Juni 1999 eingeholt; auf das Gutachten wird Bezug genommen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Bleiexposition im toxischen Bereich erwiesen sei und dass die Polyneuropathie an den oberen und unteren Extremitäten auf die Bleiintoxikation zurückzuführen sei. Es verblieben nach Auswertung der Akten Fragenkomplexe. Es sei nicht ersichtlich, welche Position zur Expositionshöhe die Beklagte einnehme. Er gehe davon aus, dass der Nachweis einer sicheren Einhaltung des MAK-Wertes nicht gelinge; somit sei von einer gefährdenden Bleiexposition auszugehen. Ferner sei eine Mitarbeiterin der Klägerin mit einem PbB-Wert von 2,2 µmol/l erfasst worden (Bleistatus der Betriebspoliklinik L-Werke "” vom 3. Mai 1989). Dieser Wert liege eindeutig über den Toleranzwerten und den damaligen Normwerten. Unwidersprochen habe die Klägerin zu den Hauptexponierten gehört, so dass mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten sei, dass engmaschige, expositionsnahe Kontrollen derartige Werte auch bei der Klägerin ergeben hätten. Zu den Vorgutachten führte Dr. Dr. D aus, dass es bedenklich sei, von einem Befund aus 1997 auf die Bedingungen der Erstmanifestation von Beschwerden 1993 bzw. zum Zeitpunkt der Expositionsbeendigung 1990 zu schließen. Für die Unterlassung differenzierender Untersuchungen während der Exposition könne nicht die Klägerin herangezogen werden. Es gebe keine Kommentierung zur inneren Exposition auf Grund der Kollektivwerte. Konkurrierende differentialdiagnostische Überlegungen würden zwar angestellt, bewiesen sei aber nur die Bleiexposition und dass dieses Bild der Polyneuropathie auch bleibedingt sein könne. Es stelle sich die Frage, ob es eine eindeutige Erklärung für eine Anzahl von Beschwerden gäbe, die auch ohne Vorliegen einer Bleiexposition eingetreten wären. Andererseits lägen Symptome vor, die sich bei der Expositionssituation bis 1990 zwanglos als wahrscheinlich bleibedingt erklären ließen. Dies sei die Polyneuropathie der Unterarme und Unterschenkel. Hierzu bedürfe es keiner ausgefallenen und obendrein nicht bestätigten Diagnosen wie der (durch Dr. H so bezeichneten) Takayasu-Arteriitis. Leider sei eine Verlaufbetrachtung der wohl am ehesten bleiinduzierten Polyneuropathie den Gutachten nicht zu entnehmen. Das Sistieren und nach mehreren Jahren Verschwinden einer Polyneuropathie nach Expositionsende sei typisch; ein anderer Verlauf würde mit hoher Sicherheit gegen eine bleitoxische Genese sprechen. Die histopathologische und elektrophysiologische Form bleibedingter Polyneuropathie werde in der Literatur uneinheitlich beschrieben. Richtigerweise werde in den von der Beklagten eingeholten Gutachten darauf hingewiesen, dass die bleibedingte Polyneuropathie überwiegend die motorischen Nervenaktivitäten tangiere und nicht - wie im Fall der Klägerin - die sensiblen. Bei einem weiteren Teil an Symptombildern läge zwar primär der Verdacht auf eine bleibedingte Verursachung im Zeitraum bis 1990 nahe, könne aber aufgrund von Vorerkrankungen, Rezidiven oder Persistieren bis heute nicht in Einklang gebracht werden mit der Bleiaufnahme; dies betreffe die Obstipation und Koliken. Nach dem Gesamtbild der Befunde spreche eine Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung der Polyneuropathie, unter Umständen überlagert von anderen Erscheinungen, auffällig sei einzig das lange Anhalten der Beschwerden; andererseits sei das Mobilisationsergebnis von 1997 unter Umständen Ursache dafür. Nach Aktenlage sei von einer leichten Form der Polyneuropathie auszugehen, die mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten wäre. Die Frage, welche funktionellen Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen sich aus dem Krankheitsbild ergäben, beantwortete der Sachverständige mit "Sensibilitätsstörungen und Kraftminderungen (?)”.

