Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AL 621/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 9/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Frage, ob das Verfahren des Sozialgerichts Chemnitz S 3 AL 140/99 durch Vergleich beendet wurde.
Die Vorgeschichte des vereinbarten Vergleichs war folgende:
Die am ...1944 geborene Klägerin beantragte am 26.02.1998 die Zahlung von Ar-beitslosengeld (Alg) nach einer beitragspflichtigen Beschäftigung als Stationsschwester im Pflegeheim im Zeitraum vom 01.05.1990 bis zum 31.12.1997 sowie dem Bezug von Kran-kengeld vom 20.01.1997 bis 28.02.1998.
Mit Bescheid vom 27.03.1998 bewilligte die Beklagte antragsgemäß Alg ab dem 01.03.1998. Bereits mit Bescheid vom 16.10.1997 hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin ab 01.01.1997 Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) bewilligt.
Mit Bescheid vom 25.06.1998 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 24.06.1998 teilweise in Höhe von wöchentlich 55,02 DM auf. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nach einem ärztlichen Gutachten vom 10.06.1998 entsprechend eingeschränkt.
Mit weiterem Bescheid vom 23.07.1998 änderte die Beklagte den Bescheid vom 25.06.1998 dahingehend ab, dass eine teilweise Aufhebung lediglich i. H. v. wöchentlich 40,81 DM erfolge.
Dem widersprach die Klägerin am 27.07.1998. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sei noch keine verbindliche Feststellung getroffen worden. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gehe davon aus, dass sie eine ganztägige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne. Gegen den entsprechenden Bescheid sei Klage erhoben wor-den.
Mit Bescheid vom 14.01.1999 wies die Beklagte diesen Widerspruch mit Hinweis auf das ärztliche Gutachten als unbegründet zurück.
Hiergegen hat sich die Klägerin am 15.02.1999 an das Sozialgericht Chemnitz (SG) ge-wandt (Verfahren S 3 AL 140/99).
Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin gab der Vorsitzende der 8. Kammer des SG Chemnitz in dem ebenfalls anhängigen Rentenverfahren (S 8 RA 401/98) in der münd-lichen Verhandlung der Klägerin den Hinweis, dass nach Auffassung des Gerichts bei der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeit bestehe.
Hierauf sandte im Klageverfahren S 3 AL 140/99 die Vorsitzende mit Schreiben vom 20.04.2000 folgenden Vergleichsvorschlag an die Beteiligten:
I. Die Beklagte verpflichtet sich, ab dem 01.01.1999 Arbeitslosengeld unter Berücksich-tigung eines vollschichtigen Leistungsvermögens zu zahlen. II. Die Beklagte erklärt sich mit der Herabsetzung des Bemessungsentgelts für die Zeit vom 24.06.1998 bis 31.12.1998 einverstanden. III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. IV. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten zu ¾, die Klägerin zu ¼.
Hierzu hat die Beklagte erwidert, sowohl nach dem ärztlichen Gutachten als auch den per-sönlichen Erklärungen der Klägerin sei zunächst von eingeschränkter Verfügbarkeit aus-zugehen gewesen. Erst bei der Vorsprache vom 06.12.1999 habe die Klägerin ihre Bereit-schaft, dem Arbeitsmarkt vollständig zur Verfügung zu stehen, erklärt. Die Herabsetzung des Bemessungsentgelts (BE) sei daher zumindest für den Zeitraum vom 24.06.1998 bis zum 05.12.1999 anzusetzen.
Mit Schreiben vom 26.05.2000 machte hierauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin folgenden geänderten Vergleichsvorschlag:
I. Die Beklagte verpflichtet sich, ab dem 06.12.1999 das Arbeitslosengeld unter Berück-sichtigung eines vollschichtigen Leistungsvermögens zu zahlen. II. Die Klägerin erklärt sich mit der Herabsetzung des Bemessungsentgelts für die Zeit vom 24.06. bis 05.12.1998 einverstanden. III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. IV. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten.
