L 21 RJ 51/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RJ 318/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 RJ 51/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Februar 2004 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2002 wird geändert und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 01. Juli 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der im 1962 geborene Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung von 60 für die Behinderungen chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung und insulinpflichtiger Diabetes mellitus anerkannt ist, erlernte von 1979 bis 1981 den Beruf des Instandhaltungsmechanikers. Er war von Juli 1981 bis Juli 1997 als Rohrleger erwerbstätig, vom 01. Juni 1998 bis zum 30. November 2000 bezog der Kläger von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 06. November 1998). Der Weitergewährungsantrag wurde mit Bescheid vom 20. November 2000 abgelehnt, ein hiergegen erhobener Widerspruch mit Bescheid vom 17. Januar 2001 zurückgewiesen. Nach einer kurzzeitigen Beschäftigung war der Kläger ab 01. Dezember 2001 arbeitsunfähig und bezog ab 01. Januar 2002 Krankengeld.

Am 19. Februar 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wegen der Gesundheitsstörungen Diabetes und chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung. Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen aus den vorherigen Rentenverfahren sowie Krankenunterlagen über die behandelnden Ärzte bei.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete die Prüfärztin der Beklagten Š am 15. März 2002 ein Rentengutachten über den Kläger. Als bei dem Kläger vorliegende Gesundheitsstörungen gab sie eine chronisch kalzifizierende Pankreatitis alkoholtoxischer Genese mit Zustand nach Drainagetherapie und endokriner und exokriner Insuffizienz, einen insulinpflichtigen pankreatogenen Diabetes mellitus mit Verdacht auf diabetische Polyneuropathie und eine Struma diffusa unter Substitutionstherapie an. Bei dem Kläger bestehe eine chronische rezidivierende alkoholbedingte Pankreatitis bei längerdauernder glaubhafter Abstinenz mit Zeichen der exokrinen und endokrinen Pankreasinsuffizienz. Die Stoffwechsellage des Diabetes sei laborchemisch als mäßig einzustufen. Über Stoffwechselentgleisungen in Form einer Hypoglycämie werde berichtet. Eine optimale ärztliche Kontrolle könne dazu nicht erfolgen, weil der Kläger einen Arzt bei Beschwerden nicht kontaktiere bzw. eigene Auffassungen über Medikamenteneinnahmen habe, so dass zur Stabilisierung der Stoffwechselparameter, der Therapieoptimierung und der objektiven Einschätzung des Leistungsvermögens dringend eine medizinische Rehabiliationsmaßnahme mit gastroenterologischem Profil indiziert sei. Dem Kläger seien noch leichte körperliche Tätigkeiten nur in Tagesschicht, nicht unter Zeitdruck, in wechselnder Arbeitshaltung, nicht im Freien ohne Witterungsschutz, bei Vermeidung von Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Tätigkeiten mit erhöhter Unfall- und Verletzungsgefahr in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich möglich.

Mit Bescheid vom 16. April 2002 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2002 zurück.

Mit der am 16. September 2002 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien ungenügend gewürdigt worden. Aufgrund der ständigen Schmerzen, der chronischen Erkrankungen und der erforderlichen Einnahme starker Schmerzmittel sei es ihm unmöglich, in seinem Beruf oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2002 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung auf den Antrag vom 19. Februar 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist bei der mit dem Widerspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung verblieben und hat dem Kläger in der Zeit vom 03. Juni bis 24. Juni 2003 ein Heilverfahren in der Klinik B, Abteilung Gastro- und Stoffwechselklinik, gewährt und den Entlassungsbericht vom 07. Juli 2003 sowie weiter ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - MDK - vom 24. Juli 2003 zur Gerichtsakte gereicht.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der Fachärzte für Innere Medizin D. K vom 19. November 2002, der Allgemeinmedizinerin J vom 08. April 2003 und der Internistin K vom 14. April 2003 und den Entlassungsbericht des Klinikums E vom 19. Februar 2003 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 03. Februar bis 10. Februar 2003 beigezogen.

Aufgrund Beweisanordnung des Sozialgerichts hat Prof. Dr. B nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 08. Dezember 2003 am 14. Januar 2004 ein fachinternistisches Sachverständigengutachten erstattet.