Prof. Dr. S äußerte sich daraufhin am 5. Mai 2000 dahin, dass Dr. Dr. D in seinem Gutachten selektiv ausschließlich von der bereits diagnostizierten Polyneuropathie spreche und diese ohne weitere Begründung auf die Exposition gegenüber bleihaltigen Arbeitsstoffen beziehe. Um seine Auffassung zu unterstützen, verweise er auf einen Blutbleigehalt einer anderen Mitarbeiterin, übersehe hierbei jedoch, dass zwei andere Personen Blutbleiwerte aufgewiesen hätten, die weniger als 50 % des von Dr. Dr. D pointiert zitierten Wertes betragen hätten. Auszugehen sei jedoch von den konkreten Gegebenheiten im Einzelfall. Dr. Dr. D ignoriere, dass die gutachtlich festgestellten Konzentrationen im Blut zweifelsfrei sämtlich im Streubereich der Norm lägen; dies gelte auch für die Konzentration, die im Anschluss an die Provokation objektiv ermittelt worden sei. Vermutungen, dass die Polyneuropathie durch die stattgehabte Bleiexposition zumindest wesentlich verursacht worden sein könnte, hätten bei Berücksichtigung des aktuell gesicherten Standes der medizinischen Wissenschaft keinen Bestand. Dr. Dr. D äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 9. Oktober 2000 dahin, dass auf die von ihm aufgeführten Hinweise zur Art der Begutachtung und Schwachstellen der Befundung leider nicht eingegangen worden sei und seine Darlegungen nicht diskutiert worden seien.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 12. Januar 2001 abgewiesen. Bei der Klägerin lägen zwar durchaus Symptome einer chronischen Bleierkrankung vor. Diese Symptomatik könne jedoch im Ergebnis nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die in den Jahren 1986 bis 1990 stattgefundene berufliche Exposition mit Blei zurückgeführt werden. Bei der Klägerin sei zu keiner Zeit eine derart erhöhte Bleikonzentration im Blut, im Urin oder im Stuhl ermittelt worden, die den Rückschluss auf die BK 1101 wahrscheinlich machen könnte. Während der Tätigkeit in der Keramikproduktion sei am 24. Juni 1988 eine Blutbleikonzentration gemessen worden, welche mit einem Wert von 0,99 µmol/l nach den Aussagen der Gutachter noch deutlich in dem arbeitsmedizinisch unbedenklichen Bereich gelegen habe. Soweit die Klägerin hierzu ausführe, dass der Wert nicht repräsentativ sei, da er nach einer längeren Abwesenheitszeit genommen worden sei, könne dies nicht zwangsläufig dazu führen, dass eine kritische Blutbleikonzentration gleichsam unterstellt werde. Hierin liege auch der erhebliche Mangel des Gutachtens von Dr. Dr. D, der davon ausgehe, dass aufgrund einer Untersuchung vom 3. Mai 1989 bei einer Mitarbeiterin der Klägerin ein Blutbleiwert von 2,2 µmol/l erfasst worden sei, welcher eindeutig über den Toleranzwerten nach den damaligen Normwerten gelegen hätte. Da der Gutachter davon ausgehe, dass die Klägerin durch ihre Berufserfahrung -und -stellung zu den Hauptexponierten in dem Betrieb gehört habe, sei mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten, dass engmaschige, expositionsnahe Kontrollen derartige Werte auch bei der Klägerin ergeben hätten. Eine derartige Vermutung könne jedoch nicht ausreichen. Vielmehr müssten diejenigen Umstände, die sich auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges der Bleiexposition und den bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen beziehen, zur vollen Überzeugung bewiesen sein. Weiter spreche gegen die Anerkennung einer BK 1101, dass bei der Klägerin zu keiner Zeit Frühsymptome einer Bleivergiftung hätten gefunden werden können. Es sei auch unwahrscheinlich, dass die bei der Klägerin seit 1987 aufgetretenen Bauchkoliken mit hochgradiger Verstopfung auf die Bleiexposition zurückzuführen seien, da dieses Krankheitsbild auch nach Ende der Bleiexposition im März 1990 unverändert fortbestanden habe, was nach den Ausführungen von Prof. S gegen die Anerkennung einer BK 1101 spreche. Auch die bei der Klägerin bestehende Polyneuropathie sei nicht wahrscheinlich auf die beruflich bedingte Bleiexposition zurückzuführen. Prof. Dr. S, Prof. Dr. Gund Dr. Dr. D hätten hierzu übereinstimmend ausgeführt, dass die bei der Klägerin bestehende sensible Polyneuropathie anders als eine motorische Polyneuropathie kein typisches Symptom einer Bleivergiftung sei. Schließlich hätten Prof. Dr. B einerseits und Prof. Dr. S und Prof. Dr. G andererseits durchaus nachvollziehbare Möglichkeiten aufgezeigt, die den Krankheitszustand der Klägerin erklären könnten.

