Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
30
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 30 V 4/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung der dem Kläger bis zum 31.1.3002 nach § 31 Bundesversorgungsgesetzt (BVG) gewährten Grundrente im Streit.
Der Kläger wurde am XX.X.1922 in F. geborenen. Er ist gelernter Glaser (April 1936 bis Oktober 1939) und war bis zum Rentenbezug wegen Erwerbsunfähigkeit (1978) und Alters (1982) zuletzt als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Auf seinen im Januar 1949 gestellten Antrag anerkannte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg für Verletzungen, die der Kläger während des Dienstes im 6. SS Panzerregiment in den Monaten April und August 1944 in Russland erlitt, als Schädigungsfolgen: "1. Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm. 2. Lungenstecksplitter links, verheilter Schussbruch 2. Rippe links". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) stellte die LVA im Jahr 1949 mit 20 v.H. fest.
Die Beklagte gewährte dem Kläger ab April 1955 eine Grundrente nach einer MdE von 50 v.H. und ab November 1972 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einer MdE von 80 v.H. Als Schädigungsfolgen stellte die Beklagte 1957 neu fest: "1.Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm. 2. Bohnengroßer Lungenstecksplitter links sowie verheilter Schussbruch der zweiten Rippe links. 3. Operationsnarbe am linken Rippenbogen und Defekt der 8. Rippe links nach Entfernung eines Lungenstecksplitters links; Pleuraschwarte links. 4. Asthmatoide Bronchitis". Für den Zeitraum vom 1.10.1964 bis zum 31.1.1972 gewährte die Beklagte dem Kläger Berufsschadensausgleich.
Der Kläger hatte die ihm anlässlich der Antragstellung im Februar 1949 gestellte Frage, ob er freiwillig oder unfreiwillig Angehöriger der Waffen- SS gewesen sei, mit "Kriegsfreiwilliger" beantwortet und angegeben, nach den 1944 erlittenen Verletzungen in verschiedenen Lazaretten behandelt worden zu sein. Vom 24. Mai 1940 bis zum 20. Oktober 1948 habe er Kriegsdienst, zuletzt als Unteroffizier, geleistet. Von August 1945 bis Oktober 1948 sei er in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Im März 1952 erklärte der Kläger, vom Monat März 1943 bis zum Monat August 1944 Fronteinsatz geleistet zu haben. Als Dienstgrad gab er Unterscharführer an. Die von der Beklagten angeforderten Unterlagen der Krankenbuchlager bestätigten die angegebenen Lazarettaufenthalte, zuletzt im Kriegsgefangenenlazarett F1, Frankreich von November 1944 bis Mai 1947.
Im Oktober 2000 zog die Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg (147 Js 45/67 und 147 Js 32/65) über die gegen G.-A. S., H. E., den Kläger und andere geführten Ermittlungen bei, um zu prüfen, ob die Beschädigtenversorgung nach dem am 28.1.1998 in Kraft getretenen § 1a BVG zu entziehen war. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen des Vorwurfs des im Konzentrationslager Neuengamme begangenen Mordes, Mordversuchs und der Beihilfe zum Mord ermittelt. Das Verfahren gegen den Kläger war mit Verfügung vom 14.12.1967 mangels Beweises eingestellt worden. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg teilte auf Anfrage der Beklagten im Mai 2000 mit, der Kläger sei SS Rottenführer beim Lagerpersonal des Konzentrationslagers Neuengamme gewesen.
Mit Schreiben vom 7.8.2001 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Versorgungsbezüge ein erstes Mal an. Sie wies darauf hin, dass die Durchsicht der Akten der Staatsanwaltschaft ergeben habe, dass der Kläger seit Oktober 1940 Blockführer und später Mitglied der Wachmannschaft im Konzentrationslager Neuengamme gewesen sei. Nach seinen Angaben habe er Häftlinge bewacht und u. a. auch zu Außenarbeiten geführt. Nach Zeugenaussagen soll es während dieser Zeit zu Misshandlungen von Häftlingen gekommen sein, an denen er beteiligt gewesen sei. Die Beklagte nahm Bezug auf den Inhalt des gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahrens. Der Kläger habe durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i. S. des § 1a BVG verstoßen. Es sei beabsichtigt, die Versorgungsbezüge mit Wirkung für die Zukunft zu entziehen. Angesichts der Schwere der sich aus den Ermittlungsakten ergebenden Verstöße komme auch bei einer Interessenabwägung ein besonderer Vertrauensschutz nicht in Betracht. Die Beklagte übersandte dem Kläger die aus der Akte der Staatsanwaltschaft gefertigten Kopien sowie Kopien der eingeholten Auskünfte.
Der Kläger erklärte dazu, er sei nachweislich nicht freiwillig zur Waffen- SS gekommen, sondern mit Gestellungsbefehl im Alter von 18 Jahren einberufen worden. Dem Befehl zum Einsatz im KZ Neuengamme habe er sich ohne Gefahr für sein eigenes Leben nicht entziehen können. Er habe persönlich keinerlei Misshandlungen an Häftlingen vorgenommen und auch nicht andere Personen dazu angehalten. Nach dem Krieg sei ihm im Gegenteil von ehemaligen Häftlingen bestätigt worden, dass er einer der Wenigen gewesen sei, der sich korrekt verhalten habe. Zu den Einzelheiten seines Einsatzes verwies der Kläger auf seine Aussage im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vom 7.9.1967 und die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft.
Die KZ Gedenkstätte Neuengamme teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die SS habe Ende 1938 in einer stillgelegten Ziegelei in Hamburg-Neuengamme ein Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, das im Frühsommer 1940 zum eigenständigen Konzentrationslager erklärt worden sei. Im Verlauf des Krieges hätten die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS Zehntausende aus allen besetzten Ländern Europas als KZ-Häftlinge nach Neuengamme deportiert. Dort und in über 80 Außenlagern, die ab 1942 – und vor allem 1944 – bei Rüstungsfirmen in ganz Norddeutschland eingerichtet wurden, hätten die Häftlinge Schwerstarbeit für die Kriegswirtschaft leisten müssen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen seien mörderisch gewesen. Insgesamt seien ca. 55 000 der 106 000 Häftlinge des KZ Neuengamme ums Leben gekommen; körperlich ausgezehrt seien sie an Krankheiten und Hunger gestorben oder Opfer von Misshandlungen oder Mordaktionen geworden. Unzählige Verbrechen seien auch in den Jahren von 1940 bis 1943 verübt worden. Die Gedenkstätte überreichte die Kopie einer eidlichen Aussage des Zeugen A. L. vom 27.2.1946 vor dem War Crimes Investigation Team. Der Zeuge erklärte seinerzeit, er sei am 4.6.1940 aus dem KZ Sachsenhausen in das KZ Neuengamme gesandt worden und könne sich an "Blockführer F2", der von 1941 bis 1943 dort gewesen sei und 1945 noch einmal zu Besuch gekommen sei, noch gut erinnern. Er sei ziemlich jung, dumm und brutal gewesen. Wo er irgend konnte habe er versucht, Häftlinge zu misshandeln und zu schikanieren. Der Zeuge schildert in seiner Aussage einen Vorfall beim Bau eines SS Luftschutzbunkers. Das Fallen einer Betonkarre sei für den Kläger Anlass gewesen, die Häftlinge zu prügeln und zu exerzieren. Er habe die Häftlinge die Schubkarren voll Kies laden und in losen Sand fahren lassen und wenn es nicht weiter ging, mit einem Knüppel so auf sie eingeschlagen, dass mehrere Häftlinge erschöpft zusammengebrochen seien. Er habe nicht von seinen Opfern abgelassen und so lange Wasser auf sie geschüttet, bis sie wieder zur Besinnung gekommen seien und die Tortur weiter gegangen sei. Die Gefangenen seien abends, weil sie das Bewusstsein nicht wieder erlangt hatten, in das Lager bzw. Revier getragen worden. Die Beklagte hörte den Kläger unter Darlegung der Auskunft der KZ Gedenkstätte erneut an und übersandte dem Kläger eine Kopie der Aussage des Zeugen A. L ... Der Kläger erklärte dazu, dass er als Kind in der NS- Zeit habe leben müssen, als Jugendlicher durch Gestellungsbefehl einberufen worden sei und keine andere Wahl gehabt habe. Der Umstand, dass er nach der Rekrutenzeit ausgerechnet als Wachmann zum KZ kommandiert worden sei, sei sein persönliches Unglück gewesen, dem er sich nicht habe entziehen können. Die Aussage des Zeugen A. L. sei ihm nicht bekannt. In den ersten Monaten nach Freilassung der Insassen hätten diese aus verständlicher Wut gegen alle SS- Angehörigen Aussagen gemacht, die mit der Realität nicht übereingestimmt hätten. Die Aussage des Zeugen sei unwahr und widersprüchlich. Ihm sei nicht bekannt, dass im KZ ein Luftschutzbunker gebaut worden sei. Er frage sich woher der Zeuge seinen Namen kenne. Namen der Bewacher hätten im Lager nicht bekannt gegeben werden dürfen. Wenn jemand bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt werde, könne anschließend nicht mit ihm exerziert werden. Er habe zugelassen, dass heimlich Brot ins Lager geschafft wurde und sich damit selbst gefährdet. Die für ihn sprechenden Zeugen seien nicht mehr am Leben oder nicht mehr bekannt.
