L 5 R 498/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1113/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 498/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 5. Juli 2004 und des Bescheides vom 7. Mai 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1998 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger drei Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1948 geborene Kläger griechischer Staatsangehörigkeit war bis Oktober 1986 in seiner Heimat als Landwirt und in Deutschland zunächst als selbständiger Lebensmittelhändler tätig (Okober 1986 bis August 1987). Vom 04.09.1987 bis März 1995 war er als Arbeiter bei der P. beschäftigt. Seither bezieht er Versorgungsrente von der P. AG. Sein Versicherungsverlauf in Deutschland weist Beitragszeiten von September 1987 bis Juli 1995 auf; zum 25.07.1995 wurde der Krankengeldbezug ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 05.09.1994 wegen Erreichens der Höchstbezugsdauer eingestellt.

Nach einem ersten erfolglosen Rentenverfahren beantragte der Kläger am 29.01.1997 erneut die Gewährung von Rente. Bei der Untersuchung durch Dr.L. am 17.03.1997 wurde ein Zustand nach Hepatitis-B-Infektion ohne Hinweis für Prozessaktivität sowie ein medikamentös kompensierter Bluthochdruck festgestellt. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als P.arbeiter könne überhaupt nicht mehr, leichte Arbeiten hingegen könnten noch vollschichtig verrichtet werden. Dementsprechend wurde der Rentenantrag am 07.05.1997 abgelehnt.

Im Widerspruchsverfahren wurde der Kläger am 29.04.1998 durch Dr.S. unter Berücksichtigung eines nervenärztlichen Zusatzgutachtens des Dr.M. vom 23.04.1998 begutachtet. Es wurden psychovegetative Allgemeinstörungen ohne wesentliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens sowie arterieller Bluthochdruck ohne Umbauerscheinungen am Herzen, anfallsweise Tachykardien, wirbelsäulenabhängige Beschwerden bei Wirbelsäulenfehlhaltung und Abnützungserscheinungen und eine unkomplizierte Fettleber festgestellt. Leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht und ohne Akkord könne der Kläger noch vollschichtig verrichten. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch am 29.06.1998 zurück.

Gegen den am 01.07.1998 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 05.08.1998 Klage erhoben und geltend gemacht, es liege bereits bei geringster körperlicher Betätigung eine kardiale und pulmonale Leistungseinschränkung vor. Er befinde sich in ständiger ärztlicher Behandlung bei Dr.H ... Dieser hat am 22.10.1998 über einen Zustand nach Hepatitis, essenzielle arterielle Hypertonie, paroxysmale Tachykardien, toxisch-nutritive Hepatopathie, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie und Verdacht auf koronare Herzkrankheit berichtet. Das Sozialgericht hat eine internistische Untersuchung durch Dr.B. , Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses P. , veranlasst. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung am 01.02.1999 im Wesentlichen einen Bluthochdruck festgestellt, der offensichtlich gut therapeutisch einzustellen sei und bislang noch zu keinerlei Nachfolgeerkrankung geführt habe. Leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Zeitdruck und Schichtarbeit könne der Kläger noch vollschichtig verrichten.

Nach Vorlage eines Attestes des Neurologen Dr.C. über das Ergebnis einer Kernspintomographie des Schädels vom 31.05.1999 (Multiinfarktsyndrom und Polyneuropathie) hat das Sozialgericht einen neueren Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr.H. eingeholt. Dieser hat am 26.03.2000 angegeben, die Befunde hätten sich zwischenzeitlich erheblich verschlechtert. Insbesondere die dem Multiinfarktsyndrom zugehörigen Ausfälle wie Störung des Kurzzeitgedächtnisses, Konzentrations- und Merkstörungen hätten zugenommen und die Depression trete in häufigeren Schüben auf. Hierzu ist von der Ärztlichen Abteilung der Beklagten am 15.08.2000 ausgeführt worden, eine Verschlechterung auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sei anzunehmen. In einer ergänzenden Stellungnahme hat Dr.B. am 13.11.2000 dargelegt, es ergäben sich keine Hinweise dafür, dass im August 1997 bereits Symptome vorlagen, die man retrospektiv dem Multiinfarktsyndrom zuordnen müsste.