Diesem Vergleichsvorschlag stimmte die Beklagte durch Schreiben vom 19.06.2000 mit der Maßgabe zu, dass die Beklagte lediglich 80 % der außergerichtlichen Kosten trage.
Diesem lediglich in der Kostenquote abgeänderten Vergleichsvorschlag stimmte nunmehr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 26.06.2000 "vollumfänglich" zu.
Hierauf setzte die Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2000 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 25.09.2000 den Vergleichstext dahingehend um, dass erst ab dem 06.12.1999 die Leistung in ungekürzter Höhe bewilligt werde.
Hiergegen hat sich die Klägerin erneut an das SG Chemnitz gewandt (S 6 AL 1028/00). Dieses Verfahren wurde aufgrund übereinstimmender Anträge der Beteiligten ruhend ge-stellt. Am 27.06.2000 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anfechtung des Ver-gleichs. Dieser beruhe im Wesentlichen auf dem Vorschlag des Bevollmächtigten der Klä-gerin vom 26.05.2000. Hierbei sei unter der Ziffer I. ein Schreibfehler enthalten. Angege-ben sei das Datum des 06.12.1999, richtigerweise müsse es jedoch das Datum des 06.12.1998 sein. Wenn sich die Klägerin dieses Schreibfehlers bewusst gewesen wäre, hätte sie den Vergleich in dieser Form nicht abgeschlossen. Dass in Wirklichkeit das Da-tum des 06.12.1998 gemeint war, ergäbe sich aus den vorangegangenen Ausführungen. Die Klägerin habe nie eine vollschichtige Tätigkeit verweigert. Zudem fehle nach dem Text ein vollständiges Jahr. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass dies absicht-lich erfolgt sei, zumal dies eindeutig den Interessen der Klägerin widerspräche. Demgegenüber erklärte die Beklagte, sie sei von einem Schreibfehler bei Ziffer II. des Vergleichs ausgegangen. Streitig sei daher noch der Zeitraum vom 06.12.1998 bis 05.12.1999.
Durch Zwischenurteil vom 09. September 2004 hat das SG entschieden, das Verfahren S 3 AL 140/99 sei nicht durch Vergleich beendet worden. Dieses sei daher fortzuführen. Bei dem Vergleichsangebot der Klägerseite vom 26.05.2000 sei übersehen worden, dass dies den Zeitraum vom 06.12.1998 bis zum 05.12.1999 nicht enthalte. Daher sei unter III. eine vollumfängliche Erledigung des Rechtsstreits erklärt worden. Über diesen fehlenden Zeitraum seien die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter im Irrtum gewesen. Auf die-ser Grundlage sei der Vergleich wirksam angefochten worden gemäß § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Gegen dieses der Beklagten am 27.12.2004 zugegangene Urteil hat diese am 10.01.2005 Berufung eingelegt. Eine etwaige Anfechtungserklärung sei nicht mehr fristgemäß i. S. v. § 121 Abs. 1 BGB erfolgt. Denn spätestens mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2000 betreffend die Ausführung des Vergleichs sei der Irrtum erkannt worden. Dennoch habe die Klägerin noch bis zum 27.06.2002 zugewartet. Von einer unverzügli-chen Anfechtung könne danach nicht mehr ausgegangen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09. September 2004 aufzuhe-ben und festzustellen, dass das Verfahren S 3 AL 140/99 durch Vergleich beendet wurde.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch die Berichterstatterin zugestimmt. Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts-akten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Urteil konnte gem. § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Bericht-erstatterin als Einzelrichterin ergehen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung ist statthaft, gemäß § 143 SGG. Da es um die Feststellung der Beendigung eines Verfahrens durch Vergleich geht, liegt kein Fall des § 144 Abs. 1 SGG vor.
Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Abs. 1 SGG.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis hat das SG zu Recht entschieden, dass das Verfahren S 3 AL 140/99 nicht durch Vergleich beendet wurde.
