S 13 RA 3977/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 3977/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte / Zusatzversorgungsträger vom 20.4.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 22.6.2004 (Az. ) werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Zeit vom 1.9.1974 bis zum 30.6.1990 als solche der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz anzuerkennen und die tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zu dem System der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz durch den beklagten Versorgungsträger im Streit.

Der am 1.11.1948 geborene Kläger erhielt mit Urkunde vom 30.8.1974 der Technischen Universität Dresden den Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen.

Von 1967 bis 1970 leistete der Kläger Dienst bei der NVA, nach eigenen Angaben sei dies allein Wehrdienst gewesen.

Ab dem 1.9.1974 war der Kläger durchgehend bis zu einem Zeitpunkt nach dem 30.6.1990 bei dem Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung des VEB Bau- und Montagekombinat Kohle und Energie (im Folgenden auch nur Kombinatsbetrieb genannt) als Konstrukteur und Statiker beschäftigt. Im systematischen Betriebsregister der DDR wurde der Betrieb der Wirtschaftsgruppe 63350 (Bauprojektierung) zugeordnet.

Nach der Umwandlungserklärung vom 31.5.1990 wurde der Beschäftigungsbetrieb des Klägers in die Industrieprojektierung Berlin GmbH (Ipro) umgewandelt. Die GmbH wurde am 25.6.1990 in das Register beim Staatlichen Vertragsgericht eingetragen. Der Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung wurde am 12.7.1990 im Register der volkseigenen Wirtschaft gelöscht.

Eine Versorgungszusage hat der Kläger bis zum 30.6.1990 nicht erhalten.

Am 5.5.2003 beantragte der Kläger die Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Dem Antrag fügte der Kläger Auszüge aus Artikeln und Broschüren über den Kombinatsbetrieb bei. Mit Bescheid vom 20.4.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung kein von den Versorgungsbestimmungen der Zusatzversorgung der Altersversorgung der technischen Intelligenz erfasster Betrieb sei.

Mit seinem Widerspruch vom 27.4.2004 machte der Kläger geltend, dass es sich bei dem Kombinatsbetrieb um einen selbstständigen volkseigenen Betrieb gehandelt habe, der aus dem ehemaligen VEB Industrieprojektierung Berlin entstanden sei, einem Forschungsinstitut und Konstruktionsbüro für Industriebauten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.6.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei dem Kombinatsbetrieb habe es sich um einen Rationalisierungs- und Projektierungsbetrieb gehandelt. Nach § 2 der Anordnung über die Aufgaben, die Arbeitsweise und die Finanzierung der volkseigenen Betriebe für Rationalisierung, der volkseigenen Ingenieurbüros für Rationalisierung und der volkseigenen Organisations- und Rechenzentren der Wirtschaftsräte der Bezirke vom 29.03.1973 hätten solche Betriebe andere als Produktionsaufgaben gehabt.

Mit seiner am 6.7.2004 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehr weiter. Er trägt vor, andere Versicherte aus dem gleichen Betrieb hätten die Anerkennung erhalten. Zudem habe es sich bei dem Kombinat BMK Kohle und Energie um eine Vereinigung volkseigener Betriebe und bei dem Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung um ein Konstruktionsbüro gehandelt. Die Bezeichnung als Projektierungsbetrieb sei nicht entscheidend.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 20. April 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als eine solche der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz anzuerkennen und die tatsächlichen Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass der Kombinatsbetrieb durch die Eintragung der GmbH am 25.6.1990 erloschen sei.

Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen die Akte des Amtsgericht Charlottenburg (Registergericht) über die Grundbesitz Am Köllnischen Park GmbH, in der die Industrieprojektierung Berlin GmbH aufgegangen ist, zum Az. herangezogen und aus dieser Akte den Beteiligten u.a. die Umwandlungserklärung vom 31.5.1990, den Gründungsbericht vom selben Tag, den Gesellschaftsvertrag der GmbH, eine Stellungnahme der Mitarbeiter zur Umwandlung, einen Auszug aus dem Prüfbericht zur DM-Eröffnungsbilanz sowie Registerauszüge des Handelsregisters sowie des Registers der volkseigenen Wirtschaft der DDR übersandt.

Dem Gericht hat ferner der Artikel des Oberingenieurs W H "Leistungsentwicklung im Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung Berlin in den 40 Jahren seines Bestehens" aus dem Jahr 1989 vorgelegen.

