S 1 U 52/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 52/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 17.12.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

In dem Rechtsstreit um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen streiten die Beteiligten, ob der akute Herztod des Versicherten auf seinen Einsatz als freiwilliger Feuerwehrmann am Todestag zurückzuführen ist.

Der am 00.00.1945 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) war als Truppmann seit 40 Jahren Mitglied der freiwilligen Feuerwehr in O1. Hauptberuflich war er seit 1959 Landmaschinenmechaniker, zuletzt bei der Raiffeisenwaren-Zentrale in L1. Am Tag vor dem Feuerwehreinsatz arbeitete er wie gewöhnlich freitags bis 16:30 Uhr. Bei der Alarmierung am Samstag, dem 00.00.0000 um 1:15 Uhr hatte der Versicherte bereits geschlafen. Die Alarmierung erfolgte über digitale Melder, bei denen der einzelne Feuerwehrangehörige nicht erkennen kann, um welche Einsatzart es sich handelt. Er legte den Weg von seiner Wohnung zum Gerätehaus, der 200 m beträgt, zu Fuß zurück. Er hatte sich zuhause einen leichten Feuerwehr-Dienstanzug angezogen. Im Gerätehaus zog er sich noch die Feuerwehr-Überjacke an. Nachdem bei der Leitstelle der Einsatzort und die Einsatzart erfragt worden war, rückte das Tragkraftspritzen-Fahrzeug (Ford Transit) mit V. als Fahrer aus. Der Anfahrtsweg vom Gerätehaus zur Einsatzstelle beträgt 400 m. An der Ortsdurchfahrt des Ortsteiles J wo V. auch wohnte, hatte sich ein schwerer Verkehrsunfall mit mehreren Verletzten ereignet. Der Fahrer des Unfallfahrzeuges (20 Jahre alt) war in seinem PKW schwer verletzt eingeklemmt. Die Löschgruppe J, der V. angehörte, hatte den Auftrag, den Brandschutz sicher zu stellen, während die Feuerwehr O1 den Fahrer des Unfallfahrzeuges mittels hydraulischer Rettungsgeräte aus dem Fahrzeug befreite. Der Fahrer war bis zum Hals in seinem Fahrzeug eingeklemmt und bei Bewusstsein. Er war schwer verletzt; u. a. waren deutlich seine Gesichtsverletzungen zu sehen. Er blutete stark aus dem Mund, das Gesicht war blutverschmiert ,er hatte offensichtlich erhebliche Schmerzen und war im Gesicht aschfahl. Der Versicherte befand sich ca. drei Meter direkt gegenüber von dem Unfallfahrzeug, um mittels GG 6 einen eventuell ausbrechenden Brand am Fahrzeug zu bekämpfen. Hierbei befand er sich in gebückter Haltung, um einen sofortigen Einsatz des kleinen Löschgerätes zu gewährleisten; dabei musste er dem verletzten Fahrer unmittelbar in sein Gesicht sehen. Plötzlich stand der Versicherte auf und äußerte zu seinem Einsatzleiter: "Ich kann dies nicht mehr mit ansehen, mir wird übel". Dabei richtete er sich auf und fiel unmittelbar noch während des Satzes zu Boden. Ein Feuerwehrkamerad und auch die Klägerin haben diese Situation direkt beobachtet und mitgehört. Die sich in unmittelbarer Nähe, nämlich direkt beim Unfallfahrzeug, befindliche Notärztin Frau I1 kümmerte sich sofort um den Versicherten und versuchte über eine halbe Stunde erfolglos zu reanimieren. Nach 35 Minuten stellte sie den Tod fest.

Für den Versicherten war es trotz seiner langjährigen Tätigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann (1985) das erste Mal, dass er einen Einsatz mit eingeklemmten Personen mitmachte. Der Fachberater der Feuerwehr, der Arzt I2, bezeichnete jeden Einsatz zur Rettung einer eingeklemmten Person als maximale Anforderung an die Psyche der Einsatzkräfte. Alle Mitglieder der Löschgruppe waren nach dem Einsatz nervlich so belastet, dass im Anschluss an den Einsatz ein Einsatzkräftenachsorgeteam angefordert wurde und mit den Einsatzkräften eine Nachsorge durchführte.

