Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 100/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 19/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Insolvenzgeld (Insg).
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist bei der Firma P GmbH in B (Arbeitgeber) beschäftigt. Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Aachen vom 01.08.2002 (Az. 00 IN 000/00) das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden war, bezog er Insg für die Zeit vom 01.05.2002 bis zum 31.07.2002. Mit Beschluss vom 16.07.2003 hob das AG das Verfahren gem. § 258 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) auf, nachdem die Bestätigung des Insolvenzplanes (vom 30.05.2003 in der Fassung vom 30.06.2003) rechtskräftig geworden war. Mit Beschluss vom 02.05.2005 (Az. 00 IN 00/00) eröffnete das AG erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers.
Unter Hinweis auf diesen Beschluss beantragte der Kläger am 12.05.2005 erneut Insg. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.05.2005 mit der Begründung ab, die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei deswegen kein neues Insolvenzereignis, da der Insolvenzplan nicht erfüllt und somit die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nicht wiederhergestellt worden sei. Somit bleibe als Insolvenzereignis allein der Beschluss vom 01.08.2002 maßgeblich. Ein Fall von § 183 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) liege ebenfalls nicht vor, denn die vorherige Beantragung und Bewilligung von Insg zeigten, dass der Kläger Kenntnis von dem Insolvenzereignis gehabt habe. Seinen am 14.06.2005 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, er habe noch bis Januar 2005 Gehaltszahlungen vom Arbeitgeber erhalten. Somit habe keine fortwährende Zahlungsunfähigkeit vorgelegen. Die Beklagte holte eine Auskunft des Insolvenzverwalters ein und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.10.2005 zurück. Sie führte aus, bereits der Umstand, dass ab Februar 2005 offenbar keine Zahlungen an die Arbeitnehmer mehr erfolgt seien, spreche gegen eine wiederhergestellte Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers. Ergänzend verwies sie auf das Urteil des BSG vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R.
Hiergegen richtet sich die am 14.10.2005 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und fürt aus, es sei vor dem 02.05.2005 sogar zu einer Gehaltserhöhung gekommen. Im Übrigen ließen bereits die Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters und die Vergabe eines neuen Aktenzeichens erkennen, dass ein neues Insolvenzereignis eingetreten sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2005 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 02.02.2005 bis zum 01.05.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Das Gericht hat die Betriebsakte der Beklagten, die Akte des AG Aachen (Az 00 IN 000/00) und die Gerichtsakten anderer sozialgerichtlicher Streitverfahren von Beschäftigten desselben Arbeitgebers beigezogen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insg infolge des Beschlusses des AG Aachen vom 02.05.2005.
Anspruch auf Insg hat nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Insolvenzereignissen rechnet § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Bei mehreren Insolvenzereignissen ist allein das zeitlich erste maßgeblich (BSG, SozR 4100 § 141 b Nr. 46, st. Rspr.).
Der Beschluss vom 02.05.2005 ist kein Insolvenzereignis iSd § 183 Abs 1 Nr. 1 SGB III.
Das BSG hat in seinem Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R, ausdrücklich seine frühere ständige Rechtsprechung zur entsprechenden Problematik beim Konkursausfallgeld (Kaug) auch für anwendbar auf Insg-Ansprüche erklärt (so auch Roeder, in Niesel, SGB III, 3. Aufl, 2005, § 183 Rn. 37). Hiernach trat ein neues Insolvenzereignis im Sinne des durch § 183 SGB III ersetzten § 141b Abs. 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht ein, solange die auf dem vorherigen Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauerte (BSG, SozR 4100 § 141b Nrn. 6, 37, 43 und 46, SozR 3-4100 § 141e Nr. 3). Zahlungsunfähigkeit liegt solange vor, wie der Arbeitgeber wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, und dementsprechend die Zahlungen einstellt. Sie endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfüllt. Neue Ansprüche auf Kaug (jetzt Insg), etwa wegen Betriebseinstellung, entstanden nach der Eröffnung eines Konkursverfahrens nicht mehr, unabhängig davon, ob und wie lange der Konkursverwalter das Unternehmen bis zur Betriebseinstellung fortführte, sowie, ob er Arbeitsverhältnisse begründete und diese unter Umständen über mehrere Jahre bestanden (BSG, SozR 4100 § 141b Nr 46). Angesichts dieser materiellen Kriterien kann rein verfahrensrechtlichen Modalitäten wie der Bestelllung eines neuen Insolvenzverwalters und der Vergabe eines neuen insolvenzgerichtlichen Aktenzeichens nicht einmal Indizcharakter zukommen.