Hinsichtlich der bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen hat der Sachverständige eine chronisch kalzifizierende Pankreatis bei alkohol-toxischer Genese mit exokriner und endokriner Pankreasinsuffizienz mit gut eingestelltem insulinpflichtigen Diabetes mit beginnender diabetischer Polyneuropathie, eine Varikosis beider Unterschenkel geringen Grades und eine geringfügige Bronchitis bei Nikotinabusus angegeben. Hinsichtlich des Leistungsvermögens hat der Sachverständige ausgeführt, der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen, ohne besonders hohe Anforderungen an das Verantwortungsbewusstsein und an die Zuverlässigkeit vollschichtig, acht Stunden arbeitstäglich, ausüben. Er sei in der Lage, mehrmals täglich 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen.

Mit Urteil vom 18. Februar 2004 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei weder voll, noch teilweise erwerbsgemindert. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Bstehe fest, dass das Leistungsvermögen des Klägers nicht so weit herabgesunken sei, dass er nicht mehr mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein könne.

Gegen das am 11. März 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. März 2004 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht habe die gesundheitlichen Beeinträchtigungen unzureichend gewürdigt. Er habe zumindest Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Sowohl aus dem Entlassungsbericht aus dem Heilverfahren als auch aus dem Gutachten des MDK ergäben sich andere Leistungseinschätzungen. Der Sachverständige Prof. Dr. B habe ausgeführt, die Leistungsminderung bestehe seit Juli 1997. Damals sei ihm ab Juni 1998 eine Rente gewährt worden. Er, der Kläger, habe in den letzten Jahren keinen Alkohol getrunken, trotzdem sei es zu keiner Besserung gekommen. Nur der Sachverständige Prof. Dr. B habe einen erhöhten Alkholkonsum unterstellt, die behandelnden Ärzte bestätigten einen solchen nicht. Das Gutachten des Prof. Dr. B werde zurückgewiesen.

Der Senat hat einen Befundbericht der Allgemeinmedizinerin J vom 18. Januar 2005 beigezogen und die ergänzende Stellungnahme des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. Bvom 08. Juli 2004 veranlasst, mit der ausgeführt wird, dass derzeit, wie im Gutachten dargelegt, noch die körperlichen Voraussetzungen für das Verrichten von Arbeiten gegeben seien. Bei konsequenter sachkundiger Behandlung des Alkoholproblems könne die Arbeitsfähigkeit für leichte körperliche Arbeiten erhalten werden. Bei Anerkennung der Sucht als therapierbares Leiden könne er der Einschätzung des Entlassungsberichts des Rehabilitationsverfahrens vom 07. Juli 2003 folgen.

Zu der Stellungnahme von Prof. Dr. B hat die Beklagte vorgetragen, eine Entzugssymptomatik bei stationären Aufenthalten ab 1997 werde niemals geschildert. Der Internist Dr. K habe auf die Befragung nach Alkohol von dem Kläger die Auskunft erhalten, bis 1982 erheblich Alkoholkonsum, dann reduziert, 1993 bis 1998 gar nicht. Das habe der spezifische Laborwert auch bestätigt. Auch bei der Begutachtung durch Prof. Dr. B habe der Versicherte angegeben, keinen Alkohol in größeren Mengen zu konsumieren. Für einen Alkoholgebrauch habe der pathologische Laborwert gesprochen. Nach den Unterlagen liege ein wechselnder Alkoholmissbrauch vor. Eine Abhängigkeit bestehe nicht, so dass auch keine Suchtrehabilitation indiziert sei.

