Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 (14) LW 2/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der Zeit vom 01.01.2000 bis 31.08.2004 sowie die Nachforderung von Beiträgen für diesen Zeitraum.
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist Kommanditist der Firma H GmbH & Co KG; darüber hinaus hat er eine landwirtschaftliche Fläche gepachtet.
Mit Bescheid vom 20.03.1995 (iF: Befreiungsbescheid) erteilte ihm die Beklagte Befreiung von der Versicherungspflicht ab dem 01.01.1995. In dem Bescheid hieß es ferner, die Versicherungspflicht werde wieder eintreten, wenn das außerhalb der Land- und Forstwirtschaft erzielte Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder vergleichbare Einkommen ein Siebtel der Bezugsgröße (§ 18 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung) unterschreite; Einkommensänderungen seien dementsprechend mitzuteilen.
Auf Nachfrage der Beklagten ließ der Kläger über den für ihn tätigen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit Schreiben vom 11.03.2002 und 19.02.2004 mitteilen, er habe in den Jahren 2000 bis 2003 "Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen bezogen ( ...), welches die Bezugsgröße nach § 18 SGB IV erheblich übersteigt". Eine Nachfrage beim zuständigen Finanzamt F am 24.05.2004 ergab folgende Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb: Jahr 2000: -290395 DM; Jahr 2001: 0 DM; Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wurden nicht erzielt.
Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 26.05.2004 mit, dass der Befreiungsbescheid für die Zeit ab dem 01.01.2000 aufgehoben und entsprechend Versicherungspflicht festgestellt werden solle.
Am 26.08.2004 erließ die Beklagte den angekündigten Bescheid und forderte den Kläger zugleich zur Zahlung rückständiger Beiträge iHv 10.449,24 Euro auf. Sie führte aus, der Kläger sei seiner Pflicht, die Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen; auch habe er erkennen müssen, dass angesichts des niedrigen Einkommens aus Gewerbebetrieb die Befreiungsvoraussetzungen weggefallen seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 31.08.2004 Widerspruch und stellte zugleich einen erneuten Befreiungsantrag. Die Beklagte befreite ihn sodann mit Bescheid vom 15.11.2004 für die Zeit ab dem 01.09.2004 von der Versicherungspflicht. Sie führte aus, die Befreiung sei erst ab Eingang des erneuten Antrags auszusprechen gewesen, da die materiellen Befreiungsvoraussetzungen bereits zuvor vorgelegen hätten und der Antrag nicht nicht binnen 3 Monaten nach ihrem Wiedereintritt gestellt worden sei.
Der Kläger erhob am 19.11.2004 auch hiergegen Widerspruch mit der Begründung, die Befreiung hätte zumindest für das gesamte Jahr 2004 ausgesprochen werden müssen, da der ursprüngliche Befreiungsantrag vom 11.11.1994 fortwirke. Zumindest aber seien die Bescheinigungen über das Einkommen als neuer Antrag zu werten gewesen seien. Im Übrigen habe die Beklagte ihre Pflicht, den Kläger auf das Erfordernis eines neuen Antrags hinzuweisen, verletzt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 09.02.2005 zurück. Sie führte unter Berufung auf eine Entscheidung des SG Speyer (Urteil vom 07.08.2002, S 8 LW 4/01) aus, auch bei Wiedereintritt der materiellen Befreiungsvoraussetzungen habe einer Befreiung der fehlende Antrag entgegen gestanden, da der ursprüngliche Befreiungsantrag durch den Befreiungsbescheid verbraucht gewesen sei. Die Übersendung der Einkommensnachweise könne nicht als Neuantrag gewertet werden, da sie nur auf Anforderung der Beklagten und nur zur Überprüfung der 1995 erteilten Befreiung erfolgt sei. Der am 31.08.2004 gestellte Neuantrag wirke aufgrund des Prinzips des unteilbaren Monatsbeitrags erst ab dem 01.09.2004; die Beklagte verwies insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 25.11.1998, B 10 LW 10/97 R. Ein sozialrechtlicher Herstellunganspruch stehe dem Kläger mangels Anlass zur Spontanberatung nicht zu; insbesondere sei er im Befreiungsbescheid und dem dazugehörigen Merkblatt über seine Mitwirkungspflichten sowie die Folgen maßgeblicher Einkommensänderungen aufgeklärt worden.
