S 10 RJ 99/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 99/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 7/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig, in welcher Höhe der Klägerin Witwenrente zu zahlen ist.

Die am 00.00.0000 in L geborene Klägerin heiratete dort am 28.11.1947 den ebenfalls in L am 00.00.1922 geborenen N (im folgenden: Versicherter). Beide Eheleute waren in L berufstätig. Der Versicherte verstarb am 13.05.1987. Am 14.10.1999 reiste die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurde als Spätaussiedlerin anerkannt und besitzt heute die deutsche Staatsangehörigkeit.

Im November 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten sowohl die Gewährung einer Regelaltersrente als auch die Gewährung einer Witwenrente. Die Beklagte gewährte der Klägerin zunächst ab dem 14.10.1999 (dem Tag der Einreise) Regelaltersrente und legte hierbei 20,5830 Entgeltpunkte (EP) aus anrechenbaren Zeiten der Klägerin nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zugrunde. Den Witwenrentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 28.09.2000 ab. Diese Entscheidung nahm sie später zurück. Mit Rentenbescheid vom 19.11.2001 gewährte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten ab dem 14.10.1999. Der Rentengewährung legte sie allerdings nur 4,4170 EP aus anrechenbaren Zeiten des Versicherten nach dem FRG zugrunde, obschon der Versicherte über insgesamt 13,1860 EP verfügte.

Am 28.11.2001 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Witwenrente. Diese Rente sei in voller Höhe zu zahlen, die Beklagte habe bei der Rentengewährung alle EP zu berücksichtigen, die der Versicherte erwirtschaftet habe. Die Beklagte könne nicht die EP, die der Alters- und Witwenrentengewährung zugrunde lägen, auf insgesamt 25 EP deckeln. Die im FRG (dort § 22 b) enthaltene Deckelung auf 25 EP gelte nicht beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente. Diesen Neufeststellungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.01.2003 ab. Sie habe das Recht nicht unrichtig angewandt, als sie bei der Witwenrentengewährung die von der Klägerin angesprochene Deckelung auf 25 EP berücksichtigt habe. Diese Deckelungsgrenze gelte auch beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.08.2001 – B 4 RA 118/00 –) gelte die Deckelungsgrenze in § 22 b FRG nicht beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2003 zurück. Ihre Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Der anderslautenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde nicht gefolgt.

Hiergegen hat die Klägerin am 00.00.0000 Klage erhoben.

Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, die in § 22 b FRG vorgesehene Begrenzung auf 25 EP gelte nicht beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente. Diese Auffassung werde nicht nur durch das bereits im Widerspruchsverfahren angesprochene Urteil des BSG, sondern auch durch zahlreiche weitere Entscheidungen bestätigt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2003 zu verpflichten, den Witwenrentebescheid vom 19.11.2001 insoweit zurückzunehmen, als bei der Rentengewährung nicht 13,1860 EP, sondern lediglich 4,4170 EP zugrunde gelegt wurden, und entsprechend höhere Witwenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend und führt zur Begründung die Neufassung des § 22 b FRG durch das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.07.2004 an.

Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichts-. und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, nachdem ihr Bevollmächtigter in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 110 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2003 beschwert die Klägerin nicht nach § 54 Abs. 2 SGG. Diese Bescheide sind rechtmäßig, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Teilrücknahme des Witwenrentenbescheides vom 29.11.2001 hat. Dies folgt aus § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X).

Nach § 44 Abs. 1 SGB X gilt folgendes: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind hier in Bezug auf den Witwenrentenbescheid vom 19.11.2001 nicht erfüllt. Die Beklagte hat das Recht nicht unrichtig angewandt, als sie die den einzelnen Renten der Klägerin zugrunde gelegten EP auf insgesamt 25 begrenzt, demnach der Witwenrente lediglich 4,4170 EP und nicht die insgesamt vorhandenen 13,1860 EP zugrunde gelegt hat. Rechtsgrundlage hierfür ist § 22 b FRG in der Fassung der Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzes vom 21.07.2004, gültig ab 07.05.1996. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift werden für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zugrunde gelegt.

Diese Vorschrift ist auch in der vorgenannten Neufassung anzuwenden, obschon diese erst nach Erlass der streitigen Bescheide (rückwirkend) verkündet worden ist. Bei der – auch hier gegebenen – kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist maßgeblicher Zeit für die Beurteilung der Rechtslage die mündliche Verhandlung (BSG, Urteil vom 02.07.1997 – 9 RVS 9/96 – m.w.N.). Der Anwendung der vorgenannten Neufassung stehen auch keine Überleitungsvorschriften entgegen, insbesondere nicht § 300 Abs. 2 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunk ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von 3 Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, da der Rentenanspruch der Klägerin erst nach in Kraft treten des neuen Rechts (hier zum 06.05.1996) entstehen konnte, nämlich am 14.10.1999, als die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.

Gegen die Anwendung von § 22 b FRG in der vorgenannten Fassung sprechen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere war der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente rückwirkend in die Begrenzungsregelung (auf 25 EP) des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG einzubeziehen. Die Kammer verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteile des BSG vom 21.06.2005 – B 8 KN 7/04 R und 1/05 R –, denen es sich nach eigener Prüfung anschließt. Entscheidend ist hierbei für die Kammer, dass ein Verstoß gegen das sog. Rückwirkungsverbot nicht besteht, soweit der Gesetzgeber mit der Neuregelung den bereits vor Verkündung dieser Vorschrift stehenden Anspruch vom Zeitpunkt seines Entstehens an erfasst hat. Diese echte Rückwirkung ist ausnahmsweise zulässig, weil die hiervon Betroffenen kein schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt bilden konnten. Denn ein solcher Gesetzesinhalt war für die Betroffenen wegen der unklaren Rechtsgrundlage und der uneinheitlichen Rechtssprechung nicht erkennbar.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved