L 7 AS 261/05 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 32 AS 178/05 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 261/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 2. März 2005 abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auf der Grundlage der am 15. November 2004 beim Oberlandesgericht Jena getroffenen Umgangsregelung die Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts für ihre Kinder J., K. und M. H. für die Monate Juli und September 2005 vorläufig und darlehensweise in der von der Antragstellerin nachgewiesenen Höhe zur Verfügung zu stellen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Erstattung der Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts mit ihren Kindern J., K. und M. ab Januar 2005.

Die im Oktober 1976 geborene Antragstellerin lebt mit ihrem Lebensgefährten M. P. (nachfolgend Lebensgefährte) und der gemeinsamen Tochter G. M. seit 2004 in einer eheähnlichen Gemeinschaft.

Am 29. September 2004 beantragte der Lebensgefährte für sich, die Antragstellerin und die Tochter als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom November 2004 wurde der Bedarfsgemeinschaft ein Gesamtanspruch in Höhe von 976,37 Euro monatlich bewilligt.

Unter dem 13. Dezember 2004 beantragte die Antragstellerin die Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts mit ihren leiblichen Kindern J., K. und M. H ... Die Kinder leben seit der Scheidung bei dem Kindesvater in H. bei Q. Die Antragstellerin trug sinngemäß vor, dass ihr zur Wahrnehmung eines vereinbarten Umgangsrechts Kosten in Höhe von insgesamt etwa 348,50 Euro in dem Monat entstünden, in dem sie die Kinder abholen müsse. Dem Antrag fügte die Antragstellerin einen Beschluss des OLG Jena vom 30. November 2004 sowie das Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung vom 15. November 2004 bei, aus dem sich im Wesentlichen folgende vereinbarte Umgangsregelung ergibt: Die Antragstellerin ist berechtigt, mit ihren drei Kindern K., M. und J. jedes dritte Wochenende im Monat Umgang zu pflegen. Die Antragstellerin verpflichtet sich sinngemäß, beginnend im Januar 2005 und weiter jeden zweiten Monat, die Kinder freitags an ihrem Wohnort in Q. abzuholen und sonntags zurück zu bringen. Für die Wochenenden in den Zwischenmonaten verpflichtete sich der geschiedene Ehemann der Antragstellerin, die Kinder zum Wohnort der Antragstellerin zu bringen und zu übergeben sowie sie wieder abzuholen. Ferner legte die Antragstellerin ein Schreiben des Landratsamtes Gotha vom 4. November 2004 vor, wonach die Fahrtkosten einmal für jeden zweiten Monat zuzüglich 20,00 Euro für "eine Person zur Übernachtung" übernommen würden.

Mit Bescheid vom 6. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten ab. Die Entscheidung beruhe auf § 23 SGB II. Hiergegen legte die Klägerin am 12. Januar 2005 Widerspruch ein.

Am 19. Januar 2005 beantragte sie beim Sozialgericht Gotha sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die zur Wahrnehmung der Umgangskontakte mit ihren Kindern entstehenden Kosten zur Verfügung zu stellen und verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Zusage des Landratsamtes Gotha vom 4. November 2004.

Mit Beschluss vom 20. Januar 2005 hat das Sozialgericht das Landratsamt Gotha als zuständigen Sozialhilfeträger beigeladen.