Auf Veranlassung des Senats hat am 11. April 2005 der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Innere Medizin Prof. Dr. R nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 24. März 2005 ein Sachverständigengutachten erstattet. Als bei dem Kläger vorliegende Gesundheitsstörungen gibt der Sachverständige eine mittelschwere Hirnleistungsminderung, eine mittelschwere hirnorganische emotional labile Persönlichkeitsstörung, eine Polyneuropathie, eine chronisch kalzifizierende Pankreatits und eine Alkoholbindung an. Das Leistungsvermögen des Klägers erscheine aufgehoben, er könne mit den festgestellten Gesundheitsstörungen keine Arbeiten mehr verrichten. Die Einschränkungen bestünden seit seinem fehlgeschlagenen beruflichen Wiedereinstieg im Jahre 2000 deutlich progredient. Im Gutachten vom 15. März 2002 werde dies dem Grunde nach bereits beschrieben. Als Zeitpunkt der nunmehr festgestellten Einschränkungen müsse der Zeitpunkt der Entlassung aus der Rehabilitationsklinik festgehalten werden. Nach den medizinischen Erkenntnissen sei es unwahrscheinlich, dass die vorliegende Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.

Zu dem Gutachten von Prof. Dr. R hat die Beklagte unter Beifügung einer Stellungnahme ihrer Prüfärztin N vom 28. April 2005 Stellung genommen. Daraufhin hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. R vom 22. Juni 2005 eingeholt, in der der Sachverständige ausgeführt hat, der multimorbide Kläger sei aktuell und auf absehbare Zeit nicht in der Lage, eine für einen optimalen Umgang mit seiner Erkrankung und/oder gar für eine Erwerbstätigkeit notwendige vielschichtige Problemwahrnehmung und Entscheidungsfindung in der Weise zu realisieren, dass er zu einer ausreichenden Handlungsorganisation fähig sei. Eine Therapie seiner Erkrankung sollte zeitnah mit für ihn realisierbaren Zielen stattfinden. Eine Besserung des jetzigen Gesundheitszustandes in einem Umfang, der Relevanz hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers hätte, sei nicht zu erwarten.

Die Beklagte hat hierzu mit Stellungnahme der Prüfärztin N vom 06. Juli 2001 vorgetragen, dem Gutachten des Prof. Dr. R sei nicht zu folgen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Februar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2002 aufzuheben und ihm ab dem 1. Februar 2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vom Senat beigezogen waren die Leistungsakten der Bundesagentur für Arbeit, aus denen Ablichtungen zur Gerichtsakte genommen worden sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten () und des Versorgungsamtes Frankfurt (Oder) (Gz ) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und insgesamt zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen, der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung - SGB VI - haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben; voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Der Kläger ist voll erwerbsgemindert.

Aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen, einer chronisch kalzifizierenden Pankreatitis alkoholtoxischer Genese mit exokriner und endokriner Pankreasinsuffizienz, einem Diabetes mellitus Typ I, einer Polyneuropathie, einer Hirnleistungsminderung und einer Alkoholkrankheit ist der Kläger nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit mindestens drei Stunden arbeitstäglich auf Dauer auszuüben.

Die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sind von dem Sachverständigen Prof. Dr. R nach eigener Befundung und unter Berücksichtigung der mit den Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakte vorliegenden ärztlichen Befundunterlagen und Gutachten festgestellt worden. Er befindet sich damit im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem vom Sozialgericht beauftragten Gutachter Prof. Dr. B, der die Pankreatitis als Hauptleiden, eine Polyneuropathie und einen Diabetes bei dem Kläger festgestellt hat. Diese Gesundheitsstörungen hatte schon die Prüfärztin der Beklagten in ihrem Gutachten vom 15. März 2002 festgestellt, sie lagen auch nach den Beurteilungen in dem Entlassungsbericht aus dem Heilverfahren vom 07. Juli 2003 vor.