Den Unterlagen des Hausarztes G zufolge, lag bei dem Versicherten ein Diabetes mellitus Typ 2, eine Fettstoffwechselstörung, eine arterielle Hypertonie vor. 1994 war bei ihm ein thrombosiertes Popliteaaneurysma links operativ reseziert worden. Weiterhin war im Mai 1995 eine ambulante Vorstellung in den Krankenanstalten E bei T erfolgt. Hier wurde der Verdacht auf das Vorliegen einer arteriellen Verschlusskrankheit gestellt. T1 äußerte aufgrund der Risikokonstellationen Hypertonie, Nikotin und Diabetes mellitus ein erhöhtes Risiko für eine koronare Herzkrankheit. Die Dopplersonographie der Halsgefäße vom 29.12.1994 ergab keine relevanten Stenosen. Nach 1995 war der Versicherte nur noch in hausärztlicher Behandlung bei G, der den Versicherten unter eine Dauertherapie mit ACE-Hemmern, Diuretika, Acetylsalicylsäure, CSE-Hemmern und Metformin stellte. In seinem Bericht vom 28.10.2002 führte G aus, unter dieser Einstellung sei der Versicherte in seinem Beruf als Landmaschinenmechaniker mit mindestens mittelschwerer körperlicher Belastung voll einsatzfähig gewesen, ohne dass es in den letzten fünf Jahren auch nur zu einer Ausfallzeit gekommen sei. Nach Aussage der Klägerin fühlte sich ihr Mann wohl und war in den letzten fünf Jahren nicht krank.

Die Pathologen I3, S1 und T2 kamen in ihrem Gutachten nach Obduktion des Versicherten vom 08.07.2002 zum Ergebnis, dass als todesursächliches Grundleiden eine ischämische Herzerkrankung bzw. eine stenosierende Koronarsklerose vorgelegen habe. Unmittelbare Todesursache sei ein Herzkammerflimmern gewesen. Ein frischer Myocardinfarkt habe nicht vorgelegen. Anhaltspunkte für eine Koronarthrombose hätten sich nicht ergeben. Aus morphologischer Sicht könne nicht ausgeschlossen werden, dass es durch eine außergewöhnliche akute psychische Belastung zu dem tödlichen Herzversagen infolge eines Herzkammerflimmerns bei stenosierender Koronarsklerose gekommen sei. Die Beklagte holte hierzu eine Stellungnahme nach Aktenlage von dem Direktor der medizinischen Klinik III des Klinikums der Universität X1/I4 (Herzzentrum X2) H vom 01.10.2002 ein. H vertrat die Auffassung, das Sektionsprotokoll zeige eine schwere Hypertrophie des linksventrikulären Myokards mit einer Wanddicke von 20 mm sowie eine schwere stenosierende koronare 3-Gefäßerkrankung mit hämodynamisch relevanten Gefäßeinengungen an allen drei Hauptarterien. Im Rahmen einer nicht effektiv behandelten arteriellen Hypertonie und wahrscheinlich einer zusätzlichen Blutdruckentgleisung während des Feuerwehreinsatzes sei eine so schwere Ischämie in allen drei hochgradig stenosierten Koronargefäßen eingetreten, dass das Ausmaß dieser Durchblutungsstörung ausgereicht habe, um die Wiederherstellung eines normalen Rhythmus und einer regelrechten Pumpfunktion des Herzens zu verhindern. Bei dieser Befundkonstellation sei zu erwarten gewesen, dass plötzliche kardiale Ereignisse jederzeit aus Bagatell-Ursachen oder Situationen auftreten würden. Der aktuelle Feuerwehreinsatz nehme in diesem Zusammenhang den Charakter einer Gelegenheitsursache an. Wenn bei einer durch 20 mm Wanddicke dokumentierten Hypertrophie zusätzlich gravierende Durchblutungsstörungen auftreten, wie sie durch die hochgradigen Gefäßeinengungen in allen drei Hauptarterien vorgegeben sind, sei immer wieder eine solche schwerwiegende Risikokonstellation gegeben.