Hiergegen richtet sich die am 11.02.2005 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sei bisheriges Vorbringen und fügt hinzu, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien in den Jahren nach 2000 nur aufgrund steuerlicher Abschreibungen derart niedrig ausgefallen, tatsächlich habe ihm jedoch ein Betrag oberhalb der maßgeblichen Einkommensgrenze zur Verfügung gestanden. Dies gelte erst recht unter Berücksichtigung seiner Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 26.08.2004 und 15.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte hat den Befreiungsbescheid zu Recht für die Zeit ab dem 01.01.2000 aufgehoben und daher ebenfalls zu Recht Beiträge für den entsprechenden Zeitraum 01.01.2000 bis 31.08.2004 nachgefordert.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) - ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese wesentliche Änderung lag darin, dass die Befreiungsvoraussetzungen am 01.01.2000 entfallen und erst am 01.09.2004 wieder eingetreten sind.
Die Befreiungsvoraussetzungen sind zum 01.01.2000 entfallen.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) werden Landwirte auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4800.- Euro (bis 31.03.2003: 1/7 der Bezugsgröße) überschreitet. Das Arbeitseinkommen (§ 15 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung SGB IV) ist nach den steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu bestimmen. Hierzu gehört auch der steuerrechtliche horizontale Verlustausgleich (zum Begriff Seeger, in: L. Schmidt, EstG, 21. Aufl., 2002, § 2, Rn 57), d.h die einkommenssteuerrechtliche Saldierung von Gewinn und Verlust innerhalb derselben Einkunftsart (GLA-Komm., Stand 11/04, § 3 ALG S. 2.3.). Arbeitseinkommen iSd § 15 SGB IV ist auch der Gewinnanteil eines Kommanditisten (BSG, Urteil vom 25.02.2004, B 5 RJ 56/02 R).
Der Kläger hat diese Grenze im Jahr 2000 unterschritten, denn er hat laut Auskunft des Finanzamts F Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. minus 290.395.- DM erzielt. Das Gericht braucht dem Einwand des Klägers, dieser Betrag komme allein durch Abschreibungen etc. zustande und ihm habe für seine persönliche Lebensführung auch weiterhin ein Betrag über der Grenze in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG zur Verfügung gestanden, nicht nachzugehen. Die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über Einkommen und Vermögen (§§ 14 ff SGB IV) orientieren sich weitgehend an denen des Steuerrechts (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV); dies gilt - wie dargelegt - auch für den horizontalen Verlustausgleich. Es ist dem Kläger damit verwehrt, sich einerseits gegenüber dem staatlichen Steueranspruch auf Abschreibungen etc. zu berufen und zugleich den Beitragsansprüchen der Solidargemeinschaft entgegen zu halten, die steuerlich geltend gemachten Wertverluste seien überwiegend fiktiver Natur.
Soweit der Kläger vorträgt, seine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hätten in allen hier streitigen Zeiträumen die Grenze des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG überschritten, dringt er hiermit ebenfalls nicht durch, denn derartige Einnahmen sind weder Arbeitseinkommen noch vergleichbares Einkommen. Arbeitseinkommen sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur dann, wenn die Vermietung oder Verpachtung sich als unselbständiger Teil einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit darstellt und von dieser nicht zu trennen ist, weil auch der Gewerbebetrieb mit dem entsprechenden Gegenstand wirtschaftet (BSG SozR 3-2400 § 15 Nr. 5,6). Aus dem gesamten klägerischen Vortrag ergibt sich keinerlei Hinweis auf eine derartige Verquickung von Mieteinnahmen und Gewerbebetrieb. Dem Arbeitseinkommen vergleichbar iSd § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG ist Einkommen, das aufgrund einer Tätigkeit erzielt wird (Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 18 a, Rn 6; vgl. auch Sehnert, in: Hauck/Haines, SGB IV, § 18 a, Rn 29: die Vergleichbarkeit muss sich auf Funktion und rechtliche Ausgestaltung beziehen). Solches Einkommen stellt nur deswegen kein Arbeitsentgelt- oder einkommen dar, weil das zugrundeliegende Rechtsverhältnis einer Beschäftigung (§ 7 SGB IV) lediglich nahesteht (so etwa bei Bezügen aus besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnissen wie Ministerbezügen oder Abgeordnetendiäten, vgl. Seewald, aaO; Sehnert, aaO) oder aber wenn die genaue Einordnung unter die §§ 14,15 SGB IV (wie bei Abfindungen oder Aufstockungsbeträgen des Arbeitgebers, Vorruhestandsgeld etc, hierzu GLA-Komm., aaO, S. 2.4 f) nicht endgültig geklärt erscheint. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steht keine Tätigkeit, sondern die Inhaberschaft an (dinglichen oder obligatorischen) Rechtspositionen und deren Nutzung im Vordergrund, weswegen eine Vergleichbarkeit mit Arbeitsentgelt oder -einkommen nicht gegeben ist (so iE auch GLA-Komm., aaO, S. 2.5.).
