L 2 U 159/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 195/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 159/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.10.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 16.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass beim Kläger vom 06.11.1998 bis 30.09.2003 und seit 01.11.2004 eine Berufskrankheit Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger deswegen vom 20.05.2000 bis zum 30.09.2003 und ab 01.11.2004 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufs-krankheit (BK) anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der am ...1951 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1968 bis zum 31.07.1970 eine Lehre zum Schlosser und arbeitete vom 01.08.1970 bis zum 23.10.1970 im erlernten Be-ruf. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes ging er vom 19.11.1973 bis 01.01.1974 wie-derum einer Beschäftigung als Schlosser und vom 02.01.1974 bis 16.07.1990 daneben als Kraftfahrer mit Entladetätigkeit nach. 1981 trat eine Tätigkeit als Schweißverantwortlicher hinzu. Vom 05.10.1990 bis 05.11.1998 war der Kläger als Kraftfahrer tätig. Vom 06.11.1998 bis 19.05.2000 war er arbeitsunfähig geschrieben. Vom 01.06.2000 bis 30.09.2003 bezog er Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Zeitraum vom 01.10.2003 bis 31.10.2004 ging er einer Beschäftigung als Werkstattarbeiter und Traktorist im landwirtschaftlichen Betrieb S ... J ..., M ..., nach.

Das Unternehmen B ... Sitzmöbel, bei dem der Kläger vom 01.01.1991 bis 05.11.1998 beschäftigt war, gab auf Veranlassung der Beklagten an, der Kläger habe als Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeit gearbeitet. Er habe Stuhlkartons eines Gewichts von max. 25 kg und ca. 60 kg wiegende verpackte Tische regelmäßig 10 bis 150 m 50 bis 80 x pro Schicht an 220 bis 230 Tagen im Jahr heben und tragen müssen. Von 1991 bis 1993 habe der Kläger einen LKW Daily, Fahrzeugtyp 49-10, des Unternehmens I ... gefahren, von September 1993 bis Mai 1997 einen LKW ohne Pritsche 100 E 21R der Fa. I ... und ab Juni 1997 einen LKW mit Pritsche des selben Unternehmens E ... ML 100 E 21 FFH.

Nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 27.07.1999 ergebe sich für den Zeitraum von Januar 1974 bis Oktober 1998 hinsichtlich der für eine BK-Nr. 2110 BKV relevanten Exposition eine kumulative Gesamtbelastungs-dosis von 636 x 103. Der empfohlene Dosisrichtwert von 580 x 103 werde damit über-schritten. Es lägen folglich die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit der Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 2110 BKV) vor. Hin-gegen seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK-Nr. 2108 BKV nicht gege-ben.

Ausweislich seines Sozialversicherungsausweises war der Kläger vom 22.03.1982 bis 08.04.1982 wegen nicht näher bezeichneter Krankheiten des Rückens (Diagnose-Nr. 724), vom 15.01.1985 bis 25.01.1985 wegen Spondylose und verwandter Krankheiten (Diagno-se-Nr. 721), vom 22.09.1997 bis 04.10.1997 wiederum wegen nicht näher bezeichneter Krankheiten des Rückens sowie Verstauchung und Zerrung des Rückens (Diagnose-Nr. 847) arbeitsunfähig geschrieben. Die AOK Sachsen nahm Stellung, vom 03.01.1996 bis 12.01.1996 habe u. a. wegen Rückenschmerzen, vom 14.08.1996 bis 30.08.1996 wegen Osteochondrose der Lendenwirbelsäule (LWS) und Spondylitits und vom 18.06.1998 bis 17.07.1998 wegen Lumbalgie und Ischialgie Arbeitsunfähigkeit bestanden.

Die Röntgenuntersuchung der LWS vom 15.08.1996 ergab eine Osteochondrose mit radi-kulärer Spondylose in den Segmenten L2 bis L5, besonders ausgeprägt bei L2/3 und L4/5. Der Befund überstieg deutlich das altersübliche Maß. Am 15.06.1998 rutschte der Kläger beim Vorziehen von Möbel auf der Ladefläche seines LKW mit dem linken Fuß weg, ver-drehte sich und schlug mit der linken Seite seines Körpers auf. Es trat sofort ein stechender Schmerz ein. Am 16.06.1998 suchte er Dr. J1 ... auf. Der Röntgenbefund vom 03.07.1998 ergab eine Zwischenwirbelraumverschmälerung der Segmente L2/3 und L5/S1 mit ventra-len Randzackenbildungen, eine beginnende Spondylosis deformans und einen Morbus Baastrup. Bei der MRT-Untersuchung vom 19.11.1998 wurde eine breitsbasige Protrusion am Segment L4/5 mit deutlicher Doralsackabflachung und höhergradiger Einengung des Übergangsbereichs zum Neuroforamen beidseitig, eine Osteochondrose L5/S1 mit Spon-dylophytenbildung sowie Bandscheibenprotrusion mit Nervenwurzelreizung erhoben. Vom 23.02.1999 bis 23.03.1999 befand sich der Kläger in stationärer medizinischer Rehabilita-tion in der Sachsenklinik N ... Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 20 cm und das Schobersche Zeichen mit 10/13,5 cm angegeben. Das Lasègue-Zeichen war beidseitig ne-gativ. Der Medizinische Dienst der Krankenkasse im Freistaat Sachsen erhob in seinem Gutachten vom 07.06.1999 einen Finger-Boden-Abstand von 15 cm, ein Schobersches Zeichen von 10/15 cm und ein Lasègue-Zeichen beidseitig negativ und diagnostizierte eine Lumboischialgie links bei Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 mit Wurzelbedrängung S1 links sowie rezidivierender Blockierung des Iliosakralgelenks links. Der Kläger sei für seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer mit Be- und Entladetätigkei-ten weiterhin arbeitsunfähig. Es sei möglich, dass die Wirbelsäulenerkrankung Folge einer BK sei. Die MRT-Untersuchung vom 30.03.2000 erbrachte eine Osteochondrose und Spondylosis deformans sowie Protrusionen an den Segmenten L4/5 und L5/S1 mit Tangie-rung der Spinalnervenwurzel L5 beidseitig und L4 links deutlicher als rechts.