Mit Bescheid vom 3.1.2002 entzog die Beklagte dem Kläger gem. § 1a Abs. 2 BVG ab 1.2.3002 die Grundrente, die zuletzt 474,- EUR betragen hatte. Zur Begründung führte sie aus, als Ergebnis eines Abwägungsprozesses solle die Entziehung angesichts der damaligen Umstände auf die Grundrente einschließlich Alterserhöhung beschränkt werden, da der Kläger damals erst zwischen 18 und 21 Jahren alt gewesen sei und von höchster Ebene ein hartes Vorgehen verlangt worden sei. Die Ansprüche auf Heil- und Krankenbehandlung sowie auf orthopädische Versorgung blieben bestehen. Ein Vertrauensschutz auf eine fortwährende Grundrentengewährung sei nicht festzustellen. Die sofortige Entziehung der Rente führe unter Berücksichtigung der Renteneinkünfte von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nicht zu einer unbilligen Härte.
Der Kläger widersprach dem Bescheid. Die bloße Zugehörigkeit zur SS reiche als Begründung für eine Entziehung nicht. Eine Weigerung, dem Einberufungsbefehl zu folgen, wäre mit dem Tod bestraft worden. Der Kläger bestritt erneut die Richtigkeit der Aussage des Zeugen A. L. und stellte die Vermutung an, dass der Zeuge rechtskräftig verurteilter Krimineller "also Schwerverbrecher" gewesen sei, da er erstmals im Juni 1933 verhaftetet worden sei. Neun Monate nach Öffnung des Lagers sei jeder SS Angehörige der Missetaten beschuldigt worden. Er selbst sei nicht, wie der Zeuge angibt 1945 noch einmal im Lager gewesen, sondern in verschiedenen Lazaretten und in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Die Rente dürfe gem. § 1a BVG nur nach einer rechtskräftigen Verurteilung, die eine Feststellung der persönlichen Schuld enthalten müsse, entzogen werden. Ihm sei ein strafbares Verhalten nicht nachgewiesen worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 3.1.2003 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger habe sich bewusst über natürliche Menschenrechte, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, hinweggesetzt. Sofern der Kläger sich auf das eingestellte Ermittlungsverfahren gegen ihn berufe, sei ihm entgegenzuhalten, dass die dort gemachten Zeugenaussagen keinesfalls geeignet seien die Angaben des Zeugen A. L. in Frage zu stellen. Die von der BfA gezahlte Rente habe ab Juli 1982 bereits 1358,10 DM betragen. Damit sei die Existenzgrundlage des Klägers durch eine sofortige Entziehung der Grundrente nicht gefährdet.
Mit seiner am 30.1.2003 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, er sei wie von der Deutschen Dienststelle am 28. 10. 1967 bestätigt, als 18- jähriger mit Gestellungsbefehl zur SS eingezogen worden und zwangsweise im KZ Neuengamme eingesetzt worden. Eine Verweigerung hätte er mit dem Leben bezahlen müssen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn sei mangels Beweisen eingestellt worden. Er habe seine Gesundheit durch die Kriegsbeschädigung eingebüßt und sei unschuldig. Andernfalls hätte er nicht so viele Jahre in der Nähe Neuengammes unbehelligt leben können. Wo auch immer ihm später ehemalige Häftlinge begegnet seien, habe man ihm gesagt, dass er "zu den Guten gehört" habe. Der Kläger verweist zur Begründung weiter auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Die Aussagen gegen ihn beruhten nicht auf eigenem Augenschein oder seien nur Vermutungen gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3.1.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.1.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat dem Gericht auf Anforderung aus den umfangreichen Ermittlungsakten zu dem Verfahren 147 Js 32/65 Kopien der den Kläger betreffenden Aussagen übersandt.
Die Historikerin Dr. W. hat auf Anforderung des Gerichts ein Gutachten vom 3.11.2005 zur Tätigkeit des Klägers im KZ Neuengamme und zu den dortigen Verhältnissen, insbesondere der Lagerhierarchie und den Verantwortlichkeiten sowie zu der Frage, ob der Kläger den Dienst im KZ ohne Gefahr für Leib oder Leben hätte ablehnen können, erstellt. Die Sachverständige ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2005 gehört worden.
Das Gericht hat die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers nach Vorlage eines ärztlichen Attestes aufgehoben. Der Terminsbevollmächtigte des Klägers hat im Termin eine Kopie des Gutachtens vom 3.11.2005 überreicht und darauf hingewiesen, dass die schriftlichen Anmerkungen zu einzelnen Aussagen der Gutachterin vom Kläger stammten und vermutlich nicht von ihm selbst sondern auf sein Diktat von der Tochter geschrieben worden seien.
Die Gutachterin hat im Termin eine Kopie der beim SS- Rassen- und Siedlungshauptamt über den Kläger geführten Akte überreicht.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Akten und Aktenauszüge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat die dem Kläger nach dem BVG gewährte Grundrente zu Recht entzogen.
Die Beklagte hat auch ihrer gem. § 1 a BVG i. V. m. § 24 Abs. 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SBG X) bestehenden Anhörungspflicht genügt. Dem Kläger wurde vor Erlass des in ihm zuerkannte Rechte eingreifenden Bescheides ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Nach § 1a BVG (eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des BVG vom 14.1.1998 –BGBl. I S.66) sind Leistungen zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob der Berechtigte durch sein individuelles Verhalten gegen diese Grundsätze verstoßen hat, können sich aus einer freiwilligen Mitgliedschaft in der SS ergeben (Abs. 1). Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzbedürftig ist (Abs. 2).
Die Vorschrift geht als lex spezialis den allgemeinen Eingriffsermächtigungen der §§ 45 und 48 SGB X vor. Sie gebietet die teilweise oder volle Entziehung von Entschädigungsleistungen, wenn ein individueller Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit vorliegt.
Die Regelung knüpft an den als Maßstab auch in anderen Gesetzen verwendeten und als hinreichend bestimmt gebilligten Begriff der Unwürdigkeit an (vgl. BVerfGE 93, 213,238). Die Verwirklichung eines Straftatbestandes ist, anders als der Kläger meint, nicht Voraussetzung für den Eingriff. Hingegen ist die Aberkennung der Leistungen wegen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden (vgl. dazu BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96).
Der Versagenstatbestand nach § 1a Abs. 1 und 2 BVG liegt vor. Sowohl der objektive (1) als auch der subjektive (2) Tatbestand des Gesetzes sind erfüllt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in langjähriger Rechtsprechung konkretisiert, was Inhalt der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ist. Sie umfassen einen jeder Rechtsordnung vorgegebenen Bestand an unabdingbaren Rechten, die niemals beseitigt oder in ihrem Wesensgehalt beschränkt werden dürfen (vgl. BVerwGE 19, 1, 4ff). Wer durch sein Verhalten gegen die Werteordnung des Grundgesetzes mit insbesondere den Grundrechten auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freizügigkeit sowie das Rechtsstaatsprinzip verstößt und damit die Mindestgarantien für ein menschenwürdiges und von staatlicher Willkür freies Leben anderer missachtet (vgl. BSG vom 24.3.1998, B 4 RA 78/96 R zur Unwürdigkeitsklausel in § 5 Entschädigungsrentengesetz) ist unwürdig i.S. des § 1a BVG.
Der Verstoß gegen diese Grundsätze setzt objektiv ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten voraus, das einem Beweis zugänglich ist. Der Betroffene muss gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstößen gegen sie – obwohl möglich und zumutbar – nicht entgegengetreten sein (vgl. BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96). Dabei reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber durch Rat oder Tat oder in anderer Weise, im Rahmen der dem Betroffenen eingeräumten Gewalt aus (vgl. BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96 und 4 RA 99/95). Die Mitwirkung ist nicht auf strafrechtliche Teilnahmeformen begrenzt (vgl. BVerwGE 31, 337, 342). Subjektiv setzt der Verstoß ein zurechenbares und vorwerfbares Verhalten im Sinne einer willentlichen und wissentlichen Mitwirkung voraus. Dem Betroffenen müssen die Tatsachen, aus denen sich die Unmenschlichkeit und Rechtsstaatswidrigkeit seines Verhaltens ergibt, bekannt oder bei zumutbarer Gewissensanspannung bewusst sein.
Der Kläger hat sich in den von ihm ausgeübten Funktionen im KZ Neuengamme in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren aktiv an der Terrorisierung und Vernichtung von Menschen beteiligt, obwohl er sich ohne unmittelbare Gefahr für sein eigenes Leben oder seine körperliche Unversehrtheit hätte entziehen können. Er hat gegen die Inhalte der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen.
(1) Der Kläger war seit Mai 1940 Mitglied der SS und von Oktober 1940 bis zum 24.3. 1943 Blockführer, Kommandoführer und zuletzt Wachmann im KZ Neuengamme, zunächst als SS Sturmmann und seit Juli 1942 als SS Rottenführer. Der Kläger hatte als Block- und Kommandoführer in der Schutzhaftlagerführung, die die Lagerordnung und den Alltag der Häftlinge bestimmte, ständigen unmittelbaren Kontakt zu den Häftlingen. Die Block- und Kommandoführer waren nach den vom Kläger unwidersprochenen Feststellungen der Gutachterin Dr. W. neben der Überwachung der Häftlinge in den Blocks und Arbeitskommandos auch verantwortlich für die Planung, Leitung und Durchführung von "Sonderaktionen" zur Liquidierung bestimmter Häftlingsgruppen und hatten einen eigenen Befehlsbereich mit vergleichsweise großen Machtbefugnissen. Die Wachmannschaften, die seit März/April 1936 offiziell als SS Totenkopfverbände bezeichnet wurden, waren für die äußere Bewachung des Lagers zuständig und begleiteten die Häftlinge zu außerhalb gelegenen Arbeitsstellen. Sie unterstanden dem für alle Konzentrationslager zuständigen Führer der Totenkopfverbände in Oranienburg (vgl. Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005 und Martin Broszat, in Anatomie des SS Staates, S. 373f). Neuengamme wurde 1940 zum selbständigen Konzentrationslager und übernahm mit dem Aufsichtspersonal und ausgewählten Funktionshäftlingen aus anderen Konzentrationslagern auch die dortigen Methoden der Gefangenenbehandlung (vgl. Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 -1945, S.64ff). Etwa 55 000 der 106 000 Häftlinge des KZ Neuengamme sind während ihrer Haftzeit zu Tode geprügelt oder hingerichtet worden, infolge zu schwerer Arbeit, schlechter Ernährung und Hygiene und an der mangelnden medizinischen Versorgung oder an medizinischen Experimenten gestorben und in Postenketten getrieben und "auf der Flucht" erschossen worden (vgl. Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005; Hermann Kaienburg, "Vernichtung durch Arbeit" Der Fall Neuengamme S.155f).
