L 4 R 160/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 3 RA 1173/03 ZV
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 160/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zu-satzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, die Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 10.09.1973 bis 29.07.1978 und vom 06.11.1978 bis 30.06.1990 als Zeiten der Zugehörig-keit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die am ... geborene Klägerin erlangte nach erfolgreichem Abschluss eines Studi-ums an der Ingenieurschule für Bauwesen L ... das Recht, die Berufsbezeichnung "In-genieur" zu führen (Urkunde vom 21.07.1973). Vom 10.09.1973 bis 29.07.1978 war sie beim VEB Baukombinat L ... Kombinatsbetrieb Produktionsvorbereitung beschäftigt, vom 02. bis 10.09.1978 war sie Messeaushilfe beim L ... M ... Nach kurzer Zeit der Familienversicherung schloss sich vom 06.11.1978 bis 31.12.1979 eine Tätigkeit als Pro-jektingenieur beim VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... L ..., vom 01.01.1980 bis 30.04.1981 beim VEB W ... der holzverarbeitenden Indust-rie und vom 01.05.1981 bis 30.06.1990 wieder beim VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... an.

Zum 01.05.1978 trat die Klägerin der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bei und entrichtete auf ihr monatliches Einkommen bis maximal 1.200,00 Mark entsprechende Beiträge. Eine Versorgungszusage zur Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem der DDR war ihr bis zum 30.06.1990 nicht erteilt worden.

Den Antrag der Klägerin auf Feststellung und Überführung von Zusatzversorgungsanwart-schaften in der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) lehnte der beklagte Versorgungsträger mit Bescheid vom 07.02.2003 und bestätigendem Wider-spruchsbescheid vom 25.08.2003 ab. Die Klägerin habe bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes ge-habt. Sie sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen, noch habe sie eine Einbeziehung in die AVItech nachträglich durch Rehabilitierung oder durch eine Entschei-dung nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 des Einigungsvertrages erlangt oder habe auf Grund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage im Juli 1991 einen Anspruch auf Erteilung einer Ver-sorgungszusage gehabt. Im Juni 1990 habe sie als Ingenieur eine ihrer Qualifikation ent-sprechende Beschäftigung in einem Rationalisierungs- und Projektierungsbetrieb ausgeübt. Rationalisierung- und Projektierungsbetriebe zählten auf Grund der in der Anordnung über die Aufgaben, die Arbeitsweise und die Finanzierung der volkseigenen Betriebe für Ratio-nalisierung, der volkseigenen Ingenieurbüros für Rationalisierung und der volkseigenen Organisations- und Rechenzentren der Wirtschaftsräte der Bezirke vom 29. März 1973 (GBl. I Nr. 17 S. 152) beschriebenen Arbeitsaufgaben nicht zu den volkseigenen Produkti-onsbetrieben der Industrie oder des Bauwesens und es habe sich auch nicht um einen im Sinne von § 1 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24.05.1951 gleichge-stellten Betrieb gehandelt. Das AAÜG sei damit nicht anwendbar.

Mit der am 05.09.2003 beim Sozialgericht Leipzig erhobenen Klage führte die Klägerin ihr Ziel zur Feststellung ihrer Beschäftigungszeiten vom 10.09.1973 bis 30.06.1990 als Zuge-hörigkeitszeiten in der AVItech und der entsprechenden Entgelte weiter. Der VEB Zentra-les Projektierungsbüro der H ...- und K ...L ... unterfalle dem betriebli-chen Geltungsbereich der AVItech, weil der Betrieb sich mit der Planung und Projektie-rung von Industrieanlagen sowie deren Inbetriebnahme beschäftigt habe und damit einem klassischen Baubetrieb entspreche. Die Projektierung sei integraler Bestandteil der Bau-produktion und gehöre auch nach heutigem Begriffsverständnis zu den Bauleistungen. Je-denfalls habe es sich bei dem Betrieb auf Grund der Aufgabe der bautechnischen Projektie-rung von Industrieanlagen um ein Konstruktionsbüro gehandelt, das ebenfalls dem betrieb-lichen Geltungsbereich der AVItech unterfalle.

Das Sozialgericht hat Auszüge aus der beim Register der volkseigenen Wirtschaft der DDR geführten Registerakte des VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... (Reg.-Nr. 110-13-2026), wonach der Betrieb zum 01.05.1981 durch Herauslö-sung des Bereichs 4 - Projektierung - aus dem VEB WTZ der holzverarbeitenden Industrie als juristisch selbstständiger Kombinatsbetrieb des VEB Kombinate Holzwerkstoffe, Be-schläge und Maschinen L ... entstanden ist, beigezogen. Ferner lagen ein Auszug aus dem Handelsregister zum Nachfolgeunternehmen, Industrie- und Holzprojekt GmbH (Amtsge-richt Leipzig, HRB ...) sowie Auszüge aus der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR vor.