Im Gegensatz zur Auffassung des SG ergab sich dies jedoch nicht aus einer wirksamen Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn eine Anfechtungs-situation lag bereits vom Ausgangspunkt her nicht vor. Im Übrigen wäre hier eine wirksame Anfechtung an § 121 Abs. 1 BGB gescheitert. Die Klägerin hätte nicht erst den Verlauf des Gerichtsverfahrens betreffend den ausführenden Bescheid abwarten dürfen. Die Anfechtung hätte hier zumindest vorsorglich erklärt werden müssen. Eine Anfechtungserklärung erst am 27.06.2002 wäre nicht mehr "ohne schuldhaf-tes Zögern" im Sinne von § 121 Abs. 1 BGB erfolgt.
Die Einhaltung dieser Frist war jedoch nicht entscheidungserheblich, denn es lag keine Anfechtungsgrundlage, sondern ein versteckter Dissens im Sinne von § 155 BGB vor.
Die Beteiligten des Vergleichs (Klägerin und Beklagte) waren davon ausgegangen, sie hätten durch den Vergleich einen Konsens geschaffen. Tatsächlich war dies jedoch nicht der Fall.
Hieraus wird auch der Unterschied zu den Grundlagen einer Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB deutlich. Ein Konsens liegt nicht nur dann vor, wenn sich beide Beteiligte tatsächlich einig geworden sind im Sinne von § 133 BGB und ihre Erklärungen den Kon-sens auch objektiv korrekt zum Ausdruck bringen, sondern auch dann, wenn sie sich zwar nicht einig geworden sind, eine der Parteien aber auf ihre, nach objektiven Kriterien (§157 BGB) geprüfte, Interpretation des Vertragssinnes vertrauen darf; anders gesagt, wenn sich das subjektive Verständnis einer Partei mit dem objektiven Vertragssinn deckt ("normativer" Konsens). In einem solchen Fall liegt – was bei einem versteckten Dissens nach § 155 BGB gerade nicht der Fall ist – ein objektiv eindeutiger Vertragssinn vor, und dieser kommt auch (vorläufig) in diesem Sinn zustande. Er kann allerdings unter den Vor-aussetzungen des § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden. (Kramer in: Münchner Kom-mentar, Bd. I, BGB Rdnr. 3 zu § 155).
Eine typische Fallgruppe des versteckten Dissenses ist demgegenüber der sogen. "Schein-konsens". Dieser ist dann gegeben, wenn eine mehrdeutige Offerte durch eine mit ihr im Wortlaut oder im Sinn übereinstimmende, also gleichfalls objektiv mehrdeutige Annah-meerklärung beantwortet wird und die Parteien je eine verschiedene Vertragsinterpretation vertreten. Dann liegt zwar keine Willensübereinstimmung vor, aber die Erklärungen stim-men äußerlich überein. Diese Übereinstimmung ist jedoch nur eine scheinbare: Ein Vertrag ist nicht geschlossen, da ihm kein Inhalt zugemessen werden kann, den eine Partei gegen sich gelten lassen müsste. (R. Raiser, Archiv für die zivilistische Praxis, 127 [1927], 9).
So liegt der Fall hier: Die Erklärungen stimmen nach ihrem Wortlaut überein. Beide Parteien haben zu demsel-ben Vertragstext ihre Zustimmung gegeben. Der Vertragstext ist jedoch nicht eindeutig. Vielmehr ist er so, wie mit Schreiben vom 26.05.2000 formuliert unschlüssig. Da I. nicht mit II. korrespondiert, ergibt sich eine Lücke für den Zeitraum vom 06.12.1998 bis zum 05.12.1999, für die keine Einigung erzielt wurde, sodass die Erklärung nach III. tatsächlich nicht zutrifft.