Auf Veranlassung der Beklagten schätzte der Facharzt für Orthopädie Priv.-Doz. Dr. H1 ... am 20.07.1999 beratungsärztlich ein, der Kläger habe weniger als zehn Jahre als Kraftfahrer gearbeitet. Damit werde die vom Gesetzgeber geforderte Langjährigkeit der Ganzkörperschwingungen im Sitzen nicht erfüllt. Jedoch befürwortete er Maßnahmen nach § 3 BKV.

Der Facharzt für Chirurgie und Arbeitsmedizin Dr. O1 ... fertigte am 15.09.1999 ebenfalls auf Veranlassung der Beklagten nach Untersuchung des Klägers ein Gutachten. Das La-sègue-Zeichen sei beidseits negativ, das Schobersche Zeichen betrage 10/12 cm und das Ottsche Zeichen 30/31 cm. Der Kläger sei von 1974 bis 1998 als Kraftfahrer ca. 24 Jahre gegenüber Ganzkörpervibrationen exponiert gewesen. Es könne daher von einem leicht bis mäßig erhöhten gesundheitlichen Risiko bezüglich der Entwicklung einer bandscheibenbe-dingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) ausgegangen werden. Röntgenologisch seien an der mittleren Halswirbelsäule (HWS) leichte und der mittleren und unteren Brustwirbelsäule (BWS) sowie der gesamten LWS mäßiggradige degenerative Verände-rungen sowie eine Dysostose vorhanden. Es könne nicht empfohlen werden, eine BK-Nr. 2110 BKV anzuerkennen, weil die Befundkonstellation für eine vorwiegend endogene Verursachung spreche. Eine wesentliche Mitwirkung der beruflichen Belastungsfaktoren sei nicht offenkundig.

Die Gewerbeärztin Dr. G1 ... schätzte am 30.11.1999 ein, weil die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben sei, empfehle sie, die BK-Nrn. 2108 und 2110 BKV abzulehnen. Bezüglich der BK-Nr. 2109 BKV mangele es an der haftungsbegründenden Kausalität.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16.12.1999 die Anerkennung einer BK-Nr. 2110 BKV ab. Es drohe auch keine Gefahr, dass eine solche BK entstehe. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei daher nicht gegeben. Sie stützte ihre Entscheidung auf das von Dr. O1 ... gefertigte Gutachten und die gewerbeärztliche Stellungnahme. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine ergänzende Stellung-nahme von Dr. O1 ... ein. Danach liege beim Kläger eine Dysostose im Sinne eines Mor-bus Scheuermann vor, der sich auch ohne berufliche Exposition ungünstig auf die LWS auswirke. Ein Nachweis, dass die berufliche Ganzkörpervibrationseinwirkung von ent-scheidender Bedeutung für das Krankheitsbild sei, könne nicht zweifelsfrei geführt wer-den. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2000 zurück.

Sein Begehren hat der Kläger mit der am 24.07.2000 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage weiter verfolgt. Im Gegensatz zum Gutachten von Dr. O1 ... lägen die schwersten Schäden in Form von Protrusionen im Bereich der LWS vor.

