S 60 AL 1976/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
60
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 60 AL 1976/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Agentur für Arbeit Berlin Süd vom 12. April 2005 mit der Erläuterung vom 8. April 2005 sowie der Bescheid vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das Arbeitslosengeld vom 1. April 2005 bis 12. April 2005 und ab 5. Mai 2005 ungemindert und un- gekürzt zu gewähren. Die Beklagte erstattet der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von ungemindertem und ungekürztem Arbeitslosengeld vom 1. April 2005 bis 12. April 2005 und ab 5. Mai 2005 bzw. um die Minderung des Arbeitslosengeldes um 1.050,- EUR sowie die Kürzung der täglichen Arbeitslosengeldzahlung auf die Hälfte des Leistungssatzes wegen nicht unverzüglicher Arbeitssuchmeldung bei Gewährung des Arbeitslosengeldes im Wege der Nahtlosigkeitsregelung sowie um die Unkenntnis von der Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitssuchmeldung.

Die am 12. Oktober 1948 geborene Klägerin stand ab 1. Oktober 1971 in einer Beschäftigung als Angestellte im öffentlichen Dienst. Ab 10. Mai 2004 bezog sie erneut Krankengeld. Mit Schreiben vom 12. Januar 2005 teilte die Krankenkasse der Klägerin mit, dass sie mit Ablauf des 31. Mai 2005 ausgesteuert werde und Krankengeld danach nicht mehr erhalte. Gleichzeitig empfahl die Krankenkasse ihr, unverzüglich bei der zuständigen Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld zu beantragen. Es werde unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gezahlt, wenn Arbeitsunfähigkeit besteht. Auch ein eventuell weiter bestehendes Arbeitsverhältnis schließe den Anspruch auf dieses Arbeitslosengeld nicht aus. Die Agentur für Arbeit könne die Leistung mindern, falls sie sich nicht direkt nach Erhalt dieses Schreibens dort meldete.

Am 24. Februar 2005 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld unter Hinweis auf die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit und das fortbestehende Arbeitsverhältnis im Wege der Nahtlosigkeitsregelung ab 1. April 2005. Vom 13. April 2005 bis 4. Mai 2005 bezog die Klägerin Übergangsgeld wegen der Teilnahme an einer stationären medizinischen Heilmaßnahme.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 12. April 2005 und Erläuterungsschreiben vom 8. April 2005 Arbeitslosengeld ab 1. April 2005 bis 12. April 2005 in Höhe der Hälfte des Leistungssatzes und minderte den Anspruch wegen verspäteter Arbeitssuchmeldung um 1.050,- EUR (30 Tage x 35,- EUR). Mit Bescheid vom 24. Mai 2005 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab 5. September 2000 weiter. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2005 zurück.

Mit der am 23. Juni 2005 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung von ungemindertem und ungekürztem Arbeitslosengeld ab 1. April 2005 weiter. Sie trägt vor, ihr sei die Meldepflicht nicht bekannt gewesen, sonst hätte sie sich sofort gemeldet. Der Hinweis der Krankenkasse im Schreiben vom 12. Januar 2005 habe lediglich eine Empfehlung enthalten und auf die Möglichkeit einer Leistungsminderung hingewiesen, jedoch nicht ihre Pflicht zur unverzüglichen Arbeitssuchmeldung sowie die anderenfalls auf jeden Fall eintretende Leistungsminderung genannt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides der Agentur für Arbeit Berlin Mitte vom 12. April 2005 mit der Erläuterung vom 8. April 2005 sowie des Bescheides vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 zu verurteilen, ihr das Arbeitslosengeld vom 1. April 2005 bis 12. April 2005 und ab 5. Mai 2005 unge- mindert und ungekürzt zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide aus den Gründen des Vorverfahrens für rechtmäßig. Nach ihrer Auffassung ist die Rechtsfolgenbelehrung der Klägerin seitens der Krankenkasse ausreichend, um die gesetzliche Folge der Minderung des Arbeitslosengeldes eintreten zu lassen. Im Übrigen finde diese Minderung auch nach der Formulierung des Gesetzes in den Fällen des vorangegangenen Krankengeldbezuges Anwendung, auch wenn das Arbeitslosengeld im Wege der Nahtlosigkeitsregelung gewährt werde.