Im Auftrag des Gerichts hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. am 07.05.2001 ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten nach ambulanter Untersuchung vom 01.03.2001 erstellt. Er hat als Gesundheitsstörungen genannt: Nikotinabhängigkeit, Alkoholmissbrauch, psychovegetative Allgemeinstörung, soziale Anpassungsstörung und organopsychische Störungen mäßiggradigen Ausmaßes. Diese lägen seit Antragstellung vor. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung halb- bis untervollschichtig zu verrichten (sechs Stunden). Die Begründung liege in einer glaubhaften Polymyalgie und Polyarthralgie und in einer glaubhaften pseudodemenziellen bzw. demenziellen Leistungsverringerung mit mentaler Beeinträchtigung. Die zumutbaren Tätigkeiten seien bis zu maximal sechs Stunden täglich möglich, es bestehe keine ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf andere Tätigkeiten.

Demgegenüber hat Dr.B. , Facharzt für Psychiatrie, von Seiten der Beklagten die Leistungsbeurteilung für nicht nachvollziehbar erachtet. Es liege ein lückenhafter psychopathologischer Befund vor und es ergäben sich keine Hinweise auf ein relevantes Multiinfarktsyndrom. Die offensichtlichen Widersprüche zwischen subjektiver Beschwerdeschilderung und objektiven Befunden seien im Gutachten von Dr.B. nicht ausreichend kritisch gewürdigt worden. Dr.B. hat die Vorwürfe des Ärztlichen Dienstes in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.02.2002 zurückgewiesen.

Auf Antrag des Klägers hat Dr.S. am 25.04.2002 unter Berücksichtigung einer testpsychologischen Untersuchung in griechischer Sprache am 21.02.2003 ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten erstellt. Er hat einen generalisierten stenosierenden Gefäßprozess mit Befall des Gehirns und Herzkreislaufsystems wohl seit 1994 diagnostiziert und den Kläger nicht für fähig erachtet, Arbeit von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Von Seiten der Dr.D. , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, ist dagegen im Namen der Beklagten eingewandt worden, die subjektiven Klagen über Kopfschmerzen, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen seien mangels nicht geeigneter Testauswahl und psychopathologischen Befundes nicht zu belegen. Auch eine klinisch bedeutsame depressive Symptomatik oder Affektlabilität seien nicht festgestellt worden.

Im Auftrag des Gerichts hat Dr.Dr.W. , Neurologe und Psychiater, am 10.02.2004 nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 18.11.2003 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstellt. Er hat folgende wesentliche Gesundheitsstörungen genannt: - Restless-legs-Syndrom, - wirbelsäulenabhängige Beschwerden der Lendenwirbelsäule ohne Nervenwurzelreizerscheinungen - leichtgradige Polyneuropathie - depressive Pseudodemenz bei mittelgradiger bis schwerer depressiver Reaktion.

Gegenüber dem Gutachten Dr.B. , dem nach Sache und Ergebnis her gefolgt werde, sei keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands eingetreten. Die quantitativ verkürzte Leistungsbreite müsse seit der Vorbegutachtung Dr.B. angenommen werden. Davor seien keine entsprechenden Hinweise getroffen worden. Gegen die Festlegung der Leistungseinschränkung durch Dr.S. auf 1997 spreche die Arbeitsanamnese sowie der Umstand, dass eine beachtliche und belegte kognitive Erschwernis erstmals bei Dr.B. 2001 ausgeführt werde.

Dagegen ist von Seiten der Klägerbevollmächtigten ausgeführt worden, der Sachverständige habe Tests verfälscht, die falschen Tests durchgeführt, keinen Dolmetscher hinzugezogen, das Multiinfarktsyndrom zu Unrecht negiert und die Anhaltspunkte für die Leistungseinschränkungen vor 2001 in den Attesten der behandelnden Ärzte, Krankenhausentlassungsberichte und MDK-Gutachten negiert.

Zu den Einwänden der Klägerbevollmächtigten gegen seine Ausführungen hat Dr.Dr.W. am 03.06.2004 Stellung genommen. Dabei hat er hervorgehoben, dass die von Dr.S. angegebene Diagnose eines Morbus Binswanger eine außerordentliche Sonderstellung behaupte, die radiologisch, klinisch und testpsychologisch nicht getragen werde.

Die Beklagte ist dem Gutachten Dr.Dr.W. gefolgt und hat anerkannt, dass der Kläger seit 01.03.2001 nur noch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei- bis unter sechsstündig täglich verrichten kann. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 01.03.1996 bis 28.02.2001 keine Pflichtbeiträge vorlägen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.07.2004 abgewiesen. Im August 1997 sei das Leistungsvermögen des Klägers noch nicht nennenswert eingeschränkt gewesen, erst ab 01.03.2001. Dies ergebe sich aus den Gutachten der Dres. B. , W. und B ... Nachweise für einen früheren Versicherungsfall fehlten.