Gegen dieses ihr am 15. März 2001 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am Dienstag nach Ostermontag, dem 17. April 2001 eingegangenen Berufung. Die Klägerin trägt zur Begründung vor, dass während ihrer Tätigkeit im Bereich der Keramikproduktion während der gesamten Arbeitsschicht eine Aufnahme über die Haut und Atemwege gegeben gewesen sei, da die Brennöfen keine Absaugung oder Bleifilter gehabt und acht bis zehn Stunden täglich gebrannt hätten. Die Dämpfe hätten während des Brennvorganges ungefiltert in den Werkstattbereich entweichen können, da die Werkstatt selbst nicht über eine Zwangsbelüftung oder eine Absauganlage verfügt hätte. Daneben sei eine orale Aufnahme von Blei- und Cadmiumstäuben oder Aerosolen möglich gewesen, da der Umkleide- und der Speiseraum nur durch eine Pappschiebewand von der Werkstatt getrennt gewesen seien. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Berufskrankheit 1101 seien daher vom technischen Außendienst als gegeben angesehen worden. Die Raumluftmessung vom 24. Juni 1988 hätte keinen Aussagewert, weil die Messungen durchgeführt worden seien, nachdem zuvor an mehreren Tagen nicht produziert worden sei und weil aus politischen Gründen ein Überschreiten der Grenzwerte bzw. eine erhebliche Exposition nicht eingeräumt werden sollte. Entsprechend sei auch die Blutbleigehaltuntersuchung bei ihrer Person bewusst zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden, als sie sich wegen Krankschreibung wochenlang nicht in den Werkstatträumen befunden gehabt hätte. Hierdurch seien niedrigere Werte erzielt worden, als sie der normalen täglichen Exposition entsprochen hätten. Werde schon bei vier Brennöfen das Überschreiten der MAK-Werte eingeräumt, so gelte dies erst recht dann, wenn - wie es dem Regelfall entsprochen hätte - fünf Öfen betrieben worden seien. Da in der Regel fünf Öfen gleichzeitig benutzt worden seien, sei von einer permanenten Überschreitung der zulässigen Belastung und einer erheblichen Bleiexposition auszugehen. Dem von Prof. Dr. S erstatteten Gutachten könne nicht gefolgt werden, da der Gutachter von tatsächlich unrichtigen bzw. idealisierten Angaben ausgehe. Die 1988 durchgeführten Messungen seien unstreitig stets außerhalb der Brennprozesse erfolgt. Prof. Dr. S sei von unrichtigen Tatsachen ausgegangen, als er unzutreffende Angaben der MIBRAK, dass Grenzwerte nicht überschritten worden seien, übernommen hätte. Auch sei in der Stellungnahme der Arbeitshygiene-Inspektion des Rates des Kreises H vom 24. August 1988 unzutreffend behauptet worden, dass Staubmessungen durchgeführt worden seien. Beim Umfüllen, Anrühren und Auftragen des bleihaltigen Lasurstaubes seien jedoch keine Staubmessungen durchgeführt wurden. Die am 16. November 1989 dokumentierte Bleiuntersuchung der Betriebspoliklinik L Werke könne für die Beurteilung der Gesamtsituation nur mit Einschränkung herangezogen werden, da sie zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, an welchem sie aufgrund ärztlicher Verordnung bereits seit sechs Monaten nur noch vier Stunden täglich am Arbeitsplatz hätte verbringen dürfen. Gerade aufgrund der Emission sei ärztlicherseits die Expositionszeit auf vier Stunden täglich ab April/Mai 1989 beschränkt worden. Zugrunde zu legen seien jedoch die Arbeitsbedingungen, denen sie in der davorliegenden Zeit ausgesetzt gewesen sei. Die mangelnde Kommunikation bzw. Unauffindbarkeit von Unterlagen könne nicht zu ihren Lasten gehen. Die Klägerin hat ferner eine ärztliche Stellungnahme des Nervenarztes Dr. B vom 3. Januar 2002 beigebracht, auf die sie Bezug nimmt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 4. März 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach der BK Nr. 1101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Verletztenteilrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist weiterhin auf die Gutachten der Prof. Dr. B, Prof. Dr. S und Prof. Dr. G. Es sei ein methodischer Fehler, erhöhte Bleiblutwerte bei Mitarbeiterinnen der Klägerin als Indiz für eine sehr hohe Bleibelastung heranzuziehen, niedrigere Blutwerte anderer Kollegen jedoch nicht zu interpretieren. Die Studien zum Nachweis eines Zusammenhangs zwischen einer Bleiexposition und Störungen der sensorischen Nerven zeigten unterschiedliche Ergebnisse. Nach heutigem Wissensstand gäbe es sichere Hinweise lediglich für einen Ursachenzusammenhang zwischen Bleibelastung und Schädigungen der motorischen Nervenfasern. Der Technische Aufsichtsdienst sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin über einen Zeitraum von 4,3 Jahren exponiert im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 1101 tätig gewesen sei. Eine genauere Quantifizierung der Arbeitsplatzbelastung könne wegen fehlender Messergebnisse nicht erfolgen. Die Beklagte verweist insoweit auf eine Stellungnahme des TAD vom 12. Oktober 2001 (Herr W) und auf von diesem eingeholte weitere Ermittlungsergebnisse ("Protokoll zur Betriebsbegehung in der Töpferei Theißen” vom 10. Juli 1986, den Bericht über eine "Komplexinspektion in der Töpferei d. BKW D” vom 19. Juli 1988 und das Protokoll einer "Arbeitsplatzbegehung in der Konsumgüterproduktion (Töpferei) Theißen im Mai 1987”).

Das LSG hat das Ergebnis einer Positronen-Emissions-Tomographie des Arztes für Radiologie Dr. H vom 21. September 2001 beigezogen.

