L 6 B 1604/05 R ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 3012/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 B 1604/05 R ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2005 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Berlin am 20. Juni 2005 unter dem Aktenzeichen S 19 R 3012/05 ER erhobenen Klage angeordnet. Die seit August 2005 einbehaltenen monatlichen Rententeilbeträge in Höhe von 300 Euro sind an den Antragsteller auszukehren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt R wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Anders als das Sozialgericht (SG) geht der Senat davon aus, dass das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers – so wie von seinen Prozessbevollmächtigten auch ausdrücklich formuliert – als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Beschlussformel genannten Klage zu verstehen ist (§ 86 b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), der nicht schon kraft Gesetzes diese Wirkung zukommt (§ 86 a Abs 2 Nr 3 SGG). Dabei ist der Senat einerseits der Auffassung, dass es sich bei der im Bescheid vom 24. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. April 2005 ausgesprochenen Verrechnung im Sinne des § 52 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB I) nicht lediglich um die rechtsgeschäftliche Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts handelt (so aber der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 RSozR 4-1200 § 52 Nr 1 Seite 2, dem folgend das SG im angefochtenen Beschluss), sondern sich diese Verrechnung in Form eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) vollzieht (so BSG SozR 1200 § 54 Nr 13 Seite 38 mwN; ebenso die überwiegende Meinung in der sozialrechtlichen Literatur, Nachw in BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 5 RJ 18/03 RSozR 4-1200 § 52 Nr 2 Seite 12, dort offen gelassen). Zum anderen ist der Senat der Auffassung, dass durch die Verrechnung zwar nicht in das Rentenstammrecht eingegriffen worden ist, sie aber dieselbe Wirkung wie ein Eingriff hat, weswegen sie als teilweise Entziehung einer laufenden Rentenleistung durch Verwaltungsakt anzusehen ist (so bereits Landessozialgericht (LSG) Berlin Beschluss vom 17. Mai 2000 – L 8 B 74/99 RA ER, vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl, Seite 172). Dieser Rechtsstandpunkt ist im Übrigen offenbar auch von der Antragsgegnerin eingenommen worden, denn anders lässt es sich nicht erklären, dass die Beklagte während der Dauer des Widerspruchsverfahrens die in § 86 a Absatz 1 Satz 1 SGG angeordnete aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beachtet und erst ab August 2005 die Verrechnung vorgenommen hat. Dagegen hat sie die bis zur Einlegung des Widerspruchs einbehaltenen Rentenbeträge wieder ausgekehrt und ab Einlegung des Widerspruchs die Verrechnung nicht mehr vollzogen.

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Maßstab der Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGG ist eine umfassende Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes. Ist der Verwaltungsakt bereits nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig, kann schlechterdings ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehbarkeit nicht bestehen, so dass das Aufschubinteresse Vorrang hat. So liegt hier der Fall.

Die Rechtswidrigkeit der Verrechnung folgt daraus, dass die von der Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller erhobene Beitragsforderung nicht mit Bescheid ihm gegenüber festgesetzt worden ist.

Es kann dahinstehen, ob dem 4. Senat des BSG (aaO Seite 6 f) darin zu folgen ist, dass die Forderung der um Verrechnung ersuchende Stelle - hier also der Beigeladenen – in jedem Falle bestands- oder rechtskräftig festgestellt sein muss. Diese Auffassung begegnet zumindest bei den hier in Rede stehenden Beitragsansprüchen sowie den hierauf entfallenden Nebenkosten (also auch Säumniszuschlägen) Bedenken, bei denen Widerspruch- und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 86 a Abs 2 Nr 1 SGG).

Jedenfalls kann der Antragsteller nur dann wegen Beitragsschulden samt Säumniszuschlägen der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) G S (im Folgenden GS OHG) in Anspruch genommen werden, wenn eine solche Forderung gegen die GS OHG besteht, er dafür nach § 128 Satz 1 Handelsgesetzbuch als deren Gesellschafter haftet und ihm hierüber ein (Haftungs-) Bescheid erteilt worden ist (vgl zu Letzterem BSG SozR 3-2400 § 28 e Nr 2, Engelhardt/App, VwVG-VwZG, 6. Aufl, § 2 VwVG Anm 3 mwN; ausführlich Wochner, Verwirklichung der Haftung eines OHG-Gesellschafters bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten, BB 1980, Seite 1757 f).