Angesichts der Neueinführung des Insolvenzplanverfahrens im Insolvenzrecht hat das BSG entschieden, dass allein wegen der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO) noch nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auszugehen ist (ausführlich BSG, Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R, SozR 3-4300 § 183 Nr. 3), vielmehr kommt es auch hier auf die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit an (BSG, SozR 3-4100 § 141 b Nr. 3; Peters-Lange, in: Gagel, SGB III, § 183, Rn. 52). Offen gelassen hat das BSG (Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R) die Frage, unter welchen Voraussetzungen bereits vor der Planerfüllung davon auszugehen ist, dass die Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses entfällt und ein neues Insolvenzereignis i.S.d § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III eintreten kann. Die Vorinstanz (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.03.2002, L 1 AL 80/01, hier zitiert nach dem Tatbestand der Revisionsentscheidung) hat ein weiteres Insolvenzereignis als Grundlage eines weiteren Anspruchs auf Insg grundsätzlich dann für möglich gehalten, wenn ein Insolvenzplan über einen längeren Zeitraum erfüllt wird (vgl. hierzu auch BSG, a.a.O. und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04.2002, L 1 AL 171/01, wonach die Nichterfüllung der nach dem Insolvenzplan geschuldeten Forderungen bereits zum ersten Fälligkeitstermin die Annahme eines weiteren Insolvenzereignis sicher ausschließt).
Der Arbeitgeber des Klägers hatte die Zahlungsfähigkeit nicht zwischenzeitlich wiedererlangt. Da - wie dargelegt - die Existenz eines Insolvenzplans als solche nicht ausreicht, um eine wiedererlangte Zahlungsfähigkeit zu bejahen, ist letztere nach den allgemeinen in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu prüfen. Hierbei muss es sich um objektive Kriterien handeln, denn § 183 Abs. 1 SGB III stellt, anders als § 183 Abs. 2 SGB III (dazu sogleich) nicht darauf ab, wovon der Arbeitnehmer ausgehen kann und was für ihn erkennbar ist. Somit kann aus einer Wiederaufnahme oder Fortführung der Betriebstätigkeit und der Fortzahlung der Arbeitsentgelte nicht auf eine Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit geschlossen werden. Vielmehr impliziert bereits die Fortführung des Insolvenzplanverfahrens, dass der Arbeitgeber eine vollumfängliche Zahlungsfähigkeit gerade noch nicht wiedererlangt hat. Erst recht muss dies für den Fall einer unvollständigen Erfüllung des Insolvenzplans und Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens gelten, die ein Wiederaufleben sämtlicher gestundeter und erlassener Forderungen zur Folge hat (Roeder, a.a.O., Rn. 37, Hase, AuB 2003, S. 154 f).
Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 183 Abs. 1 Satz Nr. 1, Abs. 2 SGB III, wonach der Insg-Anspruch für die dem Tag der Kenntnisnahme des Insolvenzereignisses vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses u.a. dann besteht, wenn der Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet hat. § 183 Abs. 2 SGB III bezweckt den Gutglaubensschutz desjenigen Arbeitnehmers, der von dem Insolvenzereignis etwa deswegen nichts erfährt, weil der Arbeitgeber den Beschluss des Insolvenzgerichts entgegen § 183 Abs. 4 SGB III nicht bekannt gegeben hat (Roeder, a.a.O., Rn. 111). § 183 Abs. 2 SGB III nimmt es dem Arbeitnehmer ab, bei einem erkennbar in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Arbeitgeber nach möglichen Insolvenzereignissen zu forschen, wenn er den Insg-Anspruch nicht verlieren möchte.