Das Gericht hat ferner durch Prof. Dr. W von der Universität Ulm, Abteilung Pharmakologie und Toxikologie, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein toxikologisches Zusammenhangsgutachten eingeholt; auf das gemeinsam mit Dr. P S-S erstellte Gutachten vom 14. März 2003 wird Bezug genommen. Prof. Dr. W kam zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass das Kriterium der haftungsbegründenden Kausalität für eine BK Nr. 1101 erfüllt sei. Die insgesamt schlechten arbeitshygienischen Bedingungen am Arbeitsplatz sowie die Feststellung, dass bei Betrieb aller Brennöfen eine Einhaltung des MAK-Wertes in der Keramikwerkstatt nicht gewährleistet gewesen sei, begründeten diese Einschätzung. Das Ergebnis der einzigen durchgeführten Messung von Blei in der Luft könne hier nicht als repräsentativ für die Bedingungen während der gesamten Beschäftigungsdauer betrachtet werden. Der Grenzwert für Pb in der Luft am Arbeitsplatz lag/liege in der Bundesrepublik bei 0,1 mg/m³ (Schichtmittelwert über 8 h), bezogen auf die einatembare Staubfraktion. Es gelte der Überschreitungsfaktor 4, d.h. in keinem 15-Minuten-Zeitraum solle die mittlere Pb-Konzentration die 4-fache Grenzwertkonzentration (d.h. 0,4 mg/m³) überschreiten (TRGS 900¸ (Grenzwerte in der Luft am Arbeitsplatz, 2002)). Unter Anwendung dieser Bewertungskriterien hätten die am 14. Juni 1988 gemessenen Pb-Konzentrationen in der Luft alle deutlich innerhalb des zulässigen Bereichs gelegen. Nach der TRGS 402 (Ermittlung und Beurteilung der Konzentrationen gefährlicher Stoffe in der Luft (1997)) könne die Einhaltung des Luftgrenzwertes nach TRGS 900 bei Vorliegen von nur einem Messwert jedoch nur dann angenommen werden, wenn der Stoffindex I kleiner als 1/10 betrage; dies sei hier nicht der Fall, basierend auf der Messung vom 14. Juni 1988 betrage er 3/10. Von einer dauerhaft sicheren Einhaltung des Grenzwertes von 0,1 mg/m³ könne daher nicht ausgegangen werden, zumal am Tag der Messung nicht alle Öfen in Betrieb gewesen seien und auch nicht bekannt sei, ob die die Anzahl an Keramiken mit Bleiglasur variiert habe. Insgesamt habe damit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gesundheitliche Gefährdung der Klägerin aufgrund der Bleiexposition bestanden.

Der Biologische Arbeitsstoff Toleranz (BAT)-Wert, d.h. die Konzentration eines Stoffes im Körper, bei der im Allgemeinen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt werde, sei für Blei im Blut für Frauen unter 45 Jahren auf 300 µg/l, für Frauen ab 45 Jahren auf 400 µg/l festgelegt. Die beiden bekannten Blutbleiwerte der damals 44 jährigen Klägerin hätten zwar deutlich unterhalb des BAT-Wertes gelegen, das schließe jedoch nicht aus, dass bei entsprechender Überschreitung des MAK-Wertes in der Werkstatt auch bei der Klägerin BAT-Wert-Überschreitungen hätten vorkommen können. Die Tatsache, dass bei einer der in der Keramikwerkstatt beschäftigten Frauen eine Blutbleikonzentration über dem derzeit für Frauen ab 45 Jahre gültigen BAT-Wert gemessen worden sei, sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier Bleibelastungen hätten vorkommen können, die über dem MAK-Werk von 0,1 mg/m3 lagen. Obwohl die beiden bei der Klägerin untersuchten Blutproben keine so hohen Bleiwerte aufgewiesen hätten, ergäbe sich nach der Gesamtbeurteilung, dass die Klägerin während anderer Zeiträume an ihrem Arbeitsplatz mit Wahrscheinlichkeit ähnlich hohen Bleikonzentrationen ausgesetzt gewesen sei. Es sei wahrscheinlich, dass zwischen der Bleiexposition am Arbeitsplatz und Bauchkoliken und Verstopfung ein kausaler Zusammenhang bestehe. Es handele sich hier um ein ganz typisches Symptom einer chronischen Bleiintoxikation, das allerdings nach Beendigung der Exposition reversibel sei. Nicht typisch seien die ab November 1991 von der Klägerin geklagten Bauchschmerzen mit Durchfällen. Wegen der Augenerkrankung, die sich in Sehstörungen und Doppelbildern geäußert habe, sei im August 1989 eine Reduktion der täglichen Arbeitszeit auf vier Stunden erfolgt. Insoweit könne retrospektiv ein möglicher Zusammenhang zwischen der Bleiexposition und der Augenerkrankung jedoch nicht mehr mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, da die Befunddokumentation nicht ausreiche, um die Ursache der 1989 aufgetretenen Augenmuskelschwäche zu klären. Ein Zusammenhang zwischen den Fieberschüben und der beruflichen Bleiexposition bestehe nicht. Auch Gallenbeschwerden zählten nicht zu den bekannten gastrointestinalen Symptomen einer chronischen Bleiintoxikation, ein Zusammenhang sei insoweit nicht wahrscheinlich. Das Vorliegen des klassischen Bilds der Blei-Neuropathie könne bei der Klägerin ausgeschlossen werden. Es existierten im Zusammenhang mit Blei jedoch auch Berichte über das Vorkommen demyelinisierender Neuropathien und vorwiegend symmetrisch-sensibler Polyneuropathien. Das Auftreten der auf eine sensible Polyneuropathie hinweisenden Symptomatik bei der Klägerin korreliere zeitlich mit ihrer Bleiexposition. Ein kausaler Zusammenhang sei daher als wahrscheinlich anzunehmen, da keine andere Ursache für die Polyneuropathie zu diesem Zeitpunkt gegeben gewesen sei. Eine Stoffwechselstörung sei wenig wahrscheinlich, da bei der Klägerin für den Zeitpunkt der Erstdiagnose außer einer Hypercolesterinämie keine Stoffwechselstörung dokumentiert sei, insbesondere kein Diabetes mellitus, der als alternative Ursache am ehesten infrage käme. Da 1993 im Rahmen mehrerer stationärer Aufenthalte umfangreiche Laboruntersuchungen durchgeführt worden seien, sei es wenig wahrscheinlich, dass eine relevante Stoffwechselstörung hätte übersehen werden können. Die manifeste Osteoporose stehe nicht im kausalen Zusammenhang mit der Bleiexposition. Auch für das von Prof. G diagnostizierte hirnorganische Psychosyndrom sei ein Zusammenhang mit Bleiexposition nicht wahrscheinlich. Zusammenfassend läge eine Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 1101 BKVO in Form einer durch Blei verursachten Polyneuropathie vor.

In einer Stellungnahme vom 26. Oktober 2003 führte Prof. Dr. W weiter aus, dass nach im Einzelnen beschriebenen Untersuchungen offenbar neben der seit langer Zeit bekannten Schädigung motorischer Funktionen des peripheren Nervensystems auch eine Schädigung sensorischer Funktionen auftrete. Letzteres sei zwar offensichtlich weniger häufig feststellbar und auch im Ausmaß geringer als die motorische Schädigung. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der genannten Exposition und dem Auftreten sensorischer Nervenstörungen als prinzipiell gegeben angesehen werden müsse. Die Bleibelastung in der Keramikwerkstatt sei zu verschiedenen Zeiten wohl sehr unterschiedlich hoch gewesen und es hätten an diesen Arbeitsplätzen so hohe Bleibelastungen vorkommen können, dass die arbeitsmedizinischen Grenzwerte erheblich überschritten hätten sein können. Die wenigen vorliegenden Blutbleibestimmungen seien punktuell erhobene Daten und könnten keineswegs als repräsentativ zugrunde gelegt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der von der Klägerin verfolgte Anspruch richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)). Gleichermaßen sind die Bestimmungen der bis zum 30. November 1997 geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BKVO), maßgebend.

Gemäß den §§ 537 Nr. 2, 551 Abs. 1 Satz 1 RVO entschädigt die gesetzliche Unfallversicherung u.a. die Versicherten, die aufgrund des Versicherungsfalls einer Berufskrankheit in ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt worden sind. Gemäß § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 539, 540, 543 bis 545 RVO begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 1101 der Anlage 1 zur BKVO "Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen”.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne eines Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lediglich für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) einerseits und zwischen der schädigenden Einwirkung und der eingetretenen Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) andererseits reicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - aus (ständige Rechtsprechung, etwa BSG, SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N. ).

Die Anerkennung der Berufskrankheit 1101 scheitert vorliegend zunächst daran, dass die durch die Tätigkeit der Klägerin erfolgten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen sind. Die körperschädigende Einwirkung muss als rechtserhebliche Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Ein derartiger Nachweis liegt in Ermangelung verwertbarer Messergebnisse oder anderer Daten, die eine schädigende Exposition belegen, nicht vor. Repräsentative Messergebnisse für die Exposition, die etwa den Anforderungen der TRGS 402 genügten, sind nicht vorhanden. Die im Laufe des Verfahrens beigezogenen Unterlagen reichten für den Nachweis einer schädigenden Einwirkung bereits deshalb nicht aus, weil den Messprotokollen Überschreitungen der auch derzeit gültigen MAK-Werte nicht entnommen werden können.