Auf mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 25.01.2005 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch nach § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) sowie der erzielten Entgelte. Sie falle nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG bereits nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Die Klägerin habe bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01.08.1991 weder einen Anspruch und eine Anwartschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Versorgungs-system erworben gehabt. Sie habe auch keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" erworben. Ein solcher hätte sich für die Klägerin nur aus den bundesrechtskonform auszu-legenden Regeln der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17.08.1950 (GBl. S. 844) und der dazu ergangenen Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24.05.1951 (GBl. S. 487) ergeben können. Auch wenn für das Sprachverständnis dieser Texte vom staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 30.06.1990 auszugehen sei (BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R), habe sich die Auslegung selbst an den objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechtes zu orientieren. Mithin komme es weder auf die Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR, noch auf deren Verwaltungspraxis an. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG liege eine fikti-ve Zugehörigkeitszeit zur AVItech i.V.m. der 2. DB nur vor, wenn der "Versorgungsbe-rechtigte" drei Voraussetzungen erfüllte: Er habe eine bestimmte Berufsbezeichnung füh-ren müssen (persönliche Voraussetzung), eine der Berufsbezeichnung entsprechende Be-schäftigung oder Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (betriebli-che Voraussetzung). Vorliegend sei die betriebliche Voraussetzung für die Anerkennung fiktiver Zugehörig-keitszeiten zur AVItech nicht erfüllt. Die Klägerin sei am 30.06.1990 weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens, noch in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB aufgeführten gleichgestellten Betriebe beschäftigt gewesen. Zur Be-antwortung der Frage, welche Aufgaben dem Beschäftigungsbetrieb der Klägerin, dem VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... L ..., das Gepräge gegeben hatten, sei auf den Hauptzweck des Betriebs abzustellen. Dabei habe das Sozial-gericht zum einen auf die Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren, wonach der Betrieb sich mit der Planung und Projektierung von Industrieanlagen sowie deren Inbe-triebnahme befasst habe, zurückgegriffen. Zum anderen habe sich ein Hinweis auf den Betriebszweck aus dem Unternehmensgegenstand der Rechtsnachfolgerin des untergegan-genen VEB, der am 30.08.1990 im Handelsregister eingetragenen Industrie- und Holzpro-jekt GmbH, ergeben. Danach habe der Gegenstand in der Beratung, Planung und Projektie-rung von Industrie- und Teilanlagen vorwiegend für die holzbe- und -verarbeitende Indust-rie einschließlich Inbetriebnahme von Ausrüstungen sowie Durchführung von Serviceleis-tungen bestanden. Da der VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... ausweislich der Auszüge aus der Registerakte seit 01.01.1990 dem Mi-nisterium für Leichtindustrie unterstellt gewesen sei, habe schließlich auch die Anordnung über das Statut der VEB Zentrale Projektierungsbüros im Bereich des Ministeriums für Leichtindustrie vom 27.02.1956 (GBl. II Nr. 10 S. 57) herangezogen werden können. Dem danach in § 2 Abs. 2 der Anlage genannten Aufgabenkatalog seien Betriebsaufgaben im Sinne des fordistischen Produktionsmodells nicht zu entnehmen. Vielmehr habe es sich um Unterstützungsleistungen für die originären Produktions- oder Baubetriebe gehandelt, die als Dienstleistungsaufgaben zu bewerten seien (vgl. dazu BSG, Urteil vom 27.07.2004 - B 4 RA 8/04 R). Damit im Einklang stehe auch die Zuordnung des Betriebes zur Wirt-schaftsgruppe 63310 der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR. Dieser Wirt-schaftsgruppe seien technologische Projektierungsbetriebe zugeordnet gewesen, also "selbstständige Organisationen zur technischen (ingenieurtechnischen) Projektierung und Betreuung in allen Zweigen der materiellen Produktion". Damit decke sich, dass in § 6 Abs. 1 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volksei-genen Betriebe vom 08.11.1979 (GBl. I S. 355) festgehalten worden sei, ein Kombinatsbe-trieb könne Produktionsbetrieb für Enderzeugnisse, Produktionsbetrieb für Zulieferungen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtung, Projektierungsbetrieb, Rationalisierungsmittel-betrieb und Baubetrieb sowie Handelsbetrieb, Kundendiensteinrichtung u.a. sein. Hieraus ergebe sich, dass auch nach dem Sprachgebrauch der DDR zwischen Produktions- und Baubetrieben einerseits und Projektierungsbetrieben andererseits unterschieden worden sei. Projektierungsbetriebe unterfielen jedoch nicht dem betrieblichen Geltungsbereich der A-VItech. Bei dem Beschäftigungsbetrieb der Klägerin habe es sich auch nicht um ein "Konstrukti-onsbüro" im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB gehandelt. Der VEB Zentrales Projektie-rungsbüro der Holz- und Kulturwarenindustrie habe gerade nicht die Bezeichnung "Kon-struktionsbüro" geführt. Eine erweiternde Auslegung dieses Begriffes komme nicht in Be-tracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG habe sich die Auslegung der einschlä-gigen Versorgungsordnungen eng am jeweiligen Wortlaut zu orientieren, weil nur so aus-geschlossen werden könne, dass beliebige Umstände außerhalb des von den Texten der Versorgungsordnungen vorgegebenen Rahmens, die sich mangels gesicherter faktischer Beurteilungsgrundlage nicht willkürfrei erschließen ließen, bei der Auslegung der Versor-gungsordnungen herangezogen würden (BSG, Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 34/01 R). Das Bundesverfassungsgericht habe diese vom BSG gefundene Auslegung bestätigt (Be-schluss vom 04.08.2004 - 1 BvR 1557/01) und hervorgehoben, dass es zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und im Verhältnis der Versor-gungssysteme zueinander führen würde, wenn unter Missachtung des Textes der Versor-gungsordnungen rückschauend eigene Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssys-teme entwickelt würden. Insbesondere halte der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG die Sozialgerichte nicht allgemein an, eine Ungleichbehandlung von Bürgern, die durch Normsetzung oder Verwaltungspraxis der DDR entstanden sei, zu überprüfen und gegebenenfalls zu beseitigen. Damit könne als "Konstruktionsbüro" nur ein Betrieb ange-sehen werden, der auch diese Bezeichnung geführt habe. Ein sich über diese enge Orientie-rung am Wortlaut der Versorgungsordnung hinwegsetzendes Verständnis würde dazu füh-ren, dass jeder Betrieb mit einer irgendwie gearteten technischen Ausrichtung als "Kon-struktionsbüro" bewertet werden müsste.