Im Zeitraum nach dem 31.12.2000 haben die Voraussetzungen der Befreiung von der Versicherungspflicht schon deswegen nicht vorgelegen, weil es an einem nach § 3 Abs. 1 ALG erforderlichen Antrag gefehlt hat. Der einem Befreiungsbescheid zugrundeliegende Antrag ist bei Entfallen der Befreiungsvoraussetzungen verbraucht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.11.2002, L 8 LW 14/02). In den Bescheinigungen des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters lag auch kein Neuantrag. Ein konkludenter Neuantrag kann in der Übersendung der maßgeblichen Unterlagen im Falle eines Wechsels des Befreiungstabestandes liegen, da dies erkennen lässt, dass der Versicherte die Befreiung unter geänderten Lebensumständen abermals in Anspruch nehmen möchte (GLA-Komm., aaO, S. 6.1.). Diese Konstruktion passt indes nicht auf Konstellationen, in denen der Betreffende sich alleine auf den Fortbestand eines Befreiungstatbestandes beruft, der zwischenzeitlich entfallen ist und von dessen Entfallen die Beklagte aufgrund unrichtiger Angaben des Versicherten keine Kenntnis hat.
Eine Rückdatierung des erneuten Befreiungsantrags aufgrund des Rechtsgedankens aus § 34 Abs. 2 Satz 3 ALG (näher zu dieser Konstruktion LSG Nordrhein-Westfalen, aaO) kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil der Kläger den verspäteten Neuantrag zu vertreten hat: Er hat über Jahre hinweg unzutreffende Angaben über seine Einkommensverhältnisse gemacht. Ein Verschulden seines Steuerberaters steht hierbei seinem eigenen Verschulden gleich.
Da nach alledem erst am 31.08.2004 ein neuer Befreiungsantrag gestellt wurde, konnte die Befreiung erst ab dem 01.09.2004 festgestellt werden. Für den Monat, in dem die Antragstellung erfolgt, besteht noch Versicherungspflicht (vgl. GLA-Komm., aaO, S. 6.1).
Die Aufhebung des Befreiungsbescheides auch für die Vergangenheit ist rechtmäßig, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X: Der Kläger, der bereits im Befreiungsbescheid auf die Folgen einer Unterschreitung der Einkommensgrenze sowie auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen worden ist, hat es jedenfalls unterlassen, seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb korrekt mitzuteilen. Es musste sich ihm auch nahezu aufdrängen, dass er durch Unterschreiten der Einkommensgrenze die Befreiungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllte. Die Frist aus § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt.
Die Aufhebung ist auch nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Nach der zitierten Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen kann ein Aufhebungs- und Nachforderungsbescheid ermessensfehlerhaft sein, wenn die Beklagte bei der Prüfung der Befreiungsvoraussetzungen nicht auf die Angaben seitens des Versicherten hätte vertrauen oder sich nicht damit hätte begnügen dürfen. Im vorliegenden Fall handelte es sich indes um Bescheinigungen eines Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterbüros bzgl. der jeweils fraglichen Zeiträume. Anders als in dem vom LSG Nordrhein-Westfalen entschiedenen Fall waren die materiellen Vorausssetzungen des Befreiungstatbestandes auch nicht nur für einen kurzen Zeitraum entfallen und trifft die Nachforderung den Kläger auch nicht unverhältnismäßig.