Prof. Dr. W legt insoweit in seinem Gutachten dar, dass die am 14. Juni 1988 gemessenen Pb-Konzentrationen in der Luft alle deutlich innerhalb des zulässigen Bereichs lagen, wenn auch aufgrund des Umstandes, dass nur ein Messergebnis vorliegt, nicht von einer dauerhaft sicheren Einhaltung des Grenzwertes von 0,1 mg/m³ ausgegangen werden könne. Der Umstand, dass eine dauerhaft sichere Einhaltung von Grenzwerten nicht festgestellt werden kann, führt jedoch nicht etwa im Umkehrschluss dazu, dass lediglich deshalb vom Nachweis einer schädigenden Exposition in der Person der Klägerin ausgegangen werden könnte. Für einen derartigen Schluss fehlt jede Grundlage. Die maximale Arbeitsplatzkonzentration bzw. (in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung der Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen – Gefahrstoffverordnung- vom 23. Dezember 2004) der "Arbeitsplatzgrenzwert” gibt entsprechend der in der Gefahrstoffverordnung enthaltenen Definition und Zweckbestimmung an, bei welcher Konzentration eines Stoffes akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen nicht zu erwarten sind (§ 3 Abs. 5 Gefahrstoffverordnung alter Fassung vom 26. Oktober 1993 bzw. § 3 Abs. 6 der ab 2005 geltenden Gefahrstoffverordnung). Die MAK-Werte stellen damit lediglich dem präventiven Arbeitsschutz dienende Vorsorgewerte dar. Ein Über- oder Unterschreiten dieser Werte kann eine gewisse Indizwirkung haben, ob eine diagnostizierte Erkrankung auf die Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz zurückgeführt werden kann (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, E-LSG U-019). Den vorliegend bekannten Werten konnte jedoch nicht einmal eine derartige Indizwirkung zugunsten der Klägerin zuerkannt werden, weil gerade keine Überschreitung von MAK-Werten positiv festgestellt worden ist. Eine Aussage zur schädigenden Exposition konnte diesen Werten nicht entnommen werden.

Auch die gemessenen Blutbleispiegel ließen keine Rückschlüsse auf eine relevante Expositionshöhe zu, da die entsprechenden Messergebnisse ebenfalls Werte unterhalb der festgelegten BAT-Werte zeigten. Der BAT-Wert für Blei im Blut wurde für Frauen unter 45 Jahren auf 300 µg/l und für Frauen ab 45 Jahren auf 400 µg/l festgelegt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 1299 m.w.N. und Gutachten Prof. Dr. W, Bl. 238). Die beiden bekannten Blutbleiwerte der Klägerin lagen mit 205,1 µg/l am 16. November 1989 und 150 µg/l am 3. Mai 1989 deutlich unter diesen BAT-Werten.

Letztlich haben selbst die Gutachter Dr. Dr. Dund Prof. Dr. W ihre Ergebnisse insoweit nur auf von ihnen vermutete Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich der Bleiexposition gestützt. Dr. Dr. Dr hat ausgeführt, von einer gefährdenden Bleiexposition auszugehen, weil der Nachweis einer sicheren Einhaltung der MAK-Werte nicht gelinge. Prof. Dr. What dies unter Bezugnahme auf zulässige Grenzwerte weiter ausgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gesundheitliche Gefährdung für die Klägerin aufgrund der Bleiexposition bestanden habe. Dies reicht für einen Vollbeweis nicht aus. Abgesehen davon sind die Ausgangspunkte, mit denen Prof. Dr. W diesen Schluss hinsichtlich der angenommenen hohen Wahrscheinlichkeit zieht, durchaus zweifelhaft. Grundsätzlich ist ihm zwar zuzustimmen, dass die Einbeziehung der Blutbleiwerte der anderen Beschäftigten für die Gesamtbeurteilung berechtigt ist. Die Art und Weise der Einbeziehung, nämlich die Einbeziehung eines einzigen höheren Blutbleiwertes bei einer anderen Kollegin ohne Gewichtung der drei niedrigeren Werte bei anderen Kolleginnen ist jedoch nicht nachvollziehbar.

Das Vorbringen der Klägerin führte nicht zu anderem Ergebnis. Soweit diese vorgetragen hat, dass Messungen der Luft nie während laufender Brennvorgänge erfolgt seien, hat bereits Prof. Dr. W überzeugend ausgeführt, dass hiergegen die Tatsache spricht, dass bei den ersten morgens durchgeführten Messungen (so bei der Messung am 14. Juni 1988 ausweislich des Messprotokolls vom 24. Juni 1988 um 9.00 Uhr und um 9.42 Uhr) kein Blei in der Luft nachgewiesen wurde, während dies zu späteren Zeitpunkten am Tag der Fall war. Soweit die Klägerin ausführt, zum Zeitpunkt der Blutbleibestimmung am 16. November 1989 bereits aufgrund ärztlicher Verordnung seit sechs Monaten nur noch vier Stunden täglich am Arbeitsplatz verbracht zu haben, die Expositionszeit sei gerade aufgrund der Immissionen beschränkt worden, und vor der ersten Messung im Mai 1989 krankheits- und urlaubsbedingt seit sechs Wochen vorher nicht mehr am Arbeitsplatz gewesen zu sein, ist darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende ärztliche Verordnung für eine Teilzeitbeschäftigung am 24. August 1989 durch die Leiterin der Augenabteilung des Kreiskrankenhauses ZDr. H aufgrund einer Augenmuskelschwäche ausgesprochen wurde. Eine Arbeitsunfähigkeit ist im Sozialversicherungsausweis für die Zeit vom 18. bis 31. März 1988 vermerkt. Letztlich kann dies dahingestellt bleiben, da entgegen der Auffassung der Klägerin das Fehlen aussagekräftigerer Messungen bzw. die – angebliche - Verletzung von Dokumentationspflichten durch Gutachter nicht zu einer Umkehr der Beweislast führt.