Gegen das am 17.02.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.02.2005 eingelegte Be-rufung der Klägerin, mit der sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wieder-holt. So weit das Sozialgericht bei seiner klageabweisenden Entscheidung besonderen Wert auf die Unterstellung des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin zu einem Industrie-ministerium und das "DDR-Sprachverständnis" gelegt habe, könne dem nicht gefolgt wer-den. Der VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... Leipzig sei dem Ministerium der Leichtindustrie unterstellt gewesen. Der Verweis des Sozialgerichts auf die Zuordnung des Betriebes im Rahmen der Systematik der Volkswirtschaftszweigen der DDR zur Wirtschaftsgruppen 63310 belege, dass die DDR eine Zuordnung zum produ-zierenden Bereich getroffen habe. Schließlich könne auch der Hinweis auf das Urteil des BSG vom 27.07.2004 - B 4 RA 8/04 R - nicht überzeugen, denn insoweit habe es sich um einen so genannten Rationalisierungsbetrieb gehandelt, welcher zumindest teilweise Dienstleistungsaufgaben wahrgenommen habe. Dies sei beim Beschäftigungsbetrieb der Klägerin nicht der Fall; bei diesem Betrieb habe es sich ohne Zweifel um ein Unternehmen im Sinne des § 1 der 2. DB zur AVItech gehandelt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25.01.2005 sowie den Bescheid der Be-klagten vom 07.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 10.09.1973 bis 29.07.1978 und vom 06.11.1978 bis 30.06.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zu-sätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Entgelte festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die beigezogene Verwaltungsakte, die vorlagen und Gegens-tand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 07.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, in einem Feststellungsverfahren des Versorgungsträgers nach § 8 AAÜG, welches einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buch Sozi-algesetzbuch (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenfeststellungsverfahrens des Ren-tenversicherungsträgers durchzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.1996 - 4 RA 7/95 - in: SozR 3-8570 § 8 Nr. 2), die Zeiträume vom 10.09.1973 bis 29.07.1978 und 06.11.1978 bis 30.06.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt zu erhal-ten.

In dem Verfahren nach § 8 AAÜG ist die Beklagte nur dann zu den von der Klägerin be-gehrten Feststellungen verpflichtet, wenn sie dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt (§ 1 Abs. 1 AAÜG). Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten i.S. von § 5 Abs. 1 AAÜG und damit Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten i.S. des SGB VI vorliegen, auf deren Feststellungen die Klägerin nach § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 3 AAÜG einen An-spruch gegen die Beklagte hätte.