Gegen dieses am 19.07.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.08.2004 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe zahlreiche Gesundheitsstörungen nicht berücksichtigt und seinen Vortrag insbesondere zu den Anknüpfungstatsachen vor 2001 übergangen. Zudem hat er darauf hingewiesen, Dr.B. habe das Vorhandensein einer ausreichenden Umstellungsfähigkeit verneint.

Zur versicherungsrechtlichen Situation hat die Beklagte ausgeführt, selbst wenn der griechische Versicherungsträger bis zum Zuzug ins Bundesgebiet Versicherungszeiten bestätige, bestehe von 1986/1987 eine Lücke bis zur Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung (wegen selbständiger Tätigkeit in Deutschland). Nach Beiziehung der ärztlichen Unterlagen von Dr.H. hat Dr.D. am 01.07.2005 eingeräumt, auf Grund des sich chronifizierenden Prozesses einer Depression sei der Kläger ab November 1996 durchgehend arbeitsunfähig als Paketverteiler gewesen. Ausgehend von einer Arbeitsunfähigkeit ab Juli 1995 seien nach Ansicht der Beklagten aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Arbeitsunfähigkeit entfalle als Streckungstatbestand spätestens nach drei Jahren und der Fünfjahreszeitraum könne allenfalls bis 01.03.1993 verlängert werden. Darin lägen lediglich 29 Pflichtbeiträge.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 05.07.2004 sowie des Bescheides vom 07.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.1998 zu verurteilen, ihm ab 01.02.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.07.2004 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich teilweise als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.07.2004 ist ebenso abzuändern wie der Bescheid der Beklagten vom 07.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.1998. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.06.1999. Zu diesem Zeitpunkt erfüllt er auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Rechtsgrundlage für den Rentenanspruch des Klägers ist, ausgehend von der Antragstellung am 29.01.1997, § 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 maßgebenden Fassung (§ 300 Abs.2 SGB VI). Danach haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder -einkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt; erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 Satz 1 und 2 Ziff. 2 SGB VI a.F.). Unstreitig ist der Kläger zumindest seit März 2001 nicht mehr vollschichtig leistungsfähig. Der Senat ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall bereits am 31.05.1999 eingetreten ist.

Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat im Wesentlichen auf das überzeugende und ausführliche Gutachten Dr.B. , dem auch die Beklagte nach Bestätigung der Befunde von Seiten Dr.Dr.W. weitgehend gefolgt ist. Zwar ist Dr.Dr.W. darin beizupflichten, dass erstmals bei der Untersuchung durch Dr.B. am 01.03.2001 eine depressive Pseudodemenz bei mittelgradiger bis schwerer depressiver Reaktion objektiviert wurde. Der Kläger beklagte Polymyalgien und Polyarthralgien mit schwerer Dyssomnie, überraschenden Affekt- und Stimmungswechseln mit abnormer Vergesslichkeit und abnormer Tagesmüdigkeit. Zu Grunde lag eine nachweisbare extreme Nikotinabhängigkeit mit Alkoholmissbrauch bei pathologischem grenzwertigen EEG, test-psychologischen Hinweisen auf einen organische Schädigung und Hinweise auf eine leichte bis mäßiggradige Anpassungsstörung. Der Kläger wirkte situativ unsicher, affektnivelliert bis ambivalent ohne Krankheitseinsicht, verfahren, dysphorisch gereizt, klagsam, moros verstimmt und im Antrieb gehemmt.

Sowohl Dr.B. als auch Dr.S. haben die Ansicht vertreten, das von ihnen vorgefundene Zustandsbild bestehe nicht erst ab dem Zeitpunkt des Untersuchungstages. Die Beklagte selbst bzw. Dr.D. gehen davon aus, dass es sich bei dem geschilderten Krankheitsgeschehen um einen seit 1994 bestehenden chronisch progredienten Prozess handelt, dessen Ausmaß erst durch die Untersuchung Dr.B. festgestellt wurde. Dr.D. stellt die rentenrelevanten Auffälligkeiten in einen Zusammenhang mit dem MRT des Kopfes im Mai 1999, das gefäßbedingte Veränderungen nachgewiesen hat mit Substanzläsionen des Gehirns bei bekannter hypertoner Herzkrankheit, Alkoholismissbrauch und Nikotinabhängigkeit. Auffallend ist in diesem Zusammenhang die Diskrepanz zwischen den Befundberichten Dr.H. vom 22.10.1998 und 26.03.2000. Während 1998 lediglich über eine geringe körperliche Leistungsbreite mit Herzklopfen und Gelenkschmerzen berichtet wurde, wird im Befundbericht von 2000 über eine erhebliche Abnahme der Leistungsfähigkeit, chronische Müdigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, Schlafstörungenn, Antriebsarmut, Verstimmungszustände, Dyskardien und Druck in der Brust, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen berichte. Dr.H. hat eine erhebliche Verschlechterung der Befunde angegeben und eine Häufung der depressiven Schübe mitgeteilt. Wegen des Verdachts auf einen Insult ist bereits im Mai 1999 ein MRT des Kopfes veranlasst worden. Das Ergebnis war Anlass für die Beklagte, ein aktuelles neurologisch-psychiatrisches Gutachten anzuregen.