Schließlich kann sich der Kläger nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellunganspruch berufen. Ein solcher Anspruch kommt im vorliegenden Fall allein unter dem Aspekt einer von der Beklagten unterlassenen Spontanberatung in Betracht (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12). Ob nach Erhalt der Auskunft des Finanzamts F am 25.04.2004 eine solche Pflicht zur Spontanberatung bestand, vermag das Gericht offen zu lassen, denn die Beklagte hat den Kläger bereits mit dem Anhörungsschreiben vom 26.05.2004 auf die Rechtslage hingewiesen. Im Übrigen setzt sich der Kläger in unzuläsiger Weise in Widerspruch zu eigenem früheren Verhalten ("venire contra factum proprium"), wenn er erst durch seinen Steuerberater inhaltlich unzutreffende Bescheinigungen erstellen lässt und nun aus demselben Umstand einen Herstellungsanspruch ableiten möchte. Auch zum Zeitpunkt der Erteilung des Befreiungsbescheides bestand kein Anlass für eine Spontanberatung. Hätte der Kläger der Aufforderung der Beklagten, Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen warheitsgemäß mitzuteilen, Folge geleistet, so wäre er bereits zu einem früheren Zeitpunkt insbesondere im Wege der Anhörung auf das Erfordernis eines Neuantrags aufmerksam gemacht worden.
Nach rechtmäßiger Aufhebung des Befreiungsbescheides ergibt sich die Beitragspflicht des Klägers aus allgemeinen Regeln (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 71 Abs. 1 ALG). Die Nachforderung ist auch nicht verjährt, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV (der im Anwendungsbereich von § 71 Abs. 1 ALG ebenfalls gilt, vgl. GLA-Komm, § 71, S 1.2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197 a SGG ist in Fällen wie dem vorliegenden generell nicht einschlägig, da es sonst vom Ausgang des Verfahrens abhinge, welches Kostenrecht anzuwenden ist.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der Zeit vom 01.01.2000 bis 31.08.2004 sowie die Nachforderung von Beiträgen für diesen Zeitraum.
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist Kommanditist der Firma H GmbH & Co KG; darüber hinaus hat er eine landwirtschaftliche Fläche gepachtet.
Mit Bescheid vom 20.03.1995 (iF: Befreiungsbescheid) erteilte ihm die Beklagte Befreiung von der Versicherungspflicht ab dem 01.01.1995. In dem Bescheid hieß es ferner, die Versicherungspflicht werde wieder eintreten, wenn das außerhalb der Land- und Forstwirtschaft erzielte Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder vergleichbare Einkommen ein Siebtel der Bezugsgröße (§ 18 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung) unterschreite; Einkommensänderungen seien dementsprechend mitzuteilen.
Auf Nachfrage der Beklagten ließ der Kläger über den für ihn tätigen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit Schreiben vom 11.03.2002 und 19.02.2004 mitteilen, er habe in den Jahren 2000 bis 2003 "Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen bezogen ( ...), welches die Bezugsgröße nach § 18 SGB IV erheblich übersteigt". Eine Nachfrage beim zuständigen Finanzamt F am 24.05.2004 ergab folgende Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb: Jahr 2000: -290395 DM; Jahr 2001: 0 DM; Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wurden nicht erzielt.
Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 26.05.2004 mit, dass der Befreiungsbescheid für die Zeit ab dem 01.01.2000 aufgehoben und entsprechend Versicherungspflicht festgestellt werden solle.
Am 26.08.2004 erließ die Beklagte den angekündigten Bescheid und forderte den Kläger zugleich zur Zahlung rückständiger Beiträge iHv 10.449,24 Euro auf. Sie führte aus, der Kläger sei seiner Pflicht, die Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen; auch habe er erkennen müssen, dass angesichts des niedrigen Einkommens aus Gewerbebetrieb die Befreiungsvoraussetzungen weggefallen seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 31.08.2004 Widerspruch und stellte zugleich einen erneuten Befreiungsantrag. Die Beklagte befreite ihn sodann mit Bescheid vom 15.11.2004 für die Zeit ab dem 01.09.2004 von der Versicherungspflicht. Sie führte aus, die Befreiung sei erst ab Eingang des erneuten Antrags auszusprechen gewesen, da die materiellen Befreiungsvoraussetzungen bereits zuvor vorgelegen hätten und der Antrag nicht nicht binnen 3 Monaten nach ihrem Wiedereintritt gestellt worden sei.
