Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 89/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 03.05.2005 in der Gestalt der Bescheide vom 19.05.2005 und vom 22.08.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Erstattungsforderung iHv (zuletzt) 437,89 Euro.
Die am 00.00.1954 geborene Klägerin bezog seit dem 01.07.2004 Alg. Am 23.08.2004 schloss sie mit der Firma T einen Arbeitsvertrag als Aushilfe im Verkauf für die Zeit vom 23.08.2004 bis zum 11.09.2004; die wöchentliche Arbeitszeit war mit 10 Stunden angegeben. Im folgenden verlängerten die Vertragsparteien den Vertrag auch für die Zeiträume 20.09.2004 bis 02.10.2004 und 18.10.2004 bis 24.11.2004. Tatsächlich arbeitete die Klägerin über die vertraglich vereinbarte Stundenzahl hinaus im September 2004 22,5 Mehrstunden, im Oktober 2004 16 Mehstunden und im November 2004 18,5 Mehrstunden.
Nachdem die Beklagte das Einkommen der Klägerin zunächst als Nebeneinkommen angerechnet hatte, hob sie - nach Anhörung - mit Bescheid vom 03.05.2005 die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 20.09.2004 bis 31.03.2005 mit der Begründung auf, die Wirkung der Arbeitslosmeldung sei entfallen, da die Klägerin ab dem 20.09.2004 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Den Erstattungsbetrag bezifferte sie auf 3382,80 Euro. Mit Bescheid vom 19.05.2005 änderte sie den Aufhebungszeitraum auf die Zeit vom 23.08.2004 bis 24.11.2004 ab und bezifferte den Erstattungsbetrag nunmehr auf 1925,12 Euro.
Die Klägerin legte am 09.06.2005 Widerspruch ein und führte aus, die entsprechenden Verträge mit der Firma T hätten auf 10 Stunden pro Woche gelautet. Auch habe sie wegen der erfolgten Anrechnung geglaubt, alles es in Ordnung.
Mit Bescheid vom 22.08.2005 begrenzte die Beklagte die Aufhebung sodann auf die Zeiträume 06.09.2004 bis 11.09.2004, 20.09.2004 bis 02.10.2004 und 18.10. bis 24.11.2004 und die Erstattungsforderung auf 1167,36 Euro, wovon 729,47 Euro bereits durch Anrechnung erfüllt seien. Sie führte aus, die Klägerin hätte angesichts der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden wissen müssen, dass ihre Arbeitslosigkeit nicht mehr fortbestand und damit auch der Leistungsanspruch erloschen war. Sie wies sodann den Widerspruch mit Bescheid vom 23.08.2005 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.
Die Klägerin führt aus, die Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit sei nicht vorhersehbar gewesen. Sie habe erst sehr kurzfristig von der Filialleitung erfahren, dass sie Mehrarbeit leisten müsse.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 03.05.2005 in der Gestalt der Bescheide vom 19.05.2005 und vom 22.08.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte die Alg-Bewilligung nicht aufheben und erbrachtes Alg nicht zurückfordern.
Als Ermächtigungsgrundlage der Aufhebung kommt allein § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) in Betracht, deren Voraussetzungen allerdings nicht erfüllt sind. In den Verhältnissen, die dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegen haben, ist keine wesentliche Änderung iSd § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, denn die Klägerin war auch während der im Bescheid vom 22.08.2005 aufgeführten Zeiträume arbeitslos iSd §§ 117 ff SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (aF). Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III aF schließt die Ausübung einer Beschäftigung, die weniger als 15 Stunden in der Woche umfasst, die Arbeitslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Da sich die Frage, ob eine neu aufgenommene Tätigkeit die Arbeitslosigkeit ausschließen wird, nur im Wege einer Prognose beantworten lässt (Brand, in: Niesel, SGB III, 2. Aufl, 2002, § 118, Rn 50), kommt es insoweit auf die Verhältnisse an, wie sie sich zu Beginn der Beschäftigung unter zu erwartender Erfüllung des Arbeitsvertrags darstellen (Scheidt, in: Praxiskommentar-SGB III, 2. Aufl., 2004, § 118, Rn 31). Entwickelt sich das Beschäftigungsverhältnis nicht der Prognose entsprechend, so greift ab dem Zeitpunkt, an dem die Abweichung von der Prognose festgestellt werden kann, eine geänderte vorausschauende Beurteilung (Brand, aaO, mwN). In allen drei Arbeitsverträgen war eine wöchentliche Arbeitsstundenzahl von 10 angegeben und die über diese Stundenzahl hinausgehende Mehrarbeit wurde allein aufgrund besonderer Anforderung durch die Filialleitung im Einzelfall geleistet. Eine Entwicklung dahingehend, dass das Beschäftigungsverhältnis ab dem von der Beklagten angenommenen oder einem späteren Zeitpunkt als auf 15 Wochenstunden oder mehr "gerichtet" angesehen werden musste, lässt sich trotz der tatsächlichen Mehrarbeit nicht feststellen, denn diese erfolgte auf Einzelanforderung und ließ keine kontinuierliche und planmäßige faktische Umgestaltung der vertraglichen Vereinbarung erkennen.