Ein Insolvenzplanverfahrens schafft jedoch keinen entsprechenden Vertrauenstatbestand (so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 06.09.2005, L 11 AL 38/05; a.A. Peters-Lange, in: Gagel, SGB III, § 183, Rn. 52; Schmidt, in: PK-SGB III, 2. Aufl., 2004, § 183, Rn. 30). Die Situation des Arbeitnehmers, der Kenntnis vom Insolvenzplanverfahren hat, ist gegenüber der in § 183 Abs. 2 SGB III geregelten Fallkonstellation insofern eine andere, als der Arbeitnehmer im erstgenannten Fall positiv weiß, dass der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen grundsätzlich nicht nachkommen kann. Einem Arbeitnehmer muss - im Rahmen der sog. Parallelwertung in der Sphäre juristischer Laien - klar sein, dass mit der Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers "etwas nicht stimmt", wenn dieser (irgend-)einem insolvenzrechtlichen Verfahren unterworfen ist. Das Gericht hält es für allgemein bekannt, dass insolvenzrechtliche Verfahren das Ziel haben, die Betriebstätigkeit möglichst weitgehend und möglichst lange aufrecht zu erhalten. Deswegen darf der Arbeitnehmer auch aus einer Fortführung der Betriebstätigkeit und einer Fortzahlung der Entgelte noch nicht den Schluss ziehen, der Arbeitgeber sei wieder vollumfänglich leistungsfähig geworden.
Der Kläger hatte unstreitig Kenntnis von dem Insolvenzplanverfahren. Er hatte bereits aufgrund des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 01.08.2002 Insg erhalten und daher kein schutzwürdiges Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers. Er hat weiterhin - ausweislich der Akte des AG Aachen - mit Schreiben vom 16.06.2003 den Steuerberater X in B ermächtigt, in der Gläubigerversammlung am 30.06.2003 dem Insolvenzplan zuzustimmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Insolvenzgeld (Insg).
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist bei der Firma P GmbH in B (Arbeitgeber) beschäftigt. Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Aachen vom 01.08.2002 (Az. 00 IN 000/00) das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden war, bezog er Insg für die Zeit vom 01.05.2002 bis zum 31.07.2002. Mit Beschluss vom 16.07.2003 hob das AG das Verfahren gem. § 258 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) auf, nachdem die Bestätigung des Insolvenzplanes (vom 30.05.2003 in der Fassung vom 30.06.2003) rechtskräftig geworden war. Mit Beschluss vom 02.05.2005 (Az. 00 IN 00/00) eröffnete das AG erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers.
Unter Hinweis auf diesen Beschluss beantragte der Kläger am 12.05.2005 erneut Insg. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.05.2005 mit der Begründung ab, die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei deswegen kein neues Insolvenzereignis, da der Insolvenzplan nicht erfüllt und somit die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nicht wiederhergestellt worden sei. Somit bleibe als Insolvenzereignis allein der Beschluss vom 01.08.2002 maßgeblich. Ein Fall von § 183 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) liege ebenfalls nicht vor, denn die vorherige Beantragung und Bewilligung von Insg zeigten, dass der Kläger Kenntnis von dem Insolvenzereignis gehabt habe. Seinen am 14.06.2005 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, er habe noch bis Januar 2005 Gehaltszahlungen vom Arbeitgeber erhalten. Somit habe keine fortwährende Zahlungsunfähigkeit vorgelegen. Die Beklagte holte eine Auskunft des Insolvenzverwalters ein und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.10.2005 zurück. Sie führte aus, bereits der Umstand, dass ab Februar 2005 offenbar keine Zahlungen an die Arbeitnehmer mehr erfolgt seien, spreche gegen eine wiederhergestellte Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers. Ergänzend verwies sie auf das Urteil des BSG vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R.