Der Kläger erhob am 19.11.2004 auch hiergegen Widerspruch mit der Begründung, die Befreiung hätte zumindest für das gesamte Jahr 2004 ausgesprochen werden müssen, da der ursprüngliche Befreiungsantrag vom 11.11.1994 fortwirke. Zumindest aber seien die Bescheinigungen über das Einkommen als neuer Antrag zu werten gewesen seien. Im Übrigen habe die Beklagte ihre Pflicht, den Kläger auf das Erfordernis eines neuen Antrags hinzuweisen, verletzt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 09.02.2005 zurück. Sie führte unter Berufung auf eine Entscheidung des SG Speyer (Urteil vom 07.08.2002, S 8 LW 4/01) aus, auch bei Wiedereintritt der materiellen Befreiungsvoraussetzungen habe einer Befreiung der fehlende Antrag entgegen gestanden, da der ursprüngliche Befreiungsantrag durch den Befreiungsbescheid verbraucht gewesen sei. Die Übersendung der Einkommensnachweise könne nicht als Neuantrag gewertet werden, da sie nur auf Anforderung der Beklagten und nur zur Überprüfung der 1995 erteilten Befreiung erfolgt sei. Der am 31.08.2004 gestellte Neuantrag wirke aufgrund des Prinzips des unteilbaren Monatsbeitrags erst ab dem 01.09.2004; die Beklagte verwies insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 25.11.1998, B 10 LW 10/97 R. Ein sozialrechtlicher Herstellunganspruch stehe dem Kläger mangels Anlass zur Spontanberatung nicht zu; insbesondere sei er im Befreiungsbescheid und dem dazugehörigen Merkblatt über seine Mitwirkungspflichten sowie die Folgen maßgeblicher Einkommensänderungen aufgeklärt worden.
Hiergegen richtet sich die am 11.02.2005 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sei bisheriges Vorbringen und fügt hinzu, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien in den Jahren nach 2000 nur aufgrund steuerlicher Abschreibungen derart niedrig ausgefallen, tatsächlich habe ihm jedoch ein Betrag oberhalb der maßgeblichen Einkommensgrenze zur Verfügung gestanden. Dies gelte erst recht unter Berücksichtigung seiner Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 26.08.2004 und 15.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte hat den Befreiungsbescheid zu Recht für die Zeit ab dem 01.01.2000 aufgehoben und daher ebenfalls zu Recht Beiträge für den entsprechenden Zeitraum 01.01.2000 bis 31.08.2004 nachgefordert.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) - ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese wesentliche Änderung lag darin, dass die Befreiungsvoraussetzungen am 01.01.2000 entfallen und erst am 01.09.2004 wieder eingetreten sind.
Die Befreiungsvoraussetzungen sind zum 01.01.2000 entfallen.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) werden Landwirte auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4800.- Euro (bis 31.03.2003: 1/7 der Bezugsgröße) überschreitet. Das Arbeitseinkommen (§ 15 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung SGB IV) ist nach den steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu bestimmen. Hierzu gehört auch der steuerrechtliche horizontale Verlustausgleich (zum Begriff Seeger, in: L. Schmidt, EstG, 21. Aufl., 2002, § 2, Rn 57), d.h die einkommenssteuerrechtliche Saldierung von Gewinn und Verlust innerhalb derselben Einkunftsart (GLA-Komm., Stand 11/04, § 3 ALG S. 2.3.). Arbeitseinkommen iSd § 15 SGB IV ist auch der Gewinnanteil eines Kommanditisten (BSG, Urteil vom 25.02.2004, B 5 RJ 56/02 R).