Im KZ Neuengamme wurden Hinrichtungen in großer Zahl vollzogen. Sie erfolgten in den ersten Jahren am Schießstand durch ein Exekutionskommando und ab 1942, mit der Einführung der Hinrichtung als Lagerstrafe durch Erhängen, im Arrestbunker (vgl. Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 -1945, S. 253). Verantwortlich für die Ausführung war der Schutzhaftlagerführer. Bei zwei Hinrichtungsaktionen im Herbst 1942 wurde Giftgas eingesetzt. Ende September wurden 197 sowjetische Kriegsgefangene in den Arrestbunker gepresst und mit Zyklon B umgebracht, während die Häftlinge auf dem Apellplatz antreten mussten. Ende November wurden auf dieselbe Weise 251 sowjetische Kriegsgefangene, meist Kriegsversehrte, getötet (vgl. Hermann Kaienburg a.a.O. S. 261).
Die Ausübung der Funktionen des Klägers war notwendig verbunden mit der Beteiligung an der seelischen Erniedrigung der Inhaftierten durch körperliche Gewalt und Schikanen, durch Vorenthalten von hinreichender Ernährung, Kleidung, Unterbringung und Krankenversorgung und durch kräftezehrende körperliche Arbeit. Als Block- und Kommandoführer wurden meist die skrupellosesten und brutalsten Schar- und Rottenführer gewählt, die dazu angehalten wurden, die Gefangenen rücksichtslos zu schlagen und zu schikanieren. Blockführer, die sich nicht brutal genug gegenüber den Häftlingen zeigten, wurden auf unbeliebte Posten versetzt, in krassen Fällen sogar bestraft (vgl. Hermann Kaienburg, "Vernichtung durch Arbeit" Der Fall Neuengamme, S. 157) bzw. nach den Ausführungen der Gutachterin Dr. W. in ein anderes Lager oder an die Front versetzt. Kläger selbst hat eingeräumt, diese Form der Persönlichkeitsdestruktion und Beherrschung ausgeübt und Misshandlung und Mord als notwendige historische Pflicht verstanden zu haben, wenn er mit seiner Anmerkung zu den entsprechenden Ausführungen der Gutachterin einräumt, nach heutigen Maßstäben sei dies zu bestätigen, "aber nicht nach den Maßstäben der Diktatur Hitler/Himmler & Co". Er bemerkt zu den Ausführungen auf Seite 8 des Gutachtens vom 3.11.2005, von den Häftlingen werde er als jemand erinnert, von dem direkt willkürliche Gewalt ausging, "wird bestritten aber W.F. hat Verfehlungen seiner Häftlinge mit körperlicher Züchtigung bestraft" und räumt die Ausübung von Willkür ein. Der Kläger "bestätigt" mit der entsprechenden Anmerkung die folgenden Ausführungen der Gutachterin Dr. W. zu den Schilderungen der Überlebenden zu den Gewaltformen im KZ und der ständigen Angst davor:" Der Tod der Mithäftlinge und der mögliche eigene Tod waren oft nur wenige Momente entfernt. Tote oder sterbende Mithäftlinge lagen im selben Bett, wurden in den Waschräumen oder vor der Baracke abgelegt. Selbst beim Zählappell mussten sie mit dabei sein". Die SS Angehörigen erlernten ohne Überlegung zu gehorchen, Härte als Abhärtung und als Verhärtung gegenüber mitmenschlichen Regungen, Verachtung gegenüber "Minderwertigen" und Hochmut gegenüber allen, die nicht dem Orden angehörten (vgl. Hans Buchheim, Befehl und Gehorsam, in Anatomie des SS-Staates, S. 232). H. E. schildert in seiner polizeilichen Vernehmung vom 23.11.1967 zur Einweisung der Blockführer und Wachmannschaft im KZ Neuengamme im Dezember/ Januar 1940/1941: "Es wurde eine Aufteilung des Wachpersonals in Blockführer und Wachposten vorgenommen. Dann wurden wir belehrt, dass es sich bei den im Lager befindlichen Häftlingen zusammengefasst um den "Abschaum der Menschheit" handele". Der Kläger selbst merkt zu den Ausführungen der Gutachterin Dr. W. auf Seite 12 des Gutachtens zur Mentalität der SS an: "bestätigt! Erziehung zur totalen Härte".
Der Zeuge A. L. hat am 19.1.1966 im Rahmen des gegen den Kläger und H. E. geführten Ermittlungsverfahrens ausgesagt, dass der Klägers sich an den Misshandlungen und Schikanen von Sicherungsverwahrten, den sog. "Lebenslänglichen", die zu einem Arbeitskommando zur Vertiefung eines Feuerlöschgrabens gehörten und von denen allgemein bekannt gewesen sein soll, dass sie nicht mehr lange leben sollten, beteiligt habe. In einer späteren Aussage vom 3.5.1967 hat der Zeuge bestätigt, dass der Kläger sich am Feuerlöschgraben an dem Prügeln der Häftlinge beteiligt habe. Er äußerte die Überzeugung, dass die SS Leute die Häftlinge misshandelten, damit sie auf die Postenkette zulaufen, um dort erschossen zu werden. In einem Zeitraum von etwa 14 Tagen seien auf diese Weise 15 bis 20 Häftlinge erschossen worden. Dieser Vorgang wurde von dem Zeugen J. H1 in der Aussage vom 11.7.1967 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bestätigt. Auch er gibt an, der Kläger habe sich zusammen mit anderen Blockführern ständig bei der Gruppe der am Feuerlöschgraben arbeitenden sog. "Lebenslänglichen" aufgehalten. Der Zeuge H2 S1 bestätigte im August 1966 gegenüber der ermittelnden Sonderkommission, dass die Sicherungsverwahrten nicht mehr lange leben sollten und deshalb bei den schwersten Kommandos, wie dem am Feuerlöschgraben, eingesetzt wurden, wo sie zahlreich umkamen bzw., so die Aussage des Zeugen M. M1 vom 18.7.1966, wiederholt erschossen wurden. Nach dem von der Gutachterin Dr. W. zitierten und in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg archivierten Bericht des Zeugen E1 G1 vom 13.9.1945 habe der Kläger selber gesagt, dass er sich Autorität verschaffen müsse. Er habe Häftlinge geschlagen und bei Blockkontrollen selbst die Blockordnung zerstört. Der Kläger bestätigt diese Aussage mit seiner entsprechenden Anmerkung an dieser Stelle des Gutachtens.
Der Zeuge E1 G1 hat im Ermittlungsverfahren in einer durch den ermittelnden Oberstaatsanwalt wiedergegebenen schriftlichen Darstellung darüber hinaus ausgesagt, der Kläger sei an den beiden Vergasungen der russischen Kriegsgefangenen im Jahr 1942 sowie an Exekutionen beteiligt gewesen. Die Zeugen A. L. und J. H1 haben im Rahmen ihrer Vernehmungen am 10. und 20.3.1967 erklärt sich zu entsinnen, dass der Kläger beim Öffnen der Bunkertür nach der Vergasung zugegen und an der Verladung der Leichen beteiligt gewesen sei. Der Zeuge H3 S2 erklärte am 9.12.1966 bei "solchen größeren Aktionen" hätten meist alle Blockführer des Lagers teilnehmen müssen.
Die Kammer hat darüber hinaus auch die Aussage des Zeugen A. L. vom 27.2.1946 berücksichtigt. Der Zeuge, der zeitgleich mit dem Kläger im KZ Neuengamme war, hat in einer späteren Vernehmung vom 3.5.1967 eine Verwechselung des Klägers und E.’s ausgeschlossen, weil er beide zu genau gekannt habe. Der Zeuge hat in den vorliegenden Aussagen differenziert zu einzelnen Personen ausgesagt und vielfach dort, wo er sich an Personen oder Sachverhalte nicht mehr sicher erinnerte, Einschränkungen gemacht. Allein der Umstand, dass der Zeuge ausgesagt hat, der Kläger sei 1945 noch einmal im Lager gewesen, was angesichts der belegten Lazarett Aufenthalte nicht sein kann, macht die Aussagen angesichts der für die Ausübung der Funktionen eins Blockführers und Wachmannes geforderten und von dem Kläger verinnerlichten Härte im Vorgehen und Verhalten gegenüber den Häftlingen, nicht unglaubwürdig. Weder kann die Kammer Widersprüche in der Aussage vom 27.2.1946 erkennen, noch spricht der Umstand, dass der Zeuge, wie er am 10.3.1967 ausgesagt hat, 1933 aus politischen Gründen inhaftiert wurde, gegen seine Glaubwürdigkeit.