Auf Veranlassung des SG hat der Orthopäde Prof. Dr. D1 ..., Klinik und Poliklinik für Or-thopädie des Universitätsklinikums ... D ..., am 23.04.2001 ein weiteres Gutachten erstattet. Das Ottsche Zeichen hat er mit 30/32 cm, das Schobersche Zeichen mit 10/15 cm, den Finger-Boden-Abstand mit 27 cm und das Lasègue-Zeichen beidseitig negativ angege-ben. Beim Kläger bestehe ein lumbales vertebragenes pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei mehrsegmentaler Spondylosis deformans, ein thorakales vertebragenes lokales Schmerzsyndrom bei rechts-konvexer Skoliose, Hyperkyphose und degenerativen Verän-derungen, vor allem im mittleren BWS-Abschnitt, und ein zervikales vertebragenes lumba-les bis pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen an den Seg-menten C4/5 und C5/6. Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Krank-heitsbildes der LWS sei die im Adoleszentenalter durchgemachte Scheuermannsche Er-krankung, die sowohl im unteren Abschnitt der BWS als auch im oberen Abschnitt der LWS zu deutlichen strukturellen Veränderungen an den Wirbelkörpern geführt habe. Die degenerativen Veränderungen seien in jenen Bereichen, die von der Scheuermannschen Erkrankung direkt betroffen seien, am ausgeprägtesten sichtbar. Das betreffe insbesondere das Segment L2/3 und das Segment L3/4. Das beruflich am stärksten belastete Segment L5/S1 zeige dagegen röntgenologisch keinen pathologischen Befund und magnetresonanz-tomografisch lediglich eine Bandscheibenprotrusion, die nicht altersuntypisch sei. Der Kläger habe seine Tätigkeit nicht aufgrund der LWS-Erkrankung aufgegeben, sondern wegen eines Insolvenzverfahrens des Arbeitgebers. Er sei jedoch nicht mehr in der Lage, wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten auszuüben. Eine BK liege nicht vor.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.10.2001 abgewiesen. Die beim Kläger bestehen-den Wirbelsäulenbeschwerden stellten keine BK-Nr. 2110 BKV dar. Zwar lägen nach der Stellungnahme des TAD die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der genannten BK vor. Jedoch sei die beim Kläger bestehende bandscheibenbedingte Erkran-kung der LWS nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. D1 ... nicht wesentlich durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht. Wesentliche Ursache sei vielmehr die beim Kläger bestehende Scheuermannsche Erkrankung. Zudem mangele es beim Klä-ger an einem belastungstypischen Schadensbild mit von unten nach oben abnehmenden Schäden an der LWS. So weise das Segment L5/S1 eine geringere Erniedrigung als das Segment L4/5 auf. Ferner sprächen gleichwertige Schäden an der HWS und BWS gegen eine BK der LWS.

Gegen das dem Kläger am 30.11.2001 zugestellte Urteil hat er am 27.12.2001 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Auf Veranlassung des Senats hat der Facharzt für Chirurgie Prof. Dr. K1 ... am 12.04.2004 nach Untersuchung des Klägers ein weiteres Gutachten gefertigt. Er hat das Ottsche Zei-chen mit 30/32 cm, das Schobersche Zeichen mit 10/13 cm und den Finger-Boden-Abstand mit 44 cm angegeben und ein lumbales vertebragenes Radikulärsyndrom der Lendenwir-belkörper (LWK) 5/S1 und LWK 4/5, eine Bandscheibenerkrankung der LWS, eine se-kundäre Osteochondrose an den Grund- und Deckplatten der Segmente LWK 3 bis S1, eine Spondylose an der unteren und mittleren LWS, eine Belastungsinsuffizienz der LWS und asymptomatische degenerative Veränderungen der BWS und HWS diagnostiziert. Ei-ne bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren LWS, geringer der mittleren LWS, liege vor. Die Erkrankung bestehe seit 1986. Die Beschwerden und Funktionsstörungen hätten sich seit dem Arbeitsunfall vom 15.06.1998 verschlimmert. Die Erkrankung sei wesentlich durch die beruflichen Belastungen in Form von Ganzkörperschwingungen im Sitzen und schweres Heben und Tragen von Lasten verursacht. Eine BK-Nr. 2110 BKV liege daher vor. Andere für die Zusammenhangsbeurteilung bedeutsame Erkrankungen seien nicht feststellbar. Der Kläger habe in seiner Kindheit und Jugend unter keiner Erkrankung des Rückens gelitten. Er habe den Schul- und Berufsschulsport sowie den NVA-Dienstsport ohne Rückenprobleme in vollem Umfang ausführen können. Wirbelsäulenbelastende Sportarten habe er nicht ausgeübt. Eine familiäre Disposition zu Wirbelsäulenerkrankun-gen bestehe nicht. Auch habe beim Kläger kein Übergewicht vorgelegen. Er habe nicht geschurwerkt und kein Haus erbaut. Bei betriebsärztlichen Untersuchungen sei keine Wir-belsäulenerkrankung festgestellt worden. Die Erkrankung habe seit 05.10.1998 zur Unter-lassung aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich waren oder sein können. Die berufskrankhei-tenbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab November 1998 20 v. H.

Am 28.06.2005 und am 30.06.2005 hat Prof. Dr. K1 ... ergänzend Stellung genommen. Auf Bl. 160 f., 167 f. der LSG-Akte wird verwiesen.

Die Gewerbeärztin Dr. G1 ... hat auf Veranlassung der Beklagten ein weiteres Gutachten nach Aktenlage erstellt. Der Kläger erfülle nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK-Nr. 2108 BKV. Die haftungsbegründende Kausalität für eine BK-Nr. 2110 BKV sei zwar fraglich, man könne jedoch nach Aktenlage von ihrem Vorliegen ausgehen. Beim Kläger bestehe auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Ein Röntgenbefund aus dem Jahre 1981 zeige eine Skoliose, eine verstärkte Kyphose und einen Morbus Scheuermann der BWS. Gegen eine berufliche Verursachung der bestehenden bandschei-benbedingten Erkrankung der LWS sprächen der Morbus Scheuermann, das Vorliegen von Fehlstellungen bzw. –bildungen in Form einer verstärkten Brustkyphose, einer leichten Skoliose und eines Sacrum arcuatum, die Tatsache, dass röntgenologisch nachweisbar le-diglich eine geringe Zwischenwirbelraumverschmälerung bei L2/3 vorhanden sei, während die Zwischenwirbelräume L4/5 und L5/S1 altersgemäß hoch erschienen, das Bestehen ei-ner Spondylose lediglich an der mittleren und unteren – nicht jedoch an der oberen – LWS, das Nichtvorliegen eines belastungskonformen Schadensbildes und die Tatsache, dass röntgenologisch nachweisbare Veränderungen das altersübliche Maß nicht überschritten.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 24.08.1999 das Unfallereignis vom 15.06.1998 als Arbeitsunfall anerkannt. Dieser habe eine Prellung verursacht, der zu einer Arbeitsunfä-higkeit für die Dauer von 4 Wochen geführt habe.