Der Kläger hat diese Grenze im Jahr 2000 unterschritten, denn er hat laut Auskunft des Finanzamts F Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. minus 290.395.- DM erzielt. Das Gericht braucht dem Einwand des Klägers, dieser Betrag komme allein durch Abschreibungen etc. zustande und ihm habe für seine persönliche Lebensführung auch weiterhin ein Betrag über der Grenze in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG zur Verfügung gestanden, nicht nachzugehen. Die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über Einkommen und Vermögen (§§ 14 ff SGB IV) orientieren sich weitgehend an denen des Steuerrechts (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV); dies gilt - wie dargelegt - auch für den horizontalen Verlustausgleich. Es ist dem Kläger damit verwehrt, sich einerseits gegenüber dem staatlichen Steueranspruch auf Abschreibungen etc. zu berufen und zugleich den Beitragsansprüchen der Solidargemeinschaft entgegen zu halten, die steuerlich geltend gemachten Wertverluste seien überwiegend fiktiver Natur.
Soweit der Kläger vorträgt, seine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hätten in allen hier streitigen Zeiträumen die Grenze des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG überschritten, dringt er hiermit ebenfalls nicht durch, denn derartige Einnahmen sind weder Arbeitseinkommen noch vergleichbares Einkommen. Arbeitseinkommen sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur dann, wenn die Vermietung oder Verpachtung sich als unselbständiger Teil einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit darstellt und von dieser nicht zu trennen ist, weil auch der Gewerbebetrieb mit dem entsprechenden Gegenstand wirtschaftet (BSG SozR 3-2400 § 15 Nr. 5,6). Aus dem gesamten klägerischen Vortrag ergibt sich keinerlei Hinweis auf eine derartige Verquickung von Mieteinnahmen und Gewerbebetrieb. Dem Arbeitseinkommen vergleichbar iSd § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG ist Einkommen, das aufgrund einer Tätigkeit erzielt wird (Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 18 a, Rn 6; vgl. auch Sehnert, in: Hauck/Haines, SGB IV, § 18 a, Rn 29: die Vergleichbarkeit muss sich auf Funktion und rechtliche Ausgestaltung beziehen). Solches Einkommen stellt nur deswegen kein Arbeitsentgelt- oder einkommen dar, weil das zugrundeliegende Rechtsverhältnis einer Beschäftigung (§ 7 SGB IV) lediglich nahesteht (so etwa bei Bezügen aus besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnissen wie Ministerbezügen oder Abgeordnetendiäten, vgl. Seewald, aaO; Sehnert, aaO) oder aber wenn die genaue Einordnung unter die §§ 14,15 SGB IV (wie bei Abfindungen oder Aufstockungsbeträgen des Arbeitgebers, Vorruhestandsgeld etc, hierzu GLA-Komm., aaO, S. 2.4 f) nicht endgültig geklärt erscheint. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steht keine Tätigkeit, sondern die Inhaberschaft an (dinglichen oder obligatorischen) Rechtspositionen und deren Nutzung im Vordergrund, weswegen eine Vergleichbarkeit mit Arbeitsentgelt oder -einkommen nicht gegeben ist (so iE auch GLA-Komm., aaO, S. 2.5.).
Im Zeitraum nach dem 31.12.2000 haben die Voraussetzungen der Befreiung von der Versicherungspflicht schon deswegen nicht vorgelegen, weil es an einem nach § 3 Abs. 1 ALG erforderlichen Antrag gefehlt hat. Der einem Befreiungsbescheid zugrundeliegende Antrag ist bei Entfallen der Befreiungsvoraussetzungen verbraucht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.11.2002, L 8 LW 14/02). In den Bescheinigungen des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters lag auch kein Neuantrag. Ein konkludenter Neuantrag kann in der Übersendung der maßgeblichen Unterlagen im Falle eines Wechsels des Befreiungstabestandes liegen, da dies erkennen lässt, dass der Versicherte die Befreiung unter geänderten Lebensumständen abermals in Anspruch nehmen möchte (GLA-Komm., aaO, S. 6.1.). Diese Konstruktion passt indes nicht auf Konstellationen, in denen der Betreffende sich alleine auf den Fortbestand eines Befreiungstatbestandes beruft, der zwischenzeitlich entfallen ist und von dessen Entfallen die Beklagte aufgrund unrichtiger Angaben des Versicherten keine Kenntnis hat.