Die Kammer hat durch den Vorsitzenden im Erörterungstermin am 2.5.2005 Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen Dipl-Ing. K-D D, einem der Geschäftsführer der Industrieprojektierung Berlin GmbH im Juni 1990, sowie Dipl.-Ing. H L, einem Ingenieur mit Leitungsfunktion in diesem Betrieb. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Kammer Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen Dipl.-Ing. J S, einem weiteren Geschäftsführer der GmbH. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahmen wird auf die jeweiligen Sitzungsprotokolle verwiesen.

Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass der Beschäftigungsbetrieb des Klägers Projektierungsverträge und damit keine Konstruktionsverträge abgeschlossen hat, die Herren Dr. U M und E B als Zeugen zu vernehmen.

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akte des Amtsgericht Charlottenburg zur Handelsregisternummer haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Auf den Inhalt der Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist vollumfänglich begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, sie waren daher aufzuheben. Er hat einen Anspruch auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (System nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG) und der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte nach der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage der §§ 5, 8 Abs. 2, 3 AAÜG für den gesamten streitigen Zeitraum, weil dieses Gesetz auf ihn anwendbar ist (sogleich 1) und er während der gesamten streitigen Zeit die Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz erfüllte (sogleich 2).

1.

Das AAÜG ist auf den Kläger anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz

"für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs. 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) erworben worden sind."

Nach § 1 Abs. Abs. 1 Satz 2 AAÜG kommt es dabei nicht darauf an, ob die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vorsahen. Ein solcher Verlust gilt als nicht eingetreten.

Ein Anspruch auf Versorgung, d.h. auf die Gewährung einer Leistung nach Eintritt des Versorgungsfalls, bestand bei dem Kläger zum entscheidenden Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1.8.1991 nicht.

Es bestand jedoch eine Versorgungsanwartschaft.

Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des AAÜG liegt nach dem Wortlaut des Gesetzes, den Bestimmungen des Einigungsvertrages und unter Berücksichtigung der durch das Grundgesetz gebotenen erweiternden Auslegung des AAÜG in den folgenden Fällen vor:

· Bei Vorliegen einer nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag wirksam gebliebenen Einzelfallentscheidung über die Einbeziehung in ein System der Zusatz- oder Sonderversorgung. Dies konnte durch Versorgungszusage oder auch in Form eines Vertrages geschehen. Der Wegfall oder die Aufhebung einer Versorgungszusage ist nicht zu berücksichtigen, wenn die aufhebende Entscheidung nach Art. 19 Satz 2, 3 Einigungsvertrag unbeachtlich geworden ist. · Bei Vorliegen einer individuellen Rehabilitierungsentscheidung nach Art. 17 des Einigungsvertrages und dem diese Vorschrift umsetzenden Gesetz über die berufliche Rehabilitierung. Voraussetzung für das Bestehen einer Versorgungsanwartschaft ist insoweit, dass die Rehabilitierungsentscheidung eine entsprechende Einbeziehung in ein Versorgungssystem vorsieht. · Bei Bestehen eines obligatorischen Anspruchs auf Einbeziehung in ein Versorgungssystem nach dem Maßstab des Bundesrechts und der am 30.6.1990 gegebenen Sachlage. Voraussetzung dieser Form der im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten (fiktiven) Versorgungsanwartschaft ist nach der ständigen Rechtsprechung des für diese Rechtsfragen allein zuständigen vierten Senats des Bundessozialgerichts (vgl. nur Urteile vom 9.4.2002 – Az. B 4 RA 31/01 R; B 4 RA 34/01 R; Urteil vom 29.7.2004 – Az. B 4 RA 12/04 R), dass die Voraussetzungen für eine Einbeziehung vorlagen und nach den Bedingungen der Versorgungssysteme insoweit kein Spielraum für eine Ermessensentscheidung bestand (sog. gebundener Anspruch). Diese erweiternde Auslegung stützt sich auf eine Gesamtschau des § 1 Abs. 1 AAÜG und vermeidet eine widersprüchliche Behandlung der Fälle der aus einem Versorgungssystem ausgeschiedenen Versorgungsberechtigten und derjenigen, denen die Einbeziehung willkürlich vorenthalten worden ist (Vgl. BSG, Urteil vom 9.4.2002 – Az. B 4 RA 41/01 R).