Der Sachverständige Prof. Dr. B hat bezüglich der Pankreatitis festgestellt, dass nach den bei dem Kläger vorliegenden Symptomen der Endzustand eines funktionellen Pankreasverlustes vorliegt. Typisch seien chronische Leibschmerzen, Blähungen und Stuhlunregelmäßigkeiten. Diese Beschwerden, insbesondere die Schmerzen, wurden und werden von dem Kläger auch regelmäßig bei den Untersuchungen anlässlich der Begutachtungen und im Heilverfahren angegeben. Die Beschwerden verursachende exokrine Bauchspeicheldrüsenschwäche kann durch orale Zufuhr von Bauchspeicheldrüsenenzymen nicht in einem ausreichenden Maße kompensiert werden. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Bin seinem Gutachten ausführt, sie ist auch nicht vorübergehender Natur. Hinzu tritt bei dem Kläger eine von dem Sachverständigen Prof. Dr. B angegebene deutliche Funktionseinschränkung der Leber. Der Diabetes ist schwer einstellbar, wie sich aus der Beurteilung in dem Entlassungsbericht aus dem Heilverfahren, aus den Befundberichten der behandelnden Ärztin J und aus dem Rentengutachten der Prüfärztin Š ergibt, auch wenn bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. B ein gut eingestellter Stoffwechsel festgestellt worden ist. Der Kläger hat anlässlich der Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch die Prüfärztin Š Stoffwechselentgleisungen beschrieben, Blutzuckerschwankungen und eine schwere Insulineinstellung wurden von der behandelnden Allgemeinmedizinerin J in ihren Befundberichten bestätigt. In ihrem Befundbericht vom 18. Januar 20055 gibt diese an, dass zwar am 15. November 2004 nicht über Bauchschmerzen geklagt worden sei, aber ein fieberhafter Racheninfekt und Durchfall feststellbar gewesen seien. Insgesamt werden Untergewichtigkeit, Appetitlosigkeit, eine chronische körperliche und psychische Leistungsinsuffizienz, Schlafstörungen und häufige reaktive depressive Syptome geschildert. Das Krankheitsgeschehen wird als rezidivierend beschrieben. In dem Gutachten der Prüfärztin Š wird bereits angegeben, dass der Kläger Schwierigkeiten hat, die Stoffwechsellage optimal einzustellen. Es wird dringend eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme empfohlen. Ein im Juni 2003 dann durchgeführtes Heilverfahren hat ergeben, dass die durch die Pankreaserkrankung hervorgerufenen Schmerzen trotz Schmerzmedikation nicht behoben werden konnten.

Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. Rfestgestellte Hirnleistungsschwäche ist von den Vorgutachtern bisher nicht festgestellt worden. Der Sachverständige begründet nach Befundung des Klägers, dass eine solche vorliegt. Diese äußert sich darin, dass Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit reduziert sind, formale Denk- und Sprachstörungen mit Umständlichkeit/Weitschweifigkeit und mit begrifflicher Unschärfe vorliegen. Auch eine Beeinträchtigung der Merkfähigkeit und der Konzentration hat der Sachverständige festgestellt, weiter beschreibt er eine reduzierte Fähigkeit, zielgerichtete Aktivitäten durchzuhalten und Befriedigungen aufzuschieben. Aufgrund einer testpsychologischen Untersuchung hat der Sachverständige auch Mängel im Kurzzeitgedächtnis und eine Kritikminderung erkannt.

Weiter besteht bei dem Kläger zur Überzeugung des Senats eine Alkoholkrankheit, wie sie von dem Sachverständigen Prof. Dr. R unter Würdigung der mit den Akten vorliegenden Befunde festgestellt worden ist. Bei dem Kläger ist übereinstimmend von allen Gutachtern eine alkoholbedingte Pankreasinsuffizienz festgestellt worden, die einen Alkoholabusus voraussetzt. Bereits in einem Arztbrief vom 08. September 1997 heißt es, der Kläger habe "im Rahmen des Wehrdienstes" ausgeprägten Alkoholabusus betrieben. Die von dem Kläger angegebenen Leibschmerzen sprechen zudem für einen erhöhten Alkoholkonsum. Von dem Sachverständigen Prof. Dr. B wird ein CDT-Wert von 10,3 (Normbereich bis 2,6 bis 5) anlässlich der Untersuchung mitgeteilt, der auf einen erhöhten Alkoholkonsum hinweist. Gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. R hat der Kläger sein Trinkverhalten beschrieben und einen Alkoholkonsum ab 2000 angegeben. Nach seiner Beschreibung war der Kläger zwischen 1997 und 2000 trocken. Angesichts des durch die vorliegenden Stellungnahmen und ärztlichen Berichte vermittelten Gesameindrucks hatte der Senat Zweifel an einer länger andauernden Abstinenzphase des Klägers, dies konnte jedoch dahinstehen, da jedenfalls eine solche Phase bei dem Kläger abgelaufen ist. Dass auf eine möglicherweise längere Phase der Abstinenz nun eine des erhöhten Alkoholkonsums folgt, spricht für die von Prof. Dr. R festgestellte Alkoholkrankheit.

