L 11 KR 2788/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2344/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2788/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Arzneimitteltherapie von ADHS bei Erwachsenen mit Ritalin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Leistungspflicht kommt auch nicht unter dem Aspekt des Off-Label-Use in Betracht.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die zukünftige Freistellung der Klägerin von den Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel "Ritalin" mit dem Wirkstoff Methylphenidat außerhalb seiner Zulassung (sogenannter Off-Label-Use) streitig.

Die 1959 geborene Klägerin beantragte am 05.04.2004 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Behandlung mit dem Medikament Ritalin mit der Begründung, sie leide an einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die bislang nicht festgestellt worden sei. Sie habe im Frühjahr 2003 nach Studium der einschlägigen Literatur selbst den Verdacht geäußert. Sie sei dann von ihrem behandelnden Arzt über die Schwere und Bedeutung der Krankheit ausführlich und umfassend aufgeklärt worden. Bei einem Selbstversuch mit Methylphenidat 5 mg habe sie und ihre Umgebung jedes Mal den Rückgang der ADHS-typischen Symptome bemerkt. Sie wolle einen gefährlichen Verlauf der Krankheit abwenden, welche sie nach ihrer Umschulungsmaßnahme ab April 2004 abklären lasse. Bereits am 27.02.2004 hatte ihr behandelnder Facharzt für Allgemeinmedizin Eysell einen Antrag auf Regressverzicht bei Off-Label-Use von Methylphenidat bei der Beklagten mit der Begründung gestellt, er sehe die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Voraussetzungen einer Verordnung eines Medikamentes außerhalb der Zulassung bei der Klägerin als erfüllt an und habe deswegen aufgrund des akuten Beschwerdebildes begonnen, das Medikament zu verordnen.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. H.-M. führte aus, bei der 44-jährigen Krankenschwester seien in den vergangenen Jahren wiederholt Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Chemiebelastung am Arbeitsplatz bzw. Intoleranz von Desinfektionsmitteln aufgetreten. Sie habe dabei über einen unspezifischen Symptomenkomplex mit schweren allgemeinen Reaktionen, Farbhalluzinationen, rauschartigen Zuständen und kognitiven Beeinträchtigungen sowie zahlreiche vegetative Beeinträchtigungen geklagt. Die Wirksubstanz Methylphenidat sei für die Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie bei Kindern, nicht jedoch bei Erwachsenen zugelassen. Bei dem diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom handle es sich bereits nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, jedoch um eine solche, die durchaus die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen könne. Die zur Verfügung stehende Behandlung müsse nach den Symptomen ausgerichtet werden und könne hier etwa in der Gabe eines niederpotenten Neuroleptikums zur Sedierung bestehen oder gegebenenfalls durch eine Antidepressivagabe ergänzt werden. Ob diese Behandlungsstrategien neben der geschilderten Behandlung Fluoxetin in Kombination mit Ritalin hier bislang ausgeschöpft worden wären, gehe aus den Unterlagen nicht hervor. Generell gelte jedoch, dass für die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bei Erwachsenen keine Standardtherapie zur Verfügung stehe. Recherchen in der Literatur zur Behandlung des hyperkinetischen Syndroms im Erwachsenenalter hätten ergeben, dass die vorhandenen Studien methodisch meist unzureichend seien, zumal häufig kleine Gruppen untersucht worden wären und keine Kontrollgruppe integriert worden sei. Zudem würden auch unterschiedliche Zielkriterien genannt, die eine Vergleichbarkeit entsprechend erschwerten. Problematisch scheine die Einstellung auf Methylphenidat allerdings deshalb, weil die Substanz in Deutschland den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliege, ferner auch ein Missbrauchspotenzial diskutiert werde. Somit könne zusammenfassend festgestellt werden, dass einerseits Aussichten bestünden, mittels Methylphenidat einen Therapieerfolg zu erreichen. Andererseits fänden sich in der Literatur keine Studien in ausreichender großer Zahl, die mit einem anspruchsvollen Untersuchungsdesign gestaltet worden wären und nach diesen Kriterien einen eindeutigen Behandlungserfolg nachweisen könnten. Als medizinischer Standard sei die Therapie demnach nicht einzustufen. Eine psychiatrische Mitbehandlung werde empfohlen. Mit Bescheid vom 27.04.2004 lehnte die Beklagte unter Berufung auf das Gutachten des MDK die beantragte Kostenübernahme daraufhin ab.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, seit der regelmäßigen Einnahme von Medikinet 10 mg habe sich ihre Lebensqualität entscheidend verbessert. Nur noch bei großer Erschöpfung kämen Kleinunfälle wie das Stoßen an Tischkanten und anderen Ecken oder das Zerbrechen von Geschirr und Gläsern vor. Die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit mache sich bei den schulischen Leistungen bemerkbar. Sie benötige weniger Nachhilfe und schreibe konstant bessere Noten. Das Erreichen des Ausbildungszieles der Umschulungsmaßnahme sei somit nicht mehr gefährdet. Auch ihr Selbstwertgefühl habe sich zunehmend normalisiert, da sie an ihren geistigen Fähigkeiten nicht mehr zweifeln müsse. Dies gelte auch hinsichtlich des katastrophalen Orientierungssinnes, der sich normalisiert habe. Sie könne jetzt Wegbeschreibungen begreifen und sich merken; verlaufe und verfahre sich auch kaum noch. Ihren Alltag könne sie inzwischen normal gestalten, während sie ohne Medikinet grundsätzlich nachts aktiv gewesen wäre und nur in der dann herrschenden Ruhe kreativ hätte arbeiten können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bezüglich des Arzneimittels Ritalin läge keine ausreichend gesicherte Datenlage vor. Die vorhandenen Stunden seien methodisch meist unzureichend, zumal häufig nur kleinere Gruppen untersucht und keine Kontrollgruppen integriert worden wären. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung im Sinne der Rechtsprechung seien daher nicht erfüllt, so dass eine Kostenübernahme ausgeschlossen sei.

Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre von der BfA finanzierte Umschulung habe sie mittlerweile erfolgreich dank der Behandlung abschließen können und sei auch den Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen. Bei ihr werde das Ritalin nicht außerhalb des Anwendungsbereiches angewandt, sondern sei für Kinder zugelassen. In einem solchen Fall dürften die Hürden nicht so hoch gesetzt werden wie dies bei einer anderweitigen Anwendung außerhalb der Zulassung eines Medikaments angezeigt wäre. Die Beklagte habe bislang die Verordnungen des behandelnden Arztes E. übernommen, bestreite aber ihre Verpflichtung dazu. Dies beruhe darauf, dass der behandelnde Arzt ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit schriftlicher Begründung das Mittel verordnen dürfe.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört.

Nach Auskunft des behandelnden Allgemeinmediziners E. liegen bei der Klägerin die ADHS-typischen Symptome der Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität mit einer Mindestdauer der Beschwerden von sechs Monaten, Beeinträchtigungen in zwei oder mehr Bezugssystemen (z.B. Schule und Zuhause), deutliche Beeinträchtigung mit Leidensdruck im sozialen, Lernleistungs- oder beruflichen Bereich und Ausschluss einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder Psychose vor. Durch Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat habe die Klägerin konzentriert und strukturiert die an sie gestellten Lern- und Leistungsanforderungen gut bewältigen und die Abschlussprüfung Ende September 2004 erfolgreich bestehen können, so dass zumindest im schulischen wie beruflichen und häuslichen Werdegang ein möglicher gefährlicher gesundheitlicher Verlauf, bei einem Scheitern mit folgendem erhöhtem Risiko für Suchtmittelabusus, Depressionen oder Angststörung, hätte abgewendet werden können. Innere Unruhe, Schlafstörungen, Minderwertigkeitsgefühl seien nicht mehr aufgetreten. Die Klägerin habe im Haushalt Ordnung halten können und nicht die Übersicht z.B. über die Voratshaltung verloren. Auch Autofahrten hätten sich für die Klägerin stressfreier gestaltet, die Umwege hätten abgenommen. "Arbeitsunfähige Erkrankungen" seien in dem befragten Zeitraum nicht aufgetreten.