Beim Kläger lagen jedenfalls am 30.6.1990 die Voraussetzungen für eine obligatorische Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz vor. Die Kammer musste daher nicht aufklären, ob aufgrund der vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung angegebenen Militärdienstzeit eine Anwartschaft im Sonderversorgungssystem der Angehörigen der Nationalen Volksarmee (System Nr. 1 der Anlage 2 des AAÜG) bestand und das AAÜG auch aus diesem Grund auf den Kläger anwendbar ist.

Durch die Verordnung der Regierung der DDR vom 17.8.1950 (GBl. I Nr. 93 S 844) wurde das System der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz geschaffen, das nach § 1 der Verordnung für alle Angehörigen der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben eine über die Sozialpflichtversicherung hinausgehende Versorgungsversicherung eingeführt hat. Die genauere Ausgestaltung des in die Versorgung einbezogenen Personenkreises ergibt sich aus der zweiten Durchführungsbestimmung zu der vorgenannten Verordnung vom 24. Mai 1951 (Gbl. Nr. 62 S. 487 – im Folgenden 2. DB). Unter Berücksichtigung der Systematik dieser Durchführungsbestimmungen setzt ein bindender Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (etwa BSG, Urteil vom 9. April 2002 – Az. B 4 RA 41/01 R; Urteil vom 29. Juli 2004 – Az. B 4 RA 12/04 R), der sich die Kammer anschließt, voraus, dass

· die Befugnis vorlag, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" oder eine andere der in § 1 Abs. 1 S. 2 der 2. DB genannten Bezeichnungen zu führen (persönliche Voraussetzung),

· die der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt worden ist, also bei einem Ingenieur eine ingenieurtechnische Tätigkeit vorlag, (sachliche Voraussetzung) und

· die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb, einem Betrieb des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt wurde (betriebliche Voraussetzung).

Diese Voraussetzungen lagen am 30.6.1990 beim Kläger vor.

a)

Die persönliche Voraussetzung lag beim Kläger ab dem 30.8.1974 und somit auch am 30.6.1990 vor.

Der Kläger hatte die Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur im Sinne der 2. DB. Diese Befugnis ergab sich in der DDR aus der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12.4.1962 (GBl. II Nr. 29 S. 287). Hiernach waren zur Führung der Berufsbezeichnung insbesondere Personen befugt, denen der Grad eines Diplomingenieurs von einer Universität oder Hochschule verliehen worden ist. Dies war beim Kläger ausweislich der Diplomurkunde der Technischen Universität Dresden vom 30.8.1974 der Fall.

b)

Die sachliche Voraussetzung lag ebenfalls am 30.6.1990 vor.

Zwar sind die Anforderungen an eine ingenieurtechnische Tätigkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, eine Tätigkeit als Statiker ist jedoch – auch nach Auffassung der Beklagten – eine rein technische Tätigkeit, die offenkundig zum Berufsbild eines Diplomingenieurs gehört. Dass der Kläger tatsächlich als Statiker tätig war, steht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 SGG) nicht nur aufgrund des unbestrittenen Vortrags der Klägers, sondern auch aufgrund der Aussage des Zeugen S fest. Dieser gab an, der Kläger sei mit der Durchführung statischer Berechnungen befasst gewesen.

c)

Auch die betriebliche Voraussetzung lag am 30.6.1990 vor.

Der Kläger war am 30.6.1990 allerdings nicht bei einem Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt. Erfasst sind insoweit von der 2. DB nur volkseigene Betriebe dieser Produktionsbereiche. Die "volkseigenen Produktionsbetriebe" wurden gerade den "volkseigenen Betrieben" sowie den Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und den anderen wirtschaftsleitenden Organen in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft (zB Handel, Dienstleistungen, Landwirtschaft etc.) wegen ihres Aufgabenschwerpunktes der industriellen Produktion oder der Erstellung von Bauwerken gegenübergestellt (zuletzt § 41 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8.11.1979 – GBl. I S. 355). Dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers fehlte am 30.6.1990 die Rechtsform eines volkseigenen Betriebes oder Kombinatsbetriebes. Ursprünglich war der Kläger beim Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung beschäftigt. Dieser wurde jedoch durch die am 31.5.1990 vor dem Notar T K abgegebene Umwandlungserklärung nach der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 1.3.1990 (UmwandlungsVO GBl. I Nr. 14 S. 107) in die Industrieprojektierung Berlin GmbH umgewandelt. Nach § 7 der UmwandlungsVO wurde die Umwandlung mit der Eintragung der GmbH in das Register beim staatlichen Vertragsgericht wirksam. Zu diesem Zeitpunkt wurde die GmbH Rechtsnachfolger des früheren Unternehmens, das ebenfalls zu diesem Zeitpunkt erlosch. Die Industrieprojektierung Berlin GmbH wurde am 25.6.1990 erstmals eingetragen. Somit war der Kombinatsbetrieb erloschen und Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30.6.1990 die GmbH.