Angesichts der Erkrankungen und hieraus folgenden Beschwerden erscheint die Feststellung einer Multimorbidität, eines komplexen Krankheitsgeschehens, durch den Sachverständigen Prof. Dr. Rnachvollziehbar.

Aufgrund des Zusammenwirkens der vorliegenden Gesundheitsstörungen ist der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. R nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, weil er die für eine Erwerbsfähigkeit notwendige ausreichende Beschwerdefreiheit/-linderung nicht erreichen kann. Nachvollziehbar und schlüssig beschreibt der Sachverständige Prof. Dr. Rin seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2005, dass schon ein ansonsten Gesunder mit einer exokrinen und endokrinen Pankreasinsuffizienz und einem Diabetes Schwierigkeiten hat, seinen Stoffwechsel so einzustellen, dass er nicht kurzfristig schwere Schäden erleidet.

Insbesondere wegen seiner Alkoholerkrankung ist der Kläger nicht in der Lage, der schweren Pankreaserkrankung mit den Folgeerkrankungen (Diabetes und Polyneuropathie) in der Weise zu begegnen und eine Beschwerdelinderung zu erreichen, die eine Erwerbstätigkeit auf Dauer ermöglichen würde. Nachvollziehbar führt der Sachverständige Prof. Dr. R aus, dass der Kläger aufgrund der Alkoholerkrankung nicht in der Lage ist, seine Hauptleiden, nämlich die Pankreatitis und den Diabetes, die jeweils ohne medikamentöse Behandlungen zu Leistungseinschränkungen führen, adäquat selbständig zu behandeln.

Eine jedenfalls abgelaufene Alkoholabstinenzphase führt nicht dazu, dass sich die Organschäden zurückbilden; der Sachverständige Prof. Dr. B beschreibt den Endzustand eines funktionellen Pankreasverlustes. Auch führt eine abgelaufene Abstinenzphase nicht dazu, dass bei fortgesetztem Alkoholkonsum weniger Beschwerden bei dem Kläger auftreten. Gerade durch Alkoholgenuss werden Schmerzen durch die bei dem Kläger vorliegende Pankreaserkrankung hervorgerufen, weil Alkoholkonsum den Entzündungsprozess unterhält, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. B beschreibt.

Soweit der Sachverständige Prof. Dr. B in seiner ergänzenden Stellungnahme ausführt, dass er unter Anerkennung eines nicht therapierbaren Suchtleidens der Einschätzung des Entlassungsberichts aus dem Rehabilitationsverfahren (aufgehobenes Leistungsvermögen) folge, derzeit aber noch die körperlichen Voraussetzungen für das Verrichten von Arbeit gegeben seien, ist zur Überzeugung des Senats gerade von einer schwer bis nicht therapierbaren Alkoholerkrankung auszugehen. Der Sachverständige beschreibt hierzu ein Verdrängen und Leugnen der Alkoholerkrankung, ein Ausweichverhalten, welches letztlich zum verstärkten Alkoholverbrauch führt. Er beschreibt dieses Verhalten des Klägers schlüssig anhand der bisherigen Biografie. Auch die Angaben des Klägers in dem Rechtsstreit bestätigen ein Leugnen der Alkoholerkrankung. Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. R beschriebene Gleichgültigkeit des Klägers, die mangelnde Fähigkeit, seine Probleme wahrzunehmen, ein Abwehr- und Verleugnungsverhalten werden für den Senat auch dadurch bestätigt, dass der Kläger auch im Gerichtsverfahren nach der Schilderung seiner Prozessbevollmächtigten keine Initiative gezeigt hat, einen Kontakt mit der Prozessbevollmächtigten nicht aufrecht erhalten hat, sich zurückgezogen hat. Es mag sein, dass der Kläger unter Ausklammerung seines Suchtverhaltens und damit einhergehenden Alkoholgenusses aufgrund seiner rein organischen Leiden und deren Auswirkungen noch in der Lage wäre, Tätigkeiten von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten, wie dies von dem Sachverständigen Prof. Dr. B auch angegeben wird. Wie der Sachverständige aber auch angibt, ist für diese Leistungseinschätzung entscheidend, dass der Kläger keinen Alkohol mehr konsumiert. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Rangibt, wirkt bei dem Kläger offenbar ein - krankheitsbedingter - Verdrängungsmechanismus, eine Krankheitseinsicht besteht nicht. Im Gegenteil existiert möglicherweise ein Krankheitsgewinn, der es erschwert, den Kläger überhaupt einer Therapie zuzuführen.

