S 9 AS 53/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 53/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 03.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2005 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 16.04.2005 bis 31.10.2005 Leisungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
2. Die Beklagte trägt 11/12 der Kosten, im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 16.04.2005.

Die Klägerin, geboren 1958, beantragte am 07.04.2005 Arbeitslosengeld II im Anschluss an einen Arbeitslosengeld-I-Bezug bis 09.04.2005 (monatllich 1046,70 EUR). Sie gab an, 10.100,- EUR auf Girokonten sowie einen Fiat Punto, Baujahr 2000, Laufleistung 140000 km zu besitzen.

Ausweislich des von ihr vorgelegten Kontoauszugs der J E war von dem dort geführten Konto mit einem Saldo von 27.700,- EUR am 12.04.2005 ein Betrag von 17.750,- EUR abgebucht worden, der am 14.04.2005 auf dem Girokonto der Klägerin bei der B Bank einging und dort am gleichen Tag bar abgehoben wurde.

Hierzu legte die Klägerin auf Nachfrage der Beklagten einen Darlehnsvertrag vom 13.06.1995 über 75.000,- DM zwischen der Klägerin und ihren Eltern vor, der zu verzinsen und in Raten zu 900,- DM monatlich ab 01.06.1995 zu tilgen war, gesichert durch den Erbanteil der Klägerin und spätestens rückzahlbar mit Eintritt des Erbfalles. Nach dem beigefügten Tilgungsplan sollte die letzte Rate am 01.05.2004 gezahlt sein. Nach Mitteilung der Mutter der Klägerin bestand eine seit Ende 1998 nicht mehr bediente Restschuld von 49.883,63 DM, auf die sie von ihrer Tochter als Teilrückzahlung – wohl am 14.05. – 17.750,- EUR erhalten habe.

Die Beklagte verneinte ihre Leistungspflicht (Bescheid vom 03.05.2005). Der vorhandene Saldo von 27.700,- EUR per 11.04.2005 stelle verwertbares Vermögen dar. Die Darlehnstilgung könne nicht berücksichtigt werden, da sie nach Antragstellung erfolgt sei und eine spätere Tilgung nach dem Vertrag möglich sei. Da seit 1999 keinerlei Tilgung mehr erbracht worden und nur der Betrag getilgt worden sei, der über dem der Klägerin nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohnehin zustehenden Vermögensfreibetrag von 10.150,- EUR liege, bestehe der Verdacht, dass lediglich eine Vermögensumschichtung erfolgt sei, um in den Genuss von Leistungen nach dem SGB II zu kommen.

Auch den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 16.06.2005). Zwar habe die Klägerin ungedeckten Bedarf von 515,05 EUR im April und 929,53 EUR ab Mai 2005. Jedoch stehe das Guthaben von 27.700,- EUR als berücksichtigungsfähiges Vermögen einem Leistungsanspruch entgegen. Die Klägerin habe offenbar über dieses Guthaben frei verfügen können, eine sofortige Darlehnstilgung sei von ihr nicht verlangt worden.

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin gibt an, sie habe über das Geld nicht frei verfügen können, sondern es habe zur Darlehnstilgung gedient. Es gehöre ihr nicht und könne deshalb auch nicht ihrem Vermögen zugerechnet werden. Den Darlehnsvertrag habe noch ihr 1999 verstorbener Vater mit unterschrieben. Der Vertrag habe der weiteren Finanzierung/Umschuldung des von ihr betriebenen Modegeschäftes in K gedient. Ab 1999 sei es ihr wegen der Trennung von ihrem Mann und bei einem Gehalt von 1600,- hfl. aus dem damaligen Anstellungsverhältnis nicht möglich gewesen, weitere Rückzahlungen zu leisten. Im gegenseitigen Einvernehmen seien daraufhin die Zahlungen eingestellt worden. Im Zusammenhang mit ihrer langen Arbeitslosigkeit und dem drohenden Ende der Arbeitslosengeld-I-Zahlung habe ihre Mutter dann darauf hingewiesen, dass es nur recht und billig sei, wenn sie zunächst einen Teil ihrer Schulden begleiche. Knapp 10.000,- EUR seien ihr für eventuelle Notfälle belassen worden. Die Klägerin legt einen Überweisungsbeleg über 61.000,- DM mit dem Vermerk Teilbereitstellung Darlehn und Buchungsvermerken vom 04.10.1995 auf ihr Firmenkonto vor. Die Klägerin gibt an, ab dem 01.11.2005 wieder in Arbeit zu stehen.

Nach gerichtlichem Hinweis darauf, dass für die Zeit bis 15.04.2005 Leistungen nicht zustehen, weil bis zu dieser Zeit die Klägerin noch über Vermögen in Höhe von 27.700,- EUR verfügte, beantragt die Klägerin,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 03.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2005 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab dem 16.04.2005 bis zum 31.10.2005 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, die Existenz des Darlehns stelle sie nicht in Abrede. Für die Bewertung des Vermögens sei der Zeitpunkt des Antrags maßgeblich.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, denn der Klägerin stehen im Antragszeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu.

Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II wonach Leistungen nach diesem Buch Personen erhalten, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Insbesondere liegt das zwischen den Beteiligten zu Recht allein streitige Tatbestandsmerkmal der Hilfebedürftigkeit vor, denn die Klägerin konnte im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalten (§ 9 Abs. 1 SGB II). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin allerdings nur bis zum 31.10.2005, da sie ab dem 01.11.2005 in Arbeit ist. Anrechenbares Einkommen im streitigen Zeitraum ist nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung der Beklagten verfügte die Klägerin aber ab dem 16.04.2005 auch nicht mehr über anrechenbares Vermögen. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände abzusetzen, die den von der Beklagten zutreffend mit 10.150,- EUR ermittelten Freibetrag (§§ 12 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II) übersteigen. Dabei hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Bewertung der Zeitpunkt maßgebend ist, in dem der Antrag auf Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird (§ 12 Abs. 4 Satz 2 SGB II). Im Zeitpunkt der Antragstellung am 07.04.2005 verfügte die Klägerin über mehr als 27.000,- EUR auf eigenen Konten, die keine Treuhandkonten waren und über die sie frei verfügen konnte bis zum 15.04.2005. Jedoch verbrauchte sie am 15.04.2005 den Großteil ihres Vermögens. Der Vermögensverbrauch erfolgte zur Tilgung einer zwischen den Beteiligten unstreitig und auch zur Überzeugung des Gerichts bestehenden Schuld, denn die Kammer geht aufgrund der Besonderheiten des Darlehensvertrages (Unterschrift des verstorbenen Vaters, Ausgestaltung mit Tilgungsplan) und der durch Gutschrift belegten nachgewiesenen Darlehensaus-zahlung sowie der von der Mutter bestätigten Tatsache, dass noch eine offene Restforderung bestand, davon aus, dass die Klägerin tatsächlich noch Schulden in Höhe von über 17.750,- EUR bei ihrer Mutter hatte. Da die Zahlung auf eine Schuld erfolgte, ist sie nicht zurückforderbar, die Zahlung war im Zahlungszeitpunkt zudem auch fällig, denn die Parteien des Darlehensvertrages waren sich im Rückzahlungs-zeitpunkt darüber einig, dass Fälligkeit eingetreten sein sollte, wodurch etwa entgegenstehende frühere Vereinbarungen geändert worden wären. Da schon wesentliche Änderungen des Verkehrswertes des Vermögens zu berücksichtigen sind (§ 12 Abs. 4 Satz 3 SGB II), muss dies erst recht für den vollständigen Verbrauch von Vermögenswerten gelten. Da die Klägerin hierauf hingewiesen hatte und das Verwaltungsverfahren noch andauerte, war dies auch ohne erneute Antragstellung von der Beklagten zu berücksichtigen.

Da nicht ersichtlich ist, dass die volljährige und vollausgebildete Klägerin über Ansprüche gegenüber Angehörigen oder über sonstiges Einkommen verfügt, und auch sonst keine Ausschlusstatbeständige ersichtlich sind, hat die Klägerin ab dem 16.04.2005, wie beantragt, dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte ist verärgert darüber, dass die Klägerin ihre Bedürftigkeit durch Rückzahlung des Darlehns an ihre Mutter selbst herbeigeführt hat. Diese Gestal-tungsmöglichkeit ist ihr aber durch das Gesetz nicht verwehrt. Selbst wenn die Klägerin ihre Bedürftigkeit absichtlich (!) herbeigeführt hätte, hätte der Beklagten (nur) die Möglichkeit einer Absenkung der Leistung nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II für begrenzte Zeit, nicht aber die vollständige Ablehnung von Zahlungen zur Verfügung gestanden. Dass bei absichtlichem Vermögensverbrauch die Beklagte auf die Kürzung der Leistung nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II beschränkt ist, zeigt zugleich, dass die Vernichtung von Vermögen nach dem SGB II keine weiteren Sanktionen nach sich zieht. Eine Absenkung von Leistungen kann nur durch Bescheid und nur zum nächsten Monatsersten erfolgen (§ 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II), demnach im streitigen Zeitraum nicht mehr, da sich die Klägerin ab dem 01.11.2005 nicht mehr im Leistungsbezug befindet. Unabhängig davon wird aber die Möglichkeit einer Absenkung der Leistung nur in Betracht kommen, wenn ein absichtliches, also zielgerichtet auf die Herstellung einer wirtschaftlichen Hilfebedürftigkeit abzielendes Verhalten vorliegt, und die Hilfebedürftigkeit nicht nur erwartbare Nebenfolge eines von anderen Motiven – beispielsweise Vertragserfüllung – getragenen Verhaltens ist, das auf einleuchtenden Gründen familiärer, persönlicher oder wirtschaftlicher Art beruht, wie es hier der Fall ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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