L 6 B 195/05 U-LW

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 124/04 LW
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 195/05 U-LW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 03.08.2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob in dem abgeschlossenen Ausgangsverfahren eine Streitwertfestsetzung stattzufinden hat und nach welchen Vorschriften sich die Kostenentscheidung richtet.

Im Ausgangsverfahren hatte die Klägerin gegen einen Beitragsbescheid der Sächsischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 24.06.2002 geklagt, mit welchem die Beklagte die Unfallversicherungsbeiträge für das Kalenderjahr 2001, einschließlich Rück-stände und Säumniszuschlag aus dem Vorjahr, auf insgesamt 57,97 EUR festgesetzt hatte. Die Beitragspflicht war bereits mit Bescheid vom 13.03.1998 festgestellt worden, dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden. Gegen den Bescheid vom 24.06.2002 über die Um-lage 2001 – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2004 – hat die Kläge-rin Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben, diese aber nach Hinweis auf § 192 SGG zurückgenommen. Die Klägerin beantragte zunächst Streitwertfestsetzung, nahm diese aber, nachdem das Sozialgericht darauf hingewiesen hatte, dass nach der Rechtsprechung des SG Dresden die Klägerin als Versicherte im Sinne des § 183 SGG anzusehen sei, zu-rück.

Hierauf beantragte allerdings die Beklagte die Streitwertfestsetzung und außerdem die Kostengrundentscheidung. Sie vertrat die Auffassung, dass vorliegend die §§ 154 bis 162 VwGO anzuwenden seien, die Beklagte sei daher im Hinblick auf die geltend gemachten Pauschgebühren keine Gebührenschuldnerin. Die Klägerin habe stattdessen gemäß § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 VwGO die Gebühren des sozialgerichtlichen Verfah-rens zu tragen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 03.08.2005 den Antrag der Beklagten auf Fest-setzung des Streitwertes zurückgewiesen und ausgesprochen, dass außergerichtliche Kos-ten nicht zu erstatten sind. Die Klägerin gehöre gemäß § 183 SGG zu dem Personenkreis der kostenrechtlich Privilegierten. Sie sei nämlich "Versicherte" im Sinne dieser Vor-schrift. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII schulde in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich der Unternehmer die Beiträge für die in seinem Unternehmen tätigen Versi-cherten. Die Klägerin sei jedoch gleichzeitig Versicherte und Beitragsschuldner gemäß § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. In diesem Fall berechneten sich die Beiträge nicht auf der Grundlage der gezahlten Arbeitsentgelte, sondern – ähnlich wie in der privaten Unfallver-sicherung – nach dem kraft Satzung bestehenden Jahresarbeitsverdienst. Auch wenn man das Rechtsverhältnis der Unternehmer nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in ein Versiche-rungs- und in ein Mitgliedsverhältnis aufspalten wollte, gebiete es der soziale Schutz-zweck, den auch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17.08.2001 nicht habe beseitigen wol-len, in Fällen wie dem vorliegenden, in denen nämlich dem Unternehmer nicht die Verfü-gungsmacht über die Arbeitskraft eines oder mehrerer Arbeitnehmer zustand, den Unter-nehmer einem Versicherten im Sinne des § 183 SGG gleichzustellen. Die Klägerin stehe bezüglich der sozialen Schutzbedürftigkeit einem Rentenantragsteller oder Schwerbehin-derten nicht nach.