Die die Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten – KuNr.: – hat der Kammer vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch begründet.

Der angefochtene Bescheid der Arbeitsagentur vom 12. April 2005 mit der Erläuterung vom 8. April 2005 sowie der Bescheid vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf die Gewährung von ungekürztem und ungemindertem Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1. April 2005 bis 12. April 2005 und ab 5. Mai 2005 zu.

Die Beklagte kann die Minderung des Arbeitslosengeldes auf insgesamt 1.050,- EUR (30 Tage x 35,- EUR) und die Anrechnung des Minderungsbetrages auf das halbe Arbeitslosengeld nicht mit Erfolg auf § 140 Sozialgesetzbuch / Arbeitsförderung – SGB III – stützen, da die Voraussetzungen der frühzeitigen Arbeitssuche des § 37 b Satz 1 SGB III nach Auffassung des Gerichts nicht vorliegen. Gemäß § 37 b Satz 1 SGB III haben sich Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Diese Bestimmung dient dem Zweck einer gegenüber der bisherigen Rechtslage beschleunigten Wiedereingliederung in das Erwerbsleben bzw. einer Vermeidung des Eintritts von Arbeitslosigkeit von vornherein. Sie ist auch grundsätzlich anwendbar in den Fällen, in denen Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Krankengeld gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III bestand. In dem Sonderfall der Gewährung von Arbeitslosengeld im Wege der Nahtlosigkeitsregelung nach § 125 SGB III, wie im Vorliegenden bei der Klägerin, ergibt sich im Wege der teleologischen Reduktion jedoch, dass § 37 b Satz 1 SGB III mit der Folge des § 140 SGB III nicht eingreift. Nach § 125 Abs. 1 SGB III besteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nämlich ausnahmsweise auch dann, wenn der Arbeitslose wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (noch) nicht festgestellt worden ist. Die Feststellung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Nahtlosigkeitsregelung will dauernd leistungsgeminderten Arbeitslosen, die mangels Verfügbarkeit für die Vermittlung nach den allgemeinen Regelungen den Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht begründen können, für die Zeit bis zur Feststellung von verminderter Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger den Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit sichern, um einen negativen Kompetenzkonflikt zu vermeiden. Insoweit leistet die Beklagte für den Rentenversicherungsträger vor. Da im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 SGB III Arbeitslosengeld gewährt wird, obwohl feststeht, dass der Arbeitslose nicht in Arbeit vermittelt werden kann wegen seiner dauerhaften Leistungsminderung, die vom Rentenversicherungsträger festgestellt werden muss, kann eine unverzügliche persönliche Arbeitssuchmeldung nach Kenntnis von der Beendigung des Krankengeldbezuges nicht zu einer beschleunigten Wiedereingliederung in das Erwerbsleben bzw. zur Vermeidung des Eintritts von Arbeitslosigkeit durch die frühzeitige Aufnahme von Arbeitsvermittlung erfolgen. Dementsprechend kann für diese Fälle § 37 b Satz 1 SGB III i.V.m. § 140 SGB III keine Anwendung finden.

Im Übrigen erscheint es auch fraglich, ob sich die Klägerin schuldhaft zu spät arbeitsuchend gemeldet hätte, da die Krankenkasse ihrer Belehrungspflicht über die nachteiligen Rechtsfolgen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld aus der Obliegenheitsverletzung nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen ist. Eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung dürfte nur vorliegen, wenn sie konkret, richtig und vollständig ist und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen aus dem versicherungswidrigen Verhalten resultieren (vgl. U. d. BSG v. 25. Mai 2005 - B 11 a/11 AL 81/04 R -). Eine bloße Empfehlung der Krankenkasse und der Hinweis auf die Möglichkeit einer Minderung entspricht aber nicht der gesetzlichen Regelung. Insoweit hätte auf die Pflicht zur unverzüglichen Arbeitssuchmeldung und die zwangsläufig eintretende Folge der Minderung hingewiesen werden müssen, falls man der Auffassung wäre, dass § 37 b Satz 1 SGB III auch im Fall der Gewährung von Arbeitslosengeld im Wege der Nahtlosigkeitsregelung eingreift.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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