(2) Dem Kläger ist sein Verhalten zuzurechnen und vorzuwerfen. Die Tatsachen aus denen sich die Unmenschlichkeit seines Verhaltens ergibt, waren ihm bekannt. Seine Annahme, sein Verhalten sei nach den damaligen Maßstäben für Recht und Unrecht zu beurteilen, weshalb ihm die Unrechtmäßigkeit nicht bewusst gewesen sei bzw. ihm nicht habe bewusst sein müssen, ist falsch. Die Zerstörung menschlichen Lebens durch Terror und Gewalt verletzt elementare Rechte in einem so hohen Maß, dass dem Kläger die Vorwerfbarkeit seines Verhaltens jedenfalls hätte bewusst sein müssen.
Nach Überzeugung der Kammer war der Kläger der SS freiwillig beigetreten. Es ist nicht richtig, dass der Kläger eine Verweigerung des Dienstes im Konzentrationslager mit dem Leben hätte bezahlen müssen. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, sich aus dem KZ- Dienst versetzen zu lassen. Nach einem Schreiben vom 29.4.1943 des SS Sturmbannführers und Kommandeurs der SS Kraftfahrerschule und Vorgesetzten des Klägers an das Rasse- und Siedlungshauptamt hat der Kläger in einem persönlichen Gespräch erklärt, freiwillig bei der Waffen SS eingetreten und mit Leib und Seele SS Mann zu sein. Er hat im Februar 1949 auf die Frage, ob er freiwillig oder unfreiwillig Angehöriger der Waffen SS gewesen sei, gegenüber der LVA selbst erklärt, "Kriegsfreiwilliger" gewesen zu sein. Die Gutachterin Dr. W. hat im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Rekrutierung zur SS ausgeführt, dass diese auf Anwerbung, verbunden mit einem Antrag, den Männer ab 18 Jahren stellen konnten, erfolgt sei. Wenn der Kläger über einen Gestellungsbefehl zur SS gekommen sei, so müsse dies in seiner beim SS Rassen- und Siedlungshauptamt geführten Akte vermerkt sein. Gestellungsbefehle waren nach der Aussage von Dr. W. erst ab 1943 infolge der Kriegsentwicklung ein üblicher Weg in die SS. Der Verweis des Klägers auf eine Bescheinigung der Deutschen Dienststelle aus dem Jahr 1967 über eine zwangsweise Rekrutierung, ist angesichts seiner zeitlich vorangehenden gegenteiligen Angaben und des Umstandes, dass die Deutsche Dienststelle nach Aussage von Dr. W. vielfach fehlende Unterlagen durch Auskünfte der Betroffenen oder ihrer Angehörigen ersetzen musste, nicht erheblich. Der Kläger wurde nach Überzeugung der Kammer zum Dienst im KZ Neuengamme nicht gegen seinen Willen verpflichtet. Nach seiner Grundausbildung beim 2. SS-T-Ersatzbataillon in Breslau wurde der Kläger kurzzeitig in Frankreich eingesetzt und erlitt einen Unfall. Er kam über Warschau zurück nach Berlin/Oranienburg, von wo er nach einem "KZ-Vorbereitungskurs" nach Neuengamme in den KZ- Dienst versetzt wurde. Die aufgrund der Verletzung eingetretene vorübergehende Frontunfähigkeit führte zur Versetzung in den KZ-Dienst. Der Kläger hat diese Feststellung der Gutachterin Dr. W. mit der Bemerkung bestätigt, in Warschau habe es keine sinnvolle Verwendung für ihn gegeben. Er sei deshalb in den KZ- Dienst versetzt worden. Zwar bestreitet er in den Anmerkungen zum Gutachten, in Oranienburg ausgebildet worden zu sein und gibt an, von Berlin direkt nach Neuengamme gelangt zu sein, wo er vor Ort eine Einweisung erfolgt sei. Er gibt jedoch in seinem Lebenslauf vom 19.3.1943 gegenüber dem SS Rassen- und Siedlungshauptamt an, u.a. nach Breslau und "Berlin- Oranienburg K.L. und Hamburg-Neuengamme" versetzt worden zu sein. Zwar war er Austritt aus der Waffen SS im Krieg nicht möglich, denn der Dienst in der Waffen SS war Wehrdienst. Das galt auch für das zur Waffen SS gehörende KZ- Personal (vgl. Buchheim a.a.O.S. 317). Die Betroffenen konnten sich aber erfolgreich um die Versetzung zu einer anderen Dienstleistung, einem anderen Kommando oder an die Front bemühen (vgl. dazu die Beispiele bei Buchheim a.a.O. S. 316ff und Dr. W. im Gutachten vom 3.11.2005). Der Kläger hat nicht einmal den Versuch unternommen, sich versetzen zu lassen. Er merkt zu den Ausführungen der Gutachterin zu den Möglichkeiten, sich versetzen zu lassen an, man habe Angst gehabt, an die Front oder sogar in ein Strafbataillon versetzt zu werden und bestätigt, 1943 nicht auf eigenen Antrag zur Vorbereitung auf den Fronteinsatz zur Fahrausbildung nach Appeldoorn versetzt worden zu sein.
Nach §1 a BVG sind Leistungen ganz oder teilweise zu entziehen. Das Gesetz verlangt bei der Aberkennung von Leistungen eine Differenzierung zwischen den nach dem BVG zu gewährenden Leistungen (Heilbehandlung und soziale Fürsorge, Grund- und Ausgleichsrente). Ob darüber hinaus eine Differenzierung durch teilweise Entziehung oder Kürzung der Grundrente erfolgt, kann dahinstehen, denn die Beklagte hat zu Recht die für den Kläger wirtschaftlich bedeutsame Grundrente aberkannt. Beurteilungsmaßstäbe nach denen die Entziehung der Rechte zu erfolgen hat, werden im Gesetz nicht benannt. Für § 1 a BVG ist als Anknüpfungspunkt gleichermaßen wie für den Eingriff nach dem Entschädigungsrentengesetz der ethische Schuldvorwurf mit den zugehörigen drei Aspekten der schwere und Intensität der eingetretenen Rechtsbeeinträchtigung, des Unwertes der Verletzungshandlung und des individuellen Beitrages hierzu zu nehmen (vgl. BSG vom 23.10.2003, B 4 RA 52/02 R). Das BSG konkretisiert in dieser Entscheidung zur Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente die Maßstäbe dahingehend, dass es stets auf die Umstände des Einzelfalles ankomme und die Häufigkeit der festgestellten Verstöße, die Bedeutung der verletzten Rechte, Art und Ausführung der Verstöße, Ausmaß und Schwere der eingetretenen Schäden und die persönlichen Umstände abzuwägen seien. Als grobe Orientierung zieht das BSG die Stellung des Betroffenen im hierarchischen Gefüge zur Abstufung von Ebenen objektiver Verantwortlichkeit heran, betont allerdings, dass letztlich der individuelle ethische Schuldvorwurf das Ausmaß des Eingriffs begründe. In diesem Fall könnten die vom SS Mann bis zum SS Oberstgruppenführer reichenden Dienstgrade in der SS als Orientierungshilfe herangezogen werden. Die Stellung des Klägers als SS Rottenführer läge in dem Bereich der untersten Hierarchieebene. Die Anwendung dieser Maßstäbe spiegelt allerdings weder die Bedeutung der von ihm begangenen Verstöße noch das Ausmaß der ihm über andere verliehenen Macht wieder. Auch die SS Männer dieser Hierarchieebene hatten weitgehende Freiheit, zu quälen, zu schlagen und zu morden. Ihre Macht war insbesondere gegenüber den Häftlingen der untersten Hierarchien im Lager fast absolut (vgl. dazu Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005 unter Hinweis u.a. auf Wolfgang Sofsky, Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager), so dass allein die Schwere der Rechtsbeeinträchtigung, der Unwert der Verletzungshandlung und der individuelle Beitrag für die Beurteilung heranzuziehen sind. Die Beteiligung an der gezielten Vernichtung menschlichen Lebens, an der Absonderung, Entwürdigung und Diffamierung von Menschen und an deren Persönlichkeitszerstörung ist ein offensichtlicher und unerträglicher Verstoß gegen elementare Gebote der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Der Kläger hat nicht einmalig oder punktuell gegen die Grundsätze verstoßen sondern über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren, in denen die Verletzung der Rechte wesentlicher, geforderter und von ihm erfüllter Teil seiner Dienstausübung waren. Der Vortrag des Klägers, er habe durch sein Verhalten zur Minderung des Unrechts beigetragen ist weder nachgewiesen, noch nach den Umständen glaubhaft. Das jugendliche Alter des Klägers kann die Unrechtmäßigkeit der Aberkennung der Grundrente nicht begründen. Der Kläger war jung, hatte allerdings bereits Schul- und Berufsausbildung durchlaufen und damit eine gewisse Lebenserfahrung erworben, als er der SS beitrat. Die SS war keine Mitläufer Organisation, sondern galt als die "Kerntruppe des Regimes", der man in öffentlicher Bekennung zum Regime beitrat, um sich in dessen Dienst zu stellen. Auch die Zusammenhänge, die zwischen SS und Konzentrationslagern bestanden, waren jedenfalls 1940 bekannt. Wer später als 1934 in die SS eingetreten ist konnte wissen, was er tat (vgl. Buchheim, in Anatomie des SS Staates, S. 311).
Das Vertrauen des Klägers auf eine fortwährende Gewährung der Grundrente für die Zukunft ist angesichts der Teilnahme des Klägers an den schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundsätze nicht überwiegend schutzbedürftig.
Nach § 1a Abs. 3 BVG soll die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen, soweit die sofortige Entziehung zu unbilligen Härten führt. Eine sofortige Entziehung der Leistung war unter Berücksichtigung der dem Kläger gewährten Altersrente ermessensgerecht. Im Übrigen hat der Kläger Härtegesichtspunkte auch nicht geltend gemacht.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung der dem Kläger bis zum 31.1.3002 nach § 31 Bundesversorgungsgesetzt (BVG) gewährten Grundrente im Streit.