Hiergegen richtet sich die am 14.10.2005 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und fürt aus, es sei vor dem 02.05.2005 sogar zu einer Gehaltserhöhung gekommen. Im Übrigen ließen bereits die Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters und die Vergabe eines neuen Aktenzeichens erkennen, dass ein neues Insolvenzereignis eingetreten sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2005 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 02.02.2005 bis zum 01.05.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Das Gericht hat die Betriebsakte der Beklagten, die Akte des AG Aachen (Az 00 IN 000/00) und die Gerichtsakten anderer sozialgerichtlicher Streitverfahren von Beschäftigten desselben Arbeitgebers beigezogen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insg infolge des Beschlusses des AG Aachen vom 02.05.2005.
Anspruch auf Insg hat nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Insolvenzereignissen rechnet § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Bei mehreren Insolvenzereignissen ist allein das zeitlich erste maßgeblich (BSG, SozR 4100 § 141 b Nr. 46, st. Rspr.).
Der Beschluss vom 02.05.2005 ist kein Insolvenzereignis iSd § 183 Abs 1 Nr. 1 SGB III.
Das BSG hat in seinem Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R, ausdrücklich seine frühere ständige Rechtsprechung zur entsprechenden Problematik beim Konkursausfallgeld (Kaug) auch für anwendbar auf Insg-Ansprüche erklärt (so auch Roeder, in Niesel, SGB III, 3. Aufl, 2005, § 183 Rn. 37). Hiernach trat ein neues Insolvenzereignis im Sinne des durch § 183 SGB III ersetzten § 141b Abs. 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht ein, solange die auf dem vorherigen Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauerte (BSG, SozR 4100 § 141b Nrn. 6, 37, 43 und 46, SozR 3-4100 § 141e Nr. 3). Zahlungsunfähigkeit liegt solange vor, wie der Arbeitgeber wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, und dementsprechend die Zahlungen einstellt. Sie endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfüllt. Neue Ansprüche auf Kaug (jetzt Insg), etwa wegen Betriebseinstellung, entstanden nach der Eröffnung eines Konkursverfahrens nicht mehr, unabhängig davon, ob und wie lange der Konkursverwalter das Unternehmen bis zur Betriebseinstellung fortführte, sowie, ob er Arbeitsverhältnisse begründete und diese unter Umständen über mehrere Jahre bestanden (BSG, SozR 4100 § 141b Nr 46). Angesichts dieser materiellen Kriterien kann rein verfahrensrechtlichen Modalitäten wie der Bestelllung eines neuen Insolvenzverwalters und der Vergabe eines neuen insolvenzgerichtlichen Aktenzeichens nicht einmal Indizcharakter zukommen.
Angesichts der Neueinführung des Insolvenzplanverfahrens im Insolvenzrecht hat das BSG entschieden, dass allein wegen der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO) noch nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auszugehen ist (ausführlich BSG, Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R, SozR 3-4300 § 183 Nr. 3), vielmehr kommt es auch hier auf die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit an (BSG, SozR 3-4100 § 141 b Nr. 3; Peters-Lange, in: Gagel, SGB III, § 183, Rn. 52). Offen gelassen hat das BSG (Urteil vom 21.11.2002, B 11 AL 35/02 R) die Frage, unter welchen Voraussetzungen bereits vor der Planerfüllung davon auszugehen ist, dass die Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses entfällt und ein neues Insolvenzereignis i.S.d § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III eintreten kann. Die Vorinstanz (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.03.2002, L 1 AL 80/01, hier zitiert nach dem Tatbestand der Revisionsentscheidung) hat ein weiteres Insolvenzereignis als Grundlage eines weiteren Anspruchs auf Insg grundsätzlich dann für möglich gehalten, wenn ein Insolvenzplan über einen längeren Zeitraum erfüllt wird (vgl. hierzu auch BSG, a.a.O. und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.04.2002, L 1 AL 171/01, wonach die Nichterfüllung der nach dem Insolvenzplan geschuldeten Forderungen bereits zum ersten Fälligkeitstermin die Annahme eines weiteren Insolvenzereignis sicher ausschließt).