Weiterhin liegen auch die besonderen Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung nach § 48 Satz 2 Nr. 4 SGB X (nur diese Alternative kommt in Betracht) nicht vor. Die dort geforderte grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn der Betroffene aufgrund einfachster Überlegungen hätte erkennen müssen, dass der Anspruch entfallen war (vgl Waschull, in: LPK-SGB X, § 48, Rn 62). Zwar musste der Klägerin die 15-Stunden-Grenze aus dem Merkblatt für Arbeitslose (Punkt 2.3. "Beschäftigungslos sein": "Der Anspruch entfällt also, z.B wenn der Umfang der aufgenommenen Beschäftigung oder Tätigkeit 15 Stunden wöchentlich erreicht oder übersteigt.") bekannt sein. Indes konnte sie angesichts der vertraglich vereinbarten Stundenzahl und der zumeist kurzfristigen Aufforderung zur Mehrarbeit nicht sicher abschätzen, ab wann die Überschreitungen der vertraglich vereinbarten Stundenzahl und das "gelegentliche" Erreichen der 15-Stunden-Grenze sich hinreichend verfestigt hätten.
Mangels rechtmäßiger Aufhebung der Alg-Bewilligung sind auch keine Leistungen zu erstatten, § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Erstattungsforderung iHv (zuletzt) 437,89 Euro.
Die am 00.00.1954 geborene Klägerin bezog seit dem 01.07.2004 Alg. Am 23.08.2004 schloss sie mit der Firma T einen Arbeitsvertrag als Aushilfe im Verkauf für die Zeit vom 23.08.2004 bis zum 11.09.2004; die wöchentliche Arbeitszeit war mit 10 Stunden angegeben. Im folgenden verlängerten die Vertragsparteien den Vertrag auch für die Zeiträume 20.09.2004 bis 02.10.2004 und 18.10.2004 bis 24.11.2004. Tatsächlich arbeitete die Klägerin über die vertraglich vereinbarte Stundenzahl hinaus im September 2004 22,5 Mehrstunden, im Oktober 2004 16 Mehstunden und im November 2004 18,5 Mehrstunden.
Nachdem die Beklagte das Einkommen der Klägerin zunächst als Nebeneinkommen angerechnet hatte, hob sie - nach Anhörung - mit Bescheid vom 03.05.2005 die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 20.09.2004 bis 31.03.2005 mit der Begründung auf, die Wirkung der Arbeitslosmeldung sei entfallen, da die Klägerin ab dem 20.09.2004 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Den Erstattungsbetrag bezifferte sie auf 3382,80 Euro. Mit Bescheid vom 19.05.2005 änderte sie den Aufhebungszeitraum auf die Zeit vom 23.08.2004 bis 24.11.2004 ab und bezifferte den Erstattungsbetrag nunmehr auf 1925,12 Euro.
Die Klägerin legte am 09.06.2005 Widerspruch ein und führte aus, die entsprechenden Verträge mit der Firma T hätten auf 10 Stunden pro Woche gelautet. Auch habe sie wegen der erfolgten Anrechnung geglaubt, alles es in Ordnung.