Der Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut H.-L., der die Klägerin im Zeitraum vom 23.07.2003 - 04.10.2004 mit insgesamt sechs Therapiegesprächen betreut hatte, hat eine spezifische Phobie (Prüfungsangst) mit Panikstörung diagnostiziert. Die durchgeführte Kurzpsychotherapie sei gezielt auf die Behandlung dieser Prüfungsangst ausgerichtet gewesen. Während der Behandlung sei es der Klägerin möglich gewesen, ihre überhöhte Erwartungshaltung zu reduzieren, so dass sie ohne Panikreaktion z.B. Klausuren in Statistik hätte bewältigen können. Erst in der Situation der mündlichen Abschlussprüfung in Statistik seien noch einmal verstärkte Panikreaktionen aufgetreten, die vor dem Hintergrund neuerlicher erhöhter Erwartungen entstanden wären. In der Therapiesitzung vom 26.01.2004 habe sie ihm berichtet, dass sie am Tag zuvor, das bei ADHS-Störungen oft verabreichte Medikament Ritalin eingenommen habe, welches ihrem Sohn verordnet worden wäre, so dass sie Zugriff zu diesem Medikament habe. Sie habe nach dessen Einnahme eine deutliche Besserung ihrer inneren Geordnetheit und ihrer Erschöpfungsneigung festgestellt. Sie habe berichtet, Dinge erledigen zu können, die sie bis dahin weder in Angriff hätte nehmen, noch erledigen können.

Der Arzt für Innere Medizin, Umweltmediziner Dr. M. hat ausgeführt, dass er sich zum Beschwerdekomplex der ADHS nicht äußern könne, da er die Klägerin zwischen 1999 und 2002 lediglich wegen ihrer Multiple Chemical Sensitivity (MCS-Syndrom) behandelt habe.

Mit Urteil vom 19.04.2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 10.06.2005, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klage sei nach Umstellung der Leistungsklage auf eine Feststellungsklage (wohl) zulässig. Da ihr die von dem Allgemeinmediziner E. verschriebenen Medikamente bislang durch die Beklagte erstattet worden wären, sei sie gegenwärtig nicht beschwert. Klageziel sei demnach noch die Feststellung, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet sei, sie mit Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat zu versorgen. Ein solcher Anspruch bestehe aber nicht, da es an der erforderlichen Zulassung von Ritalin zur Behandlung einer Aufmerksamkeitsstörung bei Erwachsenen fehle. Damit handle es sich um eine sogenannte Off-Label-Verordnung. Diese müsse nach der Rechtsprechung des BSG auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie bestehe und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sei. Bei der ADHS handle es sich zwar um eine Erkrankung, welche die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige, sie sei jedoch nicht mit einer lebensbedrohlichen Krankheit gleichzusetzen. Auch sei zweifelhaft, ob die Klägerin tatsächlich an einer ADHS leide. Ihr Psychotherapeut H.-L. habe lediglich eine spezifische Phobie mit Panikstörung diagnostiziert. In Anbetracht des möglichen Missbrauchspotenzials von Medikamenten mit der Substanz Methylphenidat und der Ausführungen im Gutachten vom MDK könne nicht davon ausgegangen werden, dass keine anderen Therapien verfügbar seien. Einen alternativen Therapieversuch mit niederpotentem Neuroleptikum zur Sedierung und ergänzende Antidepressiva als alternative Behandlungsstrategie habe die Klägerin jedoch nicht unternommen. Dann könne von einem Systemversagen aber nicht ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund fehle es bereits am zweiten Kriterium der tatbestandlichen Voraussetzungen zum Off-Label-Use. Auch die dritte Voraussetzung der Rechtsprechung sei nicht erfüllt, denn es lägen keine Studien in ausreichend großer Zahl vor, welche einen eindeutigen Behandlungserfolg nachweisen könnten. Das von der Klägerin beantragte Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu der Frage, ob der Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung des bei der Klägerin vorliegenden ADHS geeignet und erforderlich sei sowie allgemein zur Frage des Vorliegens von ADHS bei der Klägerin, sei nicht zu veranlassen gewesen, da die im Beweisantrag gestellten Beweisthemen nicht entscheidungserheblich gewesen seien.