Eine Rückdatierung des erneuten Befreiungsantrags aufgrund des Rechtsgedankens aus § 34 Abs. 2 Satz 3 ALG (näher zu dieser Konstruktion LSG Nordrhein-Westfalen, aaO) kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil der Kläger den verspäteten Neuantrag zu vertreten hat: Er hat über Jahre hinweg unzutreffende Angaben über seine Einkommensverhältnisse gemacht. Ein Verschulden seines Steuerberaters steht hierbei seinem eigenen Verschulden gleich.
Da nach alledem erst am 31.08.2004 ein neuer Befreiungsantrag gestellt wurde, konnte die Befreiung erst ab dem 01.09.2004 festgestellt werden. Für den Monat, in dem die Antragstellung erfolgt, besteht noch Versicherungspflicht (vgl. GLA-Komm., aaO, S. 6.1).
Die Aufhebung des Befreiungsbescheides auch für die Vergangenheit ist rechtmäßig, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X: Der Kläger, der bereits im Befreiungsbescheid auf die Folgen einer Unterschreitung der Einkommensgrenze sowie auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen worden ist, hat es jedenfalls unterlassen, seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb korrekt mitzuteilen. Es musste sich ihm auch nahezu aufdrängen, dass er durch Unterschreiten der Einkommensgrenze die Befreiungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllte. Die Frist aus § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt.
Die Aufhebung ist auch nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Nach der zitierten Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen kann ein Aufhebungs- und Nachforderungsbescheid ermessensfehlerhaft sein, wenn die Beklagte bei der Prüfung der Befreiungsvoraussetzungen nicht auf die Angaben seitens des Versicherten hätte vertrauen oder sich nicht damit hätte begnügen dürfen. Im vorliegenden Fall handelte es sich indes um Bescheinigungen eines Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterbüros bzgl. der jeweils fraglichen Zeiträume. Anders als in dem vom LSG Nordrhein-Westfalen entschiedenen Fall waren die materiellen Vorausssetzungen des Befreiungstatbestandes auch nicht nur für einen kurzen Zeitraum entfallen und trifft die Nachforderung den Kläger auch nicht unverhältnismäßig.
Schließlich kann sich der Kläger nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellunganspruch berufen. Ein solcher Anspruch kommt im vorliegenden Fall allein unter dem Aspekt einer von der Beklagten unterlassenen Spontanberatung in Betracht (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12). Ob nach Erhalt der Auskunft des Finanzamts F am 25.04.2004 eine solche Pflicht zur Spontanberatung bestand, vermag das Gericht offen zu lassen, denn die Beklagte hat den Kläger bereits mit dem Anhörungsschreiben vom 26.05.2004 auf die Rechtslage hingewiesen. Im Übrigen setzt sich der Kläger in unzuläsiger Weise in Widerspruch zu eigenem früheren Verhalten ("venire contra factum proprium"), wenn er erst durch seinen Steuerberater inhaltlich unzutreffende Bescheinigungen erstellen lässt und nun aus demselben Umstand einen Herstellungsanspruch ableiten möchte. Auch zum Zeitpunkt der Erteilung des Befreiungsbescheides bestand kein Anlass für eine Spontanberatung. Hätte der Kläger der Aufforderung der Beklagten, Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen warheitsgemäß mitzuteilen, Folge geleistet, so wäre er bereits zu einem früheren Zeitpunkt insbesondere im Wege der Anhörung auf das Erfordernis eines Neuantrags aufmerksam gemacht worden.
Nach rechtmäßiger Aufhebung des Befreiungsbescheides ergibt sich die Beitragspflicht des Klägers aus allgemeinen Regeln (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 71 Abs. 1 ALG). Die Nachforderung ist auch nicht verjährt, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV (der im Anwendungsbereich von § 71 Abs. 1 ALG ebenfalls gilt, vgl. GLA-Komm, § 71, S 1.2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197 a SGG ist in Fällen wie dem vorliegenden generell nicht einschlägig, da es sonst vom Ausgang des Verfahrens abhinge, welches Kostenrecht anzuwenden ist.
Rechtskraft
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