Der Zusammenhang zwischen der Alkoholkrankheit mit ständigem Alkoholkonsum und den internistischen Leiden des Klägers wird von der Prüfärztin der Beklagten nicht beschrieben, weshalb ihr auch in der Leistungseinschätzung nicht zu folgen war. Die Alkoholfolgeerkrankung mag bei aktueller Kompensation lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen führen. Dabei ist aber der Alkoholabusus mit der dadurch hervorgerufenen Schmerzsymptomatik, wie sie von dem Sachverständigen Prof. B beschrieben wird, nicht berücksichtigt. Soweit die Prüfärztin N anführt, dass eine mittelschwere Hirnleistungsminderung sich nicht objektivieren lasse, kann dies letztlich auch dahinstehen, da dem Kläger zumindest eine Einsichtsfähigkeit hinsichtlich seiner Alkoholerkrankung fehlt, wie dies die Sachverständigen Prof. B und Prof. R und auch die im Verwaltungsverfahren beauftragte Gutachterin der Beklagten festgestellt haben. Dies bedingt, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Kläger die Alkoholkrankheit überwindet und somit das Leistungsvermögen gebessert werden kann.

Da der Kläger selbst angegeben hat, erst seit 2000 wieder Alkohol zu konsumieren und das aufgehobene Leistungsvermögen in dem Zusammenspiel einer Alkoholkrankheit mit gesteigertem Alkoholkonsum und den Grunderkrankungen begründet ist, kann von einem aufgehobenen Leistungsvermögen nicht vor dem von dem Sachverständigen Prof. Dr. R angegebenen Zeitraum ausgegangen werden. Ein unter drei Stunden arbeitstäglich herabgesunkenes Leistungsvermögen wird in dem Entlassungsbericht bezüglich des im Juni 2003 durchgeführten Rehabilitationsverfahrens aufgrund der von dem Kläger angegebenen Schmerzen festgestellt, wobei dabei noch nicht davon ausgegangen worden war, dass eine Alkoholkrankheit vorliegt, weil der Kläger einen Alkoholkonsum verneint hatte. Nachvollziehbar kommt daher der Sachverständige Prof. Dr. R unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers zu seinem Alkoholkonsum (Ende der Abstinenzphase im Jahre 2000) zu der Annahme, dass Mitte 2003 von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen ist, wie dies im Entlassungsbericht aus dem Rehabilitationsverfahren festgestellt worden ist.

Die Rente war auch nicht zu befristen. Gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prof. Dr. Rzu dem Ausweichverhalten des Klägers und unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. B nachvollziehbar beschriebenen Verdrängung des Alkoholproblems erscheint eine Besserung des Leistungsvermögens unwahrscheinlich. Das durchgeführte internistische Heilverfahren in einer Fachklinik hat nicht zur Besserung des Leistungsvermögens beigetragen. Nachvollziehbar und überzeugend kommt der Sachverständige Prof. Dr. R zu der Einschätzung, dass der Kläger aktuell und auf absehbare Zeit nicht in der Lage ist, eine notwendige vielschichtige Problemwahrnehmung und Entscheidungsfindung zu realisieren, die Voraussetzung für eine anhaltende Krankenbehandlung wäre. Dies ergibt sich auch schon aus dem Gutachten der Prüfärztin Š, die ebenfalls schon die mangelnde Einsichtsfähigkeit beschrieben hat.

Nach allem besteht ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Juli 2003 (§ 99 SGB VI). Zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, Abs. 4 SGB VI erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang. Der Kläger obsiegt mit seinem Begehren, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren. Dass die Rente nicht bereits ab Antragstellung im Februar 2002 zu gewähren ist, rechtfertigt nicht, der Beklagten nur einen Teil der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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