Vom persönlichen Anwendungsbereich werden nach der Maßstabsnorm des § 1 Abs. 1 AAÜG die Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften) erfasst, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.08.1991 bestanden haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn beim Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift als nicht eingetre-ten. Geht man vom Wortlaut der Vorschrift aus, erfüllt die Klägerin - wie bereits das Sozi-algericht zutreffend festgestellt hat - beide Tatbestände nicht.

Die Klägerin war nicht Inhaberin einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 01.08.1991 beste-henden Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihr zum 01.08.1991 eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden ist, liegt nicht vor. Weder hatte sie eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt noch hatte sie eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag bindend gebliebe-nen Verwaltungsakts. Die Klägerin war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem (hier: AVItech) einbezogen worden. Für die Klägerin greift schließlich auch nicht § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, denn sie hatte vor dem 30.06.1990 keine Rechtsposition inne, die sie hätte verlie-ren können. Nur in diesen Fällen wird kraft Gesetzes eine Anwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG fingiert (vgl. dazu BSG, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 15 und SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 20 f.).

Bei Personen, die am 30.06.1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art. 17 EV) einbezogen wurden, ist auf Grund einer vom BSG vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 01.08.1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2 bis 8). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.

Eine solche fiktive Berechtigung hängt nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG im Bereich der AVItech gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersver-sorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrie-ben vom 17.08.1950 (VO-AVItech; GBl. S. 844) und der dazu ergangenen Zweiten Durch-führungsbestimmung vom 24.05.1951 (2. DB; GBl. S. 487) von folgenden drei Vorausset-zungen ab, und zwar von 1. der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönli-che Voraussetzung), und 2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), 3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Die Klägerin erfüllte zwar mit dem Abschluss ihres Studiums an der Ingenieurschule für Bauwesen Leipzig als Ingenieur seit 21.07.1973 die vorstehend genannte erste (persönli-che) Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech. Ob sie mit ihrer am 30.06.1990 ausgeübten Tätigkeit als Projektingenieur die sachliche Voraussetzung (ingenieur-technischen Tätigkeit) erfüllt, kann offen bleiben. Denn sie hat ihre Tätigkeit nicht in ei-nem von der Versorgungsordnung der AVItech erfassten (volkseigenen) Produktionsbe-trieb der Industrie oder des Bauwesens und auch nicht in einem nach § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb ausgeübt und erfüllt damit nicht die betriebliche Voraussetzung für einen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech. Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin, der VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... L ..., ist - wie das Sozialgericht Leipzig zutreffend dargestellt hat - weder ein Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch ein diesen nach § 1 Abs. 2 der 2. DB zur AVItech gleichgestellter Betrieb. Damit findet das AAÜG nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 auf die Klägerin keine Anwendung.

Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung den Feststellungen des Sozialgerichts vollumfänglich an und sieht daher insoweit von einer weiteren Darstellung der Entschei-dungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG)

Nach Überzeugung des Senates ist neben der Erläuterung der Aufgaben des Betriebes durch die Klägerin selbst (Planung und Projektierung von Industrieanlagen und deren Inbe-triebnahme) gerade die Anknüpfung an die Zuordnung des Betriebes in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR ein geeignetes abstrakt-generelles Kriterium der Bewer-tung der Haupttätigkeit des jeweils maßgeblichen Beschäftigungsbetriebes. Dies ergibt sich vor allem aus dem Vorwort zur Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR für das Jahr 1985, die im Bundesarchiv zugänglich ist und die belegt, dass bereits die DDR im Rahmen ihrer ökonomischen Planung und statistischen Abrechnung eine Einteilung der Betriebe nach ihren Hauptaufgaben (ihrem Hauptzweck) im System der erweiterten Re-produktion (und damit nach ökonomischen Gesichtspunkten) vorgenommen hat. Die Zu-ordnung der selbstständigen wirtschaftlichen Einheiten - Betriebe, Einrichtungen, Organi-sationen u.a. - erfolgte danach unabhängig von der Unterstellung unter ein Staats- oder wirtschaftsleitendes Organ und der sozialökonomischen Struktur. Die Systematik der Volkswirtschaftszweige war damit frei von möglichen Veränderungen, die durch verwal-tungsmäßige Unterstellungen der Betriebe und Einrichtungen hervorgerufen werden konn-ten. Die Volkswirtschaft der DDR wurde in der Systematik der Volkswirtschaftszweige in 9 Wirtschaftsbereiche gegliedert: 1 Industrie, 2 Bauwirtschaft, 3 Land- und Forstwirt-schaft, 4 Verkehr, Post und Fernmeldewesen, 5 Handel, 6 Sonstige Zweige des produzie-renden Bereichs, 7 Wohnungs- und Kommunalwirtschaft, Vermittlungs-, Werbe-, Bera-tungs-, u.a. Büros, Geld- und Kreditwesen, 8 Wissenschaft, Bildung, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen und 9 Staatliche Verwaltung, gesellschaftliche Organisationen. Die Zu-ordnung der selbstständigen wirtschaftlichen Einheiten zu den Gruppierungen erfolgte ent-sprechend dem Schwerpunkt der Produktion bzw. Leistung oder dem Hauptzweck der Ein-richtung, wobei jede Einheit nur einer Gruppierung zugeordnet werden konnte, d.h. der Hauptzweck des Betriebes damit ermittelt werden musste. Die Zuordnung der selbständi-gen wirtschaftlichen Einheit wurde von den Dienststellen der Staatlichen Zentralverwal-tung für Statistik in Zusammenarbeit mit den Fachorganen festgelegt und erfolgte unab-hängig von der sozialökonomischen Struktur und der Unterstellung unter ein Staats- oder wirtschaftsleitendes Organ. Eine Änderung der Zuordnung bedurfte der Zustimmung der für den Wirtschaftszweig verantwortlichen Fachabteilung der Staatlichen Zentralverwal-tung für Statistik und sollte nur dann erfolgen, wenn die Hauptproduktion des Betriebs grundsätzlich umgestellt worden war.