Mit Beschluss vom 2. März 2005 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin beziehe Leistungen nach dem SGB II. Damit seien Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nur noch in den vom Gesetzgeber normierten Ausnahmefällen zu gewähren. Die dort vorgegebenen Voraussetzungen lägen nicht vor. Wie zu verfahren sei, wenn im Einzelfall ein von der Regelleistung umfassender Bedarf nicht gedeckt werden könne, wie im vorliegenden Fall, sei in § 23 SGB II geregelt. Nach dieser Vorschrift sei als erstes zu prüfen, ob ein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes bestehe. Dieser Tatbestand sei von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. Januar 2005 rechtmäßiger Weise als nicht erfüllt angesehen worden. Mit § 23 SGB II habe der Gesetzgeber den bisher geltenden sozialhilferechtlichen Grundsatz der individuellen Bedarfsdeckung grundlegend neu definiert. Seit Inkrafttreten des SGB II sei eine Abweichung von den Regelsätzen nur noch dann zulässig, wenn ein unabweisbarer Bedarf nachgewiesen sei. Um das erforderliche Maß des Umgangs feststellen zu können, seien alle das Eltern-Kind-Verhältnis bestimmenden Umstände zu würdigen. Zwar werde nicht verkannt, dass es dem Mutter-Kind-Verhältnis dienlich sein könne, wenn sie jeden Monat einmal ein gemeinsames Wochenende verbrächten. Andererseits sei auf Grund der hier tatsächlich vorliegenden Gegebenheiten auch ein Drei-Monats-Rhythmus als noch vertretbar anzusehen und damit ein unabweisbarer Bedarf nicht nachgewiesen.

Gegen den am 4. März 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 4. April 2005 Beschwerde eingelegt.

Die angegriffene Entscheidung berücksichtige nicht ausreichend, dass die Antragstellerin vom OLG Jena unter Strafandrohung verpflichtet worden sei, den Umgang auch ihrerseits aktiv im Zwei-Monats-Rhythmus wahrzunehmen. Weiter bleibe in der angegriffenen Entscheidung der besondere Schutz der familiären Beziehung nach Art. 6 Grundsgesetz (GG) unberücksichtigt. Hieraus ergebe sich aus Sicht der Antragstellerin ein "unabwendbarer" (gemeint ist unabweisbarer) Bedarf.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 2. März 2005 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechtes mit ihren Kindern J., K. und M. H., wie am 15. November 2004 beim OLG Jena vereinbart, zu erstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des Beschlusses des Sozialgerichts Gotha und meint, es bestehe kein unabweisbarer Bedarf.

Die Beigeladene beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beziehe Leistungen nach dem SGB II. Nach § 5 Abs. 2 SGB II schließe der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII aus. Ausnahmen träfen hier nicht zu. Jedenfalls könne das Fehlen einer Öffnungsklausel im SGB II nicht über die Sozialhilfe ausgeglichen werden. Die Zusage vom 4. November 2004 binde weder die Beigeladene noch die Antragsgegnerin. Diese sei unter Anwendungen der Normen des BSHG erteilt worden und habe ihre Wirksamkeit verloren. Im Übrigen ist die Beigeladene ebenfalls der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung nicht zu beanstanden sei.

Mit Bescheid vom 28. April 2005 hat die Antragsgegnerin den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 976,37 Euro monatlich gewährt. Auf den Inhalt des Bescheides wird verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Antragsgegnerin verwiesen, der ebenfalls Gegenstand der Beratung gewesen ist.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Die Antragsgegnerin ist im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts für die Monate Juli und September 2005 vorläufig und darlehensweise zur Verfügung zu stellen.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, wenn – wie hier – ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG (vorläufiger Rechtsschutz in Anfechtungssachen) nicht vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten dann entsprechend (Satz 4). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG), gegen den nach § 172 SGG die Beschwerde zulässig ist.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch (gesetzlicher Anknüpfungspunkt bei der Sicherungsanordnung: "Recht des Antragstellers", bei der Regelungsanordnung: "Streitiges Rechtsverhältnis") und einen Anordnungsgrund (einerseits: "Gefahr für die Verwirklichung des Rechts", andererseits: "Notwendigkeit zur Regelung eines Zustands") bejahen kann. Dabei bedeutet die Möglichkeit der Glaubhaftmachung von Tatsachen zunächst nur, dass sich das Gericht nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen der beweiserheblichen Tatsachen machen muss, sondern ein geringerer Grad der Überzeugung genügt (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 103 Rdnr. 6 a).