Gegen den der Beklagten am 10.08.2005 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 26.08.2005 beim Sächsischen LSG eingegangene Beschwerde, der das SG nicht abgehol-fen hat. Die Beschwerde wird damit begründet, dass die Klägerin nicht zu dem in § 183 SGG genannten kostenprivilegierten Personenkreis gehöre. In dem vorliegenden Verfahren habe sie ausschließlich ihre Unternehmerpflichten angefochten. Ansprüche auf Versiche-rungsleistungen, die sie zum kostenbefreiten Personenkreis qualifizieren würden, seien in dem sozialgerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht worden. Es sei auch unbillig, einen landwirtschaftlichen Unternehmer, der zugleich Versicherter sei, dem privilegierten Personenkreis im Sinne des § 183 SGG zuzurechnen, während kraft Satzung oder freiwil-lig selbst versicherte Unternehmer gewerblicher Unternehmen unstreitig nicht den beson-deren sozialen Schutz in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes vor den Sozialgerichten in Anspruch nehmen könnten. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund landwirtschaft-liche Unternehmer hier besser gestellt sein sollten. § 183 SGG sei so auszulegen, dass ver-sicherte Unternehmer nur bei Streitigkeiten um Leistungen das Kostenprivileg in Anspruch nehmen könnten. Nur bei einem Streit um Leistungen sei ein Versicherter auch in dieser Eigenschaft am Rechtsstreit beteiligt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Die Beschwerde der Beklagten ist in beiden Punkten zulässig. Zwar hat das Sozialgericht unter II. tenoriert: "Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten", wobei, da die Ent-scheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG erging, die einzige Alternative gewesen wäre, die Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin – ganz oder teilweise – heranzuziehen. Gleichwohl fehlt es nicht an einer Beschwer, denn das Sozialgericht hat zugleich entschieden, dass eine Kostenentscheidung nach § 197a SGG i.V.m. §§ 154 bis 162 VwGO nicht getroffen wird. Das Sozialgericht hat also in dem angefochtenen Be-schluss, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch konkludent, den ebenfalls konkludent ge-stellten Antrag der Beklagten, eine Kostenerstattungspflicht der Klägerin festzustellen, zurückgewiesen.

In der Sache ist die Beschwerde nicht begründet, denn es liegt kein Fall des § 197a SGG vor. Das Sozialgericht hat daher zu Recht den – zulässigen – Antrag auf Streitwertfestset-zung zurückgewiesen und im Kostenpunkt lediglich eine Entscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG getroffen.

Ein Fall des § 197a SGG liegt nicht vor, denn die Klägerin gehört zu den in § 183 SGG genannten Personen. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften des Gerichtskos-tengesetzes und die entsprechende Anwendung der Kostenvorschriften der VwGO wäre, dass "in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG ge-nannten Personen" gehört (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach dieser Vorschrift besteht Kostenfreiheit für "Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleis-tungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des 1. Buches Sozialgesetzbuch , soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind" (§ 183 Satz 1 SGG). Der Beklagten ist Recht zu geben, dass es entscheidend auf den Nachsatz ankommt, also darauf, in welcher Eigenschaft Kläger oder Beklagter am Rechtsstreit beteiligt sind. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig: Wer – wie die Klägerin – in seiner Eigenschaft als Ver-sicherter am Verfahren beteiligt ist, ist von den Gerichtskosten befreit, folglich werden Gerichtskosten nicht nach den Vorschriften des GKG erhoben (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG), sondern von dem jeweils anderen Beteiligten, der die Privilegierung des § 183 SGG für sich nicht in Anspruch nehmen kann, in der Gemäßheit der §§ 184 bis 190 SGG (Pausch-gebühr).

Der Umstand, dass die Klägerin als "Unternehmerin" gilt, steht der Gebührenfreiheit nicht entgegen. Der Begriff des "Unternehmers" spielt im Gesetzestext des 4. Abschnitts des Sozialgerichtsgesetzes keine Rolle. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es also nicht sachgerecht, den Begriff des Ver-sicherten auf den Begriff des "Leistungsempfängers" zu reduzieren (diese Interpretation des Gesetzestextes hieße nämlich nichts anderes als den Begriff des Versicherten aus § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG zu streichen) und nur dann Kostenfreiheit anzunehmen, wenn ein land-wirtschaftlicher Unternehmer wegen Leistungen klagt. Auch der Klagegegenstand der Bei-träge wie deren Höhe betrifft das Versicherungsverhältnis und damit den Beteiligten in seiner Eigenschaft als Versicherten. Die Auffassung, der Beteiligte sei als Versicherter nur betroffen, wenn es um Statusfragen geht (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer SGG, 8. Auflage 2005 § 183 Rd.-Nr. 5 m.w.N.) ist als zu eng abzulehnen, brächte im vorliegenden Fall aber kein anderes Ergebnis.

