L 3 U 48/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 U 263/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 48/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Schulunfalls vom 3. November 1988 streitig.

I.

Der am XX.XXXXX 1976 geborene Kläger wurde während seines Schulbesuchs am 3. November 1988 bei einer Auseinandersetzung von einem Mitschüler in die Magengegend geschlagen und musste wegen einer Hyperventilation per Rettungswagen in das Allgemeine Krankenhaus W. eingeliefert werden, wo er vom 3. bis 8. November 1988 stationär behandelt wurde. Nach dem Arztbericht von 2. Dezember 1988 wirkte der Kläger bei Aufnahme in das Krankenhaus sehr aufgeregt. Er gab bei der körperlichen Untersuchung einen Druckschmerz im gesamten Oberbauch an. Sichtbare Verletzungszeichen konnten nicht festgestellt werden. Weiterhin wurde festgehalten, dass der Kläger wegen ähnlicher Beschwerden bereits dreimal ambulant behandelt worden war. Nach Angaben der Sozialpädagogin der Schule leidet der Kläger an zunehmender Angstentwicklung bei paranoider Symptomatik. Wegen dieses Krankheitsbildes wurde eine weitere Behandlung empfohlen. In der Folgezeit wurde der Kläger unter anderem vom 3. Januar bis 31. Mai 1989 stationär im Kinderkrankenhaus W1 wegen einer schweren Angstentwicklung mit Hyperventilation im Sinne einer spezifischen emotionalen Störung des Kindes im Jugendalter behandelt.

Am 6.August 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Er sei seit dem Ereignis vom 3. November 1988 behindert. Im Rahmen der Ermittlungen zog die Beklagte die Akte nach dem Schwerbehindertengesetz des Versorgungsamtes Hamburg bei. Nach deren Auswertung lehnte sie mit Bescheid vom 20. Dezember 2001 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 3. November 1988 ab. Bei der Einlieferung seien im Allgemeinen Krankenhaus W. keinerlei Verletzungen festgestellt worden. Ein Körperschaden sei infolge des Ereignisses nicht eingetreten, so dass ein Anspruch auf Entschädigung nicht bestehe. Der dagegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 zurückgewiesen.

Während des nachfolgenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht den Nervenarzt Dr. N. als medizinischen Sachverständigen gehört, der den Kläger zuvor am 21. April 2004 ambulant untersucht hatte. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2004 hat der Sachverständige ausgeführt, das Ereignis vom 3. November 1988 habe, wie andere Ereignisse bereits zuvor, vorübergehende Ängste bei dem Kläger ausgelöst, die mit einer Hyperventilation einhergegangen seien. Während der Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus W. seien rasch die Hintergründe für die Verhaltensauffälligkeiten des Klägers deutlich geworden. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 3. November 1988 bestehe nicht. Dieses habe eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht hinterlassen. Aufgrund des Ergebnisses dieser Begutachtung hat das Sozialgericht die Klage durch Urteil vom 28. April 2004 abgewiesen.

Gegen das ihm am 2. Juli 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Juli 2004 Berufung eingelegt. Entgegen der Darstellung des Sachverhalts durch das Sozialgericht sei er nicht vor dem Ereignis am 3. November 1988 bereits krank gewesen. Er habe keine Ärzte aufsuchen und keine Medikamente nehmen müssen. Soweit das Sozialgericht sich auf Unterlagen berufen habe, nach welchen seine Erkrankung schon in der Kindheit oder im Jugendalter vorgelegen habe, sei der Inhalt dieser Unterlagen falsch.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt seines Vorbringens, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Ereignisses vom 3. November 1988 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2004 zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die beim Kläger vorliegende psychische Gesundheitsstörung nach dem Inhalt der Akten in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 3. November 1988 stehe. Dies sei zusätzlich durch die Vernehmung des medizinischen Sachverständigen Dr. N. bestätigt worden.

Mit dem Kläger am 3. Juni 2005 zugestellten Schreiben vom 1. Juni 2005 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Gleichzeitig ist den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden, sich hierzu bis zum 1. Juli 2005 zu äußern. Während sich die Beklagte mit der beabsichtigten Verfahrensweise einverstanden erklärt hat, hat der Kläger sein Begehren bekräftigt und zur Begründung auf den Inhalt des Arztbriefs des Allgemeinen Krankenhauses W. vom 2. Dezember 1988 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ( §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG- ) wird, nachdem die Beteiligten auf diese beabsichtigte Verfahrensweise hingewiesen wurden, durch Beschluss zurückgewiesen, da das Gericht sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält ( § 153 Abs. 4 SGG ).