Dass Dr.Dr.W. diese Anknüpfungstatsachen übersehen hat, ist in erster Linie dem Umstand zuzuschreiben, dass er den von den vorangehenden Sachverständigen behaupteten Beginn der Leis-tungsminderung ablehnte. Anhaltspunkte für einen Leistungsfall bereits im Zeitpunkt der Antragstellung fehlen tatsächlich völlig. Dagegen sprechen nicht nur die Arbeitsanamnese, sondern auch die im Verwaltungsverfahren erhobenen Befunde. Während der Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. im April 1998 war der Kläger nicht auffällig. Eine Verlangsamung des psychomotorischen Tempos fand sich nicht, die Stimmungslage war ausgeglichen, die Affektivität gut schwingungsfähig, der Antrieb nicht gemindert. Auch bei der internis-tischen Untersuchung im Auftrag des Gerichts Anfang 1999 durch Dr.B. waren keine kognitiven Einschränkungen auffällig. Weder eine depressive Grundstimmung noch Symptome einer Depression wie zum Beispiel Schlaflosigkeit konnten eruiert werden. Erst nach Vorlage des Kernspintomogramms vom 01.05.1999 regte er eine psychiatrische Begutachtung an und hielt Auswirkungen auf das Leistungsvermögen für vorstellbar.

Ausgehend vom Eintritt des Leistungsfalles im Mai 1999 sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Der maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum vom 30.05.1999 bis 01.06.1994, in dem 14 Pflichtbeiträge enthalten sind - der letzte Pflichtbeitrag datiert von Juli 1995 -, verlängert sich um den Streckungstatbestand der Arbeitsunfähigkeit. Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit verlängert sich um Anrechnungszeiten, zu denen Arbeitsunfähigkeitszeiten gehören, die eine versicherte Beschäftigung unterbrochen haben (§§ 44 Abs.4 i.V.m. § 43 Abs.3 Ziff. 1, 58 Abs.1 Ziff.1, Abs.3 SGB VI a.F.). Der Kläger ist noch während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses bei der Deutschen P. AG ab 05.09.1994 arbeitsunfähig geworden. Über das Beschäftigungsende im März 1995 hinaus hat er bis zur Aussteuerung am 25.07.1995 Krankengeld bezogen. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass die Arbeitsunfähigkeit darüber hinaus angedauert hat. Der Kläger war auch nach dem 25.07.1995 nicht mehr in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als P.arbeiter im Paketlade-, abtrage- und verteildienst einsatzfähig.

Die Anrechnungszeit fungiert zwar nur begrenzt als Streckungs-tatbestand. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass der krankenversicherungsrechtliche Berufsschutz und damit auch die Berücksichtigung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Strcckungstatbestände der §§ 43 Abs.3 und 44 Abs.6 SGB VI spätes-tens drei Jahre nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entfällt (Urteile des BSG vom 25.02.2004 - B 5 RJ 30/02 R und 17.02.2005 - B 13 RJ 1/04 R). Der Streckungstatbestand der Arbeitsunfähigkeit endet also am 04.09.1997. Dieser Anrechnungszeitraum befindet sich lediglich teilweise im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum, nämlich fünf Monate 1995, zwölf Monate 1996 und neun Monate 1997, so dass sich der Fünf-Jahres-Zeitraum um insgesamt 26 Monate bis 01.04.1992 verlängert. Weil diese Zeiträume vom 01.04.1992 bis 31.05.1994 voll mit Beiträgen belegt sind, werden die geforderten 36 Pflichtbeitragsmonate erreicht.

Aus diesen Gründen war die Berufung teilweise erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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