L 3 U 434/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 353/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 434/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufungen des Klägers vom 04.12.2005 werden als unzulässig verworfen, soweit er die Entfernung/Löschung von Beweisunterlagen aus den Akten begehrt und die Feststellung, dass die Beklagte vorsätzlich gegen Arbeitsschutzgesetze verstoßen hat.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Entfernung bzw. Löschung von Beweisunterlagen aus den Akten hat und er einen Anspruch auf Feststellung eines vorsätzlichen Verstoßes der Beklagten gegen Arbeitsschutzgesetze hat.

Der 1959 geborene Kläger beantragte am 02.01.1998 bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit. Eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erfolgten am 14.01.1999 durch den Lungenfacharzt Dr. B. , am 23.09.1999 durch den Allergologen Dr. F. , am 13.09.1999 durch den praktischen Arzt Dr. T. und am 13.10.1999 durch den praktischen Arzt Dr. C ... Der Kläger führte eine Anzahl von Erkrankungen wie u.a. Müdigkeit, Schmerzen, innere Unruhe, geschwächtes Immunsystem, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Atemprobleme, depressive Verstimmung, Schlafstörung sowie eine Beckenthrombose auf seine Tätigkeit als Elktriker bei der Firma K. von 1985 bis 1992 zurück. Er sei dort in der Gießerei, Härterei, Formerei, Putzerei, Kernmacherei, Dreherei und Schweißerei ungeschützt toxischen Werkstoffen sowie Lärm und Staub ausgesetzt gewesen.

Zur Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte Berichte des Technischen Aufsichtsdienstes vom 11.09.1998 und 22.09.1998 sowie ein gewerbeärztliches Gutachten der Dr. S. vom 29.10.1998 ein, die ausführte, der Kläger habe zwar Kontakt zu allen in der Gießerei eingesetzten Schadstoffen gehabt, eine lang andauernde Exposition gegen einzelne Stoffe sei aber nicht gegeben. Eine berufsbedingte Ursache der vielgestaltigen Beschwerden des Versicherten sei nicht wahrscheinlich. Die Beklagte zog weiter ein Gutachten der Landesversicherungsanstalt Oberbayern vom 18.05.1992 (Dr. S.) bei sowie einen ärztlichen Entlassungsbericht aus der K.-Klinik vom 16.09.1992. Mit Bescheid vom 26.11.1998 lehnte die Beklagte es ab, dem Kläger Entschädigungsleistungen aus Anlass verschiedener körperlichen und psychischer Beschwerden sowie Leistungen aufgrund der Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu gewähren. Mit Bescheid vom 25.01.1999 lehnte die Beklagte es ab, der vom Kläger beantragten Übermittlung der Schadstoffmessergebnisse aus der Gießerei der Firma K. nachzukommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.1999 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 26.11.1998 und 25.01.1999 mit der Begründung zurück, ein Zusammenhang zwischen einer Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers bestehe nicht. Auch die Voraussetzungen für Leistungen nach der Berufskrankheitenverordnung würden nicht vorliegen. Sie führte aus, es sei zu Kontakt zu allen in der Gießerei vorkommenden Schadstoffen gekommen. Eine gelegentliche Überschreitung einzelner Schadstoffgrenzwerte hinsichtlich Quarzsand, Formaldehyd, Nickel, Benzo(a)Pyren, Stickoxyde, Fluoride, Eisenoxyd und Isopropanol sei nicht gänzlich auszuschließen. Aufgrund der Tätigkeit sei eine langandauernde Exposition mit Sicherheit nicht gegeben. Aufgrund der Tätigkeit als Instandhalter mit wechselnden Einsatzorten seien einzelne Messwerte für bestimmte Tätigkeiten nicht representativ, da hierbei stets von achtstündigen Arbeitsschicht an einem Arbeitsplatz ausgegangen werde. Als Anhaltspunkt könne der BIA-Report 2/98 "Gefahrstoffe an Gießereiarbeitsplätzen" herangezogen werden. Für eine Eisen- und Stahlgießerei wie bei der Firma K. würden hier Grenzüberschreitungen für Feinstaub, quarzhaltigem Feinstaub und Quarzfeinstaub angegeben. Weiter nimmt die Beklagte Bezug auf die Ausführungen in den ärztlichen Berichten des Dr. B. , Dr. J. , Dr. T. , Dr. W. und im Gutachten der Landesversicherungsanstalt Oberbayern vom 18.05.1992 und wies darauf hin, es bestünden nur möglicherweise Spätfolgen aufgrund einer toxischen Belastung.