Der Kläger hat angegeben, er arbeite seit 01.10.2003 im bäuerlichen Betrieb S ... J ... als Werkstattarbeiter. Das Heben und Tragen von Lasten, auch von solchen, die ein Gewicht von 25 bis 30 kg überstiegen, sei nicht ausgeblieben. Schwingungsbelastungen durch das Fahren von Traktoren sei er in den Erntemonaten Juli bis Oktober ausgesetzt. Weil sich durch diese Tätigkeit sein Gesundheitszustand verschlechtern könnte, sei das Arbeitsver-hältnis zum 31.12.2004 beendet worden. Die Inhaberin des bäuerlichen Betriebes hat das vom 01.10.2003 bis 31.12.2004 dauernde Beschäftigungsverhältnis bestätigt. Schweres Heben und Tragen von Lasten sei ab und an vorgekommen, Ganzkörperschwingungen im Sitzen seien durch das Fahren von Traktoren während der Erntezeit aufgetreten. Nach der Stellungnahme der AOK Sachsen vom 12.07.2005 sei der Kläger vom 01.11.2004 bis 08.12.2004 arbeitsunfähig gewesen. Der landwirtschaftliche Betrieb J ... hat am 20.07.2005 bestätigt, der Kläger habe vom 09.12.2004 bis zum 31.12.2004 seinen Restur-laub in Anspruch genommen.

Der TAD der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland hat in seinen Stellungnahmen vom 01.04.2005 und 30.06.2005 eingeschätzt, während der Be-schäftigung im bäuerlichen Betrieb S ... J ... sei ständiges Heben und Tragen oder das Arbeiten unter einem Rumpfbeugewinkel über 90° nicht feststellbar gewesen. Beim Fahren eines modernen Schleppers sei nicht von einer Belastung durch Ganzkörperschwingungen oberhalb des Grenzwertes auszugehen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Nrn. 2108 und 2110 BKV hätten daher nicht vorgelegen. Die Tagesdosis von 5.500 Nh sei an keinem Tag erreicht oder überschritten worden.

Der Kläger hat sich gegen die Art und Weise der Gutachtenserstellung durch die Gewerbe-ärztin Dr. G1 ... ausgesprochen. Sie sei ihm auf Veranlassung der Beklagten ins Haus geschickt worden. Als er diese weggeschickt habe, sei ihm gegenüber erklärt worden, er sei nun verpflichtet, sie aufzusuchen. Dies entspreche jedoch nicht der gesetzlichen Lage.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.10.2001 und den Bescheid der Be-klagten vom 16.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000 aufzuheben, festzustellen, dass bei ihm vom 06.11.1998 bis 30.09.2003 und seit 01.11.2004 eine Berufskrankheit der Nr. 2110 der Anlage zur Be-rufskrankheitenverordnung vorliegt und die Beklagte deshalb zu verurteilen, ihm vom 20.05.2000 bis zum 30.09.2003 und ab 01.11.2004 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und stützt sich im Übrigen auf das Gutachten der Gewerbeärztin und die in der mündlichen Verhandlung übergebene Stel-lungnahme des Arbeitsmediziners Dr. L1 ... Bezüglich deren Inhalts wird auf Bl. 201 bis 211 der LSG-Akte verwiesen.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Daher waren das Urteil des SG vom 12.10.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 16.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000 aufzuheben. Ferner war festzustellen, dass beim Kläger vom 06.11.1998 bis 30.09.2003 und seit 01.11.2004 eine BK-Nr. 2110 BKV vorliegt. Die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger vom 20.05.2000 bis zum 30.09.2003 und ab 01.11.2004 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Beim Kläger liegt der Versicherungsfall einer BK-Nr. 2110 BKV vor. Das lumbale vertrebragene Schmerzsyndrom L5/S1 und L4/5, die mehrsegmentale Spondylosis defor-mans der unteren und mittleren LWS, die Osteochondrose an den Segmenten L4/5 und L5/S1 und die Bandscheibenprotrusionen an den Segmenten L5/S1 und L4/5 sind Folgen dieser BK.

Vorliegend ist die BK-Nr. 2110 BKV i. V. m. § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) maßgeblich, weil der Versicherungsfall am 06.11.1998, mithin nach dem 01.01.1997, eingetreten ist.