Mit ihrer dagegen am 11.07.2005, einem Montag, eingelegten Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe gegenwärtig faktisch noch keinen Nachteil bei der Behandlung mit Ritalin erlitten, weil die Verordnungen auf Kassenrezept durch den Arzt E. ohne Beanstandungen auf dem üblichen Weg eines Kassenrezepts von der Beklagten bezahlt worden wären. Die Beklagte bestreite dennoch ihre Leistungsverpflichtung und habe angedroht, den behandelnden Arzt in Regress zu nehmen, wenn durch Gerichtsurteil rechtskräftig die Unzulässigkeit der Verordnung von Ritalin festgestellt werde. Dies begründe ihrer Auffassung nach ein Feststellungsinteresse. Eine Feststellungsklage sei nämlich auch dann zulässig, wenn die Feststellung einer erst künftig fällig werdenden Leistung begehrt werde oder die Ersatzpflicht eines zu erwartenden Schadens. Das BSG habe auch mittlerweile seine Rechtsprechung zum Off-Label-Use bei Kindern weiterentwickelt und für den Fall, dass eine bestehende Krankheitssituation einzigartig sei, ausgeführt, dass das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot der Leistungspflicht nicht entgegenstünde. Hierbei sei auch berücksichtigt worden, dass das streitige Arzneimittel individuell auf ärztliche Verordnung über eine Apotheke aus dem Ausland legal zu beschaffen gewesen wäre. Ähnlich sei die Situation bei ihr, denn sie könne Ritalin legal in jeder Apotheke in Deutschland beziehen, nur gelte die Zulassung nicht für Erwachsene.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.04.2005 sowie den Bescheid vom 27.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auch die zukünftig durch die Therapie mit "Ritalin" entstehenden Kosten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass es sich bei einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung nicht um eine ausgesprochen seltene Erkrankung handle. Diese habe auch keinen lebensbedrohlichen Charakter. Nach den vom BSG aufgestellten Kriterien für die Verordnung eines Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet könnten die Kosten zur Behandlung des ADHS im Erwachsenenalter nicht übernommen werden. Sie hat hierzu das Gutachten des MDK vom April 2004 zur ADHS bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen, die Ergänzung desselben mit einer Überprüfung der Substanz Atomoxetin vom Mai 2004 und November 2004 und die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 (S 7 KR 56/04) sowie die Beschlüsse des Landessozialgerichts Berlin im einstweiligen Rechtsschutz vom 30.01.2004 (L 9 B 140/03 KR-ER), vom 05.03.2004 (L 9 B 8/04 KR-ER) und vom 02.04.2004 (L 9 B 43/04 KR-ER) vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insbesondere statthaft, da die begehrte Behandlung der Klägerin mit Ritalin sich über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erstrecken soll (§ 141 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG ist mit zutreffender Begründung, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, zu dem Ergebnis gelangt, dass der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2004 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Aufgrund des Umstandes, dass der Klägerin gegenwärtig durch die Arzneimitteltherapie keine Kosten entstanden sind, da diese aufgrund der Verordnungen von Allgemeinmediziner E. auf Kassenrezept von der Beklagten erstattet wurden, diese aber bekräftigt hat, dass sie im Wege des Arzneimittelregresses gegen den Arzt vorgehen und künftig keine Kosten übernehmen werde, ist die richtige Klageart hier die kombinierte Anfechtungs- und unechte Leistungsklage. Denn der Anspruch der Klägerin ist konkretisierbar, so dass nicht auf die insoweit subsidiäre Feststellungsklage zurückgegriffen werden muss (Ulmer in: Hennig u.a., Kommentar zum SGG, § 54 Rdnr. 115). Demzufolge macht die Klägerin auch mit ihrer Klage geltend, dass ihr die künftig durch die Behandlung mit Ritalin entstehenden Kosten erstattet werden.

Die Beklagte ist aber nicht verpflichtet, die Klägerin in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von zukünftig durch die Therapie mit Ritalin entstehenden Kosten freizustellen (vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 27 a Nr. 3). Denn die Arzneimitteltherapie der ADHS mit Ritalin ist allein für die Behandlung der Hyperaktivität von Kindern und Jugendlichen zugelassen, welches indessen eine Zulassung für die Behandlung Erwachsener nicht ersetzt (so auch Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.02.2005 - S 7 KR 56/04). Sie ist auch unter dem Gesichtspunkt des Off-Label-Use keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

Dass es folglich bei der Klägerin nach den Angaben ihres behandelnden Allgemeinmediziners E. zu einem Behandlungserfolg im konkreten Einzelfall gekommen ist, vermag daher nicht schon die Leistungspflicht der Beklagten zu begründen. Es reicht nicht aus, dass die streitige Therapie nach Einschätzung des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben (so zuletzt BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R).