Der Kläger wurde am XX.X.1922 in F. geborenen. Er ist gelernter Glaser (April 1936 bis Oktober 1939) und war bis zum Rentenbezug wegen Erwerbsunfähigkeit (1978) und Alters (1982) zuletzt als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Auf seinen im Januar 1949 gestellten Antrag anerkannte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg für Verletzungen, die der Kläger während des Dienstes im 6. SS Panzerregiment in den Monaten April und August 1944 in Russland erlitt, als Schädigungsfolgen: "1. Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm. 2. Lungenstecksplitter links, verheilter Schussbruch 2. Rippe links". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) stellte die LVA im Jahr 1949 mit 20 v.H. fest.
Die Beklagte gewährte dem Kläger ab April 1955 eine Grundrente nach einer MdE von 50 v.H. und ab November 1972 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einer MdE von 80 v.H. Als Schädigungsfolgen stellte die Beklagte 1957 neu fest: "1.Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm. 2. Bohnengroßer Lungenstecksplitter links sowie verheilter Schussbruch der zweiten Rippe links. 3. Operationsnarbe am linken Rippenbogen und Defekt der 8. Rippe links nach Entfernung eines Lungenstecksplitters links; Pleuraschwarte links. 4. Asthmatoide Bronchitis". Für den Zeitraum vom 1.10.1964 bis zum 31.1.1972 gewährte die Beklagte dem Kläger Berufsschadensausgleich.
Der Kläger hatte die ihm anlässlich der Antragstellung im Februar 1949 gestellte Frage, ob er freiwillig oder unfreiwillig Angehöriger der Waffen- SS gewesen sei, mit "Kriegsfreiwilliger" beantwortet und angegeben, nach den 1944 erlittenen Verletzungen in verschiedenen Lazaretten behandelt worden zu sein. Vom 24. Mai 1940 bis zum 20. Oktober 1948 habe er Kriegsdienst, zuletzt als Unteroffizier, geleistet. Von August 1945 bis Oktober 1948 sei er in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Im März 1952 erklärte der Kläger, vom Monat März 1943 bis zum Monat August 1944 Fronteinsatz geleistet zu haben. Als Dienstgrad gab er Unterscharführer an. Die von der Beklagten angeforderten Unterlagen der Krankenbuchlager bestätigten die angegebenen Lazarettaufenthalte, zuletzt im Kriegsgefangenenlazarett F1, Frankreich von November 1944 bis Mai 1947.
Im Oktober 2000 zog die Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg (147 Js 45/67 und 147 Js 32/65) über die gegen G.-A. S., H. E., den Kläger und andere geführten Ermittlungen bei, um zu prüfen, ob die Beschädigtenversorgung nach dem am 28.1.1998 in Kraft getretenen § 1a BVG zu entziehen war. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen des Vorwurfs des im Konzentrationslager Neuengamme begangenen Mordes, Mordversuchs und der Beihilfe zum Mord ermittelt. Das Verfahren gegen den Kläger war mit Verfügung vom 14.12.1967 mangels Beweises eingestellt worden. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg teilte auf Anfrage der Beklagten im Mai 2000 mit, der Kläger sei SS Rottenführer beim Lagerpersonal des Konzentrationslagers Neuengamme gewesen.
Mit Schreiben vom 7.8.2001 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Versorgungsbezüge ein erstes Mal an. Sie wies darauf hin, dass die Durchsicht der Akten der Staatsanwaltschaft ergeben habe, dass der Kläger seit Oktober 1940 Blockführer und später Mitglied der Wachmannschaft im Konzentrationslager Neuengamme gewesen sei. Nach seinen Angaben habe er Häftlinge bewacht und u. a. auch zu Außenarbeiten geführt. Nach Zeugenaussagen soll es während dieser Zeit zu Misshandlungen von Häftlingen gekommen sein, an denen er beteiligt gewesen sei. Die Beklagte nahm Bezug auf den Inhalt des gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahrens. Der Kläger habe durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i. S. des § 1a BVG verstoßen. Es sei beabsichtigt, die Versorgungsbezüge mit Wirkung für die Zukunft zu entziehen. Angesichts der Schwere der sich aus den Ermittlungsakten ergebenden Verstöße komme auch bei einer Interessenabwägung ein besonderer Vertrauensschutz nicht in Betracht. Die Beklagte übersandte dem Kläger die aus der Akte der Staatsanwaltschaft gefertigten Kopien sowie Kopien der eingeholten Auskünfte.
Der Kläger erklärte dazu, er sei nachweislich nicht freiwillig zur Waffen- SS gekommen, sondern mit Gestellungsbefehl im Alter von 18 Jahren einberufen worden. Dem Befehl zum Einsatz im KZ Neuengamme habe er sich ohne Gefahr für sein eigenes Leben nicht entziehen können. Er habe persönlich keinerlei Misshandlungen an Häftlingen vorgenommen und auch nicht andere Personen dazu angehalten. Nach dem Krieg sei ihm im Gegenteil von ehemaligen Häftlingen bestätigt worden, dass er einer der Wenigen gewesen sei, der sich korrekt verhalten habe. Zu den Einzelheiten seines Einsatzes verwies der Kläger auf seine Aussage im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vom 7.9.1967 und die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft.
Die KZ Gedenkstätte Neuengamme teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die SS habe Ende 1938 in einer stillgelegten Ziegelei in Hamburg-Neuengamme ein Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, das im Frühsommer 1940 zum eigenständigen Konzentrationslager erklärt worden sei. Im Verlauf des Krieges hätten die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS Zehntausende aus allen besetzten Ländern Europas als KZ-Häftlinge nach Neuengamme deportiert. Dort und in über 80 Außenlagern, die ab 1942 – und vor allem 1944 – bei Rüstungsfirmen in ganz Norddeutschland eingerichtet wurden, hätten die Häftlinge Schwerstarbeit für die Kriegswirtschaft leisten müssen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen seien mörderisch gewesen. Insgesamt seien ca. 55 000 der 106 000 Häftlinge des KZ Neuengamme ums Leben gekommen; körperlich ausgezehrt seien sie an Krankheiten und Hunger gestorben oder Opfer von Misshandlungen oder Mordaktionen geworden. Unzählige Verbrechen seien auch in den Jahren von 1940 bis 1943 verübt worden. Die Gedenkstätte überreichte die Kopie einer eidlichen Aussage des Zeugen A. L. vom 27.2.1946 vor dem War Crimes Investigation Team. Der Zeuge erklärte seinerzeit, er sei am 4.6.1940 aus dem KZ Sachsenhausen in das KZ Neuengamme gesandt worden und könne sich an "Blockführer F2", der von 1941 bis 1943 dort gewesen sei und 1945 noch einmal zu Besuch gekommen sei, noch gut erinnern. Er sei ziemlich jung, dumm und brutal gewesen. Wo er irgend konnte habe er versucht, Häftlinge zu misshandeln und zu schikanieren. Der Zeuge schildert in seiner Aussage einen Vorfall beim Bau eines SS Luftschutzbunkers. Das Fallen einer Betonkarre sei für den Kläger Anlass gewesen, die Häftlinge zu prügeln und zu exerzieren. Er habe die Häftlinge die Schubkarren voll Kies laden und in losen Sand fahren lassen und wenn es nicht weiter ging, mit einem Knüppel so auf sie eingeschlagen, dass mehrere Häftlinge erschöpft zusammengebrochen seien. Er habe nicht von seinen Opfern abgelassen und so lange Wasser auf sie geschüttet, bis sie wieder zur Besinnung gekommen seien und die Tortur weiter gegangen sei. Die Gefangenen seien abends, weil sie das Bewusstsein nicht wieder erlangt hatten, in das Lager bzw. Revier getragen worden. Die Beklagte hörte den Kläger unter Darlegung der Auskunft der KZ Gedenkstätte erneut an und übersandte dem Kläger eine Kopie der Aussage des Zeugen A. L ... Der Kläger erklärte dazu, dass er als Kind in der NS- Zeit habe leben müssen, als Jugendlicher durch Gestellungsbefehl einberufen worden sei und keine andere Wahl gehabt habe. Der Umstand, dass er nach der Rekrutenzeit ausgerechnet als Wachmann zum KZ kommandiert worden sei, sei sein persönliches Unglück gewesen, dem er sich nicht habe entziehen können. Die Aussage des Zeugen A. L. sei ihm nicht bekannt. In den ersten Monaten nach Freilassung der Insassen hätten diese aus verständlicher Wut gegen alle SS- Angehörigen Aussagen gemacht, die mit der Realität nicht übereingestimmt hätten. Die Aussage des Zeugen sei unwahr und widersprüchlich. Ihm sei nicht bekannt, dass im KZ ein Luftschutzbunker gebaut worden sei. Er frage sich woher der Zeuge seinen Namen kenne. Namen der Bewacher hätten im Lager nicht bekannt gegeben werden dürfen. Wenn jemand bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt werde, könne anschließend nicht mit ihm exerziert werden. Er habe zugelassen, dass heimlich Brot ins Lager geschafft wurde und sich damit selbst gefährdet. Die für ihn sprechenden Zeugen seien nicht mehr am Leben oder nicht mehr bekannt.