Zu dem Befundbericht von G vom 28.10.2002 führte H aus, G gehe zu Unrecht davon aus, dass Personen, die sich mittelschwer belasten und dabei keine bedeutsame klinische Symptomatik angeben, auch nicht schwerwiegend am Herzkranzgefäßsystem oder Herzmuskel erkrankt gewesen sein könnten. In über einem Viertel der Fälle sei auch bei schwersten Erkrankungen der Herzkranzgefäße von sogenannten stummen Ischämien auszugehen, die unabhängig von ihrer klinischen Symptomlosigkeit das gleiche Risiko beinhalten wie symptomatische Ischämien. Die Frage, ob eine relevante Erkrankung in den Wochen und Tagen vor dem Tod vorgelegen habe, könne nur im Rahmen einer sorgfältigen Anamneseerhebung, gründlichen klinischen Untersuchung unter Einschluss von verschiedenen Belastungsuntersuchungen beantwortet werden. Eine derartige Befundanalyse habe nicht vorgelegen. Angesichts der nachgewiesenen hochgradigen Stenose und des klinischen Ereignisses "plötzlicher Tod" sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass schon über einen längeren Zeitraum ein Ischämie-Nachweis hätte geführt werden können, wenn man eine entsprechende Diagnostik bei dem Versicherten unter diesem Aspekt vorgenommen hätte.

Mit Bescheid vom 17.12.2002 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, weil der Tod des Versicherten nicht Folge eines Arbeitsunfalles gewesen sei. Die psychische Belastung habe das Herzversagen nicht rechtlich wesentlich mit verursacht. Die schicksalmäßigen krankhaften Veränderungen seien bereits so weit fortgeschritten gewesen, dass es zu jeder Zeit und auch bei jeder anderen alltäglichen Gelegenheit zu dem Tod hätte kommen können.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei dem Versicherten habe eine außergewöhnliche psychische Belastung und Stresssituation zum Blutdruckanstieg geführt und damit sei es zum Zusammenbruch des Herzkreislaufsystems gekommen. Sie stelle eine wesentlich mitwirkende Teilursache dar. Hierzu bezog sich die Klägerin auf eine Stellungnahme zum Bescheid von dem Arzt für Allgemeinmedizin G vom 04.02.2003 (Bl. 154). Mit Bescheid vom 10.06.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Hinterbliebenen- leistungen aus Anlass des Todes des Versicherten E zu gewähren.

Hilfsweise stellt die Klägerin den Antrag, die mündliche Verhandlung zu vertagen, um zu der Stellungnahme der Beklagten vom 18.07.2005 zu dem Gutachten von T3 vom 21.03.2005 Stellung nehmen zu können, hilfsweise stellt die Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 04.08.2004 gemäß § 109 Abs. 1 SGG.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat einen Befundbericht von G (Bl. 28), eine Auskunft des Arbeitgebers des Versicherten über das Ausmaß der körperlichen Belastung bei der Tätigkeit als Landmaschinenmechaniker (Bl. 64) eingeholt. In einem Beweisaufnahmetermin am 03.02.2004 hat das Gericht den Einsatzleiter der Löschtruppe J den Zeugen C1 sowie den Feuerwehrkameraden C2 als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Aussagen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 00.00.0000 Bezug genommen. Sodann hat das Gericht ein Gutachten nach Aktenlage von dem ärztlichen Direktor der L2-Klinik in Bad O2, I5 vom 21.06.2000 eingeholt , das dieser in Zusammenarbeit mit dem Oberarzt Kardiologie, S2 und dem Assistenzarzt N erstattet hat. Die Gutachter sind zum Ergebnis gekommen, dass die Koinzidenz des Feuerwehreinsatzes mit den tödlichen Herzrhythmusstörungen sich möglicherweise durch die starke psychische Belastung, die der Verstorbene durch den Anblick des schwerverletzten Unfallfahrers ausgesetzt war, erklärten. Dies könne bei der vorbestehenden arteriellen Hypertonie zu einem krisenhaften Anstieg des Blutdruckes geführt haben, der wiederum durch die massive Vorschädigung des Herzens in einer globalen Ischämie resultiert habe. Eine solche globale Sauerstoffminderversorgung habe möglicherweise die tödlichen Herzrhythmusstörungen ausgelöst. Ein derartiger Blutdruckanstieg sei jedoch auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit als Feuerwehrmann durch jedes alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis oder durch größere körperliche Anstrengung auslösbar gewesen. Die vorbestehenden Krankheitsanlagen seien so leicht ansprechbar bzw. fortgeschritten gewesen, dass es zum oben genannten Geschehensablauf auch durch jedes alltäglich vorkommende Ereignis in naher Zukunft hätte kommen können. Der Feuerwehreinsatz sei somit nicht als wesentliche Bedingung (Gelegenheitsursache) zu werten, wo hingegen die Krankheitsanlagen wesentliche Bedingungen darstellten.