Der Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung) liegt vor, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden, wobei auf die Beachtung der Folgen für den Fall des Nichterlasses der begehrten einstweiligen Anordnung abzustellen ist. So können z.B. der Gesundheitszustand oder die finanzielle oder wirtschaftliche Situation eines Antragstellers im Wege einer Interessenabwägung dazu geeignet sein, das Vorliegen eines Regelungsgrundes zu begründen, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes kann es dabei ausnahmsweise auch erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar ist und ein Abwarten für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 86 b Rdnr. 31).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für die Bejahung eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes vor, soweit es die darlehensweise Übernahme von Kosten für das Umgangsrecht für die Monate Juli und September 2005 betrifft. Für das darüber hinausgehende Begehren fehlt ein Anordnungsanspruch.

Ein Anordnungsanspruch ergibt sich allerdings nicht aus den Regelungen des SGB XII. Die Beigeladene ist nicht leistungspflichtig. Denn die Antragstellerin begehrt mit der Übernahme der Kosten für ihr Umgangsrecht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein solcher Anspruch richtet sich für erwerbsfähige Hilfebedürftige ausschließlich nach dem SGB II. Eine Anspruchsgrundlage nach dem SGB XII für Leistungen, die nicht zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt werden, beispielsweise als Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, ist hier nicht ersichtlich. Dies gilt auch, obwohl die Beigeladene mit Bescheid vom 4. November 2004 der Antragstellerin zugesichert hat, die Fahrkosten sowie Übernachtungskosten zu übernehmen (Zusage einer Leistung dem Grunde nach). Denn dieser Bescheid ist nur so auszulegen, dass es sich um eine Kostenübernahme nach den Bestimmungen des damals noch gültigen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gehandelt hat. Dieser Bescheid hat sich nach Inkrafttreten des SGB II und des SGB XII nach § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab 1. Januar 2005 erledigt.

Die Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechtes ergibt sich aber aus einer entsprechenden Anwendung des § 23 Abs. 1 SGB II.

Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

Die Antragstellerin kann die Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts weder aus der bewilligten Regelleistung noch aus ihrem Vermögen bestreiten. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Es handelt sich bei den Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts in diesem Sinne insbesondere um einen nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Bei dem Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes im Sinne des § 23 SGB II handelt es sich grundsätzlich um einen Bedarf, dessen Sicherstellung sonst aus den Regelleistungen erfolgt, das heißt der normalerweise von den Regelleistungen des § 20 SGB II erfasst wird. Demzufolge kann jeder Bedarf, der von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 20 Abs. 1 SGB II erfasst wird, im Einzelfall (zunächst) auch auf § 23 Abs. 1 SGB II gestützt werden (vgl. Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Auflage 2005, § 23 Rdnr. 17). Die Erstattung der Kosten für das Umgangsrecht wird ausdrücklich nicht von den in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Beispielen erfasst (vgl. zum Beispielscharakter Lang in: Eicher/Spellbrink, aaO, § 20 Rdnr. 175). Durch § 20 Abs. 1 SGB II wird als Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zwar unter anderem auch in vertretbarem Umfang die "Beziehungen zur Umwelt" und zur Teilnahme am kulturellen Leben genannt. Die Ausübung des Umgangsrechts fällt wegen des höchstpersönlichen Charakters dieser Befugnis und wegen der engen persönlich – familiären Bindungen zwischen Eltern und Kind aber nicht in den Bereich der "Beziehungen zur Umwelt" (BVerwG, Urteil vom 22. 8. 1995, ZfSH/SGB 1995, St. 587 ff.). Die Kosten für das Umgangsrecht sind auch nicht im Hinblick auf das Wort "insbesondere" unter die Regelleistung des § 20 Abs. 1 SGB II zu subsumieren. Denn die durch § 20 SGB II gewährten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen – wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt – grundsätzlich nur der Deckung des ohne die Besonderheit des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehenden Bedarfs (vgl. (BVerwG, Urteil vom 22. 8. 1995, ZfSH/SGB 1995, St. 587 ff.). Daran fehlt es bei dem aus der Ausübung des Umgangsrechts entstehenden Bedarf; denn dieser Bedarf besteht nicht bei vielen Hilfeempfängern oder Bedarfsgemeinschaften gleichermaßen, sondern nur bei nicht sorgeberechtigten, von ihren Kindern getrennt lebenden Elternteilen (vgl. BverwG, aaO.) Die Kosten für einen derartigen Sonderbedarf sind dementsprechend auch bei der Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II offensichtlich nicht erfasst (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen – Bremen vom 28. April 2005, Az: L 8 AS 57/05 ER).

Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten ergibt sich damit auch nicht direkt aus § 23 Abs. 1 SGB II, denn der Wortlaut der Bestimmung bezieht sich ausdrücklich nur auf Regelleistungen und ist als Ausnahmevorschrift auf § 20 SGB II abgestimmt. Dennoch können die Kosten nach § 23 Abs. 1 SGB II analog geltend gemacht werden. Denn es besteht eine planwidrige Regelungslücke, wenn ein verfassungsrechtlich anerkannter Bedarf (s. u.) zum Lebensunterhalt wegen der Neuregelung des SGB II als Besonderheit des Einzelfalles nicht (mehr) erfasst wird. Während § 22 Abs. 1 S. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) eine abweichende Bemessung von Regelsätzen gestattete, soweit dies nach den Besonderheiten des Einzellfalles geboten war und nach § 28 Abs. 1 S. 2 des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Möglichkeit der Berücksichtigung des Einzelfalles nach wie vor vorgesehen ist (denn danach werden Bedarfe abweichend von Regelsätzen festgelegt, wenn im Einzelfall der Bedarf ganz oder teilweise gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht), fehlt im SGB II eine ausdrückliche Anspruchsgrundlage für einen notwendigen Bedarf zum Lebensunterhalt, der im Einzelfall geboten ist und der Höhe nach nicht von der Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II erfasst wird. Dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, zeigt sich gerade hier, weil die Beigeladene unter Geltung des BSHG bereit gewesen wäre, die Kosten zu übernehmen und dies mit Bescheid vom 4. November 2004 zugesichert hat.

Die planwidrige Regelungslücke kann verfassungskonform nur dadurch geschlossen werden, dass im Rahmen des § 23 Abs. 1 SGB II auch Bedarfe erstattet werden, die nicht zu den Regelleistungen des § 20 SGB II gehören, aber im Einzelfall als verfassungsrechtlich vorgesehene Bedarfe zu erstatten sind.

Dazu gehören grundsätzlich auch die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechtes durch den nichtsorgeberechtigten Elternteil; sie sind als Teil des notwendigen Lebensunterhalts dem Grunde nach anerkennungsfähiger Bedarf. Denn die Ausübung des Umgangsrechts ist ein persönliches Grundbedürfnis seines täglichen Lebens (vgl. Behrend in juris Praxiskommentar, § 23 SGB II Rdnr. 26). Das Umgangsrecht wurzelt ebenso wie das Sorgerecht des anderen Elternteils im natürlichen Elternrecht (vgl. Art 6 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (GG)) und der damit verbundenen Elternverantwortung, die auch auf Seiten des nicht sorgeberechtigten Elternteils grundsätzlich fortbesteht (BVerfGE 64, 180, 188), das heißt das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG (BVerfG NJW 1995, 1342, 1343). Wird eine Ehe geschieden und nur einem Elternteil die Personensorge übertragen, so bedeutet dies, dass nur dieser Elterteil die notwendigen Entscheidungen über die Pflege und Erziehung zu treffen hat und die entsprechenden Elternfunktionen in einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit dem Kind tatsächlich wahrnimmt (BVerwG, Urteil vom 22. 8. 1995, ZfSH/SGB 1995, St. 587 ff.). Gleichwohl behält der Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 1634 Abs. 1 BGB) die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind. Dieses Umgangsrecht ermöglicht dem nicht sorgeberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (so auch BVerwG, aaO; BVerfG, aaO.).