Weiter scheitert eine Anerkennung der bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen als Berufskrankheit auch daran, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung durch die Bleiexposition und den bei der Klägerin eingetretenen Erkrankungen, also die haftungsausfüllende Kausalität, nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte. Das Gericht folgt hierbei den Gutachten der Prof. Dr. S vom 18. Februar 1998 und von Prof. Dr. Gvom 18. Dezember 1997. Prof. Dr. G kam nach einer Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis, dass ein typischer Befund wie bei einer Bleiencephalopathie nicht festzustellen sei. Eine typische Bleipolyneuropathie sei - auch in Verbindung mit dem weiteren neurologischen Befund und dem EMG – ebenfalls nicht als nachgewiesen anzusehen. Der eher stationär verbliebene Verlauf im Vergleich mit einer Voruntersuchung aus 1993 spreche ebenfalls gegen das Vorliegen einer Bleipolyneuropathie. Prof. S führte darüber hinaus – insoweit in Übereinstimmung mit Prof. Dr. W- aus, dass die bei der Klägerin während ihrer Tätigkeit für die Bleikeramik Theißen gemessenen Bleiblutkonzentrationen im aktuell gültigen Bereich der Norm gelegen hätten. Auch wenn Prof. Dr. S, wie von Prof. Dr. Wausgeführt, in seinem Gutachten ein Umrechnungsfehler betreffend die Messwerte der Blutbleikonzentration unterlaufen ist ("0,99 µmol/l = 33,6 µg/l”), so führt dies letztlich deshalb nicht zu einem anderen Ergebnis, weil auch der korrekte Umrechnungswert 205,1µg/l noch deutlich unter dem BAT-Grenzwert von 300µg/l lag.

Den Ausführungen von Dr. Dr. Din seinem Gutachten vom 28. Juni 1999 konnte nicht gefolgt werden. Der Gutachter benannte zwar verschiedene von ihm als "Schwachstellen” bezeichnete Punkte in den Vorgutachten, vermochte aber seinerseits keine überzeugenderen Argumente für das von ihm gefundene Ergebnis vorzubringen. Letztlich kommt der Gutachter lediglich zu einer Vermutung, dass bei Durchführung engmaschiger expositionsnaher Kontrollen auch bei der Klägerin höhere Werte festgestellt worden wären. Derartige Vermutungen sind, wie bereits das Sozialgericht ausgeführt hat, grundsätzlich nicht ausreichend, zumal die tatsächlich bei der Klägerin gemessenen Werte jeweils deutlich unterhalb der auch derzeit gültigen BAT-Werte lagen. Es können nicht lediglich aufgrund des – vom Gutachter als "unwidersprochen” seinen Ausführungen zugrundegelegten – Vortrages der Klägerin, sie habe zu den Hauptexponierten gehört, die tatsächlich gemessenen Werte fiktiv hochgerechnet werden, lediglich weil bei einer anderen Kollegin am 3. Mai 1989 ein höherer Wert (2,2 µmol/l) als bei der Klägerin (0,72 µmol/l) gemessen worden ist. Die Beklagte hat ferner zu Recht darauf hingewiesen, dass bei anderen Kolleginnen ebenfalls jeweils nur geringere Werte gemessen worden sind (am 16. November 1989 bei der Kollegin E0,55 µmol/l und bei der Kollegin M 0,72 µmol/l und am 3. Mai 1989 bei der Kollegin M 0,96 µmol/l).

Wenn Dr. Dr. D ausführt, dass man für das Unterlassen differenzierter Untersuchungen während der Exposition nicht die Klägerin verantwortlich machen könne, so macht dies deutlich, dass er Wertungen in seine Beurteilung fließen ließ, die sich mit dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatz von der sog. objektiven Beweislast, nach dem bei Beweislosigkeit jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, nicht vereinbaren lassen. Die Folgen einer Ungewissheit wegen für ihn günstiger Tatsachen muss danach der Beteiligte tragen, auch wenn er für das Fehlen von Beweisen in keiner Weise verantwortlich gemacht werden kann.