Der Kläger hat die gefährdende Tätigkeit am 06.11.1998 zunächst völlig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war er arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach bis zum 01.10.2003 kei-ne wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt, so dass als Zeitpunkt des Eintritts des Versi-cherungsfalls nur der 06.11.1998 in Betracht kommt.

Eine Berufskrankheit nach BK-Nr. 2110 BKV liegt vor, wenn der Versicherte an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet, die durch langjährige vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen verursacht worden ist, und der Versicherte durch die Erkrankung gezwungen wird, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die ursächlich für die Entstehung oder die Verschlimmerung dieser Erkrankung waren oder noch ursächlich sein können.

Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammen-hang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädi-genden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreichen (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000, Az.: B 2 U 34/99 R).

Die Feststellungen des TAD haben ergeben, dass die Voraussetzungen einer langjährigen vorwiegend vertikalen Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen im Sinne der BK-Nr. 2110 BKV beim Kläger erfüllt ist. Aufgrund der Ermittlungen des TAD, der An-gaben des Klägers und ergänzend auch der Einschätzungen von Dr. O1 ..., Prof. Dr. D1 ... und Prof. Dr. K1 ... in ihren Gutachten ist der Senat im Sinne des Vollbeweises davon überzeugt, dass der Kläger langjährig vorwiegend vertikalen Einwirkungen von Ganzkör-perschwingungen im Sitzen ausgesetzt war und die Dosis mit 636 x 103 im als gesund-heitsschädigend anzusehenden Bereich liegt. Ernsthafte Gesichtspunkte, die hiergegen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan wor-den. Daneben hat der Kläger nach der Einschätzung des TAD zumindest gelegentlich nicht unerhebliche Lasten gehoben und getragen.

Der Kläger leidet an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Dies haben die Gutachter Prof. Dr. D1 ..., Prof. Dr. K1 ... und Dr. G1 ... übereinstimmend zur vollen Überzeugung des Senats festgestellt. Hiernach leidet der Kläger unter einem lumbalen ver-tebragenen Schmerzsyndrom L5/S1 und L4/5, einer mehrsegmentalen Spondylosis defor-mans der unteren und mittleren LWS, einer Osteochondrose an den Segmenten L4/5 und L5/S1und Bandscheibenprotrusionen der Segmente L5/S1 und L4/5.

Diese Erkrankungen führten zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ab 06.11.1998. Die Sachverständigen Prof. Dr. D1 ..., Prof. Dr. K1 ... und die Gewerbeärztin Dr. G1 ... gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet.

Diese bandscheibenbedingte Erkrankung wurde auch mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer zeitweise mit Be- und Entladetätigkeit wesentlich (mit-) verursacht.

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS sind regelmäßig nicht monokausal erklär-bar, weil nicht nur berufliche Belastungen auf die LWS einwirken, sondern immer auch eine Disposition (Vulnerabilität) eine Rolle spielen kann. Dann, wenn schon unter "norma-len" Belastungen des täglichen Lebens bandscheibenbedingte Erkrankungen auftreten, ist immer damit zu rechnen, dass auch Versicherte, die langjährig den in BK-Nr. 2110 BKV genannten Belastungen ausgesetzt sind, zu jenem Personenkreis gehören, dessen Band-scheibengewebe allgemein weniger widerstandsfähig ist. Bei solch kausaler Konkurrenz ist nach der im Sozialrecht geltenden Kausalitätstheorie unter Abwägung des Werts der ein-zelnen Bedingungen festzustellen, ob das versicherte Risiko (mit Wahrscheinlichkeit) rechtlich wesentlich zum Erfolg beigetragen hat. Dabei schließt die Mitwirkung (einer oder mehrerer) rechtlich wesentlicher Ursachen aus dem unversicherten Bereich den Versiche-rungsschutz nicht aus. Das ist nur dann der Fall, wenn solche Umstände rechtlich allein wesentlich sind. Sie müssen die versicherten Umstände überragen oder - anders ausge-drückt - in den Hintergrund drängen. Rechtlich wesentlich sind die beruflichen Ursachen mithin nicht nur dann, wenn sie im Vergleich zu den übrigen Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig sind, sondern bereits auch dann, wenn sie zwar nicht gleich-wertig, aber auch nicht völlig zu vernachlässigen sind. Dabei muss die jeweilige Beziehung zum Erfolg nicht sicher feststehen, sondern nur wahrscheinlich sein. Diese Grundsätze sind auch auf die Kausalitätsbetrachtung von berufsbedingten Bandscheibenerkrankungen der LWS und deren weiteren Folgen anzuwenden (Urteil des Senats vom 25.10.2002, Az.: L 2 U 41/99). Der Senat geht davon aus, dass der versicherten Tätigkeit eine solchermaßen umschriebene wesentliche Bedeutung zukommt, weil die anderen berufskrankheitsunab-hängigen Ursachenbeiträge nicht von überragender Bedeutung sind.

Zwar liegen beim Kläger auch Verschleißerscheinungen an der HWS und BWS vor. So leidet der Kläger an einer allenfalls mäßiggradigen Spondylosis deformans der HWS-Segmente C4/5 und C5/6, einer beginnenden Unkovertebralarthrose des Segments C5/6 und einer Spondylosis deformans der mittleren BWS. Dies haben zur Überzeugung des Senats übereinstimmend Prof. Dr. D1 ... und Prof. Dr. K1 ... festgestellt.