Weiterhin hat das Gericht ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt von dem emeritierten Direktor der L2-Klinik, T3 aus Bad O2, eingegangen bei Gericht am 21.03.2005. Der Sachverständige führt aus, der Verstorbene sei von seinem Hausarzt wegen der Hypertonie und des Diabetes mellitus zwar mit ACE-Hemmer, Diuretika, Aspirin, CSE-Hemmer und Metformin dauertherapiert worden, jedoch seien unter dieser Therapie der Diabetes mellitus ausweislich des erhöhten HbA1c-Wertes und auch der erhöhte Blutdruck nicht optimal eingestellt gewesen, wie die Hypertrophie vorwiegend in der linken Herzkammer ausweislich des Obduktionsbefundes beweise. Offensichtlich habe der Verstorbene jedoch beim Hausarzt über keine Beschwerden, insbesondere keine Angina pectoris geklagt. Auch habe er seinen Beruf als Maschinenschlosser für landwirtschaftliche Maschinen beschwerdefrei ausüben können und über entsprechende Krankenbehandlung lägen keine Aufzeichnungen vor. Jedoch hätten von G Befunde unter maximaler Belastung erhoben werden müssen und darüber hinaus seien auch weitere Untersuchungen indiziert gewesen. Offensichtlich zähle der Verstorbene zu einem Patientengut, der auch bei entsprechenden Belastungsuntersuchungen nicht unbedingt eine Angina pectoris aufweisen müsse, wohl aber entsprechende EKG-Veränderungen. Auch eine Myokard-Szintigraphie in Ruhe und unter Belastung, die unterblieben sei, hätte das Ausmaß der Durchblutungsstörungen aufgezeigt. Der Verstorbene hätte dann die entsprechende Behandlung, wie Aufdehnung und Stent-Implantation erhalten oder, in diesem Falle wohl besser, einem koronarchirurgischen Eingriff unterzogen werden müssen. Sicher hätte der Verstorbene richtig behandelt noch länger als ein Jahr gelebt. Die Todesursache wäre dann wahrscheinlich ein Herzinfarkt gewesen, sofern der Verstorbene nicht einer psychologischen Stresssituation ausgesetzt gewesen wäre. Der Verstorbene sei bei dem Einsatz sicherlich hochgradigem psychischen Stress ausgesetzt gewesen. Stress könne Herzrhythmusstörungen und insbesondere auch Kammerflimmern auslösen. Wahrscheinlich sei die Herzrhythmusstörung durch einen zusätzlichen Blutdruckanstieg des ohnehin nicht gut eingestellten Blutdruckes bei Überflutung des Körpers mit Katecholaminen entstanden, wobei der nicht richtig eingestellte Diabetes mellitus beim Nichtbemerken der Rythmusstörungen eine zusätzliche Rolle gespielt haben möge. Zusammenfassend ist der Gutachter zum Ergebnis gekommen, keinesfalls sei der Verstorbene für einen Feuerwehreinsatz jeglicher Art tauglich gewesen. Er hält die psychische Belastung für eine wesentliche Mitursache des Todes. Es sei wahrscheinlich, dass der Tod ohne entsprechende Behandlung zwar irgendwann eingetreten wäre. Jedoch sei es ebenso wahrscheinlich, dass der Tod ohne die psychischen Stressbedingungen deutlich später, z. B. ein Jahr später, eingetreten wäre. Die Todesursache sei dann wahrscheinlich eine Koronarthrombose mit Herzinfarkt gewesen und nicht ein Kammerflimmern.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Klägerin stehen Hinterbliebenenleistungen zu, weil ihr Ehemann infolge eines Arbeitsunfalles verstorben ist.

