S 60 AL 2953/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
60
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 60 AL 2953/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Entlassungssperre nach Anzeige von Massenentlassung bzw. um die Verfristung der Massenentlassungsanzeige sowie um Akteneinsicht in das Massenentlassungsverfahren und als Vorfrage um die Klagebefugnis.

Der am 11. Februar 1961 geborene Kläger stand vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2003 in einer Beschäftigung als Gruppenleiter. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte durch Kündigung des Arbeitgebers am 26. Mai 2003 zum 31. Dezember 2003. Wegen der gegen die Kündigung erhobenen Kündigungsschutzklage ist die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht noch anhängig - 8 AZR 37/05 -.

Auf die am 27. Oktober 2003 eingegangene Anzeige über Massenentlassungen nach § 17 Kündigungsschutzgesetz – KSchG – setzte die Beklagte mit einem an den Arbeitgeber gerichteten Bescheid vom 26. November 2003 eine Entlassungssperre für 146 Arbeitnehmer bis zum 27. November 2003 fest. Der Bescheid enthielt die Auflage, die Arbeitnehmer hierüber zu unterrichten. Widerspruch legte der Arbeitgeber nicht ein.

Am 5. August 2005 legte der Kläger gegen den ihm nicht zugestellten Bescheid über die Entlassungssperre Widerspruch ein und stellte vorsorglich einen Überprüfungsantrag. Die Beklagte verwarf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 2005 als unzulässig, da der Kläger durch den Bescheid über die Entlassungssperre nicht in seinen Rechten verletzt worden sei.

Mit der am 21. September 2005 eingegangenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Wirksamkeit der Entlassungssperre. Er trägt vor, der Bescheid vom 26. November 2003 sei ihm gegenüber nicht bindend, da er ihm nicht zugestellt worden sei. Die Auflage in dem Bescheid, die Arbeitnehmer über die Entlassungssperre zu unterrichten, zeige, dass die betroffenen Arbeitnehmer hierdurch in ihren Rechten beeinträchtigt würden. Im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vom 27. Januar 2005 – C – 188/03 (Irmtraut Junk/Wolfgang Kühnel (NZA 2005, 213) sei die Massenentlassungsanzeige vom 27. Oktober 2003 verfristet gewesen. Maßgeblicher Zeitpunkt sei die Kündigungserklärung des Arbeitgebers vom 26. Mai 2003 gewesen. Die am 26. Mai 2003 erfolgte Kündigung sei daher unwirksam. Auch müsse die Beklagte ihm Akteneinsicht in das Massenentlassungsverfahren gewähren, damit er feststellen könne, ob er auf der Namensliste im Massenentlassungsverfahren aufgeführt sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Arbeitsamtes Berlin Mitte vom 26. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides der Agentur für Arbeit Berlin Mitte vom 1. September 2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Anzeige von Massenentlassungen vom 21. Oktober 2003 verfristet erfolgte sowie die Beklagte zu verur- teilen, ihm Akteneinsicht in das Massenentlassungs- verfahren zu gewähren.

Der Kläger beantragt weiterhin,

die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid aus den Gründen des Vorverfahrens für rechtmäßig.

Der den Kläger betreffende Vorgang der Beklagten hat der Kammer vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unzulässig. Dem Kläger steht als Arbeitnehmer keine Klagebefugnis gegen die gegenüber dem Arbeitgeber ausgesprochene Entlassungssperre im Bescheid vom 26. November 2003 zu. Der Kläger ist als Arbeitnehmer im Verfahren des besonderen Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen nach § 17 ff. KSchG nicht beteiligt, ihm kommt der Schutz nur mittelbar zugute. In eigenen Rechten wird er durch dieses Verfahren nicht verletzt. § 17 KSchG stellt daher auch kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Die Zielsetzung des Gesetzes ist arbeitsmarktpolitischer Art. Es geht nicht um den Kündigungsschutz des einzelnen Arbeitnehmers, daher wird im Verwaltungsverfahren auch nicht die Wirksamkeit der einzelnen Kündigung geprüft. Vielmehr soll die Arbeitsagentur in die Lage versetzt werden, Massenentlassungen, etwa durch Beschaffung von Krediten, zu verhindern, oder sich rechtzeitig auf zu erwartende Entlassungen größeren Umfangs durch Verhängung von Entlassungssperren nach § 18 KSchG einzustellen (vgl. Erfurter Kommentar, 6. A., 2006, § 430 KSchG §, 17 Rdnr. 2, Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. A., § 142 Rdnr. 45); Spellbrink/Reicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 40 Rdnr. 6). Dementsprechend kann der Kläger auch nicht mit Erfolg geltend machen, er sei in seinen Rechten durch eine verfristete Anzeige von Massenentlassungen verletzt worden. Die Kündigungsbeschränkungen der § 17 ff. KSchG und diejenigen der §§ 1 ff. KSchG gelten überdies völlig unabhängig voneinander. Auch durch die Auflage im Bescheid vom 26. November 2003, den Inhalt des Bescheides über die Entlassungssperre den Arbeitnehmern bekannt zu geben, folgt nicht ein eigenes subjektives Recht auf Überprüfung des Inhalts. Vielmehr kann ein Unterlassen dieses Hinweises gegenüber dem Arbeitgeber lediglich die Verhängung von Ordnungsgeld zur Folge haben.

Nach dem Vorstehenden kommt daher auch kein Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht in die Unterlagen des Massenentlassungsverfahrens in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG -. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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