Der Arbeitgeber des Klägers hatte die Zahlungsfähigkeit nicht zwischenzeitlich wiedererlangt. Da - wie dargelegt - die Existenz eines Insolvenzplans als solche nicht ausreicht, um eine wiedererlangte Zahlungsfähigkeit zu bejahen, ist letztere nach den allgemeinen in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu prüfen. Hierbei muss es sich um objektive Kriterien handeln, denn § 183 Abs. 1 SGB III stellt, anders als § 183 Abs. 2 SGB III (dazu sogleich) nicht darauf ab, wovon der Arbeitnehmer ausgehen kann und was für ihn erkennbar ist. Somit kann aus einer Wiederaufnahme oder Fortführung der Betriebstätigkeit und der Fortzahlung der Arbeitsentgelte nicht auf eine Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit geschlossen werden. Vielmehr impliziert bereits die Fortführung des Insolvenzplanverfahrens, dass der Arbeitgeber eine vollumfängliche Zahlungsfähigkeit gerade noch nicht wiedererlangt hat. Erst recht muss dies für den Fall einer unvollständigen Erfüllung des Insolvenzplans und Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens gelten, die ein Wiederaufleben sämtlicher gestundeter und erlassener Forderungen zur Folge hat (Roeder, a.a.O., Rn. 37, Hase, AuB 2003, S. 154 f).
Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 183 Abs. 1 Satz Nr. 1, Abs. 2 SGB III, wonach der Insg-Anspruch für die dem Tag der Kenntnisnahme des Insolvenzereignisses vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses u.a. dann besteht, wenn der Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet hat. § 183 Abs. 2 SGB III bezweckt den Gutglaubensschutz desjenigen Arbeitnehmers, der von dem Insolvenzereignis etwa deswegen nichts erfährt, weil der Arbeitgeber den Beschluss des Insolvenzgerichts entgegen § 183 Abs. 4 SGB III nicht bekannt gegeben hat (Roeder, a.a.O., Rn. 111). § 183 Abs. 2 SGB III nimmt es dem Arbeitnehmer ab, bei einem erkennbar in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Arbeitgeber nach möglichen Insolvenzereignissen zu forschen, wenn er den Insg-Anspruch nicht verlieren möchte.
Ein Insolvenzplanverfahrens schafft jedoch keinen entsprechenden Vertrauenstatbestand (so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 06.09.2005, L 11 AL 38/05; a.A. Peters-Lange, in: Gagel, SGB III, § 183, Rn. 52; Schmidt, in: PK-SGB III, 2. Aufl., 2004, § 183, Rn. 30). Die Situation des Arbeitnehmers, der Kenntnis vom Insolvenzplanverfahren hat, ist gegenüber der in § 183 Abs. 2 SGB III geregelten Fallkonstellation insofern eine andere, als der Arbeitnehmer im erstgenannten Fall positiv weiß, dass der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen grundsätzlich nicht nachkommen kann. Einem Arbeitnehmer muss - im Rahmen der sog. Parallelwertung in der Sphäre juristischer Laien - klar sein, dass mit der Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers "etwas nicht stimmt", wenn dieser (irgend-)einem insolvenzrechtlichen Verfahren unterworfen ist. Das Gericht hält es für allgemein bekannt, dass insolvenzrechtliche Verfahren das Ziel haben, die Betriebstätigkeit möglichst weitgehend und möglichst lange aufrecht zu erhalten. Deswegen darf der Arbeitnehmer auch aus einer Fortführung der Betriebstätigkeit und einer Fortzahlung der Entgelte noch nicht den Schluss ziehen, der Arbeitgeber sei wieder vollumfänglich leistungsfähig geworden.
Der Kläger hatte unstreitig Kenntnis von dem Insolvenzplanverfahren. Er hatte bereits aufgrund des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 01.08.2002 Insg erhalten und daher kein schutzwürdiges Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers. Er hat weiterhin - ausweislich der Akte des AG Aachen - mit Schreiben vom 16.06.2003 den Steuerberater X in B ermächtigt, in der Gläubigerversammlung am 30.06.2003 dem Insolvenzplan zuzustimmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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