Mit Bescheid vom 3.1.2002 entzog die Beklagte dem Kläger gem. § 1a Abs. 2 BVG ab 1.2.3002 die Grundrente, die zuletzt 474,- EUR betragen hatte. Zur Begründung führte sie aus, als Ergebnis eines Abwägungsprozesses solle die Entziehung angesichts der damaligen Umstände auf die Grundrente einschließlich Alterserhöhung beschränkt werden, da der Kläger damals erst zwischen 18 und 21 Jahren alt gewesen sei und von höchster Ebene ein hartes Vorgehen verlangt worden sei. Die Ansprüche auf Heil- und Krankenbehandlung sowie auf orthopädische Versorgung blieben bestehen. Ein Vertrauensschutz auf eine fortwährende Grundrentengewährung sei nicht festzustellen. Die sofortige Entziehung der Rente führe unter Berücksichtigung der Renteneinkünfte von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nicht zu einer unbilligen Härte.
Der Kläger widersprach dem Bescheid. Die bloße Zugehörigkeit zur SS reiche als Begründung für eine Entziehung nicht. Eine Weigerung, dem Einberufungsbefehl zu folgen, wäre mit dem Tod bestraft worden. Der Kläger bestritt erneut die Richtigkeit der Aussage des Zeugen A. L. und stellte die Vermutung an, dass der Zeuge rechtskräftig verurteilter Krimineller "also Schwerverbrecher" gewesen sei, da er erstmals im Juni 1933 verhaftetet worden sei. Neun Monate nach Öffnung des Lagers sei jeder SS Angehörige der Missetaten beschuldigt worden. Er selbst sei nicht, wie der Zeuge angibt 1945 noch einmal im Lager gewesen, sondern in verschiedenen Lazaretten und in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Die Rente dürfe gem. § 1a BVG nur nach einer rechtskräftigen Verurteilung, die eine Feststellung der persönlichen Schuld enthalten müsse, entzogen werden. Ihm sei ein strafbares Verhalten nicht nachgewiesen worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 3.1.2003 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger habe sich bewusst über natürliche Menschenrechte, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, hinweggesetzt. Sofern der Kläger sich auf das eingestellte Ermittlungsverfahren gegen ihn berufe, sei ihm entgegenzuhalten, dass die dort gemachten Zeugenaussagen keinesfalls geeignet seien die Angaben des Zeugen A. L. in Frage zu stellen. Die von der BfA gezahlte Rente habe ab Juli 1982 bereits 1358,10 DM betragen. Damit sei die Existenzgrundlage des Klägers durch eine sofortige Entziehung der Grundrente nicht gefährdet.
Mit seiner am 30.1.2003 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, er sei wie von der Deutschen Dienststelle am 28. 10. 1967 bestätigt, als 18- jähriger mit Gestellungsbefehl zur SS eingezogen worden und zwangsweise im KZ Neuengamme eingesetzt worden. Eine Verweigerung hätte er mit dem Leben bezahlen müssen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn sei mangels Beweisen eingestellt worden. Er habe seine Gesundheit durch die Kriegsbeschädigung eingebüßt und sei unschuldig. Andernfalls hätte er nicht so viele Jahre in der Nähe Neuengammes unbehelligt leben können. Wo auch immer ihm später ehemalige Häftlinge begegnet seien, habe man ihm gesagt, dass er "zu den Guten gehört" habe. Der Kläger verweist zur Begründung weiter auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Die Aussagen gegen ihn beruhten nicht auf eigenem Augenschein oder seien nur Vermutungen gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3.1.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.1.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat dem Gericht auf Anforderung aus den umfangreichen Ermittlungsakten zu dem Verfahren 147 Js 32/65 Kopien der den Kläger betreffenden Aussagen übersandt.
Die Historikerin Dr. W. hat auf Anforderung des Gerichts ein Gutachten vom 3.11.2005 zur Tätigkeit des Klägers im KZ Neuengamme und zu den dortigen Verhältnissen, insbesondere der Lagerhierarchie und den Verantwortlichkeiten sowie zu der Frage, ob der Kläger den Dienst im KZ ohne Gefahr für Leib oder Leben hätte ablehnen können, erstellt. Die Sachverständige ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2005 gehört worden.
Das Gericht hat die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers nach Vorlage eines ärztlichen Attestes aufgehoben. Der Terminsbevollmächtigte des Klägers hat im Termin eine Kopie des Gutachtens vom 3.11.2005 überreicht und darauf hingewiesen, dass die schriftlichen Anmerkungen zu einzelnen Aussagen der Gutachterin vom Kläger stammten und vermutlich nicht von ihm selbst sondern auf sein Diktat von der Tochter geschrieben worden seien.
Die Gutachterin hat im Termin eine Kopie der beim SS- Rassen- und Siedlungshauptamt über den Kläger geführten Akte überreicht.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Akten und Aktenauszüge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat die dem Kläger nach dem BVG gewährte Grundrente zu Recht entzogen.
Die Beklagte hat auch ihrer gem. § 1 a BVG i. V. m. § 24 Abs. 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SBG X) bestehenden Anhörungspflicht genügt. Dem Kläger wurde vor Erlass des in ihm zuerkannte Rechte eingreifenden Bescheides ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Nach § 1a BVG (eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des BVG vom 14.1.1998 –BGBl. I S.66) sind Leistungen zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob der Berechtigte durch sein individuelles Verhalten gegen diese Grundsätze verstoßen hat, können sich aus einer freiwilligen Mitgliedschaft in der SS ergeben (Abs. 1). Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzbedürftig ist (Abs. 2).
Die Vorschrift geht als lex spezialis den allgemeinen Eingriffsermächtigungen der §§ 45 und 48 SGB X vor. Sie gebietet die teilweise oder volle Entziehung von Entschädigungsleistungen, wenn ein individueller Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit vorliegt.
Die Regelung knüpft an den als Maßstab auch in anderen Gesetzen verwendeten und als hinreichend bestimmt gebilligten Begriff der Unwürdigkeit an (vgl. BVerfGE 93, 213,238). Die Verwirklichung eines Straftatbestandes ist, anders als der Kläger meint, nicht Voraussetzung für den Eingriff. Hingegen ist die Aberkennung der Leistungen wegen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden (vgl. dazu BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96).
Der Versagenstatbestand nach § 1a Abs. 1 und 2 BVG liegt vor. Sowohl der objektive (1) als auch der subjektive (2) Tatbestand des Gesetzes sind erfüllt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in langjähriger Rechtsprechung konkretisiert, was Inhalt der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ist. Sie umfassen einen jeder Rechtsordnung vorgegebenen Bestand an unabdingbaren Rechten, die niemals beseitigt oder in ihrem Wesensgehalt beschränkt werden dürfen (vgl. BVerwGE 19, 1, 4ff). Wer durch sein Verhalten gegen die Werteordnung des Grundgesetzes mit insbesondere den Grundrechten auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freizügigkeit sowie das Rechtsstaatsprinzip verstößt und damit die Mindestgarantien für ein menschenwürdiges und von staatlicher Willkür freies Leben anderer missachtet (vgl. BSG vom 24.3.1998, B 4 RA 78/96 R zur Unwürdigkeitsklausel in § 5 Entschädigungsrentengesetz) ist unwürdig i.S. des § 1a BVG.
Der Verstoß gegen diese Grundsätze setzt objektiv ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten voraus, das einem Beweis zugänglich ist. Der Betroffene muss gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstößen gegen sie – obwohl möglich und zumutbar – nicht entgegengetreten sein (vgl. BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96). Dabei reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber durch Rat oder Tat oder in anderer Weise, im Rahmen der dem Betroffenen eingeräumten Gewalt aus (vgl. BSG vom 30.1.1997, 4 RA 23/96 und 4 RA 99/95). Die Mitwirkung ist nicht auf strafrechtliche Teilnahmeformen begrenzt (vgl. BVerwGE 31, 337, 342). Subjektiv setzt der Verstoß ein zurechenbares und vorwerfbares Verhalten im Sinne einer willentlichen und wissentlichen Mitwirkung voraus. Dem Betroffenen müssen die Tatsachen, aus denen sich die Unmenschlichkeit und Rechtsstaatswidrigkeit seines Verhaltens ergibt, bekannt oder bei zumutbarer Gewissensanspannung bewusst sein.
Der Kläger hat sich in den von ihm ausgeübten Funktionen im KZ Neuengamme in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren aktiv an der Terrorisierung und Vernichtung von Menschen beteiligt, obwohl er sich ohne unmittelbare Gefahr für sein eigenes Leben oder seine körperliche Unversehrtheit hätte entziehen können. Er hat gegen die Inhalte der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen.
(1) Der Kläger war seit Mai 1940 Mitglied der SS und von Oktober 1940 bis zum 24.3. 1943 Blockführer, Kommandoführer und zuletzt Wachmann im KZ Neuengamme, zunächst als SS Sturmmann und seit Juli 1942 als SS Rottenführer. Der Kläger hatte als Block- und Kommandoführer in der Schutzhaftlagerführung, die die Lagerordnung und den Alltag der Häftlinge bestimmte, ständigen unmittelbaren Kontakt zu den Häftlingen. Die Block- und Kommandoführer waren nach den vom Kläger unwidersprochenen Feststellungen der Gutachterin Dr. W. neben der Überwachung der Häftlinge in den Blocks und Arbeitskommandos auch verantwortlich für die Planung, Leitung und Durchführung von "Sonderaktionen" zur Liquidierung bestimmter Häftlingsgruppen und hatten einen eigenen Befehlsbereich mit vergleichsweise großen Machtbefugnissen. Die Wachmannschaften, die seit März/April 1936 offiziell als SS Totenkopfverbände bezeichnet wurden, waren für die äußere Bewachung des Lagers zuständig und begleiteten die Häftlinge zu außerhalb gelegenen Arbeitsstellen. Sie unterstanden dem für alle Konzentrationslager zuständigen Führer der Totenkopfverbände in Oranienburg (vgl. Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005 und Martin Broszat, in Anatomie des SS Staates, S. 373f). Neuengamme wurde 1940 zum selbständigen Konzentrationslager und übernahm mit dem Aufsichtspersonal und ausgewählten Funktionshäftlingen aus anderen Konzentrationslagern auch die dortigen Methoden der Gefangenenbehandlung (vgl. Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 -1945, S.64ff). Etwa 55 000 der 106 000 Häftlinge des KZ Neuengamme sind während ihrer Haftzeit zu Tode geprügelt oder hingerichtet worden, infolge zu schwerer Arbeit, schlechter Ernährung und Hygiene und an der mangelnden medizinischen Versorgung oder an medizinischen Experimenten gestorben und in Postenketten getrieben und "auf der Flucht" erschossen worden (vgl. Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005; Hermann Kaienburg, "Vernichtung durch Arbeit" Der Fall Neuengamme S.155f).