Der Bedarf ist auch unabweisbar. Unabweisbar ist der Bedarf im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB II, wenn er nicht aufgeschoben werden und auch nicht auf anderweitige Art und Weise gedeckt werden kann. In zeitlicher Hinsicht handelt es sich beim unabweisbaren Bedarf um einen Bedarf, dessen Abdeckung keinen Aufschub duldet (Lang aaO, § 23 Rdnr. 27). Inhaltliche Unabweisbarkeit liegt dann vor, wenn es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Bedarfs kommt, die auch nicht durch Mittelumschichtung innerhalb der Regelleistung beseitigt bzw. aufgefangen werden kann. Auch diese Voraussetzungen liegen vor.

Wie bereits dargelegt, sind die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechtes bei der Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II auch nicht berücksichtigt, so dass insoweit der Bedarf schon grundsätzlich unabweisbar ist.

Bei der Frage, ob die Kosten des Umgangsrechtes im zu entscheidenden Einzelfall unabweisbarer Bedarf sind, sind schließlich aus einer individualisierenden Betrachtung heraus alle das Eltern – Kind – Verhältnis bestimmenden Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Hierzu gehören etwa Alter, Entwicklung und Zahl der Kinder, Intensität ihrer Bindung zum Umgangsberechtigten, Einstellung des anderen Elternteils zum Umgangsrecht, insbesondere Vorliegen und Inhalt einverständlicher Regelungen, Entfernung der jeweiligen Wohnorte beider Elternteile und die Art der Verkehrsverbindungen (BVerwG, Urteil vom 22. 8. 1995, ZfSH/SGB 1995, St. 587 ff.).

Für den Senat ist von erheblicher Bedeutung, dass die Antragstellerin mit ihrem geschiedenen Ehegatten nach offensichtlich langwieriger Verhandlung in dem Termin vom 15. November 2004 vor dem OLG Jena eine detaillierte Umgangsregelung vereinbart haben, wonach der Kindesvater die gemeinsamen Kinder in einem Monat zur Antragstellerin bringt, während im darauf folgenden Monat die Kinder von der Antragstellerin abgeholt werden. Hierbei handelt es sich, nicht nur im Hinblick auf die Kosten, aus der Sicht der Kinder um ein abgestimmtes Verfahren, wonach einmal der Vater und einmal die Mutter und nicht lediglich nur ein Elternteil den hiernach erheblichen Aufwand der anfallenden Reisen auf sich nimmt, mithin sich um die Durchführung des Umgangsrechtes aktiv kümmert. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kindesvater die Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechtes der Antragstellerin alleine getragen hätte. Die Vereinbarung ist offensichtlich nur deshalb zustande gekommen, weil auch die Antragstellerin bereit war, einen eigenen Beitrag zu leisten. Diese Vereinbarung ist – auch im Hinblick auf die dadurch entstehenden Kosten - zunächst maßgeblich. Denn durch die Berücksichtigung einer einverständlichen Regelung zwischen den geschiedenen Eltern über den Umfang des Umgangsrechts durch den nichtsorgeberechtigten Elternteil tragen die Sozialhilfebehörden bzw. die für das ALG II zuständigen Behörden und die Gerichte dem Umstand Rechnung, dass sich aus der fortbestehenden Verantwortung gegenüber den Kindern die Pflicht der geschiedenen Eltern ergibt, die regelmäßig mit der Scheidung für die Entwicklung der Kinder verbundene Schädigung nach Möglichkeit zu mildern und eine vernünftige, den Interessen entsprechende Lösung für die Pflege und Erziehung sowie die weiteren persönlichen Beziehungen zu den nunmehr getrennt lebenden Eltern zu finden (vgl. BVerfGE 31,194, 205). Eine andere Beurteilung ist dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine solche freie Vereinbarung der Eltern hinsichtlich des Umfangs des Umgangsrechts missbräuchlich dazu genutzt werden soll, dass der nicht hilfebedürftige sorgeberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht teilweise auf den Hilfeträger verschiebt (BVerfG NJW 1995, 1342, 1343). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich.