Nach Überzeugung des Senates bildet gerade die Zuordnung der einzelnen Beschäfti-gungsbetriebe im Rahmen der Systematik der Volkswirtschaftszweige ein wesentliches, von subjektiven Elementen freies, aus dem Wirtschaftssystem der DDR selbst stammendes Kriterium zur Beurteilung des Hauptzweckes eines Betriebes um festzustellen, ob für einen fiktiven Einbeziehungsanspruch in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intel-ligenz die nach der vom BSG herausgearbeiteten verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG erforderliche betriebliche Voraussetzung erfüllt ist. Soweit das Sozialgericht danach unter Heranziehung der im Register der volkseigenen Wirtschaft der DDR einge-tragenen Betriebsnummer eine Zuordnung des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin, des VEB Zentrales Projektierungsbüro der H ...- und K ... L ..., zur Wirtschafts-gruppe 63310 in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR vorgenommen hat, ist diese Herangehensweise nicht zu beanstanden. Dieser Wirtschaftsgruppe sind - wie das Sozialgericht bereits dargestellt hat - selbstständige Organisationen zur technischen (inge-nieurtechnischen) Projektierung und Betreuung in allen Zweigen der materiellen Produkti-on, mit Ausnahme von Organisationen zur Projektierung von Bauobjekten und Projektie-rungsorganisationen, die wissenschaftliche Arbeit verrichten, zugeordnet. Dem Beschäfti-gungsbetrieb der Klägerin gab somit nicht - wie vom BSG für einen bundesrechtlichen Anspruch erforderlich - die industrielle Produktion im Sinne des fordistischen Produkti-onsmodells, d.h. die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; Urteil vom 10.04.2002 – B 4 RA 10/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 5; BVerfG, Beschluss vom 08.09.2004 – 1 BvR 1697/02), sondern Projektierungen und damit Dienstleistungen das Gepräge.

Eine Gleichstellung weiterer Personengruppen über die vom BSG gefundene erweiternde verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG hinaus ist von Verfassungs wegen nicht geboten. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiederverei-nigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.08.2004 - 1 BvR 1557/01) und damit u.a. zu Grunde le-gen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30.06.1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der In-dustrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt und tatsäch-lich ingenieur-technisch eingesetzt war. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Grundgesetz (GG) gebie-tet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versor-gungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa die hier vorliegenden Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Bei-trags- und Steuerzahler auszugleichen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, Nr. 7, Nr. 8; BSG Urteile vom 18.06.2003 - B 4 RA 1/03 R = SGB 2003 S. 518 und vom 18.12.2003 - B 4 RA 18/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 1).

Da die Klägerin somit am 30.06.1990 keine Versorgungsanwartschaft i.S. des § 1 AAÜG erworben hatte, kann ihr bereits aus diesem Grund kein Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach § 5 AAÜG und der dabei er-zielten Entgelte zustehen. Die angefochtene ablehnende Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Das Sozialgericht hat deshalb die kombinierten Anfechtungs- und Verpflich-tungsklagen zu Recht abgewiesen. Die Berufung war aus den genannten Gründen zurück-zuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved