Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 110/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der am 29.11.2005 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 21.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2005 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Die am 00.00.1959 geborene Antragstellerin bezog zunächst Krankengeld bis zum 12.08.2004; seit dem 13.08.2004 bezieht sie Alg. Am 01.09.2005 nahm sie eine Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben auf, die - ausweislich des zur Akte der Antragsgegnerin gereichten Wiedereingliederungsplans der praktischen Ärztin Frau W - für die Zeit bis 05.12.2005 konzipiert ist und eine stufenweise Steigerung von zunächst 2 Stunden täglich (01. bis 23.09.2005) bis zuletzt 6 Stunden täglich (07.11. bis 04.12.2005) vorsieht.
Mit Bescheid vom 21.09.2005 hob die Antragsgegnerin die vorherige Alg-Bewilligung für die Zeit ab dem 01.09.2005 mit der Begründung auf, die Antragstellerin habe zu diesem Zeitpunkt eine Beschäftigung aufgenommen und sei daher nicht länger arbeitslos. Den am 27.09.2005 erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 23.11.2005 zurück.
Am 22.11.2005 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides am 23.11.2005 hat sie am 29.11.2005 Anfechtungsklage (S 11 AL 113/05) erhoben. Sie beruft sich auf ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 25.08.2005, wonach ihr auch während der stufenweisen Wiedereingliederung Alg zustehe.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 29.11.2005 gegen den Bescheid vom 21.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2005 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung und hält es im Übrigen für zumutbar, die Antragstellerin zunächst auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu verweisen.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der nach Erhebung der Anfechtungsklage wieder zulässig gewordene Antrag ist begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ist gem. § 86 b Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) schon vor Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs zulässig. Er wird nur dann (mangels Rechtsschutzbedürfnis) unzulässig, wenn der Antragsteller den Hauptsacherechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll, nicht binnen einer gerichtlich gesetzten Frist erhebt (Krodel, das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rn 26). Die Antragstellerin hat auf den - erst nach Antragstellung erlassenen - Widerspruchsbescheid binnen der gerichtlich gesetzten Frist mit einer Anfechtungsklage reagiert.
Der Antrag ist auch begründet. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG, hier iVm § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn und soweit nach der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers hinreichend wahrscheinlich erscheint (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 86 b Rn 12 c).
Ein Obsiegen der Antragstellerin ist hinreichend wahrscheinlich, denn die Aufhebungsentscheidungen der Antragsgegnerin erscheinen bei der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Die Antragstellerin ist - jedenfalls bis zum 05.12.2005 - weiterhin arbeitslos und erfüllt daher die Anspruchsvoraussetzungen für Alg (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - SGB III). Die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung iSd § 74 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) steht der Annahme von Arbeitslosigkeit als Leistungsvoraussetzung für Alg nicht entgegen, denn sie begründet kein Beschäftigungsverhältnis iSd § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (hierzu und zum Folgenden LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2004, L 1 AL 48/02). Anders als beim Beschäftigungsverhältnis stehen hier nicht der Austausch von arbeitsvertraglicher Leistung und Gegenleistung, sondern therapeutische Gesichtspunkte im Vordergrund (BAG, Urteil vom 28.07.1999, 4 Azr 192/98). Insbesondere schuldet der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung, sondern ein Aliud (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, mwN). Die nach § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III bestehende Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung steht nicht entgegen, da der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in Beitragsrecht einerseits und Leistungsrecht andererseits im Sinne einer funktionsdifferenzierten Auslegung (BSG, Urteil vom 29.04.1998, B 7 AL 32/97 R) verschieden aufzufassen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO). Schließlich ist auch Verfügbarkeit iSd § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III gegeben, denn die Antragstellerin verfügt über die rechtliche Möglichkeit, die Maßnahme abzubrechen und ist auch nicht "arbeitsvertraglich" an den "Arbeitgeber" gebunden (ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, aaO).
Ob die Alg-Bewilligung aufgrund einer sich möglicherweise ab dem 05.12.2005 eintretenden Beschäftigung wird aufgehoben werden müssen, ist nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Die am 00.00.1959 geborene Antragstellerin bezog zunächst Krankengeld bis zum 12.08.2004; seit dem 13.08.2004 bezieht sie Alg. Am 01.09.2005 nahm sie eine Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben auf, die - ausweislich des zur Akte der Antragsgegnerin gereichten Wiedereingliederungsplans der praktischen Ärztin Frau W - für die Zeit bis 05.12.2005 konzipiert ist und eine stufenweise Steigerung von zunächst 2 Stunden täglich (01. bis 23.09.2005) bis zuletzt 6 Stunden täglich (07.11. bis 04.12.2005) vorsieht.
Mit Bescheid vom 21.09.2005 hob die Antragsgegnerin die vorherige Alg-Bewilligung für die Zeit ab dem 01.09.2005 mit der Begründung auf, die Antragstellerin habe zu diesem Zeitpunkt eine Beschäftigung aufgenommen und sei daher nicht länger arbeitslos. Den am 27.09.2005 erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 23.11.2005 zurück.
Am 22.11.2005 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides am 23.11.2005 hat sie am 29.11.2005 Anfechtungsklage (S 11 AL 113/05) erhoben. Sie beruft sich auf ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 25.08.2005, wonach ihr auch während der stufenweisen Wiedereingliederung Alg zustehe.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 29.11.2005 gegen den Bescheid vom 21.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2005 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung und hält es im Übrigen für zumutbar, die Antragstellerin zunächst auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu verweisen.
Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der nach Erhebung der Anfechtungsklage wieder zulässig gewordene Antrag ist begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ist gem. § 86 b Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) schon vor Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs zulässig. Er wird nur dann (mangels Rechtsschutzbedürfnis) unzulässig, wenn der Antragsteller den Hauptsacherechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll, nicht binnen einer gerichtlich gesetzten Frist erhebt (Krodel, das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rn 26). Die Antragstellerin hat auf den - erst nach Antragstellung erlassenen - Widerspruchsbescheid binnen der gerichtlich gesetzten Frist mit einer Anfechtungsklage reagiert.
Der Antrag ist auch begründet. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG, hier iVm § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn und soweit nach der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ein Obsiegen des Antragstellers hinreichend wahrscheinlich erscheint (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 86 b Rn 12 c).
Ein Obsiegen der Antragstellerin ist hinreichend wahrscheinlich, denn die Aufhebungsentscheidungen der Antragsgegnerin erscheinen bei der im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Die Antragstellerin ist - jedenfalls bis zum 05.12.2005 - weiterhin arbeitslos und erfüllt daher die Anspruchsvoraussetzungen für Alg (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - SGB III). Die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung iSd § 74 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) steht der Annahme von Arbeitslosigkeit als Leistungsvoraussetzung für Alg nicht entgegen, denn sie begründet kein Beschäftigungsverhältnis iSd § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (hierzu und zum Folgenden LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2004, L 1 AL 48/02). Anders als beim Beschäftigungsverhältnis stehen hier nicht der Austausch von arbeitsvertraglicher Leistung und Gegenleistung, sondern therapeutische Gesichtspunkte im Vordergrund (BAG, Urteil vom 28.07.1999, 4 Azr 192/98). Insbesondere schuldet der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung, sondern ein Aliud (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO, mwN). Die nach § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III bestehende Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung steht nicht entgegen, da der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in Beitragsrecht einerseits und Leistungsrecht andererseits im Sinne einer funktionsdifferenzierten Auslegung (BSG, Urteil vom 29.04.1998, B 7 AL 32/97 R) verschieden aufzufassen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO). Schließlich ist auch Verfügbarkeit iSd § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III gegeben, denn die Antragstellerin verfügt über die rechtliche Möglichkeit, die Maßnahme abzubrechen und ist auch nicht "arbeitsvertraglich" an den "Arbeitgeber" gebunden (ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, aaO).
Ob die Alg-Bewilligung aufgrund einer sich möglicherweise ab dem 05.12.2005 eintretenden Beschäftigung wird aufgehoben werden müssen, ist nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
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