Nach § 63 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) besteht Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen, insbesondere Hinterbliebenenrente (§ 65 SGB VII), wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalles (Arbeitsunfall) eingetreten ist. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit. Die Feststellung eines Arbeitsunfalles setzt voraus, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist, und dass die Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSG E 61, 127, 128). Zunächst muss also eine sachlich Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, in dem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG E 58, 76, 77; 61, 127, 128).

Der Versicherte, der unstreitig am 00.00.0000 bei seiner Tätigkeit während des Feuerwehreinsatzes der freiwilligen Feuerwehr gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII gegen Arbeitsunfall versichert war, hat während des Einsatzes einen Unfall im Sinne des § 8 SGB VII erlitten. Unfälle sind nach S. 2 dieser Vorschrift zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Soweit gefordert wird, das Ereignis müsse von außen auf den Körper einwirken, soll damit lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (BSG SozR 2200, § 548 Nr. 56). Wesentlich für den Begriff des Unfalles sind hiernach ein ("äußeres") Ereignis als Ursache und eine Körperschädigung als Wirkung. Die Körperschädigung kann verursacht sein durch körperlich gegenständliche Einwirkungen (z. B. Verletzung beim Aufschlag nach Sturz), aber auch durch geistig seelische Einwirkungen in einem eng begrenzten Zeitraum (BSG E 18, 173, 175; Kasseler Kommentar Ricke § 548 RVO Rdnr. 6).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war V. bei dem Feuerwehreinsatz schädigenden Einwirkungen ausgesetzt. Dass der nächtliche Einsatz für V., obwohl dieser bereits seit 40 Jahren Mitglied der freiwilligen Feuerwehr in J ist, ein psychisch extrem belastendes Ereignis war, ist wohl unstreitig. Der Anblick des jungen schwerverletzten Fahrers war mithin für V. ein psychisch extrem belastendes Ereignis Der Fahrer war in dem Fahrzeug bis auf Halshöhe eingeklemmt, bei Bewußtsein, er wimmerte und schrie immer wieder. Er war im Gesicht aschfahl und blutverschmiert und hatte starke Schmerzen. Der V. stand in gehockter Stellung, das Feuerlöschgerät einsatzbereit in unmittelbarer Nähe des Eingeklemmten und hörte während einer Viertelstunde sein Schreien und Wimmern. Der Notärztin gelang es nicht, ihn durch Spritzen ruhig zu stellen. Die Frontscheibe war vollkommen zertrümmert. V. hatte daher einen freien Blick aus unmittelbarer Nähe auf den Schwerverletzten. Er war unmittelbar vor dem Fahrzeug in drei bis vier Metern Entfernung mit zwei Handfeuerlöschern eingesetzt. Er stand halb gebeugt vor dem Fahrzeug und hielt diese in Betriebsbereitschaft. Ungefähr eine Viertelstunde musste er in dieser Position, ohne weiter etwas tun zu können, verharren. Dabei war, insbesondere in ihrem Zusammenwirken von Bedeutung, dass es sich um einen auch für V. vollkommen unüblichen Einsatz gehandelt hat und dieser mitten in der Nacht stattfand. V. hatte noch nie einen Einsatz, bei dem es um verletzte Menschen ging, die gerettet werden mussten. Meistens handelte es sich um Brände von umliegenden Scheunen, bei denen V. zum Einsatz kam. Der Löschzug J war noch nie ausgerückt, um aktiv an der Rettung von eingeklemmten Personen bei Verkehrsunfällen zu helfen. Die Einsätze des Löschzuges J waren vorwiegend Standardeinsätze. Hierbei handelte es sich um automatische Brandmeldungen. Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob das noch in der Nacht gerufene Einsatzkräftenachsorgeteam vorwiegend wegen des Todes von V. oder wegen des eigentlichen schweren Einsatzes gerufen werden musste. Es steht nach Ansicht der Kammer außer Zweifel, dass der Einsatz für V. eine äußerst extreme psychische Belastung gewesen war. Dieses ergibt sich aus der Schilderung des Vorfalles durch den Zeugen C1, der seit vier Jahren Löschzugführer und Einsatzleiter bei dem Einsatz war. Der Zeuge ist seit 1984 Mitglied der Feuerwehr und hat den Einsatz als den schlimmsten beschrieben, den er jemals erlebt habe.