Es ist auch keine objektive Auslegung im Sinne von § 157 möglich, mit der die Lücke ge-schlossen werden könnte. Beide Parteien verstehen subjektiv die Erklärung entgegengesetzt: Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe auch für die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 ein Anspruch auf die volle Leistung zu, denn unter Ziffer I. handele es sich um einen Schreibfehler. Es sei der 06.12.1998 gemeint gewesen. Demgegenüber geht die Beklagte davon aus, für den Zeitraum vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 bestehe kein Anspruch, denn unter Ziffer II. habe es sich um einen Schreibfeh-ler gehandelt. Hier hätte – so die Auffassung der Beklagten - das Datum des 05.12.1999 genannt werden müssen. Nach dem formulierten Vergleich kann nicht abschließend beurteilt werden, ob für die streitige Zeit ein Anspruch besteht oder nicht. Beide Varianten wären nach dem Vertrags-text nicht schlüssig nachvollziehbar. Zudem kann auch nicht objektivierbar festgestellt werden, ob tatsächlich bei I. oder II. ein Schreibfehler vorlag; denn den Interessen der Klägerin entspräche ein Fehler unter I. und denen der Beklagten ein Fehler unter II.
Somit gingen die Beteiligten zwar von einer Einigung aus; tatsächlich bestand jedoch eine Lücke für die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999.
Die Rechtsfolge eines solchen versteckten Dissenses formuliert ebenfalls § 155 BGB. Da-nach gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Be-stimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. Dennoch kommt die von § 155 BGB vorgesehene Aufrechterhaltung des Vertrages von vorneherein nicht in Betracht, wenn sich der Dissens auf Hauptpunkte des Vertrages bezieht. Die Frage, ob der Vertrag als teilgültig aufrecht bleiben solle oder ob der ganze Vertrag als nicht zustande gekommen zu betrach-ten ist, ist nach dem hypothetischen Parteiwillen zu beantworten, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu beachten sind.
Gerade die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 war in dem zugrunde liegenden Rechts-streit die maßgebende Streitfrage. Insoweit ergab sich tatsächlich keine Einigung der Betei-ligten. Wenn daher hinsichtlich dieses Kernpunktes tatsächlich keine Einigung zustande kam, wäre nach den Vorstellungen der Parteien ein solcher Vergleich sinnlos und daher nicht auf diese Weise geschlossen worden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten. Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht gegeben, § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Frage, ob das Verfahren des Sozialgerichts Chemnitz S 3 AL 140/99 durch Vergleich beendet wurde.
Die Vorgeschichte des vereinbarten Vergleichs war folgende:
Die am ...1944 geborene Klägerin beantragte am 26.02.1998 die Zahlung von Ar-beitslosengeld (Alg) nach einer beitragspflichtigen Beschäftigung als Stationsschwester im Pflegeheim im Zeitraum vom 01.05.1990 bis zum 31.12.1997 sowie dem Bezug von Kran-kengeld vom 20.01.1997 bis 28.02.1998.
Mit Bescheid vom 27.03.1998 bewilligte die Beklagte antragsgemäß Alg ab dem 01.03.1998. Bereits mit Bescheid vom 16.10.1997 hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin ab 01.01.1997 Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) bewilligt.
Mit Bescheid vom 25.06.1998 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 24.06.1998 teilweise in Höhe von wöchentlich 55,02 DM auf. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nach einem ärztlichen Gutachten vom 10.06.1998 entsprechend eingeschränkt.
Mit weiterem Bescheid vom 23.07.1998 änderte die Beklagte den Bescheid vom 25.06.1998 dahingehend ab, dass eine teilweise Aufhebung lediglich i. H. v. wöchentlich 40,81 DM erfolge.
Dem widersprach die Klägerin am 27.07.1998. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sei noch keine verbindliche Feststellung getroffen worden. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gehe davon aus, dass sie eine ganztägige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne. Gegen den entsprechenden Bescheid sei Klage erhoben wor-den.
Mit Bescheid vom 14.01.1999 wies die Beklagte diesen Widerspruch mit Hinweis auf das ärztliche Gutachten als unbegründet zurück.
Hiergegen hat sich die Klägerin am 15.02.1999 an das Sozialgericht Chemnitz (SG) ge-wandt (Verfahren S 3 AL 140/99).
Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin gab der Vorsitzende der 8. Kammer des SG Chemnitz in dem ebenfalls anhängigen Rentenverfahren (S 8 RA 401/98) in der münd-lichen Verhandlung der Klägerin den Hinweis, dass nach Auffassung des Gerichts bei der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeit bestehe.
Hierauf sandte im Klageverfahren S 3 AL 140/99 die Vorsitzende mit Schreiben vom 20.04.2000 folgenden Vergleichsvorschlag an die Beteiligten:
I. Die Beklagte verpflichtet sich, ab dem 01.01.1999 Arbeitslosengeld unter Berücksich-tigung eines vollschichtigen Leistungsvermögens zu zahlen. II. Die Beklagte erklärt sich mit der Herabsetzung des Bemessungsentgelts für die Zeit vom 24.06.1998 bis 31.12.1998 einverstanden. III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. IV. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten zu ¾, die Klägerin zu ¼.
Hierzu hat die Beklagte erwidert, sowohl nach dem ärztlichen Gutachten als auch den per-sönlichen Erklärungen der Klägerin sei zunächst von eingeschränkter Verfügbarkeit aus-zugehen gewesen. Erst bei der Vorsprache vom 06.12.1999 habe die Klägerin ihre Bereit-schaft, dem Arbeitsmarkt vollständig zur Verfügung zu stehen, erklärt. Die Herabsetzung des Bemessungsentgelts (BE) sei daher zumindest für den Zeitraum vom 24.06.1998 bis zum 05.12.1999 anzusetzen.
Mit Schreiben vom 26.05.2000 machte hierauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin folgenden geänderten Vergleichsvorschlag:
I. Die Beklagte verpflichtet sich, ab dem 06.12.1999 das Arbeitslosengeld unter Berück-sichtigung eines vollschichtigen Leistungsvermögens zu zahlen. II. Die Klägerin erklärt sich mit der Herabsetzung des Bemessungsentgelts für die Zeit vom 24.06. bis 05.12.1998 einverstanden. III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. IV. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten.
Diesem Vergleichsvorschlag stimmte die Beklagte durch Schreiben vom 19.06.2000 mit der Maßgabe zu, dass die Beklagte lediglich 80 % der außergerichtlichen Kosten trage.
Diesem lediglich in der Kostenquote abgeänderten Vergleichsvorschlag stimmte nunmehr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 26.06.2000 "vollumfänglich" zu.
Hierauf setzte die Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2000 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 25.09.2000 den Vergleichstext dahingehend um, dass erst ab dem 06.12.1999 die Leistung in ungekürzter Höhe bewilligt werde.
Hiergegen hat sich die Klägerin erneut an das SG Chemnitz gewandt (S 6 AL 1028/00). Dieses Verfahren wurde aufgrund übereinstimmender Anträge der Beteiligten ruhend ge-stellt. Am 27.06.2000 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anfechtung des Ver-gleichs. Dieser beruhe im Wesentlichen auf dem Vorschlag des Bevollmächtigten der Klä-gerin vom 26.05.2000. Hierbei sei unter der Ziffer I. ein Schreibfehler enthalten. Angege-ben sei das Datum des 06.12.1999, richtigerweise müsse es jedoch das Datum des 06.12.1998 sein. Wenn sich die Klägerin dieses Schreibfehlers bewusst gewesen wäre, hätte sie den Vergleich in dieser Form nicht abgeschlossen. Dass in Wirklichkeit das Da-tum des 06.12.1998 gemeint war, ergäbe sich aus den vorangegangenen Ausführungen. Die Klägerin habe nie eine vollschichtige Tätigkeit verweigert. Zudem fehle nach dem Text ein vollständiges Jahr. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass dies absicht-lich erfolgt sei, zumal dies eindeutig den Interessen der Klägerin widerspräche. Demgegenüber erklärte die Beklagte, sie sei von einem Schreibfehler bei Ziffer II. des Vergleichs ausgegangen. Streitig sei daher noch der Zeitraum vom 06.12.1998 bis 05.12.1999.
Durch Zwischenurteil vom 09. September 2004 hat das SG entschieden, das Verfahren S 3 AL 140/99 sei nicht durch Vergleich beendet worden. Dieses sei daher fortzuführen. Bei dem Vergleichsangebot der Klägerseite vom 26.05.2000 sei übersehen worden, dass dies den Zeitraum vom 06.12.1998 bis zum 05.12.1999 nicht enthalte. Daher sei unter III. eine vollumfängliche Erledigung des Rechtsstreits erklärt worden. Über diesen fehlenden Zeitraum seien die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter im Irrtum gewesen. Auf die-ser Grundlage sei der Vergleich wirksam angefochten worden gemäß § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Gegen dieses der Beklagten am 27.12.2004 zugegangene Urteil hat diese am 10.01.2005 Berufung eingelegt. Eine etwaige Anfechtungserklärung sei nicht mehr fristgemäß i. S. v. § 121 Abs. 1 BGB erfolgt. Denn spätestens mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2000 betreffend die Ausführung des Vergleichs sei der Irrtum erkannt worden. Dennoch habe die Klägerin noch bis zum 27.06.2002 zugewartet. Von einer unverzügli-chen Anfechtung könne danach nicht mehr ausgegangen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09. September 2004 aufzuhe-ben und festzustellen, dass das Verfahren S 3 AL 140/99 durch Vergleich beendet wurde.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch die Berichterstatterin zugestimmt. Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts-akten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Urteil konnte gem. § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Bericht-erstatterin als Einzelrichterin ergehen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung ist statthaft, gemäß § 143 SGG. Da es um die Feststellung der Beendigung eines Verfahrens durch Vergleich geht, liegt kein Fall des § 144 Abs. 1 SGG vor.
Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Abs. 1 SGG.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis hat das SG zu Recht entschieden, dass das Verfahren S 3 AL 140/99 nicht durch Vergleich beendet wurde.
Im Gegensatz zur Auffassung des SG ergab sich dies jedoch nicht aus einer wirksamen Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn eine Anfechtungs-situation lag bereits vom Ausgangspunkt her nicht vor. Im Übrigen wäre hier eine wirksame Anfechtung an § 121 Abs. 1 BGB gescheitert. Die Klägerin hätte nicht erst den Verlauf des Gerichtsverfahrens betreffend den ausführenden Bescheid abwarten dürfen. Die Anfechtung hätte hier zumindest vorsorglich erklärt werden müssen. Eine Anfechtungserklärung erst am 27.06.2002 wäre nicht mehr "ohne schuldhaf-tes Zögern" im Sinne von § 121 Abs. 1 BGB erfolgt.
Die Einhaltung dieser Frist war jedoch nicht entscheidungserheblich, denn es lag keine Anfechtungsgrundlage, sondern ein versteckter Dissens im Sinne von § 155 BGB vor.
Die Beteiligten des Vergleichs (Klägerin und Beklagte) waren davon ausgegangen, sie hätten durch den Vergleich einen Konsens geschaffen. Tatsächlich war dies jedoch nicht der Fall.
Hieraus wird auch der Unterschied zu den Grundlagen einer Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB deutlich. Ein Konsens liegt nicht nur dann vor, wenn sich beide Beteiligte tatsächlich einig geworden sind im Sinne von § 133 BGB und ihre Erklärungen den Kon-sens auch objektiv korrekt zum Ausdruck bringen, sondern auch dann, wenn sie sich zwar nicht einig geworden sind, eine der Parteien aber auf ihre, nach objektiven Kriterien (§157 BGB) geprüfte, Interpretation des Vertragssinnes vertrauen darf; anders gesagt, wenn sich das subjektive Verständnis einer Partei mit dem objektiven Vertragssinn deckt ("normativer" Konsens). In einem solchen Fall liegt – was bei einem versteckten Dissens nach § 155 BGB gerade nicht der Fall ist – ein objektiv eindeutiger Vertragssinn vor, und dieser kommt auch (vorläufig) in diesem Sinn zustande. Er kann allerdings unter den Vor-aussetzungen des § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden. (Kramer in: Münchner Kom-mentar, Bd. I, BGB Rdnr. 3 zu § 155).
