S 25 (13) AL 224/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 (13) AL 224/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten bei der Ermittlung des Leistungssatzes für den Bezug von Arbeitslosengeld über die Frage, ob Kirchensteuer pauschal abzugsfähig ist und hierbei um die Frage, ob § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III verfassungsgemäß und daher anzuwenden ist.

Der Kläger gehört seit 18 Jahren keiner Kirche mehr an. Nachdem der Kläger arbeitslos wurde, meldete er sich am 22.12.2003 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Ende Mai 2003 gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass nach den Auswertungen aus dem Jahre 2001 der Anteil der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer auf unter 55 % gesunken ist.

Mit Bescheid vom 11.02.2004 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 23.12.2004 nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 660,- EUR wöchentlich. Unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe A und einer Nettolohnersatzquote von 60 v. H. bewilligte die Beklagte dem Kläger einen wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 224,49 EUR.

Hiergegen legte der Kläger mit Datum vom 08.03.2004 Widerspruch ein, die Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes sei nicht gerechtfertigt.

Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2004 als unbegründet zurück. Die Beklagte verwies auf den im Antragszeitpunkt noch gültigen § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III (mit Wirkung zum 01.01.2005 aufgehoben), wonach die Kirchensteuer zu den gewöhnlich anfallenden Entgeltabzügen bei der überwiegenden Mehrheit aller Versicherten gehöre und daher unabhängig von der individuellen Konfessionszugehörigkeit zu berücksichtigen sei. Hierbei verwies die Beklagte auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts.

Der Kläger ist der Ansicht, § 136 SGB dürfe bezüglich der Kirchensteuer nicht mehr angewendet werden; seit Dezember 2003 könne nicht mehr von einer deutlichen oder überwiegenden Mehrheit von Kirchenmitgliedern ausgegangen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 23.03.1994 (Az. 1 BvL 8/85) dem Gesetzgeber eine Handlungspflicht auferlegt, wenn keine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirche angehöre. Diese Grenze, die eine Handlungspflicht auslöse, sei nach dem Bundessozialgericht (Urteil vom 25.06.2002; Az.: B 11 AL 55/01 R / Urteil vom 21.03.2002; Az.: B 7 AL 18/01 R / Urteil vom 18.11.2001; Az.: B 11 AL 43/01 R), dann erreicht von der Anteil der kirchenzugehörigen Arbeitnehmern unter die Grenze von 55 % gesunken sei. Dies sei spätestens Ende Mai 2003 durch die entsprechende Bekanntgabe des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2001 erreicht. Die Zahlen seien in jedem Jahr regelmäßig rückläufig – zwischen 4 bis 5 %; es sei daher davon auszugehen, dass der Anteil unterdessen sogar auf unter 50 % gesunken sei. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die ältere Rechtsprechung berufen, das Bundessozialgericht habe sich schon häufiger mit der Frage der Verfassungsgemäßheit des Kirchensteuerhebesatzes befasst, zuletzt für die Zeiträume bis 1999 mit dem Urteil vom 25.06.2002. Der Anteil der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer könne nur in einem 3 jährigen Turnus ermittelt werden, da dieser Anteil nur über die Lohn- und Einkommenssteuerstatistik ermittelbar wäre, die ebenfalls nur im 3 jährigen Turnus erstellt werde. Die alte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei daher nicht mehr anwendbar, da die 55 % Marke unterschritten sei. Vielmehr gebiete die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anwendung des § 136 SGB bzgl. der Kirchensteuer zu unterlassen.

Mit seiner Klage vom 01.06.2004, beim Sozialgericht Düsseldorf am selben Tag eingegangen, verfolgt der Kläger weiterhin sein Begehren auf Bewilligung eines höheren Arbeitslosengeldes.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 11.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2004 kostenpflichtig zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit ab dem 23.12.2003 höheres Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe nach der damals gültigen Rechtslage gehandelt.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 30.05.2005 hat das Gericht die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört. Die Beklagte gab ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 24.05.2005; der Klägervertreter schloss sich mit Erklärung 03.06.2005 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung an. Die Beklagte stellte in ihrer schriftlichen Erklärung vom 26.10.2005 klar, dass sie auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Sinne von § 124 Abs. 2 SGG einverstanden ist.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Kd.-Nr. 000000) lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht kann nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis aller Beteiligten auch ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben ihre Zustimmung hierzu vorab erteilt.

II. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist im Übrigen auch zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 IV SGG statthaft.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klage ist daher abzuweisen.

1.Die Beklagte hat zutreffend den noch bis zum 31.12.2004 gültigen § 136 SGB angewandt und gemäß 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III die Kirchensteuer als gewöhnlich anfallenden Entgeltabzügen vom Bemessungsentgelt abgezogen. Es ist zwar zutreffend, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Ausfüllung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1994 (Az. 1 BvL 8/85) mit der dem Gesetzgeber eine Handlungspflicht auferlegt, wenn keine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirche angehöre, keine uneingeschränkte Anwendung findet. Insoweit sieht die Kammer die maßgebliche Grenze mit dem Bundessozialgericht bei zwar auch bei 55 %. Die Rechtsprechung des Bundessozialgericht erfaßt jedoch in der Sache lediglich die Zeiträume bis 1999. Allerdings sind für eine künftig abweichende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für nach 1999 nach gelagerte Beurteilungszeiträume, jedenfalls soweit sie den Zeitraum vor der Antragstellung, also 2003, erfassen, nicht ersichtlich.

a) Zum einen kann Grundlage für die Beurteilung, ob noch eine überwiegende Mehrheit von Kirchenmitgliedern vorliegt, nur empirisch nachgewiesene Daten sein. Vermutungen und Tendenzen reichen hierfür nicht aus (SG Dresden 10. Kammer, Gerichtsbescheid vom 5. August 2003, Az: S 10 AL 222/03). Die hypothetische Betrachtung des Klägers ausgehend von den Untersuchungsergebnissen des Statistischen Bundesamtes von Mai 2003 für den Erhebungszeitraum 2001 reicht folglich nicht aus.

b) Es bedurfte aber auch keiner konkreten Nachprüfung, wie die Entwicklung im Jahre 2003 verlief. Nach Auffassung der Kammer hatte der Kläger selbst wenn seine Vermutung als zutreffend unterstellt werden könnte keinen Anspruch auf Nichtberücksichtigung des § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III. Die Kammer kann selbst in diesem Falle keine Verletzung der Handlungspflicht des Gesetzgebers erkennen, der die Vorschrift des § 136 SGB III und damit auch den Kirchensteuerhebesatz zum 01.01.2005 ersatzlos gestrichen hat. Der Bundesgesetzgeber hat die ihm vom BVerfG (Beschluss vom 23.3.1994 - 1 BvL 8/85 = BVerfGE 90, 226 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) auferlegte Beobachtungs- und Handlungspflicht nicht verletzt und mit der zum 01.01.2005 vorgenommenen Gesetzesänderung des Leistungsbemessungsrechts rechtzeitig reagiert hat (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 3. Senat, Urteil vom 15. April 2005, Az: L 3 AL 26/04). Dass der Wegfall des (fiktiven) Kirchensteuerabzuges nicht schon früher zum Tragen kommt, ist nicht zu beanstanden. Die Ahndung einer solchen Verletzung der Handlungspflicht des Bundesgesetzgebers durch das Gericht, indem es allein aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten heraus eine ansonsten noch in Kraft stehende Vorschrift unangewendet lässt, steht stets in Widerspruch zum Gewaltenteilungsprinzip. Es ist vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, das aktuell gültige Normengefüge entsprechenden zu korrigieren. Es ist daher üblich und auch vom Bundesverfassungsgericht so praktiziert dass dem Gesetzgeber ein gewisser zeitlicher Übergangszeitraum eingeräumt wird, binnen derer er eine als verfassungswidrige Gesetzessituation zu korrigieren hat. Diese Übergangszeit ist regelmäßig mehrjährig, um den ordnungsgemäßen Parlamentsweg zu garantieren. Erst nach Ablauf solcher Fristen überwiegt das Prinzip der Verfassungsgemäßheit der Anwendung von Rechtsvorschriften gegenüber dem Gewaltenteilungsprinzip. Die Kammer vermag hier eine solche Fristüberschreitung nicht erkennen, selbst wenn die statistische Erhebung aus Mai 2003 bereits eine Handlungspflicht statuiert hätte. Die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag fand am 22. September 2002 statt, die ersatzlose Abschaffung der Vorschrift des § 136 SGB III ist noch in dessen Legislaturperiode erfolgt.

Aus alldem war die Klage abzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Rechtskraft
Aus
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