Gegen die Bescheide vom 26.11.1998 und 25.01.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.1999 hat der Kläger am 15.05.1999 Klage zum Sozialgericht München erhoben und beantragt, unter Aufhebung dieser Bescheide das Vorliegen einer Berufskrankheit ab 1991 anzuerkennen und vorgetragen, er sei beim Gießereivorgang im Kranführerhaus einer erhöhten Exposition gegenüber Schadstoffen ausgesetzt gewesen. Er regte eine erneute Gefährdungsanalyse und die Einvernahme von ihm benannter Zeugen an. Außerdem legte er einen Bericht des Dr. K. vom 19.07.1999 vor. Das Sozialgericht hat Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. F. vom 17.12.2001 und 08.01.2002 eingeholt. Mit Beweisanordnung vom 27.08.2002 hat das Sozialgericht Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, dass dieser am 20.06.2003 erstellt hat. Prof. Dr. H. wies auf eine Belastung durch Beta-HCH oberhalb der Normgrenze, eine Belastung durch DDE 4,4 und eine PCB-Erhöhung hin. Die Ursachen seien jeweils nicht geklärt. Eine Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösemittel sei möglich, jedoch nicht gesichert. Er empfahl eine weitere Begutachtung auf neurologischem Gebiet. Prof. Dr. H. diagnostizierte ein MCS-Syndrom.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2003 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Berufskrankheit liege bei dem Kläger nicht vor. Prof. Dr. H. habe aus der Aktenlage keinen Hinweis einer beruflichen Verursachung der von ihm festgestellten Belastungswerte gesehen. Ein MCS-Syndrom sei derzeit noch nicht als Berufskrankheit anzusehen. Ob bei dem Kläger eine Polyneuropathie oder Encephalopathie vorliege, bleibe ungeklärt, da der Kläger einer vom Gericht in Auftrag gegebene gutachterliche Untersuchung auf neurologischem Gebiet durch Prof. Dr. S. nicht nachgekommen sei.

Gegen den Gerichtsbescheid vom 13.08.2003 hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, Art, Dauer und Intensität der bei der Firma K. erfolgten Schadstoffexposition und Gefährdung sei nicht ermittelt worden. Das Sozialgericht habe eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen, in dem es, ohne über die medizinische Sachkunde zu verfügen, anhand des Gutachtens des Dr. S. Rückschlüsse auf eine bei ihm seit der Pubertät bestehende Erkrankung getroffen habe. Der Gerichtsbescheid vom 13.08.2003 beinhaltet im Übrigen die Ablehnung eines Anspruchs auf Einsichtnahme in die beim Präventionsdienst des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten über die Firma K. geführte Betriebsakte (Bescheid vom 02.03.2000, Widerspruchsbescheid vom 15.03.2000) sowie über einen Anspruch auf Gewährung weiterer nachgehender Vorsorgeuntersuchungen durch die Beklagte (Bescheid vom 28.03.2000, Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000).

Im Zuge des Berufungsverfahren, nämlich am 14.12.2005, stellte der Kläger einen Antrag auf gerichtliche Aussortierung bzw. Vernichtung sämtlicher von der Beklagten beigezogenen Unterlagen der Krankenkasse, des Versorgungsamts M. , des Arbeitsamts M. sowie der Landesversicherungsanstalt Oberbayern bzw. die Vornahme der Unkenntlichmachung durch eine entsprechende Schwärzung und des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 13.08.2003, jeweils bezüglich der Berufskrankheitenakten der Beklagten, und zwar insoweit, als diese Unterlagen persönlich-intime Daten des Klägers beinhalten würden, anhand derer das Sozialgericht München in dem Gerichtsbescheid vom 13.08.2003 unter Berufung auf die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren rechtswidrig von Dritten, wie zum Beispiel dem Arbeitsamt M. , beigezogenen Reha-Aktenunterlagen von 1992 nicht notwendig und völlig unüblich und unter Verstoß gegen den gerichtlichen Gleichbehandlungsgrund auch den Geburtsort bzw. das Geburtsland des Klägers benannt bzw. angeführt habe.