Eine typische Fallgruppe des versteckten Dissenses ist demgegenüber der sogen. "Schein-konsens". Dieser ist dann gegeben, wenn eine mehrdeutige Offerte durch eine mit ihr im Wortlaut oder im Sinn übereinstimmende, also gleichfalls objektiv mehrdeutige Annah-meerklärung beantwortet wird und die Parteien je eine verschiedene Vertragsinterpretation vertreten. Dann liegt zwar keine Willensübereinstimmung vor, aber die Erklärungen stim-men äußerlich überein. Diese Übereinstimmung ist jedoch nur eine scheinbare: Ein Vertrag ist nicht geschlossen, da ihm kein Inhalt zugemessen werden kann, den eine Partei gegen sich gelten lassen müsste. (R. Raiser, Archiv für die zivilistische Praxis, 127 [1927], 9).
So liegt der Fall hier: Die Erklärungen stimmen nach ihrem Wortlaut überein. Beide Parteien haben zu demsel-ben Vertragstext ihre Zustimmung gegeben. Der Vertragstext ist jedoch nicht eindeutig. Vielmehr ist er so, wie mit Schreiben vom 26.05.2000 formuliert unschlüssig. Da I. nicht mit II. korrespondiert, ergibt sich eine Lücke für den Zeitraum vom 06.12.1998 bis zum 05.12.1999, für die keine Einigung erzielt wurde, sodass die Erklärung nach III. tatsächlich nicht zutrifft.
Es ist auch keine objektive Auslegung im Sinne von § 157 möglich, mit der die Lücke ge-schlossen werden könnte. Beide Parteien verstehen subjektiv die Erklärung entgegengesetzt: Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe auch für die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 ein Anspruch auf die volle Leistung zu, denn unter Ziffer I. handele es sich um einen Schreibfehler. Es sei der 06.12.1998 gemeint gewesen. Demgegenüber geht die Beklagte davon aus, für den Zeitraum vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 bestehe kein Anspruch, denn unter Ziffer II. habe es sich um einen Schreibfeh-ler gehandelt. Hier hätte – so die Auffassung der Beklagten - das Datum des 05.12.1999 genannt werden müssen. Nach dem formulierten Vergleich kann nicht abschließend beurteilt werden, ob für die streitige Zeit ein Anspruch besteht oder nicht. Beide Varianten wären nach dem Vertrags-text nicht schlüssig nachvollziehbar. Zudem kann auch nicht objektivierbar festgestellt werden, ob tatsächlich bei I. oder II. ein Schreibfehler vorlag; denn den Interessen der Klägerin entspräche ein Fehler unter I. und denen der Beklagten ein Fehler unter II.
Somit gingen die Beteiligten zwar von einer Einigung aus; tatsächlich bestand jedoch eine Lücke für die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999.
Die Rechtsfolge eines solchen versteckten Dissenses formuliert ebenfalls § 155 BGB. Da-nach gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Be-stimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. Dennoch kommt die von § 155 BGB vorgesehene Aufrechterhaltung des Vertrages von vorneherein nicht in Betracht, wenn sich der Dissens auf Hauptpunkte des Vertrages bezieht. Die Frage, ob der Vertrag als teilgültig aufrecht bleiben solle oder ob der ganze Vertrag als nicht zustande gekommen zu betrach-ten ist, ist nach dem hypothetischen Parteiwillen zu beantworten, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu beachten sind.
Gerade die Zeit vom 06.12.1998 bis 05.12.1999 war in dem zugrunde liegenden Rechts-streit die maßgebende Streitfrage. Insoweit ergab sich tatsächlich keine Einigung der Betei-ligten. Wenn daher hinsichtlich dieses Kernpunktes tatsächlich keine Einigung zustande kam, wäre nach den Vorstellungen der Parteien ein solcher Vergleich sinnlos und daher nicht auf diese Weise geschlossen worden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten. Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht gegeben, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
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