L 3 RJ 72/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 1831/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 RJ 72/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. April 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der in Polen lebenden Klägerin auf eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres 2003 verstorbenen Ehemannes aus der deutschen Rentenversicherung.

Die 1958 in G/Polen geborene Klägerin, die die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, ist die Witwe des 1936 in W geborenen G L. Die Eheschließung fand 1989 in G statt, wo die Klägerin seitdem ununterbrochen ihren Wohnsitz hat. Der Versicherte, der von April 1951 bis März 1990 Versicherungszeiten im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) zurückgelegt hatte, stellte im April 1999 bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover einen Antrag auf Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Da er angegeben hatte, sich seit April 1990 laufend in Polen ohne Beschäftigung aufzuhalten, gab die LVA Hannover die Sache an die Beklagte (ehemals LVA Berlin) ab. Nachdem der Versicherte erklärt hatte, er halte sich seit 1993 vorübergehend besuchsweise in Polen auf (Lebens- und Staatsangehörigkeitsbescheinigung vom 16. Juni 1999), bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 4. August 1999 Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ab 1. August 1999 in Höhe von 1173,80 DM monatlich. 2003 verstarb G L in G.

Durch Bescheid vom 12. Juni 2003 lehnte die Beklagte den am 12. Mai 2003 gestellten Antrag der Klägerin auf Rente wegen Todes aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes mit der Begründung ab, nach den Regelungen des deutsch – polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975, das zur Anwendung komme, weil die Klägerin bereits vor dem 1. Januar 1991 für ständig in Polen gewohnt habe, sei für die Bearbeitung des Antrages und evtl. Berücksichtung der deutschen Versicherungszeiten allein der polnische Versicherungsträger (ZUS Opole) zuständig. Mit Formschreiben vom 13. Juni 2003 setzte die Beklagte diesen davon in Kenntnis, dass die Rente abgelehnt worden sei, weil keine deutschen Beitragszeiten ab dem 1. Januar 1991 vorlägen. Den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie ausführte, sie habe "eine negative Antwort von der ZUS-Anstalt in Oppeln zu der von mir beantragten Familienrente" erhalten, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. September 2003 mit der Begründung zurück, nach Artikel 4 Abs. 1 DPSVA 1975 würden Renten der Rentenversicherung von dem Versicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohne, nach den für diesen Träger geltenden Vorschriften gewährt. Da die Klägerin ihren Wohnsitz in Polen habe, sei für die Hinterbliebenenrente ausschließlich der polnische Rentenversicherungsträger zuständig.

Mit der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die "polnische Versicherung hier keine Wirkung" habe, da ihr Ehemann Deutscher und kein Pole gewesen sei und während der dreißigjährigen Arbeitsdauer in Deutschland Rentenversicherungsbeiträge geleistet habe. Sie habe mit dem Versicherten seit vielen Jahren in Polen gewohnt, wo er auch angemeldet gewesen sei. Dass sie selbst nie in Deutschland gewohnt habe, sei kein Grund, ihr die fällige Rentenkontinuität zu verweigern. Sie sei von dem polnischen Rentenversicherungsträger dahin belehrt worden, dass der Rentenanspruch dort bestehe, wo die Rentenbeiträge eingezahlt worden seien.

Durch Gerichtsbescheid vom 7. April 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, nach den Regelungen des Art. 4 DPSVA 1975, der Anwendung finde, weil die Klägerin nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnsitz nicht gewechselt habe, sondern bisher durchgängig in Polen gelebt habe, sei für die Feststellung ihrer Rente der polnische Rentenversicherungsträger zuständig, der gegebenenfalls auch deutsche Beitragszeiten zu berücksichtigen habe.

Gegen den am 22. April 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Juli 2004 Berufung eingelegt. Eine von ihr angekündigte Begründung ist nicht eingegangen. Die Auflage des Senats, dem Gericht zum Nachweis ihres Vorbringens, ihr sei von der ZUS Opole eine Rente nach ihrem verstorbenen Ehemann verweigert worden, Kopien der Bescheide/Schreiben des polnischen Versicherungsträgers zu übersenden, hat die Klägerin trotz Erinnerung nicht erfüllt.

Ihrem Vorbringen ist der Antrag zu entnehmen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2003 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes GL zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag dem Senat vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihr steht ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres 2003 verstorbenen Ehemannes G L gegen die Beklagte nicht zu.