In der Regel sind bei Pharmakotherapien diese Anforderungen daher nur erfüllt, wenn die Medikamente, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfen, eine solche Zulassung besitzen. Dies ist vorliegend bei Ritalin für den Anwendungsbereich der ADHS bei Erwachsenen unstreitig nicht der Fall. Grundsätzlich kann dann ein solches Arzneimittel, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem anderen Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Zulassungsüberschreitende Anwendung - sogenannter Off-Label-Use). Hiervon kann nach dem Urteil des BSG vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) ausnahmsweise (in einer notstandsähnlichen Situation) dann abgewichen werden, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Diese Voraussetzungen insbesondere des 3. Kriteriums sind im Falle der Klägerin auch zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt. Der Senat hat sich insoweit auf die vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der die Klägerin behandelnden Ärzte bzw. insbesondere die des Psychologischen Psychotherapeuten H.-L. wie auf die von der Beklagten vorgelegten Gutachten des MDK gestützt.

Danach ist schon fraglich, ob die Klägerin überhaupt an einer ADHS leidet. Nach den Angaben des Allgemeinmediziners E. hat dieser die Selbstdiagnose der Klägerin zwar bestätigt, allerdings hat der im gleichen Zeitraum behandelnde Psychologische Psychotherapeut H.-L. das Krankheitsbild als spezifische Phobie (Prüfungsangst) mit Panikstörung beschrieben. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter als schwierig gestaltet (vgl. die Ausführungen von B. und S. im MDK-Gutachten vom April 2004, S. 10), kann vom Vorliegen einer solchen Erkrankung nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Der Senat konnte dies jedoch letztlich dahingestellt sein lassen und musste daher auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung vornehmen, ob die Klägerin tatsächlich an einer ADHS leidet, weil unabhängig davon jedenfalls eine Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter mit Ritalin ausscheidet. Dies ist nach der Studie von B. und S. deswegen begründet, weil sich bei einer erstmaligen Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter soziale Probleme und disfunktionales Verhalten so verfestigt haben, dass die Effekte der medikamentösen Behandlung nicht in gleicher Weise zum Tragen kommen wie bei der Vergleichsgruppe der Kinder und Jugendlichen. Auch fehlen derzeit nach der Auswertung der vorliegenden Forschungsergebnisse in Form von Studien oder einer Verbreitung in der wissenschaftlichen Literatur ausreichende wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise, die einen entsprechenden wissenschaftlichen Konsens belegen, wie dies zuletzt PD Dr. D. (MDK-Gutachten vom November 2004, S. 25) ausgeführt hat. Ein Wirksamkeitsnachweis liegt somit lediglich für die Behandlung von Ritalin bei Kindern und Jugendlichen vor.

Außerdem bestehen bei der Klägerin durchaus Behandlungsalternativen. Diese wurden der Klägerin bereits in den Gutachten nach Aktenlage durch Dr. H.-M. vom MDK benannt, nämlich durch die Gabe eines niederpotenten Neuroleptikums oder gegebenenfalls eine Antidepressivagabe. Des weiteren hat sich die Klägerin bereits erfolgreich in Kurzpsychotherapie begeben. Anlass für die Behandlung war damals, dass sie Schwierigkeiten in der Umschulung hatte. Dies hat auch zur Antragstellung auf die hier streitige Behandlung geführt. Diese Phobie konnte aber nach Angaben des behandelnden Diplom Psychologen H.-L. erfolgreich behandelt werden. Dies belegt eindrucksvoll, dass es nicht ohne weiteres einer medikamentösen Therapie mit Ritalin bedurft hätte.

Bei der Klägerin liegen auch unter Berücksichtigung des von dem BSG entschiedenen Falles vom 19.10.2004 (B 1 KR 27/02 R) die Voraussetzungen für einen Anspruch gegen die Beklagte nicht vor. Dabei handelte es sich nämlich um eine möglicherweise bestehende einzigartige Krankheitssituation, die dadurch begründet war, dass dieses Krankheitsbild normalerweise nur bei Erwachsenen auftritt und deswegen möglicherweise keine Studien für die Behandlung von Kindern zur Verfügung stehen. Ein solcher vergleichbarer Fall besteht aber bei der Klägerin nicht. Das Krankheitsbild der ADHS ist vielmehr auch bei Erwachsenen verbreitet, daher bereits nicht einzigartig. Insofern kann diese Ausnahmekonstellation nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.

Die Klägerin hat damit insgesamt keinen Anspruch auf Freistellung der künftig entstehenden Kosten durch die Behandlung mit Ritalin. Die Berufung konnte danach keinen Erfolg haben, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, denn der Senat bewegt sich mit seiner Entscheidung in den vom BSG aufgezeigten Grenzen der off-label-use-Verordnung.
Rechtskraft
Aus
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