Der Einsatz war aufgrund der damit verbundenen psychischen Belastung eine Bedingung für den zum Tode führenden Herzstillstand infolge Kammerflimmerns im naturwissenschaftlich philosophischen Sinn gewesen. Ohne die Tätigkeit am Unfalltag hätte sich nach den Gutachten das tödliche Herzkammerflimmern mit Wahrscheinlichkeit nicht zum selben Zeitpunkt eingestellt. Neben der Tätigkeit für die freiwillige Feuerwehr war nach den weiteren Feststellungen allerdings auch die vorbestehende Herzerkrankung eine Ursache des Todes im naturwissenschaftlich philosophischem Sinne. Im Obduktionsbericht wird am Herzen eine hochgradige koronare Gefäßerkrankung an allen drei Koronargefäßen beschrieben. Zusätzlich bestand eine leichte Erweiterung beider Herzhöhlen mit einer Kammerwandstäre links von 20 mm, was für einen lange bestehenden und nicht sorgfältig eingestellten Bluthochdruck spricht. Die Einengung der Herzkranzarterien betrug mehr als 70 % und auch der Stamm der linken Koronararterie war mit einer entsprechenden Einengung in den Prozess einbezogen. Insgesamt lag also eine Stenose sämtlicher Kranzarterien vor. Bei diesen Befunden steht außer Zweifel, dass V. an einer ausgesprochen schweren Arteriosklerose litt.

Der Anspruch der Klägerin hängt damit davon ab, ob die bei dem Feuerwehreinsatz zum Tragen kommenden psychischen Stresseinwirkungen das tödliche Herzkammerflimmern auch im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung verursacht haben. Dazu müssen sie im Vergleich zu der vorbestehenden schweren Herzerkrankung als weitere wesentliche Mitbedingung für den Eintritt des Herzkammerflimmerns von wesentlicher Bedeutung gewesen sein. Daran fehlt es, wenn die Herzerkrankung bereits so schwer war, das heißt, die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (BSG E 62, 220, 221; BSG, Urteil vom 18.03.1997 – 2 RU 8/96). Die ursächliche Bedeutung für den Eintritt des tödlichen Erfolges hat eine Krankheitsanlage z. B. dann, wenn die akuten Erscheinungen zu derselben Zeit auch ohne äußere Einwirkungen auftreten könnten oder auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (BSG aaO). Entscheidend für die Beurteilung ist die Schwere der Erkrankung in der Zeit unmittelbar vor dem Unfall. Bei der Bestimmung dieses Schweregrades der vorbestehenden Erkrankung stellt die verbliebene individuelle Belastbarkeit nach der Rechtsprechung des BSG ein geeignetes, wesentliches Kriterium dar. Dazu ist eine retrospektive Wertung erforderlich. Bei dieser Wertung aller Umstände des Einzelfalles ist mit einzubeziehen, ob es aus rückschauender medizinischer Sicht bei Kenntnis aller später erhobenen Befunde nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu verantworten gewesen ist, den Versicherten den Belastungen des alltäglichen allgemeinen Erwerbslebens auszusetzen, oder ob sein Krankheitszustand dazu gezwungen hatte, ihn von jeder fremdbestimmten Belastung zu befreien und wenn möglich, sofort eine Therapie einzuleiten, ob der Versicherte also noch wenigstens in einem geringen Umfange belastbar gewesen ist (BSG aaO).