Die Industrieprojektierung Berlin GmbH war jedoch am 30.6.1990 ein den Produktionsbetrieben nach § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestelltes Konstruktionsbüro. Höchstrichterliche Sachentscheidungen zu einer positiven Definition des Begriffs des Konstruktionsbüros im Sinne der 2. DB liegen soweit erkennbar noch nicht vor. Nach Auffassung der Kammer ist jeder Betrieb als Konstruktionsbüro im Sinne der 2. DB anzusehen, der die folgenden Voraussetzungen erfüllt:

· Es muss sich um einen rechtlich selbstständigen Betrieb handeln, wobei es auf eine bestimmte Rechtsform nicht ankommt.

· Gegenstand des Betriebs muss jedenfalls auch die technische Gestaltung von Produktionserzeugnissen, insbesondere durch Anfertigung technischer Entwurfszeichnungen, sein.

· Diese technische Gestaltungstätigkeit muss den prägenden Betriebszweck darstellen.

Die Voraussetzung, dass es sich um einen rechtlich selbstständigen Betrieb (juristische Person) handeln muss, ergibt sich aus der Gleichstellungsregelung in § 1 Abs. 2 2. DB und der amtlichen Bezeichnung der 2. DB, die volkseigene und die ihnen "gleichgestellten Betriebe" nennt. Zwar fielen unter den Begriff des Konstruktionsbüros in der DDR auch die sogenannten betrieblichen Konstruktionsbüros, d.h. Abteilungen innerhalb größerer Betriebe (vgl. Lexikon der Ökonomie, 3. Auflage – siehe sogleich), insoweit erfährt der allgemein verwandte Begriff jedoch eine Eingrenzung durch die 2. DB. Erfasst sind daher nur die selbstständigen Konstruktionsbüros. Aus der Formulierung der Bezeichnung der Durchführungsbestimmung ergibt sich zugleich, dass die gleichgestellten Betriebe nicht zugleich volkseigene Betriebe sein müssen. Die Gleichstellung ist vielmehr von einer bestimmten Rechtsform unabhängig.

Die Anforderungen an die Tätigkeit eines Konstruktionsbüros ergeben sich aus der sprachlichen Bedeutung des Begriffs selbst und aus dem Sprachgebrauch in der ehemaligen DDR, weil das Recht der DDR diesen Begriff nicht definiert (vgl. Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8.9.2004 – Az.: L 4 RA 45/03). Dabei legt die Kammer die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugrunde, wonach allein die Texte der Versorgungsordnungen und der Durchführungsbestimmungen zu berücksichtigen sind und eine Auslegung unzulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 9.4.2002 – Az.: B 4 RA 41/01 R). Diese Rechtsprechung ist so zu verstehen, dass es allein auf den Kernbereich des Wortlauts der Regelungen ankommt. Zwar zählt auch die Ermittlung der Bedeutung des Wortlauts zur Auslegung, hierauf nimmt das Bundessozialgericht jedoch nicht Bezug. Ausgeschlossen ist allein die Anwendung der Grundsätze der Normauslegung jenseits des eindeutigen (soweit vorhanden: staatlichen) Sprachverständnisses des Wortlauts. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass nur Betriebe, deren Namen das Wort "Konstruktionsbüro" enthalten als solche anzusehen sind. Auch das allgemeine Sprachverständnis beschränkt sich zur Einordnung von Betrieben in bestimmte begriffliche Kategorien nicht auf die dem Betrieb gegebene Bezeichnung. Eine entsprechende Namensgebung mag zwar eine eindeutige Zuordnung ermöglichen (so Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8.9.2004 – Az.: L 4 RA 45/03), ihr Fehlen schließt die Zuordnung jedoch nicht aus. Entscheidend ist daher das Sprachverständnis des Begriffs Konstruktionsbüro. Im Lexikon der Ökonomie (der DDR), 3. Auflage, Band 2, Seite 252 sind Konstruktionsbüros u.a. wie folgt definiert:

Abteilung oder Einrichtung eines Betriebs bzw. eines Kombinates mit der Aufgabe, im Prozeß der Vorbereitung der Produktion die Erzeugnisse zu gestalten, die Konstruktionszeichnungen anzufertigen, die Stücklisten aufzustellen und die Funktion des Erzeugnisses zu erproben ... Sie müssen die Ergebnisse der Grundlagenforschung nutzen und eng mit der technologischen Abteilung des Betriebes zusammenarbeiten ... Neben den betrieblichen Konstruktionsbüros gibt es in der DDR zentrale Entwicklungs- und Konstruktionsbüros bei den Kombinaten und wissenschaftlich-technischen Zentren.

Dem liegt auch der heute noch so verstandene Konstruktionsbegriff zugrunde, wonach (technische) Konstruktion der Vorgang der technischen Gestaltung ist. Im Baubereich ist der Vorgang der Konstruktion daher der architektonische und bautechnische Entwurfsprozess (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 2004 – Az.: L 4 RA 178/03 ZV). Hingegen gehört die ökonomische und organisatorische Planung der Baudurchführung zum Bereich der Projektierung, die von der Konstruktion abzugrenzen ist.

Der Einordnung als Konstruktionsbüro steht im Einzelfall nicht entgegen, dass der Betrieb auch andere Tätigkeiten ausgeübt hat. Entscheidend ist insoweit, welche Tätigkeit sich als prägend darstellt. Mit dem allgemeinen Sprachverständnis ist die Annahme nicht zu vereinbaren, dass ein Betrieb seine kategorische Einordnung bereits durch zusätzliche Ausübung einer weiteren, aber in der Bedeutung untergeordneten, Tätigkeit verliert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Produktionsbetrieben liegt bei Betrieben, die mehrere Aufgaben wahrnehmen, industrielle Produktion nur vor, wenn diese Tätigkeit dem Betrieb das Gepräge gegeben hat (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - Az: B 4 RA 18/03 R). Dieses Kriterium ist auf Konstruktionsbetriebe mit zusätzlichen Aufgaben nach Auffassung der Kammer zu übertragen. Entscheidend ist dabei – nach der Kammerrechtsprechung zu Produktionsbetrieben – in erster Linie der Schwerpunkt der tatsächlichen Tätigkeit des Betriebs, Unterlagen über die Aufgaben des Betriebs wie z.B. Registerauszüge und Statuten sind hingegen nur weitere Indizien.

Die so definierten Voraussetzungen wurden von der Industrieprojektierung Berlin GmbH am 30.6.1990 erfüllt.

Der Betrieb war eine juristische Person in Form der GmbH, d.h. rechtlich selbstständig.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Betrieb auch im Jahr 1990 die technische Entwicklung von Bauwerken zum Gegenstand gehabt. Nachdem in der Zeit davor der Kombinatsbetrieb sich vornehmlich mit Kraftwerksbauten befasst hatte, traten ab 1990 auch Gesellschaftsbauten hinzu. Dabei war es Aufgabe des Betriebes, Konstruktionszeichnungen anzufertigen, statische Berechnungen durchzuführen und teilweise auch die Umsetzung der Entwürfe zu überwachen, wenn die hierfür eigentlich zuständigen Baubetriebe Unterstützung benötigten. Die bautechnischen Planungen erfolgten in den Bereichen Architektur, Tragwerksplanung und technische Gebäudeausstattung. Neben der Erstellung der technischen Entwurfszeichnungen nach den Vorgaben der Auftraggeber wurde auch ein Gesamtpreis für das Projekt auf Grundlage der feststehenden Stücklisten ermittelt. Mit dem letzten Aufgabenbereich waren maximal fünfzehn Prozent der Mitarbeiter des Betriebs befasst. Der Rest der Mitarbeiter war im bautechnischen Bereich sowie mit der Zuarbeit, z.B. in Sekretariaten, beschäftigt.

Diese Überzeugung stützt die Kammer im Wege der Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz) auf die Aussagen der glaubwürdigen Zeugen D, L und S sowie ergänzend auf die beigezogenen Unterlagen über den Betrieb.