Nach Auffassung des Senats ist es nicht zulässig, zu fordern, dass der nicht berufsbedingt exponierte Abschnitt der Wirbelsäule nicht oder nur weniger degenerativ verändert ist als der belastete. Häufig wird sich dieser Argumentation bedient, wenn sowohl die LWS als auch die HWS und BWS bandscheibenbedingte Erkrankungen aufweisen. Diese These ist, nach ständiger Rechtsprechung des 2. Senat des Sächsischen LSG (u. a. Urteil vom 25.10.2002, Az.: L 2 U 175/99), jedoch nicht plausibel. Denn sie würde zum einen nur dann ein verlässliches Ausschlusskriterium darstellen, wenn bandscheibenbedingte Er-krankungen der HWS und BWS auch ohne berufliche Exposition der LWS nahezu immer mit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS einhergingen, also nicht isoliert aufträten. Dies ist nirgends belegt. Zudem geht die These, wonach schwerwiegende Verän-derungen im beruflich nicht exponierten HWS-Bereich einen Rückschluss auf die berufsu-nabhängige Entstehung im beruflich exponierten LWS-Bereich zuließen, von der still-schweigenden Voraussetzung aus, dass das gesamte Bandscheibengewebe im Einzelfall aus ansonsten nicht näher bekannten und vorab erkennbaren Gründen anlagebedingt min-derwertig(er) sei. Es handelt sich also um ein indirektes Verfahren. Da aber jede Band-scheibe durch langjährige Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen belastet wird, aber nicht bei jedem Exponierten eine entsprechende bandscheibenbedingte Erkran-kung auftritt, setzt die Entstehung einer Berufskrankheit immer - individuell verschiedene - Vulnerabilität gegenüber beruflichen Einwirkungen voraus. Sind die Veränderungen deut-lich unterschiedlich und der nicht oder wesentlich geringer exponierte Wirbelsäulenbereich wesentlich stärker degenerativ verändert als der beruflich stark belastete Wirbelsäulenbe-reich, kann nicht plausibel auf eine generelle Minderbelastbarkeit des Bandscheibengewe-bes geschlossen werden. Denn dann müssten im exponierten Wirbelsäulenabschnitt erst recht degenerative Veränderungen nachweisbar sein. Bei in etwa gleichwertiger degenera-tiver Veränderung von HWS, BWS und LWS gilt nichts anderes. Geht man in derartigen Fällen von der These der generalisierten Minderwertigkeit des Bandscheibengewebes aus, müsste der exponierte Wirbelsäulenabschnitt einen stärkeren Befund aufweisen als der nicht exponierte. Sind aber die Bandscheiben der beruflich exponierten LWS noch stärker degenerativ verändert als die Bandscheiben der HWS und BWS, legt dies die Annahme im Einzelfall nahe, dass das Bandscheibengewebe zwar physiologisch minderwertig ist, je-doch die berufliche Exposition gleichwohl eine wesentliche Teilursache darstellt. Daraus folgt, dass ein Vergleich zwischen exponierten und nicht exponierten Wirbelsäulenab-schnitt nur geeignet ist, einen Kausalzusammenhang unter bestimmten Voraussetzungen zu stützen, nicht jedoch ihn in Zweifel zu ziehen, ohne die eigenen gedanklichen Prämissen zu verletzen.

Die Wirbelsäulensegmente der unteren und mittleren LWS des Klägers, die nachweisbar erheblich beruflich exponiert waren, sind stärker degenerativ verändert als diejenigen der HWS und BWS. Beim Kläger bestehen röntgenologisch und durch MRT-Untersuchungen nachgewiesen - der Senat stützt sich auf die Auswertung der Röntgenbefunde durch Prof. Dr. K1 ... und Prof. Dr. D1 ... und die MRT-Befunde vom 19.11.1998 und 30.03.2000 - eine Spondylosis deformans der Segmente L3 bis S1, eine deutliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraums L4/5, eine Osteochondrose an den Segmenten L 4/5 und L5/S1 und eine Zwischenwirbelraumverschmälerung am Segment L5/S1. Ferner liegen beim Kläger Bandscheibenprotrusionen an den Segmenten L5/S1 mit Nervenwurzelreizung und L4/5 vor. Es kann daher – wenn man das Differenzargument als gültig ansieht – gefolgert wer-den, dass gerade die erheblichen beruflichen Belastungen maßgeblich zum vorzeitigen Verschleiß des exponierten Wirbelsäulenabschnitts geführt haben. Das Differenzargument stützt folglich im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs.

Auch Dr. L1 ..., der im Auftrag der Beklagten Stellung genommen hat, hat – für den Senat nachvollziehbar – eingeschätzt, die an der HWS und BWS vorliegenden Erkrankun-gen stünden einer BK-Nr. 2110 BKV nicht entgegen.

Daneben besteht beim Kläger entsprechend der Feststellungen durch Prof. Dr. K1 ... eine lediglich ganz geringfügige rechts-/linkskonvexe Skoliose der BWS von 4°, die nach sei-nen überzeugenden Ausführungen wegen ihrer Geringfügigkeit statisch nicht relevant ist. Prof. Dr. D1 ... und Dr. O1 ... haben die Erkrankung nicht erhoben.