Außerdem beantragte der Kläger am 14.12.2005 eine gerichtliche Feststellung, dass die Firma K. sowie die Beklagte im Zeitraum 1985 bis 1992 wegen Unterlassungen vorsätzlich gegen Arbeitsschutzgesetze verstoßen habe und dadurch vorsätzlich durch dessen Berufstätigkeit ungeschützt in der ehemaligen Stahlgießerei in besonderem Maße einer gefährlichen Exposition an über 80, zum Teil auch krebserzeugenden Stoffen ausgesetzt habe. Der Kläger nimmt hierbei Bezug auf den gesamten Sach- und Rechtsvortrag im Verwaltungsverfahren, im Klageverfahren und im Berufungsverfahren.

Der Kläger beantragt somit (sinngemäß), die Beklagte zu verpflichten, Beweisunterlagen aus deren Akten zu entfernen bzw. zu löschen sowie diese persönlich-intime Daten des Klägers beinhalten sowie festzustellen, dass die Beklagte vorsätzlich gegen Arbeitsschutzgesetze verstoßen hat.

Die Beklagte beantragt, die Berufungen als unzulässig zu verwerfen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts München, der Akten des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Klägers vom 14.12.2005 sind unzulässig, weil die Prozessvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Es konnte damit kein Urteil in der Sache ergehen.

Die Berufung an das Bayer. Landessozialgericht findet gegen die Urteile und Gerichtsbescheide der Sozialgerichte statt (§§ 143, 105 Abs.3 SGG). Hier ist die Berufung nicht statthaft und schon deshalb nicht zulässig, weil sozialgerichtliche Entscheidungen über die hier gestellten Anträge nicht vorliegen.

Der vom Kläger angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13.08.2003 (S 9 U 353/99) enthält keine Entscheidung über die mit den Berufungen vom 14.12.2005 geltend gemachten Ansprüchen. Insofern ist der Kläger durch diese Entscheidung des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 13.08.2003 auch nicht beschwert. Durch den Gerichtsbescheid wurde dem Kläger nicht etwas versagt, was er beantragt hatte. Die Entscheidung des Sozialgerichts konnte somit naturgemäß bezüglich der erst im Berufungsverfahren gestellten Anträge vom 14.12.2005 auch nicht für den Kläger nachteilig sein (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, vor § 143 Rdnr.5a f.).

Über die am 14.12.2005 gestellten Anträge konnte das Sozialgericht naturgemäß nicht entscheiden, weil entsprechende Anträge im Klageverfahren nicht vorlagen. Soweit sich der Kläger gegen die Art und Weise der Ermittlungen wandte bzw. die Ermittlungen der Beklagten als unzureichend ansah, handelte es sich nicht um eigenständige Klageanträge, sondern lediglich um Elemente der Klagebegründungen.

Auch eine Klageerweiterung kommt hier nicht in Betracht. Zwar ist eine Klageerweiterung auch noch in der Berufungsinstanz grundsätzlich möglich. Nicht entschiedene Anträge können somit zum Gegenstand eines Berufungsverfahrens gemacht werden. Unter anderem setzt dies jedoch voraus, dass alle Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind (Meyer-Ladewig, SGG, § 99 Rdnr.12; vor § 143 Rdnr.3). Das Einverständnis der Beklagten liegt hier nicht vor.

Bei fehlender Statthaftigkeit der Berufungen vom 14.12.2005 kann dahingestellt bleiben, welche weiteren Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen.

Die Berufungen vom 14.12.2005 waren somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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