Nach Auffassung des Senats ist auch die "soziale Schutzbedürftigkeit" kein taugliches Ab-grenzungskriterium; es trifft zwar zu, dass dieser Begriff in der Begründung zum Entwurf eines 6. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (BT- Drucks 14/5943, Seite 29) auftaucht; die amtliche Begründung eines Gesetzes, mit welcher sich gewissermaßen der Gesetzgeber vor dem Souverän rechtfertigt und die getroffenen Entscheidungen für den einen oder anderen Wortlaut plausibel machen will, können aber nie an die Stelle des Ge-setzeswortlautes treten. Ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, seine Absichten durch die richtige Wortwahl in Gesetzesform zu gießen, ist eine Frage für die Gesetzgebungslehre; der rechtsprechenden Gewalt kommt es jedenfalls nicht zu, unter Hinweis auf die ver-meintlich erkannten wahren Motive des Gesetzgebers dem Gesetzestext nur noch eine ein-schränkende Verbindlichkeit zukommen zu lassen.

Dies wäre aber der Fall, wenn man mit der Beklagten unter Hinweis auf die Rechtspre-chung des 11. Senats des BSG einen Rechtssatz des Inhalts formulieren wollte, dass "Ver-sicherter im Sinne des § 183 SGG nicht ein Arbeitgeber ist, der auf Erstattung oder Ersatz von Beiträgen in Anspruch genommen wird". Diese Formulierung aus der Entscheidung des BSG vom 22.09.2004 (- B 11 AL 33/03 RSozR 4-1500 § 183 Nr. 2) bezieht sich unzweifelhaft auf den Arbeitgeber, der nur in dieser Eigenschaft überhaupt Beitrags-schuldner und nicht selbst Versicherter (sei es nach dem SGB VI oder nach dem SGB VII) ist.

Der Senat hält daher die Einschränkung im angefochtenen Beschluss, dass die Klägerin zu den nach § 183 SGG Privilegierten gehört, da ihr nicht die Verfügungsmacht über die Ar-beitskraft eines oder mehrerer Arbeitnehmer zustand, für überflüssig. Ebenso wie der Un-ternehmerbegriff wird auch der Arbeitgeberbegriff in §§ 183 ff. SGG nicht genannt, es handelt sich also nicht um ein Ausschlusskriterium. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ist ebenso wie die "soziale Schutzbedürftigkeit" kein praxistaugliches Abgrenzungskriterium für die Frage der Kostenfreiheit. Dass der Unternehmer zugleich Versicherter ist, beschränkt sich nicht auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII), sondern gilt auch für kraft Satzung (§ 3 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VII oder freiwillig (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) versicherte gewerbliche Unternehmer. Inwiefern in diesen Fällen, wie die Beklagte meint, "unstreitig" § 197a An-wendung fände, ist nicht ersichtlich (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2004 – L 16 U 37/03 -). Knüpft die Beitragspflicht an § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, also an der Versicherteneigen-schaft des Unternehmers an, so besteht Kostenfreiheit nach § 183 SGG.

Der Senat sieht sich mit dieser Auffassung im Einklang mit der Entscheidung des Sächsi-schen Landessozialgerichts vom 02.05.2005 (L 2 B 236/04), des Landessozialgerichts Hamburg (Beschluss vom 28.06.2005 – L 3 B 138/05 R -), des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 21.12.2004 – L 5 LW 13/04 -) sowie des Landessozialge-richts Baden-Württemberg (Beschluss vom 04.05.2005 – L 2 U 5059/04 ER-B -). Die von der Beklagten vorgelegten Rechtsprechungsnachweise betreffen Entscheidungen, die den hier streitigen Punkt kurzerhand ohne Begründung behandeln und denen häufig auch nicht der zugrunde liegende Sachverhalt zu entnehmen ist.

Da ein Fall des § 197a SGG nicht gegeben ist, war die Entscheidung des Sozialgerichts, den Antrag auf Festsetzung des Streitwertes zurückzuweisen und eine Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG zu treffen, zu bestätigen. Mangels diesbezüglicher Be-schwer der Beschwerdeführerin war es dem Senat verwehrt, eine andere Entscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG zu treffen: Nach dieser Vorschrift war eine für die Be-schwerdeführerin günstigere Entscheidung nicht möglich.

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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