Es kann – entgegen der Auffassung von Dr. L1 ... – dahinstehen, ob beim Kläger eine anlagebedingte Wirbelsäulenerkrankung in Form eines Morbus Scheuermann am dorso-lumbalen Übergang vorliegt. Bei den Röntgenuntersuchungen vom 15.08.1996 und vom 03.07.1998 wurde eine solche nicht festgestellt. Auch im Rahmen der MRT-Untersuchungen vom 19.11.1998 und 30.03.2000 konnte eine derartige Erkrankung nicht erhoben werden. Dr. O1 ... hat in seinem Gutachten Hinweise auf eine Dysostose in Form eines Morbus Scheuermann gefunden, ohne sie im Röntgenbefund auszuführen. Prof. Dr. D1 hat in seinem Gutachten deutliche Residuen eines abgelaufenen Morbus Scheu-ermann am dorsolumbalen Übergang mit Schmorlschen Impressionen bei Th12, L1 und L3 festgestellt. Prof. Dr. K1 ... hat diese Erkrankung nicht entdecken können. Er hat in sei-nem Gutachten ausdrücklich ausgeführt, weder an der BWS noch an den Segmenten L1 oder L3 befänden sich Schmorlsche Knötchen. Zudem ist weder im Entlassungsbericht der Sachsenklinik N ... noch im vom MDK erstellten Gutachten eine Scheuermannsche Erkrankung diagnostiziert worden.

Bei der Scheuermannschen Erkrankung handelt es sich um eine jugendliche Aufbaustörung der Wirbelsäule. Ursache ist eine mindere Qualität der die Bandscheiben begrenzenden Strukturen, welche schon im Wachstumsalter dem Ausdehnungsdruck des Bandscheiben-gewebes nicht gewachsen sind. Bei der Zusammenhangsbegutachtung ist der Nachweis einer Scheuermannschen Erkrankung kein Ausschluss-, sondern lediglich ein Abwägungs-kriterium. Zu berücksichtigen sind die Ausprägung der Erkrankung, die Intensität der be-ruflichen Belastung sowie der zeitliche Verlauf der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Für eine wesentliche Teilursache der beruflichen Belastungen spricht, wenn die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS erst nach langjährigen intensiven beruflichen Belastungen aufgetreten ist. Gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen ausgeprägte radiologische Veränderungen im Sinne eines Morbus Scheuermann, Beschwerden bereits im jugendlichen Alter, eine frühzeitige Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Er-krankung der LWS und eine grenzwertige berufliche Belastung (Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand 1/2004, M 2108, Anmerkungen, Ziff. 4.5).

Selbst wenn man mit Prof. Dr. D1 ... und Dr. O1 ... das Vorliegen einer Scheuer-mannschen Erkrankung unterstellt, führt diese vorliegend nicht zum Ausschluss der BK. Der Kläger ist – auch nach der Einschätzung des TAD der Beklagten von Januar 1974 bis Oktober 1998 – mithin insgesamt 24 Jahre – Belastungen durch Ganzkörperschwingungen im Sitzen ausgesetzt gewesen. Daneben haben Hebe- und Tragebelastungen bestanden. Folglich liegen im Falle des Klägers ausgeprägte und nicht nur grenzwertige berufliche Belastungen vor.

Die Beschwerden sind ausweislich der Eintragungen im Sozialversicherungsausweis erst-malig vorübergehend 1982 aufgetreten. Der 1951 geb. Kläger ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im jugendlichen Alter gewesen. Zudem hat er hiernach noch bis zum 06.11.1998 – mithin 16 Jahre – seine schwere körperliche Tätigkeit fortsetzen können. Nach den Erhe-bungen im Gutachten von Prof. Dr. K1 ... hat der Kläger weder in der Kindheit noch der Jugendzeit unter Rückenschmerzen gelitten. Er hat den Schul-, Berufsschul- und Wehr-dienstsport ohne Einschränkungen ausführen können.

Der Senat geht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur BK-Nr. 2108 BKV (BSG, Urteil vom 28.04.2004, Az.: B 2 U 33/03 R) davon aus, dass es derzeit an einem Erfahrungssatz des Inhalts, für die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen Belastungen im Sinne einer BK-Nr. 2110 BKV und Wirbelsäulen-schäden bedürfe es eines belastungskonformen Schadensbildes in der von der Gewerbeärz-tin in ihrem Gutachten dargestellten Form, mangelt.

Nach den ergänzenden und für den Senat überzeugenden Stellungnahmen von Prof. Dr. K1 ... vom 28.06.2005 und 30.06.2005 ist das Ausrutschen und Fallen des Klägers am 15.06.1998 nicht die allein wesentliche Ursache für die ab 06.11.1998 bestehenden Be-schwerden gewesen. Zwar ist sofort eine akute Schmerzsymptomatik aufgetreten. Sie hat zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt. Ab 17.07.1998 ist er seiner schweren körperlichen Tätigkeit wieder nachgegangen. Zudem hat der MRT-Befund vom 19.11.1998 belastungsadaptive Veränderungen in Form einer Osteochondrose und von Spondylophyten ergeben. Wie Prof. Dr. K1 ... nachvollziehbar ausführte, werden oft mehrere Jahre benötigt, um bei berufsbedingten Verschleißerscheinungen derartige belas-tungsadaptive Veränderungen zu provozieren. Sie sind folglich nicht erst durch den Ar-beitsunfall hervorgerufen worden. Die Auffassung des Senats, dass der Arbeitsunfall vom 15.06.1998 nicht die allein wesentliche Ursache für die Beschwerden der LWS ist, teilt auch die Beklagte, wie sich aus deren Bescheid vom 24.08.1999 ergibt.