Im KZ Neuengamme wurden Hinrichtungen in großer Zahl vollzogen. Sie erfolgten in den ersten Jahren am Schießstand durch ein Exekutionskommando und ab 1942, mit der Einführung der Hinrichtung als Lagerstrafe durch Erhängen, im Arrestbunker (vgl. Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 -1945, S. 253). Verantwortlich für die Ausführung war der Schutzhaftlagerführer. Bei zwei Hinrichtungsaktionen im Herbst 1942 wurde Giftgas eingesetzt. Ende September wurden 197 sowjetische Kriegsgefangene in den Arrestbunker gepresst und mit Zyklon B umgebracht, während die Häftlinge auf dem Apellplatz antreten mussten. Ende November wurden auf dieselbe Weise 251 sowjetische Kriegsgefangene, meist Kriegsversehrte, getötet (vgl. Hermann Kaienburg a.a.O. S. 261).
Die Ausübung der Funktionen des Klägers war notwendig verbunden mit der Beteiligung an der seelischen Erniedrigung der Inhaftierten durch körperliche Gewalt und Schikanen, durch Vorenthalten von hinreichender Ernährung, Kleidung, Unterbringung und Krankenversorgung und durch kräftezehrende körperliche Arbeit. Als Block- und Kommandoführer wurden meist die skrupellosesten und brutalsten Schar- und Rottenführer gewählt, die dazu angehalten wurden, die Gefangenen rücksichtslos zu schlagen und zu schikanieren. Blockführer, die sich nicht brutal genug gegenüber den Häftlingen zeigten, wurden auf unbeliebte Posten versetzt, in krassen Fällen sogar bestraft (vgl. Hermann Kaienburg, "Vernichtung durch Arbeit" Der Fall Neuengamme, S. 157) bzw. nach den Ausführungen der Gutachterin Dr. W. in ein anderes Lager oder an die Front versetzt. Kläger selbst hat eingeräumt, diese Form der Persönlichkeitsdestruktion und Beherrschung ausgeübt und Misshandlung und Mord als notwendige historische Pflicht verstanden zu haben, wenn er mit seiner Anmerkung zu den entsprechenden Ausführungen der Gutachterin einräumt, nach heutigen Maßstäben sei dies zu bestätigen, "aber nicht nach den Maßstäben der Diktatur Hitler/Himmler & Co". Er bemerkt zu den Ausführungen auf Seite 8 des Gutachtens vom 3.11.2005, von den Häftlingen werde er als jemand erinnert, von dem direkt willkürliche Gewalt ausging, "wird bestritten aber W.F. hat Verfehlungen seiner Häftlinge mit körperlicher Züchtigung bestraft" und räumt die Ausübung von Willkür ein. Der Kläger "bestätigt" mit der entsprechenden Anmerkung die folgenden Ausführungen der Gutachterin Dr. W. zu den Schilderungen der Überlebenden zu den Gewaltformen im KZ und der ständigen Angst davor:" Der Tod der Mithäftlinge und der mögliche eigene Tod waren oft nur wenige Momente entfernt. Tote oder sterbende Mithäftlinge lagen im selben Bett, wurden in den Waschräumen oder vor der Baracke abgelegt. Selbst beim Zählappell mussten sie mit dabei sein". Die SS Angehörigen erlernten ohne Überlegung zu gehorchen, Härte als Abhärtung und als Verhärtung gegenüber mitmenschlichen Regungen, Verachtung gegenüber "Minderwertigen" und Hochmut gegenüber allen, die nicht dem Orden angehörten (vgl. Hans Buchheim, Befehl und Gehorsam, in Anatomie des SS-Staates, S. 232). H. E. schildert in seiner polizeilichen Vernehmung vom 23.11.1967 zur Einweisung der Blockführer und Wachmannschaft im KZ Neuengamme im Dezember/ Januar 1940/1941: "Es wurde eine Aufteilung des Wachpersonals in Blockführer und Wachposten vorgenommen. Dann wurden wir belehrt, dass es sich bei den im Lager befindlichen Häftlingen zusammengefasst um den "Abschaum der Menschheit" handele". Der Kläger selbst merkt zu den Ausführungen der Gutachterin Dr. W. auf Seite 12 des Gutachtens zur Mentalität der SS an: "bestätigt! Erziehung zur totalen Härte".
Der Zeuge A. L. hat am 19.1.1966 im Rahmen des gegen den Kläger und H. E. geführten Ermittlungsverfahrens ausgesagt, dass der Klägers sich an den Misshandlungen und Schikanen von Sicherungsverwahrten, den sog. "Lebenslänglichen", die zu einem Arbeitskommando zur Vertiefung eines Feuerlöschgrabens gehörten und von denen allgemein bekannt gewesen sein soll, dass sie nicht mehr lange leben sollten, beteiligt habe. In einer späteren Aussage vom 3.5.1967 hat der Zeuge bestätigt, dass der Kläger sich am Feuerlöschgraben an dem Prügeln der Häftlinge beteiligt habe. Er äußerte die Überzeugung, dass die SS Leute die Häftlinge misshandelten, damit sie auf die Postenkette zulaufen, um dort erschossen zu werden. In einem Zeitraum von etwa 14 Tagen seien auf diese Weise 15 bis 20 Häftlinge erschossen worden. Dieser Vorgang wurde von dem Zeugen J. H1 in der Aussage vom 11.7.1967 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bestätigt. Auch er gibt an, der Kläger habe sich zusammen mit anderen Blockführern ständig bei der Gruppe der am Feuerlöschgraben arbeitenden sog. "Lebenslänglichen" aufgehalten. Der Zeuge H2 S1 bestätigte im August 1966 gegenüber der ermittelnden Sonderkommission, dass die Sicherungsverwahrten nicht mehr lange leben sollten und deshalb bei den schwersten Kommandos, wie dem am Feuerlöschgraben, eingesetzt wurden, wo sie zahlreich umkamen bzw., so die Aussage des Zeugen M. M1 vom 18.7.1966, wiederholt erschossen wurden. Nach dem von der Gutachterin Dr. W. zitierten und in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg archivierten Bericht des Zeugen E1 G1 vom 13.9.1945 habe der Kläger selber gesagt, dass er sich Autorität verschaffen müsse. Er habe Häftlinge geschlagen und bei Blockkontrollen selbst die Blockordnung zerstört. Der Kläger bestätigt diese Aussage mit seiner entsprechenden Anmerkung an dieser Stelle des Gutachtens.
Der Zeuge E1 G1 hat im Ermittlungsverfahren in einer durch den ermittelnden Oberstaatsanwalt wiedergegebenen schriftlichen Darstellung darüber hinaus ausgesagt, der Kläger sei an den beiden Vergasungen der russischen Kriegsgefangenen im Jahr 1942 sowie an Exekutionen beteiligt gewesen. Die Zeugen A. L. und J. H1 haben im Rahmen ihrer Vernehmungen am 10. und 20.3.1967 erklärt sich zu entsinnen, dass der Kläger beim Öffnen der Bunkertür nach der Vergasung zugegen und an der Verladung der Leichen beteiligt gewesen sei. Der Zeuge H3 S2 erklärte am 9.12.1966 bei "solchen größeren Aktionen" hätten meist alle Blockführer des Lagers teilnehmen müssen.
Die Kammer hat darüber hinaus auch die Aussage des Zeugen A. L. vom 27.2.1946 berücksichtigt. Der Zeuge, der zeitgleich mit dem Kläger im KZ Neuengamme war, hat in einer späteren Vernehmung vom 3.5.1967 eine Verwechselung des Klägers und E.’s ausgeschlossen, weil er beide zu genau gekannt habe. Der Zeuge hat in den vorliegenden Aussagen differenziert zu einzelnen Personen ausgesagt und vielfach dort, wo er sich an Personen oder Sachverhalte nicht mehr sicher erinnerte, Einschränkungen gemacht. Allein der Umstand, dass der Zeuge ausgesagt hat, der Kläger sei 1945 noch einmal im Lager gewesen, was angesichts der belegten Lazarett Aufenthalte nicht sein kann, macht die Aussagen angesichts der für die Ausübung der Funktionen eins Blockführers und Wachmannes geforderten und von dem Kläger verinnerlichten Härte im Vorgehen und Verhalten gegenüber den Häftlingen, nicht unglaubwürdig. Weder kann die Kammer Widersprüche in der Aussage vom 27.2.1946 erkennen, noch spricht der Umstand, dass der Zeuge, wie er am 10.3.1967 ausgesagt hat, 1933 aus politischen Gründen inhaftiert wurde, gegen seine Glaubwürdigkeit.