Von diesen Wertungsgesichtspunkten ausgehend hat die erkennende Kammer die Wesentlichkeit des Unfallereignisses für den Tod des V. bejaht. Dabei ist sie von den Darlegungen von T3 ausgegangen, dass aus rückschauender Sicht im maßgebenden Zeitpunkt unmittelbar vor den Belastungen am Todestag eine operative Behandlung, wie Aufdehnung und Stent-Implantation oder ein koronar-chirurgischer Eingriff erforderlich gewesen wäre. Allerdings hatte V. bei seinem Hausarzt über keinerlei Beschwerden, insbesondere über keine Angina pectoris geklagt. Er konnte seinen Beruf als Landmaschinenmechaniker ausüben, ohne hierbei irgendwelche Beschwerden zu haben. Der Beruf erfordert mindestens mittelschwere Tätigkeiten. T3 hat ausgeführt, es gebe eine Anzahl von stummen Ischämien bei schwerer Kranzgefäßerkrankung. Die Patienten klagen hierbei über keine Angina pectoris oder sonstige Zeichen einer Erkrankung der Herzkranzgefäße, das heißt, sie sind im täglichen Leben asymptomatisch. Diese Patienten überlebten nach einer Untersuchung von Sharma und Wyeth aber einen "out of hospital" Anfall von Kammerflimmern. Auch V. hätte, wenn eine entsprechende Belastungsuntersuchung durchgeführt worden wäre, wahrscheinlich nicht unbedingt über Angina pectoris geklagt, wohl aber über entsprechende EKG-Veränderungen. Auch eine Myokardszintigraphie hätte in Ruhe und unter Belastung das Ausmaß der Durchblutungsstörungen aufgezeigt. Diese Untersuchungen waren jedoch unterblieben, so dass die Schwere der Erkrankung von V., der im täglichen Leben asymptomatisch war, verschleiert worden war. V. war daher keinesfalls für einen Feuerwehreinsatz jeglicher Art tauglich. Andererseits war er seine Tätigkeit als Landmaschinenmechaniker, die als mittelschwer einzustufen ist, gewohnt und er hat bei dieser Tätigkeit keinerlei Beschwerden gehabt. Da in den letzten fünf Jahren vor seinem Tod bei seiner Tätigkeit als Landmaschinenmechaniker keine ernsthaften Beschwerden aufgetreten waren und auch nicht bei der leider unvollständigen Untersuchung durch den Hausarzt, ist T3 zu der für das Gericht nachvollziehbaren und überzeugenden Beurteilung gelangt, dass es wahrscheinlich ist, dass der Tod auch ohne die indizierte Behandlung zwar irgendwann eingetreten wäre, jedoch wahrscheinlich deutlich später, z. B. ein Jahr später. Die Todesursache wäre dann wahrscheinlich eine Koronarthrombose mit Herzinfarkt, nicht aber ein Kammerflimmern gewesen. Die wesentliche Ursache des zum Tode führenden Kammerflimmerns war nach Auffassung von T3 wahrscheinlich basierend auf der Grundkrankheit die psychische Belastung in der Nacht des Einsatzes, welche Herzrhytmusstörungen, insbesondere auch Kammerflimmern ausgelöst hat. Wahrscheinlich ist die fatale Herzrhytmusstörung – so führt T3 überzeugend aus – durch einen zusätzlichen Blutdruckanstieg des ohnehin nicht gut eingestellten Blutdruckes bei Überflutung des Körpers mit Katecholaminen entstanden, wobei der nicht richtig eingestellte Diabetes mellitus beim Nichtbemerken der Rhytmusstörungen eine zusätzliche Rolle gespielt haben mag. Aus alledem schließt die erkennende Kammer jedoch, dass bei V. unmittelbar vor dem Tod noch eine kardiologische Belastbarkeit bestand, wofür insbesondere spricht, dass er noch seinen durchaus körperlich mittelschweren Beruf ausübte und ansonsten asymptomatisch war. Im Übrigen ist nach der Entscheidung des BSG vom 04.12.1991 – 2 RU 14/91 – die rückschauende Bewertung der Belastbarkeit des V. nur ein Kriterium zur Beurteilung des Schweregrades der vorbestehenden Erkrankung. Es ist eine Würdigung aller Umstände erforderlich, ob und wie stark ein vorgeschädigter Versicherter noch belastbar war. Dabei ist die mit dem Feuerwehreinsatz verbundene schwere psychische Belastung und Stresssituation in Beziehung zu setzen zur Belastung des V. im Rahmen seines täglichen privaten und Berufslebens. In diesem Zusammenhang hat die erkennende Kammer die Ausführungen vonT3 gewürdigt, wonach V. wahrscheinlich auch bei Fortführung seiner berufliche Tätigkeit noch ein Jahr gelebt hätte, wenn er den schweren Feuerwehreinsatz nicht gehabt hätte. Damit kommt dem Feuerwehreinsatz die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache für den Tod des V. zu. Allein aus innerer Ursache oder bei alltäglichen Belastungen war wahrscheinlich nicht in absehbarer Zeit mit dem Herztod des V. zu rechnen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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