Die Klägerin erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 46 SGB VI, wonach Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, wenn er die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf kleine Witwenrente (Abs. 1) und, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen, auf große Witwenrente (Abs. 2) haben.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist jedoch bislang nach Artikel 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (Abk. Polen RV/UV) vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 396) ausgeschlossen. Nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens werden Renten der Rentenversicherung vom Versicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt, nach den für diesen Träger geltenden Vorschriften gewährt. Da die Klägerin ihren Wohnsitz, wie sie mehrfach angegeben hat, seit dem Tode des Versicherten durchgehend in Polen hatte, kann sie eine Rente nur von dem polnischen Versicherungsträger nach polnischem Recht beanspruchen. Dem steht nicht entgegen, dass der Versicherte die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und (nur) deutsche Versicherungszeiten zurückgelegt hatte sowie dass er selbst bis zu seinem Tode eine Versichertenrente von der Beklagten bezogen hat. Nach Art. 4 Abs. 2 Abk. Polen RV/UV berücksichtigt der polnische Versicherungsträger bei der Feststellung der Rente als verpflichteter Träger des Wohnsitzstaates die von dem Versicherten in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten so, als ob sie in Polen zurückgelegt worden wären. Das bedeutet, dass während der Dauer des Wohnsitzes der Klägerin in Polen ein Rentenanspruch aus den deutschen Versicherungszeiten ausschließlich gegen den polnischen Träger bestehen kann; ein deutscher Träger ist in Bezug auf diese Zeiten nicht passiv sachlegitimiert. Diese von dem Grundsatz, dass für die Zahlung von Rentenleistungen der Versicherungsträger desjenigen Staates zuständig ist, in dessen Bereich der Berechtigte seinen Wohnsitz hat (Eingliederungsprinzip), geprägten Regelungen, die von anderen zwischen- und überstaatlichen Bestimmungen abweichen, beispielsweise von Artikel 46 EWG-Verordnung 1408/71, der vorsieht, dass jeder Vertragsstaat aus den von ihm zurückgelegten Versicherungszeiten Leistungen entsprechend seinem Anteil erbringt, hält nach

der Rechtsprechung des Bundessozialgericht einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1985 - 4 a RJ 71/84 -).

Die am 1. Mai 1976 in Kraft getretenen (vgl. BGBl. II S. 463) Bestimmungen des Abk. Polen RV/UV finden, wovon die Beklagte und das Sozialgericht zutreffend ausgegangen sind, auf den hier streitigen Rentenanspruch der Klägerin Anwendung, obwohl inzwischen das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (Abk. Polen Soz Sich) vom 8. Dezember 1990 (BGBl. 1991 II S. 743) wirksam geworden ist. Nach Art. 27 Abs. 1 Abk. Polen Soz Sich gilt dieses Abkommen im Bereich der Renten- und Unfallversicherung für alle Ansprüche aus Versicherungszeiten, die nach dem 31. Dezember 1990 im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zurückgelegt werden oder eintreten. Es gilt weiterhin für die Ansprüche der Personen, die nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnsitz in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates verlegen, dort erneut begründen oder in einem Drittstaat haben. Nach Art. 27 Abs. 2 Abk. Polen Soz Sich werden die vor dem 1. Januar 1991 aufgrund des Abk. Polen RV/UV von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche durch das neue Abkommen nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaates beibehalten.

Da der Versicherte nach dem 31. Dezember 1990 keine Versicherungszeiten in Deutschland zurückgelegt hatte und die Klägerin sowohl vor als auch nach diesem Tag ihren Wohnsitz ausschließlich in Polen hatte, gilt für sie – anders als für den Versicherten, bei dem davon ausgegangen wurde, dass er sich erst seit 1993 in Polen aufgehalten und bis dahin seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hatte – das Abk. Polen RV/UV, dessen Art. 4, wie dargelegt wurde, einen Rentenanspruch der Klägerin gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger während der Dauer ihres Aufenthalts in Polen ausschließt.

Durch den Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) ist eine Änderung der Rechtslage nicht eingetreten. Zwar sind mit dem Wirksamwerden des Beitritts Polens zur EU die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 der EWG auch im Verhältnis zu Polen anzuwenden. Nach Art. 6 der EWG-Verordnung 1408/71 treten grundsätzlich die Regelungen des Gemeinschaftsrechts an die Stelle der Abkommen über soziale Sicherheit. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung bleiben aber die in Anlage III aufgeführten Bestimmungen der Abkommen über soziale Sicherheit anwendbar. Unter Nr. 84 a der Anl. III der EWG-Verordnung 1408/71 ist das

"Abkommen vom 9. Oktober 1975 über Renten- und Unfallversicherung, unter den in Art. 27 Absätze 2 bis 4 des Abkommens vom 8. Dezember 1990 über soziale Sicherheit festgelegten Bedingungen"

als gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. c weiterhin geltende Bestimmung aus Abkommen über soziale Sicherheit aufgeführt.

Hieraus folgt, dass der nach Art. 27 Abs. 2 Abk. Polen Soz Sich trotz des Inkrafttretens dieses Abkommens hier weiter geltende Art. 4 Abk. Polen RV/UV auch nach dem Beitritt Polens zur EU Anwendung findet. Diese Regelung schließt einen Rentenanspruch der Klägerin gegen die Beklagte, solange sie ihren Wohnsitz in Polen beibehält, auch weiterhin aus.

Die Berufung der Klägerin konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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