Zu Recht hat das Sozialgericht die auf Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Ereignisses vom 3. November 1988 gerichtete Klage abgewiesen. Auch zur Überzeugung des Senats hat der Kläger entgegen seiner Auffassung keinen Anspruch auf derartige Leistungen.

Auf den Rechtsstreit sind noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung ( RVO ) anzuwenden, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Sozialgesetzbuches, Gesetzliche Unfallversicherung ( SGB VII ) am 01. Januar 1997 geltend gemacht wird ( vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs – Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII ).

Nach § 547 RVO werden die dort näher bezeichneten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls gewährt. Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Neben dem inneren Zusammenhang des versicherten Tätigkeitsbereichs mit dem unfallbringenden Verhalten und dessen Ursächlichkeit für das Unfallereignis setzt der Arbeitsunfall als Versicherungsfall darüber hinaus eine dadurch verursachte gesundheitliche Schädigung voraus. Dabei muss das Unfallereignis gegenüber anderen Mitursachen zumindest als rechtlich wesentliche Teilursache zu werten sein ( vgl. Schulin in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, § 27 Rdnrn. 23, 84 mwN ). Während die einzelnen Glieder der Kausalkette ( versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden ) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, genügt für den – doppelten – Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen deutlich mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus ( vgl. Schulin, aaO, § 32 Rdnr. 25 ).

Der Kläger gehörte als Schüler einer allgemeinbildenden Schule zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis. Zwar hat das angeschuldigte Ereignis von November 1988 unstreitig stattgefunden und es besteht – ebenfalls unstreitig – bei dem Kläger eine psychische Erkrankung, es fehlt jedoch zur Gewährung von Leistungen an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines (teil-) ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Ereignis und der Gesundheitsstörung. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der während des Klageverfahrens eingeholten medizinischen Stellungnahme des Nervenarztes Dr. N. fest. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass das Ereignis von November 1988 eine akute psychische Symptomatik ausgelöst hat, fehlt es an der Ursächlichkeit des Ereignisses für die Gesundheitsstörung. Zutreffend hat der Sachverständige nämlich darauf verwiesen, dass auch frühere, andere Ereignisse in gleicher Art und Schwere diese Symptomatik bei dem Kläger ausgelöst hatten. Bezüglich der Auslösung der akuten Symptomatik stellt sich das Ereignis von November 1988 somit lediglich als sogenannte Gelegenheitsursache dar, die – wie die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt hat – den Ursachenzusammenhang nicht zu begründen vermag. Das Vorbringen des Klägers während des Berufungsverfahrens gebietet keine andere Entscheidung. Seine Behauptung, vor dem Ereignis am 3. November 1988 nicht krank gewesen zu sein, wird durch die in der Akte der Beklagten befindlichen Unterlagen des Allgemeinen Krankenhauses W., des Kinderkrankenhauses W1 sowie der behandelnden Ärzte, die eine entsprechende Symptomatik bereits bei früheren Ereignissen bestätigen, widerlegt. Insbesondere das vom Kläger zur Untermauerung seines Anspruchs in Bezug genommene Schreiben des Allgemeinen Krankenhauses W. vom 2. Dezember 1988 weist ausdrücklich darauf hin, dass es bereits vor dem 3. November 1988 dreimal zu ambulanten Behandlungen wegen Erregungszustände nach Auseinandersetzungen mit Mitschülern gekommen war und – unabhängig von dem aktuellen Ereignis – eine Verhaltensstörung mit Angstsymptomatik bestand. Diese Beurteilung findet ihre Bestätigung in der Einschätzung des Kinderkrankenhauses W1 im Entlassungsbericht vom 4. Juli 1989, wo als Diagnose eine "Schwere Angstentwicklung mit Hyperventilation i.S. einer spezifischen emotionalen Störung des Kindes im Jugendalter (ICD 313.0)" aufgeführt ist. Da körperliche Folgen des Ereignisses vom 3. November 1988 ausweislich des Aufnahmeberichts des Allgemeinen Krankenhauses W. nicht festgestellt werden konnten, fehlt es somit insgesamt an einem durch das Ereignis verursachten Gesundheitsschaden als Grundvoraussetzung für die Gewährung von Entschädigungsleistungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Berufungsverfahrens.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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