Auch die übrigen Kriterien sprechen für einen unabweisbaren Bedarf. Der Wohnort beider Elternteile ist weit entfernt und deshalb der Umgang auch für die Kinder mit erheblichen Mühen verbunden. Es wurde ein fester zeitlicher Rhythmus vereinbart, der es den Beteiligten gestattet, sich auf die Ausübung des Umgangsrechtes lange Zeit im Voraus einzustellen und zu planen. Die Antragstellerin ist in erheblichem Umfang auf die Ausübung des Umgangsrechtes durch das Abholen der Kinder angewiesen, denn nach der Vereinbarung ist auch die Möglichkeit einer telefonischen Kontaktaufnahme eingeschränkt, ferner scheiden wegen der räumlichen Distanz Gelegenheits- und Zufallsbegegnungen aus. Auf Grund des Alters der Kinder (J., geb. 1998; K. und M., geb. 1999) hält es der Senat ebenfalls für erforderlich, dass das Umgangsrecht (mindestens) einmal im Monat wahrgenommen und wie vereinbart durchgeführt wird. Auch insoweit ist der Senat im Übrigen der Ansicht, dass die Vereinbarung, die keinen missbräulichen Umfang des Umgangs regelt, sachgerecht und deshalb maßgeblich ist. Schließlich ist die Beziehung der Antragstellerin zu ihrer Tochter J. als besonders schwierig zu beurteilen, denn diese lebte zunächst bei der Antragstellerin.

Im Rahmen des vorläufigen Verfahrens konnte der Antragstellerin jedoch ein derartiger Bedarf nur vorläufig und darlehensweise zugesprochen werden, weil § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II lediglich eine darlehensweise Sicherstellung des unabweisbaren Bedarfs vorsieht. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Antragsgegnerin die aufgewendeten Beträge ratenweise zurückfordert, war nicht im Rahmen dieses einstweiligen Verfahrens zu entscheiden.

Ferner waren nach dem Grundsatz, dass im vorläufigen Verfahren dem Antragsteller nicht mehr als in einem endgültigen Verfahren zugesprochen werden kann, sowie wegen des weiteren Grundsatzes, dass die Kosten für das Umgangsrecht nicht für die Vergangenheit gewährt werden können, der Antragstellerin die Kosten nur für die Monate Juli und September 2005, in denen die Antragstellerin bis zum Ende der Leistungsbewilligung am 31. Oktober 2005 ihr Umgangsrecht nach der getroffenen Vereinbarung noch wahrnehmen kann, zu gewähren.

Schließlich liegt auch ein Anordnungsgrund in Form einer Eilbedürftigkeit vor. Denn die Ausübung des Umgangsrechts kann nicht mehr nachgeholt werden. Im Übrigen liegt für den Senat die Gefahr nahe, dass, falls die Antragstellerin sich – wenn auch aus finanziellen Gründen – nicht an die Umgangsregelung vom 15. November 2004 halten kann, sich auch der Kindesvater nicht mehr an seine in der Umgangsregelung geregelten Verpflichtungen gebunden fühlt, d.h. seinerseits die Kinder auch nicht mehr jeden zweiten Monat zur Antragstellerin bringt. Dadurch ist die Durchführung des Umgangsrechtes und das Einhalten der Vereinbarung insgesamt gefährdet, was mit einem möglicherweise nicht mehr im Hauptsacheverfahren wiedergutzumachenden Schaden verbunden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin der von ihr geltend gemachte Betrag nur darlehensweise zugesprochen werden konnte.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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