An einem entsprechenden, den Durchgriff auf den Antragsteller erlaubenden Bescheid fehlt es hier.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob die GS OHG Beitragsnachweise, die für die Vollstreckung als Leistungsbescheide der Einzugstelle, hier also der Beigeladenen, gelten (§ 28 f Abs 3 Satz 5 Viertes Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV)), abgegeben hat. Denn für einen Durchgriff auf den Haftenden ist ein solcher Bescheid weder notwendig noch ausreichend. Vielmehr bedarf es - wie bereits ausgeführt - eines (Haftungs-)Bescheides mit dem Antragsteller als Adressaten, der hier gerade fehlt.

Soweit die Beigeladene und ihr folgend auch die Antragsgegnerin und das SG die Auffassung vertreten haben, die Mahnung vom 23. Februar 1984 stelle einen solchen Bescheid dar, kann der Senat dem nicht folgen. Eine Mahnung nach Art 23 Abs 1 Nr 3 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz idF vom 11. November 1970 (GVBl 1971 Seite 1) geändert durch Gesetz vom 10. August 1982 ((GVBl Seite 682) im Folgenden: BayVwZVG), das nach § 66 Abs 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) auf die Vollstreckungstätigkeit der Beigeladenen Anwendung fand, ist eine nach Erlass eines Leistungsbescheides ergehende nochmalige Erinnerung des Schuldners an die Begleichung der noch offenen, im Verwaltungswege vollstreckbaren Forderung, verbunden mit dem Hinweis, dass der Schuldner nach Ablauf der gesetzten Frist mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse (vgl App, Verwaltungsvollstreckungsrecht, 2. Aufl, Seite 129). Sie ist lediglich Vollstreckungsvoraussetzung für die spätere Vollstreckungsanordnung und die anschließende Vollstreckungsmaßnahme, die nur in den in Art 23 Abs 2 BayVwZVG geregelten Fällen verzichtbar ist. Sie ist mithin keine Regelung durch Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X des Inhalts, dass über eine Forderung mit unmittelbarer Rechtswirkung entschieden worden wäre (vgl Engelhardt/App, aaO, § 3 VwVG Anm 5). Vielmehr handelt es sich dabei nur um eine nicht selbständig vollstreckbare Verfahrenshandlung, die den Erlass der späteren Vollstreckungsanordnung und Vollstreckungsmaßnahme vorbereitet. Gegen das Vorliegen einer Regelungsabsicht spricht neben dem Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung auch, dass die Beigeladene ausweislich des auf dem (aus dem Jahre 1982 stammenden) Formular aufgedruckten Hinweises davon ausging, bereits die Zahlungsaufforderung unterbreche die Verjährung, sie also der Auffassung war, es sei nicht erforderlich, einen Verwaltungsakt zu erlassen, um die Verjährungsunterbrechung nach § 52 Abs 1 SGB X herbeizuführen. § 25 Abs 2 Satz 2 SGB IV idF vom 23. Dezember 1976, wonach die Verjährung "auch durch schriftliche Zahlungsaufforderung des Versicherungsträgers" unterbrochen wurde, ist aber bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1982 durch Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) gestrichen worden.

Der gesonderte Ausspruch bezüglich der Auskehrung der bereits einbehaltenen Rententeilbeträge findet seine Grundlage in dem in § 86 b Abs 1 Satz 2 SGG geregelten Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war unabhängig davon zurückzuweisen, dass der Antragsteller die hierfür nach § 73 a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs 4 Zivilprozessordnung erforderlichen Vordrucke nicht ausgefüllt eingereicht hat. Denn nachdem die Antragsgegnerin die dem Antragsteller entstandenen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu tragen hat, besteht kein Rechtsschutzinteresse mehr für die Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Diese Entscheidungen sind nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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