Die Feststellungen zur Tätigkeit des Betriebes im bautechnischen Bereich beruhen auf den insoweit weitestgehend übereinstimmenden und glaubhaften Aussagen der Zeugen. Die bautechnische Tätigkeit des Gesamtbetriebes wurde von den Zeugen D und S übereinstimmend beschrieben. Der Zeuge L bestätigte dies ebenfalls, konnte jedoch zu den Einzelheiten der Tätigkeit außerhalb seiner Abteilung keine Angaben machen. Bestätigt werden die Angaben der Zeugen durch die vorliegenden Unterlagen. So nennt der Gesellschaftsvertrag vom 31.5.1990 als Gegenstand des Unternehmens

die Erstellung von und der Handel mit Planungs- und ingenieurtechnischen Leistungen sowie die Erbringung von Beratungsleistungen für Industrie- und Gesellschaftsbauten sowie Verkehrsanlagen.

Eine entsprechende Angabe zum Unternehmensgegenstand findet sich im Prüfungsbericht zur DM-Eröffnungsbilanz auf Seite 5. Den Feststellungen steht nicht entgegen, dass der Betrieb im Namen den Begriff "Projektierung" führte. Insbesondere aus dem Gründungsbericht der GmbH ergibt sich, dass der Begriff – bereits während der Zeit des Kombinatsbetriebs – entgegen der sonstigen Verwendung in der DDR nur im Sinne einer bautechnischen Projektierung verstanden worden ist. Dies wird auch belegt durch den von der Kammer herangezogenen Artikel des Oberingenieurs W H, "Leistungsentwicklung im Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung Berlin in den 40 Jahren seines Bestehens", dort Seite 5. Dass der Betrieb im Betriebsregister der DDR dennoch der Wirtschaftsgruppe 63350 (Bauprojektierung) zugeordnet war steht dem nicht entscheidend entgegen. Es handelt sich insoweit allenfalls um ein nachrangiges Indiz für eine Tätigkeit jenseits des Konstruktionsbereichs, das vorliegend jedoch durch die Beweisaufnahme widerlegt ist.

Die Feststellungen zum Umfang der Kostenberechnung beruhen ebenfalls auf den Angaben der Zeugen. Die Zeugen gaben übereinstimmend an, dass nur ein sehr geringer Anteil von Mitarbeitern in diesem eher ökonomisch ausgerichteten Bereich tätig war. Die Kammer hält die Angaben im Kern für zutreffend, auch wenn im Einzelnen Widersprüche hinsichtlich der Anzahl der Mitarbeiter insgesamt im Unternehmen bestehen. So ging der Zeuge D von 300 Mitarbeitern insgesamt bei ca. 30 bis 40 im Bereich der Verpreisung aus. Der Zeuge L konnte nur angeben, dass in seiner Abteilung zehn Prozent der Mitarbeiter mit solchen Aufgaben befasst waren. Der Zeuge S gab an, dass ca. 15 bis 20 Mitarbeiter mit der Kostenplanung befasst waren. Vor der Wende habe der Betrieb 650 bis 700 Mitarbeiter gehabt, später circa 400. Nach Seite 4 des Gründungsberichts der GmbH hatte der Kombinatsbetrieb Ende 1989 618 Mitarbeiter. Für 1990 war eine Anzahl von 630 Mitarbeitern geplant. Trotz dieser nicht vollständig identischen Angaben im Detail, die sich mit dem zeitlichen Abstand und den umwälzenden Veränderungen im Jahr 1990 erklären lassen, hat die Kammer keine Zweifel am übereinstimmenden Kerninhalt der Aussagen, nämlich einem Anteil von Mitarbeitern, die außerhalb des Bereichs des bautechnischen Entwurfs beschäftigt waren, von nicht mehr als fünfzehn Prozent.

Die Verteilung der Mitarbeiter auf verschiedene Tätigkeitsbereiche und Gliederungen ist ein wesentliches Indiz für den prägenden Betriebszweck. Es ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Mitarbeiterschaft in dem Bereich tätig ist, der dem Betrieb das Gepräge gibt.

Nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen war der weit überwiegende Teil der Mitarbeiter der Industrieprojektierung Berlin GmbH mit der Erstellung von bautechnischen Entwürfen und der Anfertigung der entsprechenden Konstruktionszeichnungen befasst. Der Betrieb war daher ein Konstruktionsbüro im Sinne der 2. DB.