Mit Bescheid vom 22.08.2005 begrenzte die Beklagte die Aufhebung sodann auf die Zeiträume 06.09.2004 bis 11.09.2004, 20.09.2004 bis 02.10.2004 und 18.10. bis 24.11.2004 und die Erstattungsforderung auf 1167,36 Euro, wovon 729,47 Euro bereits durch Anrechnung erfüllt seien. Sie führte aus, die Klägerin hätte angesichts der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden wissen müssen, dass ihre Arbeitslosigkeit nicht mehr fortbestand und damit auch der Leistungsanspruch erloschen war. Sie wies sodann den Widerspruch mit Bescheid vom 23.08.2005 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.
Die Klägerin führt aus, die Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit sei nicht vorhersehbar gewesen. Sie habe erst sehr kurzfristig von der Filialleitung erfahren, dass sie Mehrarbeit leisten müsse.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 03.05.2005 in der Gestalt der Bescheide vom 19.05.2005 und vom 22.08.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte die Alg-Bewilligung nicht aufheben und erbrachtes Alg nicht zurückfordern.
Als Ermächtigungsgrundlage der Aufhebung kommt allein § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) in Betracht, deren Voraussetzungen allerdings nicht erfüllt sind. In den Verhältnissen, die dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegen haben, ist keine wesentliche Änderung iSd § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, denn die Klägerin war auch während der im Bescheid vom 22.08.2005 aufgeführten Zeiträume arbeitslos iSd §§ 117 ff SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (aF). Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III aF schließt die Ausübung einer Beschäftigung, die weniger als 15 Stunden in der Woche umfasst, die Arbeitslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Da sich die Frage, ob eine neu aufgenommene Tätigkeit die Arbeitslosigkeit ausschließen wird, nur im Wege einer Prognose beantworten lässt (Brand, in: Niesel, SGB III, 2. Aufl, 2002, § 118, Rn 50), kommt es insoweit auf die Verhältnisse an, wie sie sich zu Beginn der Beschäftigung unter zu erwartender Erfüllung des Arbeitsvertrags darstellen (Scheidt, in: Praxiskommentar-SGB III, 2. Aufl., 2004, § 118, Rn 31). Entwickelt sich das Beschäftigungsverhältnis nicht der Prognose entsprechend, so greift ab dem Zeitpunkt, an dem die Abweichung von der Prognose festgestellt werden kann, eine geänderte vorausschauende Beurteilung (Brand, aaO, mwN). In allen drei Arbeitsverträgen war eine wöchentliche Arbeitsstundenzahl von 10 angegeben und die über diese Stundenzahl hinausgehende Mehrarbeit wurde allein aufgrund besonderer Anforderung durch die Filialleitung im Einzelfall geleistet. Eine Entwicklung dahingehend, dass das Beschäftigungsverhältnis ab dem von der Beklagten angenommenen oder einem späteren Zeitpunkt als auf 15 Wochenstunden oder mehr "gerichtet" angesehen werden musste, lässt sich trotz der tatsächlichen Mehrarbeit nicht feststellen, denn diese erfolgte auf Einzelanforderung und ließ keine kontinuierliche und planmäßige faktische Umgestaltung der vertraglichen Vereinbarung erkennen.
Weiterhin liegen auch die besonderen Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung nach § 48 Satz 2 Nr. 4 SGB X (nur diese Alternative kommt in Betracht) nicht vor. Die dort geforderte grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn der Betroffene aufgrund einfachster Überlegungen hätte erkennen müssen, dass der Anspruch entfallen war (vgl Waschull, in: LPK-SGB X, § 48, Rn 62). Zwar musste der Klägerin die 15-Stunden-Grenze aus dem Merkblatt für Arbeitslose (Punkt 2.3. "Beschäftigungslos sein": "Der Anspruch entfällt also, z.B wenn der Umfang der aufgenommenen Beschäftigung oder Tätigkeit 15 Stunden wöchentlich erreicht oder übersteigt.") bekannt sein. Indes konnte sie angesichts der vertraglich vereinbarten Stundenzahl und der zumeist kurzfristigen Aufforderung zur Mehrarbeit nicht sicher abschätzen, ab wann die Überschreitungen der vertraglich vereinbarten Stundenzahl und das "gelegentliche" Erreichen der 15-Stunden-Grenze sich hinreichend verfestigt hätten.
Mangels rechtmäßiger Aufhebung der Alg-Bewilligung sind auch keine Leistungen zu erstatten, § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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