Auch Dr. Dr. D bestätigte in der Sache die erheblichen Einwände der Prof. Dr. S/Prof. Dr. G, dass das letztlich nicht erklärbare lange Anhalten der Beschwerden nach Abschluss der Exposition bzw. der stationär gebliebene Verlauf im Vergleich mit einer Voruntersuchung aus 1993 gegen das Vorliegen einer Bleipolyneuropathie sprechen. Weiter teilte auch Dr. Dr. Dr die Ausführungen der Vorgutachter insoweit, als dass die bleibedingte Polyneuropthie überwiegend die motorischen Nervenaktivitäten tangiere und nicht – wie im Fall der Klägerin – lediglich die sensiblen.

Der Senat vermochte auch dem Gutachten von Prof. Dr. W vom 14. März 2003 nicht zu folgen. Prof. Dr. W kam zu dem von ihm gefundenen Ergebnis, dass die Kausalität für eine Berufskrankheit Nr. 1101 gegeben sei, ausdrücklich lediglich aufgrund der allgemeinen schlechten arbeitshygienischen Bedingungen am Arbeitsplatz sowie der Feststellung, dass bei Betrieb aller Brennöfen eine Einhaltung des MAK-Wertes in der Keramikwerkstatt nicht gewährleistet gewesen sei. Das Ergebnis der einzigen durchgeführten Messung von Blei in der Luft wurde als nicht repräsentativ außer Betracht gelassen. Entgegen dem wiederholten Vortrag der Klägerin, dass die Messungen in ihrer Abwesenheit zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden seien, an dem kein Brennvorgang von Pb-haltigen Glasuren durchgeführt worden sei, wies der Gutachter jedoch darauf hin, hiergegen spreche, dass bei den ersten morgens durchgeführten Messungen, d.h. vor Inbetriebnahme der Öfen, kein Blei in der Luft nachgewiesen worden sei, während dies zu den späteren Zeitpunkten der Fall war.

Prof. Dr. W stellt ferner für seinen Schluss, dass die "haftungsbegründende” Kausalität gegeben sei, auf den bei einer Kollegin am 3. Mai 1989 gemessenen Wert von 2,2 PbB ab. Der vom Gutachter getätigte Rückschluss von einer erhöhten Blutbleikonzentration bei einer anderen in der Werkstatt tätigen Frau auf Bleibelastungen, die über dem MAK-Wert von 0,1 mg/m3 lagen, ist jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht ausreichend, da die bei der Klägerin selbst gemessenen Werte keine derart hohen Bleiwerte aufwiesen und da die gemessenen geringeren Werte bei den übrigen Kollegen nicht in die Betrachtung einbezogen wurden. Prof. Dr. W führt in seinem Gutachten (S. 11) aus, dass die beiden bei der Klägerin gemessenen Blutbleiwerte deutlich unterhalb des BAT-Wertes gelegen haben, dies schließe jedoch nicht aus, dass bei entsprechender Überschreitung des MAK-Wertes in der Keramikwerkstatt auch bei der Klägerin BAT-Wertüberschreitungen vorkommen hätten können. In der Tat können diese Überschreitungen nicht ausgeschlossen werden. Die bloße Möglichkeit des Überschreitens reicht jedoch für den erforderlichen Vollbeweis der Exposition, nicht aus.

Dahingestellt bleiben konnte letztlich, ob eine Erkrankung der sensorischen Nervenbahnen – wie sie bei der Klägerin besteht - grundsätzlich überhaupt als durch Bleieinwirkung hervorgerufen anerkannt werden könnte. Hierzu bestehen nach den unterschiedlichen Auffassungen der Prof. Dr. B, Prof. Dr. S und Dr. Dr. D einerseits und Prof. Dr. W andererseits unterschiedliche Auffassungen.

Die Anerkennung anderer Erkrankungen als der Polyneuropathie als durch die Bleiexposition verursacht kam nach den umfassend begründeten Ausführungen des Prof. Dr. Wnicht in Betracht.

Der Anregung der Klägerin, Dr. Bals Zeugen zu hören, brauchte nicht gefolgt zu werden. Die Klägerin hat die unter Beweis gestellten Tatsachen, zu denen der Arzt gehört werden sollte, nicht näher bezeichnet. Der Verweis auf den Arztbericht vom 3. Januar 2002 war insoweit nicht ausreichend. Zu Fragen der hier relevanten Kausalitätsbeurteilung kam eine Anhörung von Dr. B als Zeuge nicht in Betracht, weil dieser die Klägerin erst lange nach Beendigung des Expositionszeitraumes behandelt hat. Ferner hatte das Gericht durch Beschluss vom 10. April 2002 dem Befangenheitsgesuch der Beklagten gegen eine Bestellung von Dr. Bals Sachverständigen stattgegeben, so dass auch deshalb seine Anhörung zu Kausalitätsfragen nicht in Betracht kam. Die Einholung eines weiteren Sachverständigen-Gutachtens war nicht erforderlich, da der Sachverhalt durch die vorliegenden Gutachten hinreichend aufgeklärt war.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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