Da – wie oben bereits dargestellt – der Kläger nicht nur grenzwertig beruflichen Belastun-gen ausgesetzt war, sondern ca. 24 Jahre gegenüber Ganzkörperschwingungen im Sitzen exponiert war, daneben zumindest zeitweise schwer gehoben und getragen hat und die LWS-Beschwerden erst nach langjähriger beruflicher Tätigkeit eintraten, spricht auch nach Auffassung des Senats mehr für als gegen eine wesentliche Teilverursachung der band-scheibenbedingten Erkrankung in den unteren LWS-Segmenten durch die berufliche Expo-sition. Andere konstitutionelle bzw. anlagebedingte Ursachen, die das Auftreten der Ge-sundheitsstörungen in den beiden unteren Segmenten im Sinne von allein wesentlichen Ursachen plausibel erklären, liegen nach Auffassung des Senats nicht vor. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus den von Prof. Dr. D1 ..., Dr. O1 ... sowie der Gewerbeärz-tin Dr. G1 ... erstellten Gutachten und der von Dr. L1 ... verfassten Stellungnahme. Der Kläger hat keine wirbelsäulenbelastenden Sportarten ausgeübt. Eine familiäre Disposition besteht nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. K1 ... nicht. Der Kläger ist nicht übergewichtig. Er hat kein Haus gebaut.

Beim Kläger bestand auch ab Eintritt der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit – wie sich aus den Gutachten von Prof. Dr. K1 ... und Prof. Dr. D1 ... übereinstimmend ergibt – ein Zwang zur Unterlassung aller schädigenden Tätigkeiten.

Der Kläger hat im Zeitraum vom 01.10.2003 bis 31.10.2004 im bäuerlichen Betrieb S ... J ... eine Tätigkeit, die mit dem Heben und Tragen nicht unbedeutender Lasten und mit Ganzkörperschwingungen im Sitzen verbunden war, ausgeübt. Diese konnte nach der für den Senat nachvollziehbaren Stellungnahme von Prof. Dr. K1 ... vom 28.06.2005 für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein (BSG, Urteil vom 19.08.2003, Az.: B 2 U 27/02 R; BSG, Urteil vom 22.08.200, Az.: B 2 U 34/99 R, SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr.2). Die BK setzt jedoch nach der Rechtspre-chung des BSG, die sich der Senat zu Eigen macht, die Aufgabe aller wirbelsäulenbelas-tenden Tätigkeiten voraus. Weil der Kläger während der Beschäftigung im Zeitraum vom 01.10.2003 bis 31.10.2004 erneut eine die Wirbelsäule belastende Tätigkeit ausübte, liegt während dieser Zeit eine BK-Nr. 2110 BKV nicht vor. Der Kläger gab zum 31.10.2004 diese Tätigkeit auf. Hiernach war er ausweislich der auf den 12.07.2005 datierten Stel-lungnahme der AOK Sachsen vom 01.11.2004 bis zum 08.12.2004 arbeitsunfähig. Hier-nach nahm er nach der Stellungnahme des Arbeitgebers bis zum 31.12.2004 seinen Restur-laub.

Angesichts der erheblichen LWS-Beschwerden ist mit Prof. Dr. K1 ... die MdE ab 06.11.1998 mit 20 v. H. zu bewerten. Beim Kläger ist seit dem Arbeitsunfall vom 15.06.1998 ein lumbales Radikulärsyndrom vorhanden. Magnetresonanztomografisch ist eine Nervenwurzelreizung S1 erhoben worden. Im Reha-Entlassungsbericht haben die behandelnden Ärzte ausgeführt, der Kläger sei mit Schmerzen entlassen worden. Am 04.06.1999 habe ein in Vorbeuge fixiertes Gangbild, eine eingeschränkte Beweglichkeit der LWS (Reklination/Ventalflexion 5°; Seitneige 10/0/10°) bestanden. Am 07.06.1999 seien die Patellareflexe beidseitig nicht auslösbar, die Achillessehnenreflexe sind nur be-dingt auslösbar gewesen. Zudem hätten ausstrahlende Schmerzen beim Verdrehen der Wirbelsäule in das Gesäß, gelegentlich in den linken Fuß, bestanden. Auch am 06.06.2001 sei ein abgeschwächter Achillessehnenreflex links vorhanden gewesen.

Die Verletztenrente ist gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII von dem Tag an zu zahlen, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet. Das Verletztengeld en-det gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Diese endete ausweislich der Stellungnahme der AOK Sachsen vom 05.07.2005 am 19.05.2000. Daher ist die Rente ab 20.05.2000 zu gewähren.

Nach alledem waren das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Re-vision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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