(2) Dem Kläger ist sein Verhalten zuzurechnen und vorzuwerfen. Die Tatsachen aus denen sich die Unmenschlichkeit seines Verhaltens ergibt, waren ihm bekannt. Seine Annahme, sein Verhalten sei nach den damaligen Maßstäben für Recht und Unrecht zu beurteilen, weshalb ihm die Unrechtmäßigkeit nicht bewusst gewesen sei bzw. ihm nicht habe bewusst sein müssen, ist falsch. Die Zerstörung menschlichen Lebens durch Terror und Gewalt verletzt elementare Rechte in einem so hohen Maß, dass dem Kläger die Vorwerfbarkeit seines Verhaltens jedenfalls hätte bewusst sein müssen.
Nach Überzeugung der Kammer war der Kläger der SS freiwillig beigetreten. Es ist nicht richtig, dass der Kläger eine Verweigerung des Dienstes im Konzentrationslager mit dem Leben hätte bezahlen müssen. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, sich aus dem KZ- Dienst versetzen zu lassen. Nach einem Schreiben vom 29.4.1943 des SS Sturmbannführers und Kommandeurs der SS Kraftfahrerschule und Vorgesetzten des Klägers an das Rasse- und Siedlungshauptamt hat der Kläger in einem persönlichen Gespräch erklärt, freiwillig bei der Waffen SS eingetreten und mit Leib und Seele SS Mann zu sein. Er hat im Februar 1949 auf die Frage, ob er freiwillig oder unfreiwillig Angehöriger der Waffen SS gewesen sei, gegenüber der LVA selbst erklärt, "Kriegsfreiwilliger" gewesen zu sein. Die Gutachterin Dr. W. hat im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Rekrutierung zur SS ausgeführt, dass diese auf Anwerbung, verbunden mit einem Antrag, den Männer ab 18 Jahren stellen konnten, erfolgt sei. Wenn der Kläger über einen Gestellungsbefehl zur SS gekommen sei, so müsse dies in seiner beim SS Rassen- und Siedlungshauptamt geführten Akte vermerkt sein. Gestellungsbefehle waren nach der Aussage von Dr. W. erst ab 1943 infolge der Kriegsentwicklung ein üblicher Weg in die SS. Der Verweis des Klägers auf eine Bescheinigung der Deutschen Dienststelle aus dem Jahr 1967 über eine zwangsweise Rekrutierung, ist angesichts seiner zeitlich vorangehenden gegenteiligen Angaben und des Umstandes, dass die Deutsche Dienststelle nach Aussage von Dr. W. vielfach fehlende Unterlagen durch Auskünfte der Betroffenen oder ihrer Angehörigen ersetzen musste, nicht erheblich. Der Kläger wurde nach Überzeugung der Kammer zum Dienst im KZ Neuengamme nicht gegen seinen Willen verpflichtet. Nach seiner Grundausbildung beim 2. SS-T-Ersatzbataillon in Breslau wurde der Kläger kurzzeitig in Frankreich eingesetzt und erlitt einen Unfall. Er kam über Warschau zurück nach Berlin/Oranienburg, von wo er nach einem "KZ-Vorbereitungskurs" nach Neuengamme in den KZ- Dienst versetzt wurde. Die aufgrund der Verletzung eingetretene vorübergehende Frontunfähigkeit führte zur Versetzung in den KZ-Dienst. Der Kläger hat diese Feststellung der Gutachterin Dr. W. mit der Bemerkung bestätigt, in Warschau habe es keine sinnvolle Verwendung für ihn gegeben. Er sei deshalb in den KZ- Dienst versetzt worden. Zwar bestreitet er in den Anmerkungen zum Gutachten, in Oranienburg ausgebildet worden zu sein und gibt an, von Berlin direkt nach Neuengamme gelangt zu sein, wo er vor Ort eine Einweisung erfolgt sei. Er gibt jedoch in seinem Lebenslauf vom 19.3.1943 gegenüber dem SS Rassen- und Siedlungshauptamt an, u.a. nach Breslau und "Berlin- Oranienburg K.L. und Hamburg-Neuengamme" versetzt worden zu sein. Zwar war er Austritt aus der Waffen SS im Krieg nicht möglich, denn der Dienst in der Waffen SS war Wehrdienst. Das galt auch für das zur Waffen SS gehörende KZ- Personal (vgl. Buchheim a.a.O.S. 317). Die Betroffenen konnten sich aber erfolgreich um die Versetzung zu einer anderen Dienstleistung, einem anderen Kommando oder an die Front bemühen (vgl. dazu die Beispiele bei Buchheim a.a.O. S. 316ff und Dr. W. im Gutachten vom 3.11.2005). Der Kläger hat nicht einmal den Versuch unternommen, sich versetzen zu lassen. Er merkt zu den Ausführungen der Gutachterin zu den Möglichkeiten, sich versetzen zu lassen an, man habe Angst gehabt, an die Front oder sogar in ein Strafbataillon versetzt zu werden und bestätigt, 1943 nicht auf eigenen Antrag zur Vorbereitung auf den Fronteinsatz zur Fahrausbildung nach Appeldoorn versetzt worden zu sein.
Nach §1 a BVG sind Leistungen ganz oder teilweise zu entziehen. Das Gesetz verlangt bei der Aberkennung von Leistungen eine Differenzierung zwischen den nach dem BVG zu gewährenden Leistungen (Heilbehandlung und soziale Fürsorge, Grund- und Ausgleichsrente). Ob darüber hinaus eine Differenzierung durch teilweise Entziehung oder Kürzung der Grundrente erfolgt, kann dahinstehen, denn die Beklagte hat zu Recht die für den Kläger wirtschaftlich bedeutsame Grundrente aberkannt. Beurteilungsmaßstäbe nach denen die Entziehung der Rechte zu erfolgen hat, werden im Gesetz nicht benannt. Für § 1 a BVG ist als Anknüpfungspunkt gleichermaßen wie für den Eingriff nach dem Entschädigungsrentengesetz der ethische Schuldvorwurf mit den zugehörigen drei Aspekten der schwere und Intensität der eingetretenen Rechtsbeeinträchtigung, des Unwertes der Verletzungshandlung und des individuellen Beitrages hierzu zu nehmen (vgl. BSG vom 23.10.2003, B 4 RA 52/02 R). Das BSG konkretisiert in dieser Entscheidung zur Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente die Maßstäbe dahingehend, dass es stets auf die Umstände des Einzelfalles ankomme und die Häufigkeit der festgestellten Verstöße, die Bedeutung der verletzten Rechte, Art und Ausführung der Verstöße, Ausmaß und Schwere der eingetretenen Schäden und die persönlichen Umstände abzuwägen seien. Als grobe Orientierung zieht das BSG die Stellung des Betroffenen im hierarchischen Gefüge zur Abstufung von Ebenen objektiver Verantwortlichkeit heran, betont allerdings, dass letztlich der individuelle ethische Schuldvorwurf das Ausmaß des Eingriffs begründe. In diesem Fall könnten die vom SS Mann bis zum SS Oberstgruppenführer reichenden Dienstgrade in der SS als Orientierungshilfe herangezogen werden. Die Stellung des Klägers als SS Rottenführer läge in dem Bereich der untersten Hierarchieebene. Die Anwendung dieser Maßstäbe spiegelt allerdings weder die Bedeutung der von ihm begangenen Verstöße noch das Ausmaß der ihm über andere verliehenen Macht wieder. Auch die SS Männer dieser Hierarchieebene hatten weitgehende Freiheit, zu quälen, zu schlagen und zu morden. Ihre Macht war insbesondere gegenüber den Häftlingen der untersten Hierarchien im Lager fast absolut (vgl. dazu Dr. W., Gutachten vom 3.11.2005 unter Hinweis u.a. auf Wolfgang Sofsky, Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager), so dass allein die Schwere der Rechtsbeeinträchtigung, der Unwert der Verletzungshandlung und der individuelle Beitrag für die Beurteilung heranzuziehen sind. Die Beteiligung an der gezielten Vernichtung menschlichen Lebens, an der Absonderung, Entwürdigung und Diffamierung von Menschen und an deren Persönlichkeitszerstörung ist ein offensichtlicher und unerträglicher Verstoß gegen elementare Gebote der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Der Kläger hat nicht einmalig oder punktuell gegen die Grundsätze verstoßen sondern über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren, in denen die Verletzung der Rechte wesentlicher, geforderter und von ihm erfüllter Teil seiner Dienstausübung waren. Der Vortrag des Klägers, er habe durch sein Verhalten zur Minderung des Unrechts beigetragen ist weder nachgewiesen, noch nach den Umständen glaubhaft. Das jugendliche Alter des Klägers kann die Unrechtmäßigkeit der Aberkennung der Grundrente nicht begründen. Der Kläger war jung, hatte allerdings bereits Schul- und Berufsausbildung durchlaufen und damit eine gewisse Lebenserfahrung erworben, als er der SS beitrat. Die SS war keine Mitläufer Organisation, sondern galt als die "Kerntruppe des Regimes", der man in öffentlicher Bekennung zum Regime beitrat, um sich in dessen Dienst zu stellen. Auch die Zusammenhänge, die zwischen SS und Konzentrationslagern bestanden, waren jedenfalls 1940 bekannt. Wer später als 1934 in die SS eingetreten ist konnte wissen, was er tat (vgl. Buchheim, in Anatomie des SS Staates, S. 311).
Das Vertrauen des Klägers auf eine fortwährende Gewährung der Grundrente für die Zukunft ist angesichts der Teilnahme des Klägers an den schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundsätze nicht überwiegend schutzbedürftig.
Nach § 1a Abs. 3 BVG soll die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen, soweit die sofortige Entziehung zu unbilligen Härten führt. Eine sofortige Entziehung der Leistung war unter Berücksichtigung der dem Kläger gewährten Altersrente ermessensgerecht. Im Übrigen hat der Kläger Härtegesichtspunkte auch nicht geltend gemacht.
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