Dem formgerechten Beweisantrag der Beklagten zum Beweis der Tatsache, dass der Betrieb so genannte Projektierungsverträge geschlossen habe, musste die Kammer nicht nachkommen. Die unter Beweis gestellte Tatsache ist selbst bei Unterstellung ihrer Wahrheit nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Die bloße Bezeichnung der von dem Betrieb abgeschlossenen Verträge kommt gegenüber der festgestellten tatsächlichen Tätigkeit keine eigenständige Bedeutung zu. Soweit – worauf die Beklagte wohl abstellt – der Betrieb sich zur Durchführung ökonomischer Planung vertraglich verpflichtet haben sollte, so wäre dies ebenfalls nicht erheblich, weil tatsächlich solche Projektierungsleistungen nicht erbracht wurden.

2.

Die wesentliche Voraussetzung für die begehrte Feststellung nach § 5 AAÜG, nämlich die Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz, war beim Kläger im Zeitraum vom 1.9.1974 bis 30.6.1990 gegeben. Tatsächlicher Anhaltspunkt ist hierfür das (durchgehende) Vorliegen der bereits aufgezeigten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem.

Die persönliche und sachliche Voraussetzung lagen ab dem Erwerb des Grads eines Diplomingenieurs durch den Kläger am 30.8.1974 bis zum 30.6.1990 vor, der Kläger war durchgehend als Konstrukteur bzw. Statiker beschäftigt.

Auch die betriebliche Voraussetzung lag für die gesamte Beschäftigungszeit des Klägers beim Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung vor. Aufgrund der Aussagen der Zeugen S und L steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich die Tätigkeit des Betriebs hinsichtlich der Entwurfstätigkeit nicht verändert hat, mithin die für Juni 1990 getroffenen Feststellungen auch für den Zeitraum ab dem 1.9.1974 gelten. Nach der Aussage des Zeugen S bestanden vor 1990 allerdings noch zwei weitere Tätigkeitsbereiche. Bis 1989 führte der Betrieb auch Entwicklungsaufgaben zu Produktionsmethoden bei der Baurealisierung durch. Dies ergibt sich auch aus dem Gründungsbericht und dem Artikel des Oberingenieurs H. In diesem Bereich waren ca. 40 Mitarbeiter tätig. Zudem bestand eine Baustellenplanungsabteilung mit ca. 15 Mitarbeitern. Die Kammer lässt es offen, ob die Baustellenplanung dem Konstruktionsbereich zugerechnet werden kann. Angesichts der Gesamtanzahl der Mitarbeiter sind die Bereiche Baustellenplanung, Kostenplanung (Verpreisung) und Entwicklung auch zusammengenommen nicht in der Lage, dem Betrieb das Gepräge durch die Konstruktionstätigkeit zu nehmen. Nach den Angaben im Gründungsbericht der GmbH hatte der Kombinatsbetrieb 1989 618 und 1988 516 Mitarbeiter. Nach den Aussagen der Zeugen L und S hatte der Betrieb in der davor liegenden Zeit 650 bis 700 Mitarbeiter, von denen nach den Angaben aller Zeugen maximal 75 außerhalb des Entwurfsbereich tätig gewesen sind, nämlich ca. 40 Entwicklungsmitarbeiter, 15 Mitarbeiter der Baustellenplanung und maximal 20 Mitarbeiter im Bereich der Verpreisung. Selbst bei Zugrundelegung der nach den verschiedenen Angaben minimalen Anzahl von Mitarbeitern insgesamt kann die Kammer eine Veränderung des prägenden Betriebszwecks ausschließen. Auch der Betriebszweck des Kombinatsbetriebs wurde somit im gesamten streitigen Zeitraum durch die Konstruktionstätigkeit geprägt. Der Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung des VEB Bau und Montagekombinat Kohle und Energie war ein Konstruktionsbüro im Sinne der 2. DB.

Nur ergänzend ist daher darauf hinzuweisen, dass die Entwicklungstätigkeit bis 1989 die Kriterien des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – Az.: B 4 RA 40/04 R) zur Tätigkeit eines Forschungsinstitutes im Sinne des § 1 Abs. 2 2. DB erfüllt. Ein Betrieb, der sich als Kombination mehrerer nach § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestellter Betriebe darstellt (hier: Konstruktionsbüro und Forschungsinstitut), muss nach Auffassung der Kammer auch insgesamt als gleichgestellter Betrieb behandelt werden, selbst wenn – anders als im vorliegenden Fall – kein einzelner Betriebszweck dem Gesamtbetrieb das Gepräge gibt.

Dem Klageantrag war daher in vollem Umfang zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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